Innerhalb der Psychoanalyse gibt es keinen einheitlichen Ansatz zur Erklärung von „Aggression“. Da sich zudem häufig in allgemeiner Literatur zum Thema „Aggression“ nur eine verkürzte Sichtweise des psychoanalytischen Verständnisses von Aggression finden lässt, erschwert das den Zugang zu einer allgemein gültigen Theorie. „In der nicht- psychoanalytischen Literatur wird die Aggressionstheorie der Psychoanalyse fast immer auf die Triebtheorie Freuds reduziert“ (Heinemann 1996, S. 25).
Im Folgenden soll die Entwicklung der Aggressionstheorien innerhalb der Psychoanalyse kurz skizziert werden.
Die Triebtheorie[16] Freuds ist nicht unumstritten und wurde auch „(…) innerhalb der Psychoanalyse zwiespältig aufgenommen“ (Hopf 1996, S. 51). Es gab im Laufe der Zeit Befürworter und Gegner der Freud’schen Triebtheorie.
Freud selbst hat im Laufe der Zeit seine Triebtheorie oft neu formuliert und umgestaltet. Freuds erste Version der Triebtheorie ging von einem Dualismus der Triebe aus. Er schlug vor, „(…) von solchen Urtrieben zwei Gruppen zu unterscheiden, die der Ich- oder Selbsterhaltungstriebe und die der Sexualtriebe“ (Freud 1915a, S.87). Grundlage für diesen Dualismus bildete seine Libidotheorie (1905), nach welcher die Libido der Trieb zur Stillung geschlechtlicher Bedürfnisse sei, äquivalent zum „Hunger“ bei Nahrungsbedürfnissen (vgl. Freud 1905a, S. 47). Zu dieser Zeit verstand Freud die Aggression noch „(…) als Ausdruck des Sexualtriebes, später als Abkömmling der Selbsterhaltungstriebe“ (Dornes 2000, S. 245). Er war zu dieser Zeit nicht bereit, einen selbstständigen Aggressionstrieb anzunehmen.
Nachdem Freud die Selbsterhaltungstriebe der Libido zuordnete (vgl. Heinemann 1996, S. 26), sprach er seit 1920 von einem veränderten Triebdualismus. Die beiden Triebe, die er jetzt gegenüberstellte, nannte er den Lebenstrieb (Eros) und den Todestrieb (Thanatos):
„Unsere Auffassung war von Anfang eine dualistische, und sie ist es heute schärfer denn je zuvor, seitdem wir die Gegensätze nicht mehr Ich- und Sexualtriebe, sondern Lebens- und Todestriebe benennen.“ (Freud 1920, S. 262).
Gründe für diese Neuorientierung Freuds sieht Rauchfleisch zum einen darin, dass sich das Modell der Libido nicht ausreichend dafür eignete, verschiedene Formen von Aggression zu erklären; zum anderen darin, dass Freud zu dieser Zeit mit erschütternden Ereignissen zu kämpfen hatte[17] (vgl. Rauchfleisch 1996, S. 15).
Mit dem neuen Dualismus von Lebenstrieb und Todestrieb wurde es Freud nun möglich, Aggression als Äußerungsform des Todestriebes zu erklären:
„Die gefährlichen Todestriebe werden im Individuum auf verschiedene Weise behandelt, teils durch Mischung mit erotischen Komponenten unschädlich gemacht, teils als Aggression nach außen gelenkt, zum großen Teil aber setzen sie gewiß ungehindert ihre innere Arbeit fort.“ (Freud 1923, S. 320)
Dabei blieb z.B. die Sexualität weiterhin ein Ausdruck des Lebenstriebes, die sich allerdings mit den Impulsen des Todestriebes mischen konnte. Beide Triebe hielt Freud für dauerhaft wirksame Kräfte (Energien), die permanent nach Abfuhr streben. Repräsentiert wurden die Triebe in Freuds Theorie durch das Es, welches sich durch das Lustprinzip (das Drängen nach sofortiger Entladung) auszeichnet (vgl. Heinemann 1996, S. 26).
Die so gegebene Erklärung von Aggression fand trotz vielerlei Skepsis[18] innerhalb der Psychoanalyse schnell zu Popularität (vgl. Dornes 2000, S. 245). Diese Tatsache hängt wohl auch damit zusammen, dass der Begriff des „Todestriebes“ sich zwar nicht besonders gut als wissenschaftliches Ordnungsprinzip eignet aber aufgrund seiner Komplexität und Nichtrepräsentanz, kaum zu widerlegen ist (vgl. Vogt 2001, S. 903).
Die Reduzierung menschlichen Handelns auf ein unbewusst wirkendes Es, welches durch zwei Triebe motiviert ist, die für Sexualität und Tod stehen, stieß schon zu Freuds Zeiten teilweise auf Skepsis und wurde „(…) heftig diskutiert und zum Teil entschieden abgelehnt“ (Hopf 1996, S. 54). Einer der Ersten, der sich von Freuds Vorstellungen abwandte, war Alfred Adler. Der einstige Freund Freuds entwickelte eine eigene Theorie, die Organminderwertigkeit ins Zentrum der Überlegungen stellte und sich somit von Freuds Vorstellungen die Sexualität betreffend entfernte. Auch in Bezug auf die Aggression unterschieden sich die Vorstellungen von Freud und Adler[19], der in der Aggressivität eher ein Streben nach Macht sah, welche zur Erreichung bestimmter Ziele, die aufgrund verschiedenster Organminderwertigkeiten nicht zu erlangen waren, vorausgesetzt wurde. „Diese feindliche Aggression, gereizt und verstärkt bei konstitutionell minderwertigen Kindern, fließt mit seinem Streben, so groß und stark zu werden wie der Stärkste, innig zusammen (…)“ (Adler 1997, S. 66). Triebe sind demnach bei Adler eng mit Organen verbunden und haben die Aufgabe, die Bedürfnisse dieser Organe zu befriedigen (vgl. Myschker 1999, S. 332).
Sexualität und Triebregungen fanden in Adlers Theorie kaum Beachtung; ein Trend, der sich in der Ich- Psychologie weiter fortsetzte.
Durch die Arbeiten von Anna Freud „(…) rückte mehr und mehr diejenige Instanz der Seele, die für die Verarbeitung der Konflikte verantwortlich ist, in den Mittelpunkt des Interesses“ (Kutter 2000, S.25). Die Rede ist vom Ich, derjenigen Instanz, in welcher im Gegensatz zum Es das Realitätsprinzip herrscht. Mit der Konzentration auf diese Instanz war das Vorhandensein eines Aggressions-/ Todestriebes zwar nicht verneint, aber die Möglichkeiten des Menschen zum Umgang mit diesen Trieben in den Mittelpunkt der Untersuchungen gerückt. Anna Freud geht es in erster Linie um die Frage, wie sich das Ich „(…) gegen Unlust und Angst verteidigt und seine Herrschaft über impulsives Verhalten, Affekte und Triebansprüche zu befestigen versucht“ (A. Freud 2002, S. 9).
Neben A. Freud ist Heinz Hartmann ein weiterer wichtiger Vertreter der Ich- Psychologie. Hartmann untersuchte verschiedene Funktionen des Ich und erweiterte den Begriff, indem er ihm auch grundlegende Charakterzüge oder Begabungen zuordnete (vgl. Hartmann 1975, S. 19). Von der Vorstellung der Freud’schen Todestriebtheorie versuchte er sich vorsichtig zu lösen. Hartmann führte den Begriff der „Neutralisierung“ ein, welcher für ihn einen ähnlichen Inhalt besitzt, wie die Sublimierung (vgl. ebd. 1972, S. 12). Er ging davon aus, dass durch diesen Prozess aggressive Energie von ihrem triebhaften Modus in einen nicht triebhaften Modus wechseln könne. Als nicht mehr triebhaft, könne diese Energie dem Ich bereitgestellt und in Folge von diesem kontrolliert werden. So bestehe für das Ich die Möglichkeit, die Abfuhr der Triebe aufzuschieben. Die Frage nach dem Zeitpunkt, wann das Ich so weit als Instanz strukturiert ist, dass es solche Aufgaben erfüllen kann, wird von verschiedenen Autoren auf einen Zeitpunkt um den 6. Lebensmonat gelegt (vgl. Hopf 1996, S. 96). Für Hartmann ist das Ich eine komplexe Instanz mit verschiedenen Funktionen, die für das Gelingen der Neutralisierung von Nöten sind. Auch Ich-Stärke, Ich-Schwäche oder Ich-Einschränkung sind einige davon (vgl. Hartmann 1975, S. 19). Die Ich-Funktionen bilden sich im Laufe der Sozialisation eines Kindes immer weiter aus: das Kind wird „(…) zunehmend fähiger, auf unmittelbare Triebbefriedigung (daß heißt auch auf eine sofortige, unkanalisierte Äußerung aggressiver Impulse) zu verzichten“ (Rauchfleisch 1996, S. 18). Dadurch kommt es nach Hartmann zu den oben beschriebenen Funktionswechseln (vgl. Hartmann 1975, S. 27). Im Mittelpunkt des Erlebens des Kindes steht nun nicht mehr die Triebbefriedigung, sondern die Offenheit gegenüber der Realität (vgl. Rauchfleisch 1996, S. 19).
Ein weiteres Erklärungsmodell für Aggression bietet die Selbstpsychologie, die in erster Linie von Heinz Kohut geprägt wurde. Für Kohut stand das Selbst als die Instanz, die dem Menschen sein Selbstwertgefühl gibt, die Ideale hervorbringt, und die Kränkungen dieses Selbst im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Für ihn spielt dieses Selbst die zentrale Rolle bei der Frage nach dem Umgang mit Versagungen, mit denen jeder Mensch im Laufe seiner Entwicklung konfrontiert wird.
Eine der einschneidensten Versagungen ist für Kohut der Zeitpunkt, in dem der Säugling die Getrenntheit von der Mutter wahrnimmt. In dieser Situation erlebt das Kind sich als hilflos und ohnmächtig. Um diesen Zustand zu verändern, kann das Kind entweder eine übersteigerte Form seiner eigenen Grandiosität entwickeln (Größen-Selbst) oder es kann seine Eltern idealisieren (idealisiertes Elternimago), um den Schmerz der Entsagung zu kompensieren (vgl. Kohut 1992, S. 43). Damit sich eine gesunde Entwicklung vollzieht, ist es für Kohut besonders wichtig, dass die Mutter dem Kind seine...