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E-Book

Zwei rechts, zwei links

Geschichten vom Stricken

AutorEbba D. Drolshagen
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783518740101
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR

Der Norwegerstern ist das weltweit bekannteste Muster auf Winterpullovern. Aber wie ist er entstanden? 1857 wurde er erfunden, und zwar von einer jungen Norwegerin, die beim Ziegenhüten Handschuhe mit zwei verschiedenfarbigen Fäden zu stricken versuchte. Als sie ihre Handschuhe beim Kirchgang trug, fielen sie auf, und bald war der achtzackige Stern ein Markenzeichen für die ganze Region. Im kalten Norwegen trägt er einen poetischen Namen: Achtblattrose.
In vielen solcher Geschichten erzählt Ebba D. Drolshagen vom Stricken: wie und wo es entstand, wie es sich über Jahrhunderte verändert hat, wer strickte und was gestrickt wurde. Sie erzählt von Broterwerb, Zeitvertreib und Guerillastricken, vom Färben und Spinnen, von alten und neuen Techniken, von Strickcafés, Strickgruppen und natürlich auch davon, wie das Internet das Leben der Strickerinnen verändert hat. Sie weiß, wie der Shetlandpullover wirklich entstand, und auch, dass Stricken nicht nur Schals und Mützen, sondern auch die unterschiedlichsten Stimmungen produzieren kann.
Die Regale in den Buchhandlungen sind voll von Büchern mit Strickanleitungen. Und es werden immer mehr. Was es bisher nicht gibt, ist ein Buch über das Stricken. Hier ist es. Es erzählt von den Menschen, Frauen wie Männern, die das Handstricken Masche für Masche zu dem gemacht haben, was es heute ist.



<p>Ebba D. Drolshagen ist Autorin und &uuml;bersetzt aus dem Englischen und Norwegischen, bislang u. a. Gertrude Bell, Edith Wharton, Edvard Hoem, Mona H&oslash;vring.</p>

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Leseprobe

Links ist rechts — nur umgekehrt
Die Maschen


Sie kennen das: Sie sitzen beispielsweise strickend im Zug und Ihr Gegenüber sagt plötzlich, »Also, das ist so kompliziert, ich könnte das nie! Nie!« Vermutlich fühlen Sie sich im ersten Moment ein bisschen geschmeichelt und sagen: »So ein Unsinn, Stricken ist total einfach. Eine rechte Masche und eine linke Masche, das lernt man doch in fünf Minuten.« Nun ja, vielleicht nicht in fünf Minuten, der Anfang kann durchaus etwas holprig sein. Ob man Schreiben oder Skilaufen lernt, den ersten Apfelstrudel backt oder die erste Seminararbeit verfasst: Man muss üben, üben, üben und man braucht Geduld.

Wenn mir das passiert, führe ich meinem Gegenüber in Zeitlupe eine rechte Masche vor — mit der rechten Nadel von vorne in die erste Masche der linken Nadel einstechen, den Faden, der hinter der Arbeit liegt, durch die Masche hindurch zu sich hin ziehen. Dann lasse ich diese Masche auf die rechte Nadel gleiten, noch einmal vorne rein und durch, vorne rein und durch … Irgendwann mache ich auch eine linke Masche, befördere dafür mit einer winzigen Bewegung der rechten Nadel den Faden vor die Arbeit, ziehe ihn mit der rechten Nadel nach hinten und lasse die Masche auf die rechte Nadel gleiten. (Sollte diese Beschreibung Sie irritieren, weil Sie die linke, womöglich sogar die rechte Masche anders stricken als ich — dazu später mehr.) Die linke Masche führe ich rasch und eher beiläufig vor, was ich damit begründe, dass die zunächst nicht wichtig sei, da man mit der Vorne-rein-und-durch-Masche ziemlich weit kommt. (Der wahre Grund ist natürlich, dass linke Maschen etwas mehr Fingerfertigkeit und Vertrautheit mit Nadeln und Faden erfordern.)

Wer jetzt noch lernt, Maschen anzuschlagen und abzuketten, kann ein Rechteck stricken, und das kann alles Mögliche werden: Wärmender Schal oder alltagstaugliche Decke, faltet man das Rechteck auf die Hälfte und näht zwei Seiten zusammen, kann man etwas hineinstecken — Kaffeekanne, Füße, oder auch einen Kopf. So schlicht entstanden beispielsweise die pinkfarbenen Pussyhats, die (nicht nur) Amerikanerinnen im Januar 2017 bei Demonstrationen trugen. Zwei große Vierecke ergeben, an den richtigen Stellen zusammengenäht, eine Weste, mit zwei weiteren Vierecken, lang und schmal, bekommt die Weste Ärmel und wird zum Pullover. Voilà! Schal, Mütze, Pullover und Decke sind ein ordentlicher Schutz gegen Kälte. Sollte das nicht ausreichen, können auf die gleiche Weise noch Rock, Jacke, Mantel, ja sogar eine Hose entstehen.

Das wärmt und verhüllt, doch die konsequente Rechteckigkeit macht keine besonders schöne Silhouette — ehrlich gesagt ist diese Garderobe ein wenig plump. Man sollte vielleicht schon beim Stricken berücksichtigen, dass der menschliche Körper, anders als Mehlsack und Brottüte, kaum rechte Winkel, dafür diese und jene Biegung und Rundung hat. Es handelt sich hier nicht um übertriebene Eitelkeit — selbst die Tracht einer Nonne hat Abnäher.

Biegungen und Rundungen sind beim Stricken zum Glück kein Problem. Sobald man weiß, wie man die Maschenzahl verringert und vergrößert (was sich in einer Minute lernen lässt), können Kleidungsstücke entstehen, die Schultern, Ellbogen, Taille, Hüfte und Bauch berücksichtigen. Schon schmiegt sich auch die Mütze, anders als besagte Brottüte, um Kopf und Ohren und rutscht nicht mehr über die Augen.

Die ersten selbstgestrickten Socken liegen in diesem Stadium noch in einiger Entfernung, was kein Wunder ist, denn Sockenstricken ist der Kunstflug des Strickens, wie Katja Petrowskaja in ihrem Roman Vielleicht Esther bewundernd schreibt. Aber ein hübsches Oberteil ist in Reichweite.

Nur mit rechten Maschen bekommt man also schon recht viel, und rechts Gestricktes — also ›kraus rechts‹ — sieht auch hübsch aus; die Gleichmäßigkeit der horizontalen Rippen und die graphische Knubbeligkeit können sogar elegant wirken. Das schien mir lange unbestreitbar, aber ich musste mich von einer Mannheimer Freundin eines Besseren belehren lassen. Sie nennt kraus rechts wäschlumberechts, also waschlappenrechts, was nicht sehr elegant klingt, außerdem zischt sie das Wort fast, weil es sie an die verhassten Handarbeitsstunden erinnert. Die liegen über ein halbes Jahrhundert zurück, doch ihren ersten Wäschlumbe hat sie noch. Er zeugt von rührendem Bemühen.

Der Beweis, dass es ganz ohne linke Maschen geht, ist, dass sie (angeblich) erst recht spät erfunden — oder soll man sagen: entdeckt? — wurden. (Ich habe auch schon die Behauptung gehört, es gebe nicht zwei Maschenarten, sondern nur eine, weil die linke Masche die Rückseite der rechten Masche sei. Das lasse ich jetzt einmal auf sich beruhen.)

Sehr viele Strickerinnen mögen linke Maschen nicht. Sie finden sie umständlicher und zeitraubender als rechte Maschen und tun nahezu alles, um sie zu vermeiden. Das ›Problem‹ mit linken Maschen ist, dass dafür der Arbeitsfaden vor der Arbeit sein muss, die meisten Strickerinnen ihn aber hinter der Arbeit halten. Der Faden muss also Masche für Masche nach vorne geholt werden, was nicht nötig wäre, wenn er da wäre, wo er gebraucht wird: vorn. Tatsächlich gibt es eine altbewährte Technik, bei der das genau so ist, dafür müssen wir nur ein klein wenig über unseren mitteleuropäischen Tellerrand schauen. Vermutlich wissen Sie, dass Frauen in der Türkei, in Ägypten, Bulgarien, Portugal oder auch Peru den Arbeitsfaden um den Hals führen. Wenn Sie sich das vorstellen oder gleich einmal ausprobieren, sehen Sie, dass er dann zwischen Strickstück und Strickerin, also vor der Arbeit liegt. Ich habe eine deutsche Freundin, die sich den Faden um den Hals legt, wenn sie viel links stricken muss. Aber Sie ahnen es: Bei dieser Technik sind die rechten Maschen ›aufwendiger‹. In den USA stricken manche rechte Maschen mit dem Faden hinter, linke Maschen mit dem Faden vor der Arbeit, bei dieser Technik wird der Faden Masche für Masche mit der rechten Hand um die Nadel manövriert.

Werden die Hinreihen rechts und die Rückreihen links gestrickt, ergibt sich das klassische Maschenbild glatt rechts, das auf einer Seite — der Vorderseite — eine vertikale Struktur hat, die wie kleine, ineinandergestapelte Vs aussieht. Glatt rechts ist (bei gleichem Garn) dünner und weicher als kraus rechts, dem es auf der Rückseite ähnelt, auch wenn die Rippen feiner sind.

Glatt rechts geht indes auch ohne linke Maschen, wenn man die angeschlagenen Maschen zum Rund schließt und dann im Kreis strickt — immer rechts. Das geht schneller als ›flach‹, also hin- und zurückstricken, und wird oft regelmäßiger. Viele Strickerinnen stricken nämlich rechte und linke Maschen mit einer minimal anderen Fadenspannung, was zu den berühmt-berüchtigten Rillen führt.

Lassen Sie mich rasch ein Wort des Trostes für die einfügen, die unter dem ›Rillen-Look‹ ihres Gestricks leiden: Grämen Sie sich nicht! Die geniale Strickerin Elizabeth Zimmermann, von der noch oft die Rede sein wird, sagte, ein handgestrickter Pullover solle ja keinen maschinengestrickten aus dem Laden imitieren. Außerdem wirkten Spannen, Dämpfen und ein paar Wäschen reine Wunder: »Ich dachte lange, dass früher, in der guten alten Zeit, alle phantastisch ebenmäßig stricken konnten, denn wirklich alte Pullover sind völlig glatt und gleichmäßig. Jetzt weiß ich, dass sie damals vermutlich genau so strickten wie ich, also ziemlich unregelmäßig, und dass für die Unterschiede der große Gleichmacher Zeit verantwortlich ist — Zeit und viele Wäschen.«

Rundstricken produziert einen Schlauch, der, je nach Größe, Socke, Mütze, Handschuh, sogar ein Pullover werden kann — Letzteres allerdings nur, wenn man nach Abschluss der Arbeit Armlöcher hineinschneidet. Diesem erschreckenden Aspekt widmen wir uns an anderer Stelle.

Die gerade erwähnte, 1910 in England geborene Amerikanerin Elizabeth Zimmermann war eine glühende Strickerin und eine Frau mit dezidierten Ansichten: Sie verstrickte ausschließlich Wolle, und da sie linke Maschen hasste, konstruierte sie ziemlich raffinierte Strickstücke, die nur aus rechten Maschen bestehen.

Linke Maschen sind also keineswegs unverzichtbar, doch zu ihrer Verteidigung möchte ich anführen, dass sie die Spielwiese, die das ...

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