Mein allererster Flug nach Wien wurde wegen starken Schneefalls annulliert. Nachher lief alles wie am Schnürchen bis zu dem Tag, an dem ich meine erste und schlimmste Notlandung erlebte. Ein Turnaround-Flug Zürich–Athen–Zürich. Keine große Sache, auch kein Kofferpacken. Voll easy. Beim Start in Athen mit der DC-9 löste sich das Profil eines Reifens und wurde ins linke Triebwerk geschleudert. Dieses brannte sofort lichterloh. Ich merkte schon, da war etwas ungut, aber erst, als das sechsmalige Klingeln aus dem Cockpit ertönte – höchste Alarmstufe! –, realisierte ich: Das war ein Notfall. Alle drei Hostessen eilten ins Cockpit, um die Befehle des Kapitäns entgegenzunehmen. Er informierte uns, dass sie nun über dem Meer den Treibstoff ablassen würden und wir währenddessen die Notlandung, in Athen, vorbereiten müssten. Schlimmstmögliches Szenario war ein Abgleiten von der Piste nach der Landung infolge des kaputten Pneus und nur eines Triebwerks und ein Ausbreiten des Feuers.
Die Landung war ein Albtraum, das Flugzeug schlingerte von Pistenrand zu Pistenrand – zum Glück aber nicht darüber hinaus. Seltsamerweise hatte ich keine Angst. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte keine. Als die Maschine zum Stillstand kam, waren Feuerwehr, Ambulanz und Polizei bereits in Stellung. Der Brand wurde schnell gelöscht, und wir konnten die Passagiere über die vordere Treppe aussteigen lassen. Glück gehabt!
Eine Rückkehr nach Zürich an dem Tag war ausgeschlossen. Unsere Passagiere wurden auf andere Flüge umgebucht, und uns quartierten sie im Hotel King George ein. Vom Station-Manager erhielten wir ein Notfall-Übernachtungskit sowie ein Swissair-T-Shirt, Größe XL, damit wir über den Schrecken wenigstens einen Metaxa kippen konnten. Wir hatten ja keine privaten Kleider dabei, und Trinken in Uniform war strikte verboten. Für mich war das T-Shirt auch ein Nachthemd, aber ans Schlafen konnte niemand denken, der Adrenalinspiegel war noch zu hoch. Auf in die Plaka, die Athener Altstadt! Albern, wie wir aussahen, fragte uns ein Kellner, ob wir ein Swissair-Fanklub seien. In etwa, ja. Der Kapitän, ein Holländer, beruhigte uns wegen des Treibstoffablassens und erklärte die Gründe und den Vorgang. Kein Flugzeug könne – des Gewichtes wegen – mit randvollen Tanks landen. Das Kerosin werde als Nebel versprüht und verdunste zum größten Teil. Er lobte unsere Tapferkeit, und wir dankten den Piloten, dass sie uns und die Passagiere unter so prekären Umständen sicher auf den Boden gebracht hatten. Es wurde ein fröhlicher Sommerabend in Athen.
Kurze Zeit später passierte die große Katastrophe. Ich war auf einer fünftägigen Europarotation mit einer Check-Hostess, die meine Arbeit bewerten musste. Wir übernachteten in Madrid und in Bukarest und redeten und lachten viel zusammen. So erfuhr ich, dass sie nach unserem gemeinsamen Einsatz noch einen »Tel Aviver« hatte, und dann am Samstag: Heirat und ab in die Flitterwochen. Sie war so anmutig und hübsch in ihrer freudigen Erwartung.
Als ich von dem Absturz der Coronado am 29. Februar 1970 in Würenlingen hörte, wusste ich sofort: Doris war in dem Flugzeug Richtung Tel Aviv. An Bord hatte sich eine Postsendung mit einer Bombe befunden, die für eine Maschine der El Al bestimmt gewesen und wegen der großen Verspätung des Fluges auf die Swissair umgeleitet worden war. Niemand hatte überlebt. Seien wir ehrlich, es erschüttert einen weit mehr, wenn man jemanden persönlich kennt, der bei so einem Unglück sterben musste, als wenn man nur die Zahl der Toten hört. Ich denke heute noch ab und zu an Doris und frage mich, wie ihr Verlobter das überstanden hat.
Die Konzernleitung forderte uns auf, möglichst zahlreich und in Uniform an den Beerdigungen teilzunehmen. Da ich zu der Zeit in Genf stationiert war, ging ich mit meiner Crew an die Abdankung einer welschen Kollegin und weinte dort um Doris und ihr so knapp verpasstes Glück.
Im selben Jahr entführte die Volksfront zur Befreiung Palästinas eine Swissair-, eine TWA- und eine BOAC-Maschine in die jordanische Wüste Zerqa und sprengte alle Flugzeuge, ohne Passagiere, in die Luft. Nach diesen Attentaten wurden die Flughäfen Zürich und Genf von Truppen der Schweizer Armee im Aktivdienst gesichert, und auf allen gefährdeten Strecken begleiteten uns zwei sogenannte »Tigers«, bewaffnete Kantonspolizisten aus der ganzen Schweiz. Diese Sicherheitsbeauftragten wurden in die Besatzungen integriert, waren aber als Passagiere getarnt.
Es war auch die Zeit, in der oft Bombendrohungen eintrafen. Persönlich erinnere ich mich an einen Flug Richtung Málaga: Kurz nach dem Start in Zürich traf eine Meldung per Funk ein, in zehn Minuten würde in unserem Flugzeug eine Bombe detonieren. Sofort wurde eine Notlandung auf dem nächsten Flughafen – Genf – eingeleitet. Nach der Landung wurden die Passagiere evakuiert, und Spezialeinheiten untersuchten das Flugzeug. Es wurde keine Bombe gefunden. Wieder einmal hatte sich ein Irrer den Spaß erlaubt, andere Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.
Unsere Diplomfeier stand im Schatten all dieser tragischen Ereignisse. Dennoch waren wir zuversichtlich und stolz, ein Diplom der Swissair und eine Festanstellung in der Tasche zu haben. Allerdings hatte dieser Vertrag eine Klausel, die uns heute ein müdes Lächeln entlockt: Bei Heirat oder Erreichen des sechsunddreißigsten Altersjahres war es aus und vorbei. Kündigung. Und natürlich verdienten die Stewards ein Drittel mehr als wir Frauen. Der Anfangslohn betrug tausendzweihundert Franken plus Spesen (steuerfrei). Am Institut hatte ich mehr verdient, aber wer ging schon des Geldes wegen als Hostess zur Swissair? Das wusste auch die Swissair. Im Nachhinein muss ich sagen, all die Erfahrungen, Erinnerungen und Privilegien wogen das knappe Geld hundertmal auf. Außerdem kostete meine erste eigene Wohnung – anderthalb Zimmer, doch keineswegs ein Kabuff! – hundertneunzig Franken, mit Außenparkplatz. Heute verdienen wir das Zigfache, klar. Aber die Wohnungen und überhaupt alles ist auch um das Zigzigfache teurer geworden. Eigentlich war man damals nicht schlechter dran als heute, musste ja auch noch nicht jeden »Chabis« haben und alles mitmachen, nur schon, weil es noch gar nicht so viel unnützes Zeug gab.
Ich war jetzt also frischgebackene Air-Hostess und musste mir meine Sporen auf der DC-9 in Europa verdienen. Da lernte ich richtig arbeiten und zupacken, immer im Team, meistens unter Zeitdruck, außer die Kabine war nur halb voll, dann war es gemütlich und familiär. Wir genossen die Aufenthalte in den meisten europäischen Hauptstädten. Generell hatten wir viel Spaß. Auf den ersten Morgenflügen nach Frankfurt, Paris oder London zum Beispiel.
Lauter Geschäftsherren in dezenten Anzügen, weißes oder – die Provokanten! – hellblaues Hemd. Rosa gab es auch. Die Krawatten unterteilte ich in gestreifte für jene, denen harte Verhandlungen bevorstanden, und bunte mit Muster (Cartoon-Schweinchen, farbige Vögelchen oder Kamele unter Palmen) für die bereits Erfolgreichen. Unter dem linken Arm der Herren die »Neue Zürcher Zeitung«, in der rechten Hand der Aktenkoffer. Sobald alle Platz genommen hatten, kleines Quiz für uns: Wie viele drehen den Kopf, wenn die erste Hostess durch die Kabine geht, und schauen auf ihre Beine? – Die meisten. Wie viele schauen weg, wenn wir die Sicherheit an Bord erklären? – Alle. Aber eines Tages lernte ich die Herren von einer ganz anderen Seite kennen. Eine Dame mit Katze stieg zu, die Katze war vorschriftsgemäß in einer speziellen Box. Warum auch immer öffnete die Frau die Box ein wenig, und, zack, die Katze entwischte und rannte durch die Kabine. Die Gentlemen legten sofort die »NZZ« beiseite, und schon waren sie hinter der Katze her. Über und unter den Sitzen, allüberall Manager auf Katzenjagd. Einer erwischte sie, aber das Biest biss und kratzte ihn. Zum Glück waren die Flugzeugtüren bereits geschlossen, sonst hätte sich die Treibjagd auf das Flugfeld ausgedehnt. Halleluja!
Manchmal sah man zu jener Zeit tatsächlich einen Mechaniker oder Tankwart über das Flugfeld rennen, nämlich dann, wenn uns der Wind beim Öffnen der Türen den Hut vom Kopf wehte und dieser wie ein Rad davonrollte. Mit den Frisuren und dem Hut war das eben so eine Sache, und wir waren hell begeistert, als endlich die erschwinglichen Kunsthaarperücken auf den Markt kamen. Anstatt sich am Morgen in aller Früh mit der Frisur abzumühen und herumzuärgern, Perücke überstülpen und länger schlafen. Aber die Perücken hatten auch ihre Tücken. Kollegin X, knapp eins achtzig groß, bückte sich zu einem Passagier hinunter, und beim Aufrichten blieb ihre Perücke an dem Haken der Gepäckablageklappe hängen. Volle Kabine. Einige von Ihnen wissen, wie es unter einer Perücke aussieht: entweder ein kleiner ausgefranster Dutt oder dann alles flach wie eine Omelette. Die Kollegin nahm die Perücke vom Haken, stülpte sie sich wieder über und machte weiter, als ob nichts gewesen wäre. Das brachte ihr einen kleinen Applaus seitens der Passagiere ein.
Mir ist später auch etwas Blödes mit einer Perücke passiert, einer mit roten Locken. Ich trug sie auf einem Nachtflug von Montreal heimwärts und kam mit einem flotten jungen Mann ins Gespräch. Wir verabredeten uns auf einen Drink für drei Wochen später beim Treffpunkt am Zürcher Hauptbahnhof. Überpünktlich wie immer, versteckte ich mich noch eine Weile hinter einer Plakatwand und beobachtete den jungen Mann, wie er nervös in die Menge schaute und sich fragte: Wie sah die schon wieder aus? Genau, pfiffiger Rotschopf. Aber das...