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Essstörungen. Erscheinungsbilder, Verlaufsformen, Therapien und Möglichkeiten schulischer Prävention

AutorMonika Reichard
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783638418904
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Psychologie - Klinische u. Gesundheitspsychologie, Psychopathologie, Note: 1.0, Universität Hildesheim (Stiftung) (Institut für Psychologie), 46 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Essen ist lebensnotwendig, denn unser Körper braucht Nährstoffe zum Überleben. Im menschlichen Leben hat Essen neben der Ernährung noch andere Bedeutungen. Essen beinhaltet Sinnlichkeit, Genuss, Ästhetik und Kultur. Da wäre der hohe gesellschaftliche Wert, den wir Essen zuschreiben. Bei vielen Gelegenheiten wird gegessen, unabhängig vom Hungergefühl. So trifft man sich zum gemeinsamen Kochen, 'Naschen', man geht in feine Restaurants und zelebriert das Konsumieren von wohlschmeckender Nahrung. Parallel zu dem steigenden Nahrungsüberfluss unserer Gesellschaft hat das Phänomen Essstörungen in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Auffällig ist die Tatsache, dass Essstörungen überwiegend in den westlichen Nationen auftreten, die durch eine starke Konsumorientierung und ein immer schlanker werdendes Körperideal geprägt sind. Natürlich will man als junge Frau gut aussehen und seiner Umwelt gefallen, jedoch stellte sich mir angesichts der immer häufiger auftretenden Essstörungen, auch im persönlichen Umfeld, die Frage, wie hoch der Preis für gutes Aussehen ist und was die Schönheit wert ist - etwa die Gesundheit? Aufgrund dieser Fragestellung entschloss ich mich zur Thematisierung von Essstörungen in meiner Hausarbeit. Im ersten Teil dieser Arbeit beschreibe ich den historischen Hintergrund und die Entwicklung von Essstörungen. Des weiteren erläutere ich die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Essstörungen, deren Symptomatik und Verläufe. Dadurch möchte ich einen Einblick in die jeweiligen Krankheitsbilder und die damit verbundenen Folgen und Zusammenhänge verschaffen. Im dritten Kapitel gehe ich auf die Ursachen von Essstörungen ein. Damit möchte ich aufzeigen, dass diese Verhaltensstörung auf einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Faktoren basiert und nicht bloß ein simpler Einfall von jungen Mädchens ist, um Aufmerksamkeit zu erregen. Darauf folgend stelle ich einige unterschiedliche therapeutische Behandlungformen der Krankheit vor und erläutere deren Vorgehen, Ziel und Wirksamkeit, sofern entsprechende Ergebnisse aus Studien dazu vorliegen. Im fünften Kapitel befasse ich mich mit möglichen Vorbeugungsmaßnahmen, um die Entstehung von Essstörungen zu verhindern. Meinen Schwerpunkt lege ich dabei auf die Beratungsmöglichkeiten in der Schule, entweder durch Lehrpersonen oder 'Beratungsteams', die die Schule aufsuchen. Dieses Kapitel bildet auch den Abschluss meiner Arbeit.

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Leseprobe

1. Historische Erscheinungsformen von Essstörungen


 

1.1. Magersucht


 

Das Bedürfnis, den Hunger zu stillen und den Körper mit Nahrung zu versorgen, ist ein zentrales Motiv menschlicher Zivilisations- und Kulturgeschichte. Ein historischer Rückblick verdeutlicht, welchen Funktions- und Bedeutungswandel abweichendes Essverhalten im Rahmen des Zivilisationsprozesses erfahren hat (vgl. Cuntz/Hillert,1998,S.39).

 

Nahrungsverweigerung als magisch-religiöse Praxis ist Bestandteil vieler Kulturen und Religionen und daher auch heut noch ein weit verbreitetes vorgeschriebenes Ritual. So symbolisiert das Fasten die Bemühung, „sich selbst von egoistischen und materialistischen Interessen zu befreien und Leib und Seele zu reinigen“ (Bruch,1991,S.24).

 

In der frühen nachchristlichen Zeit galt Nahrungsverweigerung nicht nur als Symbol der Enthaltsamkeit, sondern zeigte auch Verbundenheit bei Verfolgung, beispielsweise unter den Christen. Die rituelle Funktion der Nahrungsverweigerung war das Symbolisieren der Trauer über Christi Leiden, ebenso wurde das Fasten als Schutz gegen Dämonen praktiziert (vgl. Stahr u.a.,1998,S.9 f).

 

Im Mittelalter traten asketisch-mystische Motive der Nahrungsreduzierung auf. So waren diese Bestandteil von Bußhandlungen wie dem Bedauern von Sünden. Das Fasten wurde zur wichtigsten Form der Askese. Es hatte den Sinn, „den Leib zu bezwingen, den Körper zu zügeln und zu bestrafen, um ganz den Glauben zu leben und sich durch das eigene Leiden mit dem leidenden Christus am Kreuz zu vereinigen“ (Stahr u.a.,1998,S.10). Unterstrichen wurde diese Haltung durch andere Praktiken, wie beispielsweise Selbstgeißelungen, Schlafentzug und sexuelle Enthaltsamkeit.

 

Auffallend ist die Tatsache, dass es sich bei den in der historischen Literatur beschriebenen Fastenden meist um Frauen handelt. Sie wurden wegen ihrer zusätzlich zum Fasten extremen Lebensweise nach der christlichen Tradition zu Heiligen erklärt und von anderen Gläubigen bewundert, denn gerade im Mittelalter waren Nahrungsmittel nur knapp vorhanden, und in dieser Lage war die Enthaltsamkeit vor Nahrung umso außergewöhnlicher. Im Gegensatz zu Mönchen, die zur Reinigung von der Sünde fasteten, taten die Frauen dies zur Befreiung von ihrem Körper, da dieser vom Christentum durch ein verzerrtes, falsch interpretiertes Bild biblisch praktizierten Glaubens zum Ort der Niederlassung der Sünde erklärt wurde. Diese Verachtung des weiblichen Körpers im Christentum machte eine Selbstreinigung erforderlich (vgl. Stahr u.a.,1998,S.10).

 

Im Gegensatz zu den heutigen Magersüchtigen sollte die extreme Magersucht der asketisch-mystischen Heiligen des Mittelalters den Körper von jeglicher Attraktivität befreien. Darüber hinaus sollte im christlichen Sinne sein Leiden erhöht und die Frau so von der Sünde des Körpers befreit werden. Symbolisch ging man auf diese Art den Leidensweg mit Christus und hoffte, so die vollkommene Erlösung zu erlangen.

 

Ein weiterer Aspekt weiblicher Nahrungsverweigerung im frühen sowie im späten Mittelalter war der Versuch, sich durch die Askese ungewollten Verheiratungen zu entziehen. So sind Frauen in der historischen Literatur bekannt, die sich durch geringste Nahrungsaufnahme und Selbstzüchtigung so unattraktiv wie möglich für den ausersehenen zukünftigen Ehemann machen wollten. Über das Mittel der Askese versuchten sie, diesen Forderungen zu entfliehen (vgl. Stahr u.a., 1998,S.10 f).

 

Weiterhin werden in der historischen Literatur Frauen erwähnt, die Nahrungs- verweigerung oder –reduzierung nicht aus religiösen Gründen, sondern als allgemeine Lebensweise praktizierten. Diese Frauen stellen den Übergang von der religiös mystisch begründeten Askese zur Bedeutung der Nahrungsverweigerung, wie sie heute üblich ist, dar. Sie galten als „Wundermädchen“, da sie in einer Zeit, in der Nahrung nur sehr knapp vorhanden und daher kostbar war, lediglich mit geringster Nahrung auskommen konnten. In der Gesellschaft erregten sie großes Erstaunen und Bewunderung und wurden als etwas Besonderes angesehen (vgl. Stahr u.a.,1998,S.11 f).

 

Eine weitere Form des Fastens außerhalb der Religiosität, welche sich ab dem 16.Jahrhundert bis in die Neuzeit verbreitete, ist die Nahrungsverweigerung im Sinne eines „kommerziellen Spektakels“. Dabei wurde ausschließlich der Nahrungsreduzierung selbst Bedeutung zugeteilt, und die „Hungerkünstler“ waren nicht mehr nur in Klöstern zu finden, sondern wurden auf Jahrmärkten zum Zwecke der Geldeinnahme präsentiert (vgl. Stahr u.a., 1998, S.12).

 

Abgesehen davon, dass Nahrungsverweigerung in Form von Hungerstreiks in verschiedenen Ländern und Kulturen zur Durchsetzung politischer Ziele genutzt wurde und immer noch wird, trat sie immer öfter als eine Krankheit auf. Schließlich verdrängte sie den religiösen sowie spektakulären Zusammenhang gänzlich und ist seither als Krankheit zu bezeichnen.

 

Die erste ausführliche Beschreibung der Magersucht als Krankheit verfasste Richard Morton. Er schilderte die Krankengeschichte eines 16-jährigen Mädchens, das an Magersucht verstarb. Wissenschaftlich beschrieben erstmals 1873 der englische Internist Sir William Gull und der französische Neurologe Ernest Charles Lasègue, beides berühmte Ärzte, unabhängig voneinander die Krankheit. Aus Leserbriefen und Diskussionsbeiträgen in der medizinischen Literatur lässt sich schließen, dass die Magersucht mit dem klinischen Namen der Anorexia nervosa zumindest in London und Paris nicht selten auftrat. Die Erstbeschreiber der Krankheit waren offenbar tief beeindruckt von den Verhaltensweisen der Magersüchtigen, die auch heute noch typisch für Betroffene sind. Dabei fiel vor allem die Lebhaftigkeit selbst im völlig ausgezerrten Zustand sowie die Hartnäckigkeit, mit der alle therapeutischen Versuche abgelehnt werden, auf (vgl. Gerlinghoff u.a.,1999, S.19 f).

 

Ende des 19. Jahrhunderts wurde erstmals über den Einfluss der Familie auf das Krankheitsgeschehen diskutiert und folglich beschlossen, die Kranken vorübergehend in ein anderes Milieu zu bringen. Durch die irrtümliche Gleichsetzung der Magersucht mit einer anderen Krankheit, der Simmonds-Kachexie, wurde die Krankheit in Europa und Amerika mehrere Jahrzehnte lang mit Extrakten von Hypophyse, von Nebennieren, Schilddrüse oder Eierstöcken behandelt. Ferner wurden Elektrokrampftherapien angewandt und psycho-chirurgische Eingriffe vorgenommen. Seit dem Jahre 1940 dominiert die Psychoanalyse auch die Therapie der Magersucht (vgl. Gerlinghoff u.a.,1999, S.20).

 

1.2. Ess-Brech-Sucht


 

Die ersten Hinweise auf Symptome der Bulimie beschrieb Sir W. Gull um 1880/90 anhand der Beobachtungen anorektischer Patientinnen: Sie verschlangen riesige Nahrungsmengen ohne das Gefühl der Sättigung. Ebenfalls wurden verschiedene Magen- und Darmstörungen, meist Erbrechen, besonders häufig bei Anorektikerinnen beobachtet, jedoch auf simple Magenverstimmungen zurückgeführt.

 

Eine erste detaillierte Beschreibung der Bulimia nervosa als Syndrom findet sich bei Binswanger (1944), einem Psychiater, in der Fallbeschreibung der Ellen West. Jedoch sprach auch Binswanger in diesem Zusammenhang noch nicht von Bulimia nervosa ( vgl. Focks/Trück, 1990, S.8 f ).

 

Hinsichtlich des Verhältnisses von Anorexia nervosa Bulimia nervosa gab es verschiedene Meinungen. So wurde die Bulimie meist als Untergruppe der Anorexie interpretiert. Beaumont u.a. (1976) unterteilten die Anorexia nervosa beispielsweise in zwei klinische Formen, die sich durch die Symptome, Enthaltsamkeit oder Erbrechen, voneinander unterscheiden. Russel (1979) merkte an, dass einige Anorektikerinnen nach dem Erreichen eines normalen Gewichtes Bulimie entwickelten (vgl. Focks/Türck, 1990,S.9 f ).

 

Als eigenständiges Krankheitsbild betrachteten Boskind-Lodahl und Sirlin die Bulimia nervosa bereits im Jahre 1976, als eigenständige psychiatrische Störung wurde sie jedoch erst 1980 im DSM III klassifiziert.

 

Der Entstehungszeitraum der Bulimia nervosa ist schwierig zurück zu verfolgen, was auf das die Krankheit auszeichnende Symptom der Geheimhaltung, der „Verheimlichung der Symptomatik selbst vor den engsten Angehörigen, aus dem Gefühl heraus, anormal, pervers zu sein und dem Nichtwissen um ,Leidensgenossinnen’“ zurückzuführen ist (vgl. Focks/Trück, 1990, S. 7 ff). Ann Beauf (1983), Forscherin an der Universität von Pennsylvania, datiert die Entstehung der Krankheit auf bis vor den Ersten Weltkrieg zurück, Casper (1983) vermutet das Auftreten der Bulimia nervosa als Syndrom in den USA im Zeitraum um 1940. Aufgrund der Nahrungsmittelknappheit während des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre in Deutschland wird die Zahl der Erkrankten hier deutlich niedriger geschätzt.

 

Öffentlich wurde das Phänomen erst durch verschiedene Publikationen und Aufrufe in Büchern und Zeitschriften. Durch die darauf folgenden Bekenntnisse vieler Frauen zur Bulimie wurden die Ausmaße der Krankheit erst deutlich. Die Forschung zeigte zudem auf, dass viele Frauen dieses Verhalten schon seit mehreren Jahren bzw. Jahrzehnten praktiziert hatten. Daher gilt die Vermutung als zuverlässig, dass die Bulimia nervosa weit vor den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Krankheit entstanden bzw. erstmals aufgetreten ist ( vgl....

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