Die Minderheitsaktionäre erhalten gemäß § 327a Abs. 1 AktG als Entschädigung für den Verlust der Mitgliedschaft den Anspruch auf eine angemessene Barabfindung. Die Höhe der Barabfindung wird vom Hauptaktionär der Gesellschaft festgelegt[178] und muss den Verhältnissen der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung auf der Hauptversammlung entsprechen (§ 327b Abs. 1 AktG). Nach betriebswirtschaftlicher und juristischer Definition wird eine Barabfindung als einmalige Geldleistung zur Ablösung bzw. Abgeltung von Rechtsansprüchen umschrieben.[179] Die zentrale Problematik bei der Anwendung des § 327b Abs. 1 AktG bezieht sich auf die Frage, welche Höhe der Barabfindung als angemessen gilt und wie diese zu bestimmen ist. Ein Verfahren zur Berechnung der Barabfindung wird dem Hauptaktionär in der Regelung des aktienrechtlichen Squeeze-out nicht ausdrücklich vorgegeben.[180] Ein vergleichbares Regelungsmaß, bei dem die Höhe der erforderlichen angemessen Abfindung nicht weiter spezifiziert wird, ist auch bei den Verfahren der Eingliederung (§§ 319, 320b AktG), den Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§ 304, 305 AktG) sowie beim Verschmelzungsvertrag im Umwandlungsgesetz (§ 29 UmwG) gegeben. In diesem Kapitel sollen die Anforderungen an eine angemessene Barabfindung im Squeeze-out-Verfahren beschrieben werden.
Ein Teil der Problematik zur Bestimmung der angemessenen Barabfindung liegt in den unterschiedlichen Herangehensweisen und Auffassungen der davon betroffenen Rechts- und Wirtschaftswissenschaft. Beispielhaft dazu vertritt der Jurist Ott die juristische Position mit der Aussage, dass das Verhältnis von Jurisprudenz zur Ökonomie und anderen Nachbarwissenschaften dann unproblematisch sei, wenn diese sich bemühen, aber auch darauf beschränken, Antworten auf Fragen zu liefern, die von Juristen gestellt und formuliert werden.[181] Im Gegensatz dazu geht die wirtschaftswissenschaftliche Literatur von dem Standpunkt aus, dass die Rechtsprechung den Aussagen der Wirtschaftswissenschaft hinterher hinke.[182] Außerdem wird die Auffassung vertreten, dass sich Rechtsprechung und betriebswirtschaftliche Bewertungsverfahren zunehmend voneinander entfernen. So hätte man bspw. in Urteilen auf längst überholte Befunde Bezug genommen.[183] Exemplarisch treffen Rechtsauslegung und wirtschaftswissenschaftliche Rechen- und Bewertungsmethoden bei Klärung eines Abfindungsanspruchs, und dabei speziell bei der Bewertung eines Unternehmens oder eines Unternehmensteils, aufeinander.[184] Ferner erweist sich das in diesem Zusammenhang vorhandene Time-lag als problematisch. Denn Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Theorie über die Unternehmensbewertung finden, wie erwähnt, nicht unmittelbar Eingang in gerichtliche Entscheidungen zu Abfindungen.[185] In diesem Kapitel soll versucht werden, die entsprechenden Grundsätze aus den beiden Wissenschaften für den Fall der Abfindungsbestimmung darzustellen.
Um unbestimmte Rechtsbegriffe, wie in diesem Fall den der „angemessenen Abfindung“, näher konkretisieren und präzisieren zu können, werden diese in der juristischen Literatur immer auf ranghöhere Normen bezogen. Für die Frage, welche wertbildenden Faktoren bei der Abfindung Einfluss nehmen, sind deshalb auch verfassungsrechtliche Aspekte zu beachten.[186] Das Anteilsrecht stellt ein gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum dar. In Anlehnung an die Verfassungsmäßigkeit, die wie erwähnt an der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG zu messen ist, zeigt sich die Berücksichtigung von Herrschafts- und Vermögensrechten bei der Abfindungshöhe gleichermaßen als erforderlich.[187] In diesem Zusammenhang haben zwei Rechtsprechungen des BVerfG große Relevanz für die Bestimmung einer aktienrechtlichen Abfindung:
Nach der Rechtsprechung des BVerfG in der „Feldmühle-Entscheidung“[188] aus dem Jahr 1962 ist beim zwangsweisen Ausscheiden von Minderheitsaktionären bei einer übertragenden Umwandlung[189] keine geringere als eine volle wirtschaftliche Entschädigung mit Art. 14 GG vereinbar. „Der ausscheidende Gesellschafter solle das erhalten, was seine gesellschaftliche Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist“, so heißt es weiter in dem Urteil. Diese Vorgabe wollte der Gesetzgeber bei der Gesetzesinitiative erfüllen. In der Erläuterung zum Gesetzesentwurf der §§ 327a ff. AktG vermerkt er, dass die Minderheitsaktionäre aufgrund der gesetzlichen Regelung einen Anspruch haben, für den Verlust ihres Anteilseigentums an dem Unternehmen voll entschädigt zu werden.[190] Diese Festlegung wird jedoch weiterhin als auslegungsbedürftig bezeichnet, da die Einflussparameter und Wertfaktoren für die Abfindungshöhe nicht explizit genannt werden.[191]
Die vom BVerfG verwendeten Begriffe der vollen Abfindung und der vollen wirtschaftlichen Entschädigung können nicht durch Rückgriff auf andere Rechtsbereiche unmittelbar erklärt werden. Es lässt sich aber mit der Verwendung der Begriffe erkennen, dass beim Ausschluss ein vollständiger Nachteilsausgleich für den Minderheitsaktionär erreicht werden soll. Da ferner die Abfindung das umfassen soll, was die gesellschaftliche Beteiligung am arbeitenden Unternehmen wert ist,[192] deutet dies auch darauf hin, dass der Abfindungsbetrag dem jeweiligen Anteil am Gesamtunternehmen entsprechen soll.[193] Moritz schreibt dazu in seinem Buch mit juristischer Prägung zum Thema Abfindung treffend:[194] „Es ist der Geldbetrag zu bestimmen, der der Beteiligung der Minderheitsaktionäre an der Gesellschaft wertmäßig entspricht. Die Minderheitsaktionäre müssen den Gegenwert ihrer Gesellschaftsbeteiligungen erhalten.“
In einer weiteren Entscheidung des BVerfG, die bei der Bestimmung der Abfindungshöhe zu berücksichtigen ist, präzisiert das Gericht im „DAT/Altana-Beschluss“[195] den Wertumfang aktienrechtlicher Abfindungen.[196] Die Richter argumentierten, dass die Beteiligung an einer AG im Gegensatz zu einer Beteiligung an einer Personengesellschaft oder GmbH durch seine Verkehrsfähigkeit geprägt sei. Dies habe insbesondere Geltung für börsennotierte Aktien, da diese dort gehandelt werden und somit durch Angebot und Nachfrage eine Wertbestimmung erfahren. Bei einem Ausschluss der Aktionäre erleide dieser einen Vermögensverlust, der sich durch den Verkehrswert der Aktie darstellen lässt. Folglich dürfe der Minderheitsaktionär als Abfindung nicht weniger erhalten, als er bei einer freiwilligen Desinvestitionsentscheidung (dem Verkauf der Aktie) zum Zeitpunkt des Ausschlusses erhalten hätte, da sonst eine Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht gegeben sei. Die Entscheidung bezog sich im Speziellen auf Abfindungen bei Eingliederungen (§ 319 AktG) und Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge
(§ 304 AktG) und findet auch beim Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG Anwendung.[197] Das Urteil verlangt demgemäß eine Berücksichtung des Börsenkurses bei der Abfindungsbemessung im Squeeze-out.
Wie bereits beschrieben, gibt der Gesetzgeber weder in den Regelungen des Squeeze-out gemäß §§ 327a ff. AktG noch allgemein im Aktiengesetz oder im Grundgesetz Vorgaben vor, aufgrund deren die angemessene Barabfindung ausscheidender Minderheitsaktionäre zu bestimmen ist. Auch die Rechtsprechung gibt keine definitiven Anweisungen in dieser Thematik vor. Unter juristischen Gesichtspunkten ist auch die abstrakte Frage zu klären, welchen eigentlichen Zweck die Abfindung zu erfüllen hat. Die Abfindung im Falle des Squeeze-out kann zum Einem als Ausgleich für die Bereicherung des verbleibenden Hauptaktionärs interpretiert werden. Ferner kann darin auch die Entschädigung der ausscheidenden Gesellschafter oder auch ein Wertausgleich in Höhe eines angemessenen Zwischenwertes gesehen werden. Richterliche Interpretationen diesbezüglich sind bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhanden.[198]
Der Begriff volle Abfindung ist vielmehr nun nach ökonomischen Gesichtspunkten zu analysieren. Wird nach Grundsätzen der wirtschaftlichen Erkenntnistheorie der „faire Abfindungswert“, der zu keiner Benachteiligung auf Seiten der Minderheitsaktionäre oder des Hauptaktionärs führen soll, hinterfragt, so wird deutlich, welche Komplexität in der Aufgabe der Abfindungsbestimmung steckt und welche Schwierigkeiten mit dieser einhergehen. Nach traditioneller aktienrechtlicher Regelung in Deutschland wird die Barabfindung, die an die ausscheidenden Minderheitsaktionäre zu leisten ist, einseitig festgesetzt.[199] Die Minderheitsaktionäre verfügen in diesem Zusammenhang lediglich über das Recht, die Abfindung gerichtlich...