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Bis zum Schluss

Wie man mit dem Tod umgeht, ohne verrückt zu werden

AutorOliver Uschmann, Sylvia Witt
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783641136758
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Vom Anruf, der immer zur Unzeit kommt und uns mitteilt, dass ein enger Angehöriger nicht mehr lange zu leben hat, über Krankheit, Sterben und Tod bis zum Sichten und Verwerten der Hinterlassenschaften und zur Wohnungsauflösung: Oliver Uschmann und Sylvia Witt haben ein klares und ehrliches Buch geschrieben, das allen Trost, Rat und Hilfe gibt, die in einer ähnlichen Situation sind oder die sich darauf vorbereiten möchten.

Oliver Uschmann hat innerhalb weniger Jahre das Sterben seiner Großmutter, seiner Mutter und seines Vaters begleitet. Er wurde dabei zum Kenner von Krankenhäusern und Hospizen, Therapiestrategien und Todesaugenblicken, Bestattungsverfahren und Nachlassverwaltung. Er war entsetzt und fasziniert davon, was ihm zugemutet wurde und er sich selbst zugemutet hat. Und auch davon, was er am Ende alles leisten konnte.
»Was fehlt«, sagt Oliver Uschmann, »sind die klaren Worte. Dass jemand mal sagt, wie es wirklich abläuft.« Diese klaren Worte finden Oliver Uschmann und seine Frau Sylvia Witt in diesem Buch. Und er sagt auch: »Als satirischer Schriftsteller sieht man immer und überall Pointen.« So ist dieses Buch trotz der ernsten, existenziellen Thematik stellenweise auch sehr komisch.
Jenseits von religiösen Trostbüchern, esoterischem Geschwurbel und ernster Befindlichkeitsliteratur haben Uschmann und Witt einen Ton getroffen und eine Pragmatik entwickelt, die jedem helfen, der geliebte Menschen und Angehörige beim Sterben begleitet oder mit ihrem Tod konfrontiert wird.



M.A., lebt mit Frau, Katzen und Fischen freiwillig auf dem Land. Gemeinsam entwerfen sie dort die Romane der 'Hartmut und ich'-Reihe, deren tiefe Kenntnis des männlichen Wesens nun auch in 'Fehlermeldung' ihren Ausdruck finden. Seine Kindheit verbrachte Uschmann größtenteils in der Badewanne, seine Adoleszenz u.a. als Packer, Aktivist, Veranstalter, Rockjournalist und Punkrocksänger. Er studierte Literaturwissenschaft, Linguistik und Anglistik in Bochum, wallraffte in Berlin als Werbetexter und ist 'Theorieadministrator' in der Online-Galerie 'Haus der Künste', die er mit seiner Frau Sylvia Witt betreibt. Ferner gibt er als 'Wortguru' Schreibseminare und fördert Nachwuchsautoren.

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Leseprobe

DER ANRUF

Warum die Nachricht vom Sterben immer unerwartet kommt, wie sie das gewohnte Leben schlagartig beendet und was Sie tun können, um sich auf die kommenden Tage und Wochen vorzubereiten.

ALLE NOCH DA?

Alles lebt.

Das ist der Normalzustand.

Die Welt um uns herum wirkt rund um die Uhr wie die Luftaufnahme einer Großstadt in einem Hollywoodfilm, wo tausend kleine Männchen auf den Zebrastreifen, Bürgersteigen und Vorplätzen umherwuseln, Aktenkoffer und Kaffeebecher mit weißem Deckel in der Hand, das Handy am Ohr, nach einem Taxi winkend. Jede Umgebung ist ein Wimmelbild. Laut und durcheinander. Im Haus spielen die Kinder an der Konsole und beleben den einen Fernseher mit bunten Figuren, während der zweite im Wohnzimmer läuft, um das Bügeln der Wäsche mit putzigen Tieren, kochenden Laien oder professionell gespielten Mordermittlern zu berieseln. In der dichten Hainbuchenhecke des Nachbarn erscheint derweil das röhrende Blatt der Elektroschere und oben auf dem Hügel testen die Teenager wieder ihre frisch frisierten Mopeds aus. Lebt man in der Stadt, hupt jeder wie wahnsinnig, als hätte es einen Unfall gegeben. Dabei geht es einfach nur allen gleichzeitig zu langsam.

In der Welt der Kommunikation sieht es genauso aus wie im Verkehr um uns herum. In dem Augenblick, wo wir die Waschmaschine ausräumen, den Kunden bedienen oder an der roten Ampel warten, haben sich bereits wieder acht Leute auf Facebook gemeldet, siebenundzwanzig eine Nachricht ins elektronische Postfach geschickt und die Schwiegermutter hat mehrfach angerufen. Oder der chaotische Bruder. Wo man geht und steht, macht man Small Talk und redet über das Wetter, den Fußball, Markus Lanz oder die Klimakatastrophe. Das Quatschen und Plaudern ist eine Selbstvergewisserung. Ich bin noch da. Die anderen sind noch da. Viele der Wortwechsel sind längst automatisiert. Zahlreiche Phrasen kommen so aus der Tiefe der Gewohnheit, dass man nicht einmal mehr bewusst merkt, dass man sie ausspricht. Wendungen wie:

»Und selbst?«

»Den Bon brauche ich nicht.«

»Grüß schön.«

»Man kann nur hoffen, dass es das jetzt war mit dem Winter.«

Oder auch:

»Wie sind Sie denn hergefahren?«

Äußerungen, die dem anderen zeigen, dass nun er mit Reden dran ist, oder die einfach nur die Stille füllen, da Stille niemand aushalten kann, allenfalls mal für zwei, drei Sekunden in einem Aufzug. Dauert die Fahrt dort zehn Stockwerke, öffnet sich spätestens beim fünften der erste Mund.

Wo Menschen nicht reden, twittern sie. Oder bloggen. Senden sich Kurznachrichten. Die vielen über Smartphones gebeugten Köpfe in den Zügen und Straßenbahnen bedeuten eben nicht, wie viele denken, dass »die jungen Menschen« nicht mehr miteinander kommunizieren. Im Gegenteil. Das pausenlose virtuelle Gezwitscher ist ein wahres Stimmengewirr der Mitteilungen und »ich bin da!«-Bestätigungen. Als sei die ganze Welt der digitalen Kommunikation nur entstanden, weil die Angst der Menschen immer größer geworden ist, die Freundin, der Freund oder der ganze, in einer Facebook-Gruppe zusammengefasste Sportverein könnten wie von Geisterhand vom Erdboden verschwunden sein, wenn sie zwei Stunden lang keinen neuen Text eingestellt haben. Ein Urlaubsanbieter wie weg.de, der den durch Hape Kerkelings Jakobswegwanderung berühmt gewordenen Slogan »Ich bin dann mal weg!« für seine Werbeplakate benutzt, müsste beim Verhalten der meisten modernen Menschen eigentlich schreiben: »Ich bin dann mal weg … aber ich blogge jeden Tag aus den Ferien und stelle 57 Strandfotos ein.« Wer mit den neuen Medien aufgewachsen ist, könnte kaum ertragen, wenn die beste Freundin wirklich so in den Urlaub fahren würde, wie man es in der Zeit vor dem Internet und den günstigen Mobiltelefontarifen gemacht hat: Tatsächlich weg sein. Unerreichbar. Nur ab und zu kurz anrufen und eine Postkarte senden. Zu wenige Updates. Systemabsturz.

»Wenn es so ganz still ist, das halte ich nicht aus«, sagte kürzlich ein Freund. Er twittert wenig, ist Handwerker und liebt das Geplauder mit Kunden. Oft allerdings ist er bei seinen Aufträgen allein im Wohnraum der Auftraggeber. Handelt es sich dabei um Mietwohnungen mit dünnen Wänden und Böden, bei denen das Toben der Nachbarskinder Schritt für Schritt und Wort für Wort durch die Ziegel schallt, lässt er sein Bau-Radio manchmal im Auto. Verlegt er den Boden allerdings in einem großen, freistehenden Haus, womöglich weit draußen am Waldrand oder in den Feldern, hält er es keine drei Minuten ohne Popsongs, Nachrichten und Höreranrufe aus.

»Ich brauche einfach das Gefühl, dass jemand zu mir spricht«, gesteht er. Die Stille, die viele Menschen suchen und genießen, wenn sie um drei Uhr nachts von einer Geburtstagsfeier absichtlich zu Fuß durch die menschenleere Altstadt nach Hause gehen oder sich eines Tages auf einem Campingplatz einen ruhigen Dauerstellplatz nahe des Deichs mieten, ist nur so schön, weil man weiß, dass sie vorübergeht. Weil jeder klackernde Absatz auf dem nächtlichen Kopfsteinpflaster und jeder am Morgen zwitschernde Vogel in der Birke neben der Parzelle die Gewissheit in sich trägt, dass in ein paar Stunden wieder Trubel herrscht. Und die Schwiegermutter anruft. Oder der chaotische Bruder.

Bleiben diese Anrufe aus, beginnen die Gedanken. Die Sorgen. Der Ärger. Welche Regung auch immer. Die größte Pflicht, die sich Menschen gegenseitig auferlegen ist die, »sich zu melden«, und zwar in berechenbaren Abständen. So berechenbar, wie jeden Tag die Nachrichten kommen. Oder der Höreranruf. Oder die kochenden Laien im Fernsehen.

Bleibt diese Meldung mittelfristig aus oder kommt sie dem eigenen Empfinden nach »zu spät«, treten als Reaktion die drei bedeutsamsten Phrasen des alltäglichen Miteinanders in Kraft. Derjenige, der sich lange nicht gemeldet hat, bekommt einen der folgenden Sätze zu hören, mit denen man einen Vorwurf in scherzhafte Ironie kleidet:

»Du lebst noch?«

»Schön, dass du noch lebst.«

»Man hört ja gar nichts mehr von dir. Wir dachten schon, du wärst tot.«

Diese bissigen Phrasen offenbaren endgültig: Das ständige Plappern, Quatschen, Plaudern und Sich-Melden ist nötig, damit alle voneinander wissen, dass sie noch da sind. Dass alles seinen gewohnten Gang geht. Dass kein Hauptdarsteller aus der langen Serie, die unser Dasein darstellt, aussteigen möchte. Dass alles ist und bleibt wie immer. Nicht anders als bei Tieren, die ihr Rudel zusammenhalten. Ob Small Talk, Fachgespräch oder der »Bon brauche ich nicht!« / »Schönen Tag, noch!«-Wortwechsel an der Supermarktkasse – was wir von uns geben, könnten auch einfach nur Laute sein. Hauptsache, wir können beruhigt feststellen: Alles lebt.

SAURONS AUGE

Alles lebt.

Die Primeln. Die Narzissen. Der Oleander. Die Fuchsie.

Das Gartencenter ist ein beständiges Areal meiner Lebenslandkarte. Im Frühjahr schieben meine Frau und ich den Wagen durch die grünen Düfte, um Nachsaat für den Rasen zu holen, Gartenkalk und größere Tonwaren zum Umtopfen der Kübelpflanzen. Außerdem Blumenerde, soviel die Achslast des Autos tragen kann. Im Sommer ist es uns kaum möglich, an den putzigen Figuren aus Terrakotta vorbei zu gehen, die in der Dekorationsabteilung hocken wie großäugige Tiere im Heim. Schildkröten, Igel und Katzen bevölkern in vielen Varianten die Rasenkantensteine und Teichfelsen unseres Gartens. Lediglich die kleinen Singvögel aus Steingut haben wir uns bislang verkniffen. In der Adventszeit trinken wir im Außenbereich Glühwein mit dem Weihnachtsbaumverkäufer. Wir lassen uns Zeit für die Auswahl, während federleichte Schneeflocken im Licht der Außenstrahler vor einem Abendhimmel Richtung Nordmanntannenspitzen rieseln, der schon um 17:30 Uhr so pechschwarz ist wie sonst nur um drei Uhr nachts, wenn alles schweigt und ruht.

Eine besondere Freude machte mir Sylvia 2010 mit dem Buch Guerilla Gardening von Richard Reynolds. Das Konzept, nicht nur den eigenen Garten zu bepflanzen, sondern die ganze Umgebung, erfüllt mich bis heute mit kindlicher Freude. Es ist die schönste Art ungefragter bis verbotener Betätigung. Im Vorbeigehen lasse ich Samenbomben auf wilde Brachflächen fallen, lasse Stiefmütterchen auf kargen Verkehrsinseln blühen oder setze Blaugras in vernachlässigte Betonkübel. Zu sehen, wie Wochen später die Bienen des Landkreises zu ihrer eigenen Überraschung dort, wo früher Steppe war, plötzlich neue Menüs aus Korn- und Ringelblume, Borretsch und Dill vorfinden, ist pure Erbauung. Das Umfeld verändern, die Kulissen modifizieren. Nicht wie früher als zorniger junger Mann mittels Sprühflaschen und Randale, sondern durch die von niemandem bestellte Verbreitung von: Leben.

Heute allerdings, da klappt es nicht. Das Gartencenter kann mich nicht beruhigen. Vor lauter Aufgaben auf der Tages- und Wochenliste bin ich derartig von innerer Unruhe getrieben, dass mich der Friede, der uns umgibt, sogar provoziert. Da stehen sie, die Gehölze und Gewächse, und flüstern mir zu: »Oliver, du hast Zeit. Alles wird gut. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.« Sylvia sieht das anscheinend genauso. In aller Ruhe inspiziert sie die vielfarbigen Pflanztöpfe für den Innengebrauch.

»Ihr habt gut reden«, zische ich den Pflanzen zu, »ihr habt ja nichts anderes zu tun, als in Ruhe zu wachsen. Ihr müsst nicht tausend Dinge gleichzeitig regeln. Tausend Fragen gleichzeitig beantworten. Noch 148 Mails checken.« Sylvia, die unsere produktive Kreativwerkstatt gemeinsam mit mir betreibt und parallel...

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