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Böser Wald, guter Wald. Wald und Bäume in den Märchen der Brüder Grimm

Wald und Bäume in den Märchen der Brüder Grimm

AutorClaudia König
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl99 Seiten
ISBN9783638491617
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2, Technische Universität Berlin, 21 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit soll zeigen, dass der Wald und die Bäume in den 'Kinder- und Hausmärchen' der Gebrüder Grimm eine besondere Rolle spielen. Es geht darum, die Funktion der Bäume und des Waldes in den Märchen darzustellen. Unter diesem Aspekt habe ich alle Märchen der Gebrüder Grimm einer Analyse unterzogen. In der Arbeit geht es einerseits um die Frage, ob es in den Grimmschen Märchen tatsächlich überwiegend einen dunklen, bösen Wald gibt oder nicht. Woran liegt es, dass der Wald überwiegend dunkel und böse wirkt? Andererseits geht es mir um die Frage, welche Rolle die Bäume in den Märchen spielen. Sind sie nur passive Helfer der Märchenhelden oder können sie aktiv ins Geschehen eingreifen? Welche Funktion der Wald und die Bäume in den Märchen haben, wird im Verlauf der Arbeit verdeutlicht werden. Zum Thema gibt es keine spezielle Literatur, deswegen werde ich in erster Linie mit den Märchen arbeiten und dabei einen intensiven Blick auf die Rolle der Bäume und des Waldes in der germanischen Mythologie, der deutschen Volkskunde und der Kulturgeschichte werfen. Anhand einer ausführlichen Textanalyse und -interpretation werde ich die Märchen in Bezug auf die oben angeführten Fragen untersuchen. Es geht mir um 'die Bäume in den Köpfen, der Haltung der Früheren zu den Bäumen, deren stets wechselnde und doch immer vorhandene Rolle im Bewusstsein, in der Phantasie: in Religion und Mythos, in Poesie und Kunst, im Denken und Fühlen'. Welche Bedeutung Wald und Bäume in der Kulturgeschichte haben und wie sich das in den Märchen niederschlägt, wird bei der Analyse der Märchen im Einzelnen deutlich werden. Ich verwende die Ausgabe letzter Hand. Wenn es diese Märchen in der Urfassung auch schon gab, zusätzlich auch diese, um deutlich zu machen, was seit der Urfassung verändert wurde. Bevor die Texte analysiert werden, schicke ich einen kurzen Abriss des Lebens und Wirkens der Brüder Grimm voraus, der es einem erleichtert zu verstehen, wie die Brüder Grimm an die Märchen herangegangen sind. [...]

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Leseprobe

3 Was die Märchen über Bäume sagen

 

In den Märchen der Brüder Grimm wimmelt es nur so von Bäumen. Um ihre jeweilige Bedeutung herauszustellen, werde ich das Erscheinen einzelner Bäume in den Märchen interpretieren und analysieren. Im Hintergrund steht dabei die Frage, inwiefern diese Bäume eine Bedeutung in der germanischen Mythologie, der Volkskunde und der Kulturgeschichte hatten.

 

Bäume stellten für den Menschen stets etwas Positives, Nutzbringendes dar. In der Frühzeit gehörten Nüsse, Bucheckern und geröstete Eicheln zu den Grundnahrungsmitteln. Bis ins 19. Jahrhundert dienten Eicheln und Bucheckern zum Mästen der Schweine.[25] Es sind die Bäume, durch deren Holz die Menschen „ durch die Jahrtausende den wichtigsten Werkstoff“ erhielten.[26] Mit Holz wurde Feuer erzeugt zum Wärmen, Kochen und Eisenschmieden, Häuser, Möbel und Schiffe wurden gebaut, Werkzeuge und Waffen hergestellt. Aus Rinde, Blättern und Früchten wurde Medizin gewonnen oder das Gift für Pfeile hergestellt. Baum war nicht gleich Baum, und Holz nicht gleich Holz. Jeder Baum hatte etwas anderes zu bieten und wurde wegen seiner besonderen Qualitäten geschätzt. Bäume wurden verehrt, unter ihrem Dach wurde gefeiert oder Gericht gehalten. „Ein vielfältiges Brauchtum knüpft sich an sie: von dem Reis, das bei der Geburt gepflanzt wird, bis zum Baum auf dem Grab.“[27] Was ist aber mit der mystischen Seite der Bäume- warum verkörpert ein Apfelbaum etwas anderes als ein Haselbaum?

 

Welche Rolle die Bäume in den Grimmschen Märchen spielen oder was es zu bedeuten hat, dass gerade dieser Baum und nicht jener dieses und jenes Märchen trägt, soll analysiert werden. Zur besseren Übersicht habe ich den Baum- Teil der Arbeit in zwei Kapitel unterteilt: aktive Bäume und passive Bäume. Da die Gattung eines für das Märchen bedeutsamen Baumes oft nicht genannt ist, mache ich innerhalb dieser Unterteilung eine zweite Unterteilung: ihrer Gattung nach benannte und unbenannte Bäume.

 

Pro Kapitel werde ich einige Märchen ausführlich analysieren, um zu verdeutlichen, wie diese Bäume in das Märchen eingebunden sind und welche Funktion sie erfüllen. Habe ich eine Gattung intensiv bearbeitet, skizziere ich im Anschluss alle anderen Märchen, in denen diese Gattung auch vorkommt.

 

Die Auswahl der Märchen, die ich intensiv analysiere, treffe ich unter zwei Gesichtspunkten. Einerseits möchte ich die Märchen analysieren, in denen die Bedeutung eines Baumes innerhalb des Märchens besonders hervortritt, andererseits die Häufigkeit bestimmter Baumarten in den Grimmschen Märchen deutlich machen.

 

3.1            Aktive Bäume in den Märchen

 

Als aktive Bäume bezeichne ich die Bäume, die sich entweder eigenständig bewegen können oder in der Lage sind, etwas hervorzubringen, das den Märchenhelden hilft. Sie arbeiten den Märchenhelden zu und verhelfen ihnen zum Glück. Haben sie ihre Funktion erfüllt, werden sie in der Regel nicht mehr erwähnt.[28] Ich beginne das Baum- Kapitel mit den aktiven Bäumen, da diese das Märchenhafte dieser nicht- menschlichen Lebewesen besonders hervorheben. Ihnen kommt auch insofern eine ganz besondere Bedeutung zu, als dass sie in den Märchen der Grimms sehr selten vorkommen.

 

3.1.1 „Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein“ und der Apfelbaum

 

Dieses Märchen handelt von einem benachteiligten Mädchen. Es wird tyrannisiert, weil es „nicht anders aussah als andere Menschenkinder“[29] und zwei Augen hat. Es erfährt Hilfe durch eine alte „weise Frau“.[30] Erst verzaubert diese ihr Zicklein, dass es durch einen bestimmten Spruch Speisen herbeizaubern kann. Dann, nachdem die Mutter die Ziege aus Bosheit getötet hat, lässt dieselbe alte Frau aus den Innereien der Ziege einen Baum wachsen. Dieser Baum ist „ein wunderschöner prächtiger Baum, der hatte Blätter von Silber und Früchte von Gold“[31]. Nur Zweiäuglein schafft es, die goldenen Früchte zu pflücken, und als ein schöner junger Ritter kommt und nur Zweiäuglein ihm eine goldene Frucht pflücken kann, erlöst er sie dafür auf ihren Wunsch von ihrer boshaften Familie und nimmt sie als seine Frau mit.

 

Der Apfelbaum ist der einzige Baum, der im Märchen vom Zweiäuglein vorkommt. Er hat eine eindeutig helfende, aktive Funktion. Hier geht es um ein benachteiligtes Mädchen, das Hilfe benötigt. Diese Hilfe widerfährt Zweiäuglein in Gestalt der alten Frau, die eine „Jenseitige“ ist: „Das deutsche Märchen lässt den Jenseitigen gerne als alten Mann  oder alte Frau  dem Helden in den Weg treten“.[32] Diese „spenden dem Helden zauberische Gaben“.[33] Die gute Alte stellt Zweiäuglein erst eine durch ihre Zauberkräfte Nahrung spendende Ziege zur Seite, dann lässt sie aus deren Eingeweiden den besagten Baum entstehen. Zweiäuglein liebte die Ziege für die Dienste, die sie ihr leistete, wie andere ihre Mutter lieben. Zweiäuglein  empfing von der Ziege so etwas wie mütterlichen Beistand. Sie verschaffte ihr Nahrung, verhalf ihr nach der Verwandlung in einen Baum zur Erlösung aus ihrem elenden Dasein und zur Erfüllung des Lebens.[34] Laut Demandt  sind diese Bäume „im antiken Sinne beseelt“ und erscheinen „als handelnde Wesen“.[35] Wenn man davon ausgeht, dass die Ziege von der gutmütigen Alten beseelt ist, um Zweiäuglein zu helfen, kann man davon ausgehen, dass auch der prächtige Apfelbaum von der Alten beseelt ist. Auch die Grimms gehen in ihren Anmerkungen davon aus, dass „die weise Frau, die sich seiner Noth erbarmt, wahrscheinlich seine recht  verstorbene Mutter“ ist.[36] 

 

In Gestalt dieses Baumes hilft sie dem Zweiäuglein, die ansonsten keine Hilfe zu erwarten hätte. Der Apfelbaum hat hier eine eindeutig helfende Funktion. Das Motiv des von einem verstorbenen geliebten Menschen beseelten Baumes taucht in drei weiteren Märchen der Grimms auf: Im Märchen vom „Aschenputtel“, im Märchen vom „Machandelboom“ und im Märchen „Die Alte im Wald“.[37]

 

Zweiäuglein beweint ihr Schicksal und ist unschuldig an ihrem Unglück. Auch hier, wie beim Zweiäuglein, wird der Gefühlsausbruch nur erwähnt, weil das Weinen den Kontakt zu der Jenseitigen in Gestalt der guten Alten herstellt. Der Baum scheint aus dem Gefühl des Mitleids heraus entstanden zu sein. Es ist das Mitleid eines höheren Wesens, das über übernatürliche Kräfte verfügt. Der Baum wächst über Nacht, und steht sofort in voller Blüte. Natürliche Wachstumsprozesse werden hier genauso ausgeblendet wie in den anderen Märchen. Hier veranlassen höhere Mächte, dass ein Zauberbaum wächst, der seinem Eigentümer - und nur ihm- Reichtum und Glück bringt. [38]

 

Der schöne junge Ritter verweilt an dem wohl eher ärmlichen Haus allein wegen des Baumes und fragt sofort, wem der schöne Baum gehört. Alle Beteiligten wundern sich nicht im Geringsten über den wundersamen Baum, sondern nehmen ihn hin und bewundern ihn. Das Wunder ist „ein Element der Handlung und hat in ihr seinen bestimmten Sinn; deshalb wird es ohne Staunen und ohne Erregung hingenommen, als ob es selbstverständlich wäre.[39] Für den Ritter ist vollkommen klar, dass nur der Eigentümer Macht über diesen wundersamen Baum haben kann. Zweiäuglein betont auch sofort, dass sie die Eigentümerin ist und es ihr aus diesem Grund mühelos gelingen wird, von dem Baum etwas abzubrechen. Es scheint, als wäre mit dem Baum auch das Selbstbewusstsein der Märchenheldin gewachsen.

 

Der Baum mit den goldenen Äpfeln hat die Aufgabe, Zweiäuglein zu helfen. Er soll sie aber nicht etwa ernähren, sondern mit dem jungen schönen Ritter bekannt machen. Die Beschaffenheit der Äste und Früchte ist märchenhaft und übernatürlich. Die Äste des Wunderbaumes sind aus Silber, die Früchte sind aus Gold. Der Baum erfährt im Märchen eine Erhöhung und verfügt über übernatürliche Kräfte.[40] Hier bekommt der Märchenheld ein „Wunderding“ an die Hand. [41] Diese sind allerdings nicht dazu da, „um spielerisch verwendet zu werden, um dem Helden Spaß, Annehmlichkeiten, Reichtum zu schenken, sondern sie sollen ganz bestimmte Handlungssituationen bewältigen“.[42] Das Zweiäuglein soll aus seiner Misere herausgebracht werden. Die ganze Kostbarkeit des Wunderbaumes wird durch die kostbaren Äste und Früchte besonders hervorgehoben. Zweiäuglein, die nicht nur nach Liebe hungerte, sondern auch kaum Lebensmittel bekam, ist nun offensichtlich reich. Sie ist nicht mehr angewiesen auf ihre boshafte Familie.

 

Der Baum kann aber mehr als nur durch seine silbernen Blätter und goldenen Früchte zu glänzen. Sowohl Einäuglein als auch Dreiäuglein gelingt es nicht, für den Ritter einen Ast abzubrechen. Die Zweige und Früchte weichen vor ihnen zurück und lassen sich nicht von ihnen brechen. Nur Zweiäuglein ist in der Lage, den Wunsch des...

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