|39|2 Leitlinien
2.1 Leitlinien zur Diagnostik und Verlaufskontrolle
Aufgrund ihrer Komplexität erfordern Zwangsstörungen eine umfassende Diagnostik. Diese ist in eine multimodale Verhaltens- und Psychodiagnostik eingebettet, deren Grundlage die im Leitfaden zur Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter (Döpfner & Petermann, 2012) beschriebene allgemeine Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen bildet. Tabelle 7 beinhaltet eine Übersicht über die Leitlinien zu Diagnostik und Verlaufskontrolle von Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen.
Tabelle 7: Übersicht über die Leitlinien zu Diagnostik und Verlaufskontrolle
L1 | Exploration des Patienten, seiner Eltern und Erzieher/Lehrer/Ausbilder, gegebenenfalls auch anderer Familienangehöriger. |
L1.1 | Exploration und Beobachtung der aktuellen Zwangssymptomatik des Kindes/Jugendlichen. |
L1.2 | Exploration und Beobachtung komorbider Störungen und differenzialdiagnostische Abgrenzung. |
L1.3 | Exploration der Ressourcen, Interessen und Aktivitäten des Kindes/Jugendlichen. |
L1.4 | Exploration zum Entwicklungsstand bzw. im Schulalter zu den schulischen Leistungen des Kindes/Jugendlichen. |
L1.5 | Exploration des familiären und sozialen Hintergrunds. |
L1.6 | Exploration zur störungsspezifischen Entwicklungsgeschichte des Kindes/Jugendlichen (hauptsächlich Elternexploration). |
L1.7 | Exploration der Einstellungen zur Therapie. |
L2* | Fragebogen- und Beobachtungsverfahren zur Verhaltens- und Psychodiagnostik. |
L3* | Ergänzende psychologische Diagnostik. |
L6 | Integration der Ergebnisse der multimodalen Diagnostik, Definition der Behandlungsziele und Therapieplanung. |
L7 | Verlaufskontrolle und Qualitätssicherung. |
Anmerkung: * = optionale, aber häufig notwendige diagnostische Maßnahmen
|40|2.1.1 Exploration des Patienten, seiner Eltern und Erzieher/Lehrer/Ausbilder, gegebenenfalls auch anderer Familienangehöriger
Leitlinie L1 gibt eine Übersicht über die Rahmenbedingungen der Exploration und die einzelnen Bereiche, über die in der Exploration des Patienten mit einer Zwangsstörung, seiner Eltern und Erzieher/Lehrer/Ausbilder, gegebenenfalls auch anderer Familienangehöriger, Informationen eingeholt werden sollen. Das Kind/der Jugendliche und seine Eltern werden zu allen Bereichen befragt. Die Exploration der Erzieher/Lehrer/Ausbilder und gegebenenfalls auch anderer Familienmitglieder bezieht sich nur auf diejenigen Bereiche, über die sie auch Auskunft geben können. Die Reihenfolge, in der die einzelnen Bereiche thematisiert werden, wird von verschiedenen Faktoren (insbesondere Problematik des Kindes/der Familie, einschließlich des damit zusammenhängenden Schamgefühls des Kindes, Schilderungen der Problematik durch das Kind bzw. die Eltern) beeinflusst und ist damit variabel. Die einzelnen Explorationsbereiche basieren auf den im Leitfaden zur Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter (Döpfner & Petermann, 2012) dargestellten allgemeinen Explorationsleitlinien bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen.
Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen zeigen sich in der Explorationssituation häufig als ängstlich und schamvoll und benötigen dadurch meist den „Schutz“ der Eltern. Überdies tendieren die Kinder und Jugendlichen dadurch, dass sie ihre Zwangssymptomatik oft als beschämend erleben, dann in der Exploration zur Dissimulation ihrer Problematik (Goletz & Döpfner, 2007). Dementsprechend empfiehlt es sich, den Erstkontakt (die Exploration) zunächst gemeinsam mit dem Kind/Jugendlichen und seinen Eltern zu beginnen. In der gemeinsamen Exploration kann überdies die Interaktion der Familienmitglieder (Kommunikationsstrukturen in der Familie), auch bezüglich der (Zwangs-)Problematik des Kindes/Jugendlichen, beobachtet werden. Gegebenenfalls kann dann im weiteren Verlauf des Erstkontaktes eine alleinige Exploration des Kindes/Jugendlichen oder eine alleinige Exploration mit den Eltern erfolgen. Bei einem jüngeren Kind empfiehlt es sich gegen Ende des Erstkontaktes, alleine mit dem Kind oder auch gemeinsam mit ihm und seinen Eltern zu spielen. Wünschen die Eltern eines jüngeren Kindes einen ersten Kontakt ohne Anwesenheit des Kindes, kann dies für die Exploration der Problematik des Kindes sinnvoll sein, besonders auch dann, wenn die Eltern ihr Kind noch nicht über den Grund des Aufsuchens informiert haben. Eltern eines Jugendlichen, der eine psychotherapeutische Behandlung oder auch einen Erstkontakt verweigert, können in Elterngesprächen, nach einer ersten Exploration, dahingehend beraten werden, wie sie den jugendlichen Patienten zu einer ersten Kontaktaufnahme (gegebenenfalls auch einem ersten telefonischen Kontakt) motivieren kön|41|nen. Auf Wunsch eines Jugendlichen kann der Erstkontakt auch ohne Anwesenheit der Eltern durchgeführt werden. Einen alleinigen ersten Kontakt wünschen sich Jugendliche insbesondere dann, wenn die Eltern die Inhalte der Zwangssymptomatik nicht im Detail erfahren sollen. Auch dabei können Schamgefühle oder Peinlichkeitserleben vor den Eltern oder einem Elternteil sowie auch eine belastete Beziehung des Jugendlichen zu beiden Elternteilen oder zu einem Elternteil bestimmend sein.
L1
Leitlinie 1: Exploration des Patienten, seiner Eltern und Erzieher/Lehrer/Ausbilder, gegebenenfalls auch anderer Familienangehöriger
1. Rahmenbedingungen für die Exploration der...