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Die Lüge, ein linguistischer Fall. Beschreibung des Lügens als Sprechakt sprachlicher Täuschung

Beschreibung des Lügens als Sprechakt sprachlicher Täuschung

AutorIris Baumgärtel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl113 Seiten
ISBN9783638573740
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 1, Universität Konstanz, 104 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Sprache bzw. das Sprechen als Form der Kommunikation ist eine Handlung der sozialen Interaktion. Die Lüge ist damit eine besondere Form der Interaktion. Die Ausführungen sollen zeigen, welche linguistischen Ausprägungen das Lügen als eine Form des sprachlichen Handelns aufweist und welche kommunikativen Fähigkeiten und Schwierigkeiten darin liegen. Um zu beschreiben, was wir eigentlich genau tun, wenn wir sprechen, wird um größten Teil die Sprechakttheorie Austins und Searles zugrunde gelegt. Außerdem werden semantische und pragmatische Grundlagen zur Wahrheit, Sprecher-Hörer-Beziehungen, sowie eine genauere Einordnung des sprachlichen Handelns in die soziale Interaktion im Allgemeinen beschrieben. Der zweite Abschnitt wird sich dem Lügen als einem eigenen Begriff der sprachlichen Täuschung widmen. Den ersten Anstoß zu ernsthaften linguistischen Analysen dieses speziellen Falls sprachlichen Handelns gab Weinrich mit seiner 'Linguistik der Lüge' im Jahr 1966, die aber 'nur' eine Antwort auf die Preisfrage 'Kann Sprache die Gedanken verbergen?' der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu geben versuchte. Im III. Teil werden Theorien und Analysen des Lügens als Sprechakt ausgeführt. Nachdem die Begriffe Wahrheit und Wissen in einem kleinen erkenntnistheoretischen Exkurs näher bestimmt wurden, werden Anhaltspunkte zu finden sein, inwiefern Lügen als eine Form des Behauptens verstanden werden kann. Darüber hinaus widmen wir uns einer eigentlich ganz eigenen Thematik: dem Paradox des Lügners. Wie sind Sätze zu verstehen, die sich im Bezug auf ihre eigene Aussage selbst widersprechen? Welches Wahrheitsprädikat ist einem Satz der Form 'Dieser Satz ist falsch' zuzuteilen, wenn nicht klar ist, ob der semantische Inhalt nun wahr oder falsch ist? Zu dieser Frage wird zum einen die philosophische und logische Umgehensweise mit sprachlichen Paradoxien erläutert, sowie eine kleine Auswahl an semantischen und pragmatischen Gedanken zur Lösung des Problems geboten.

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Leseprobe

Inhaltes kann die propositionale Einstellung davon verschieden sein:


(27) A weiß, dass Hans zum Fest kommt (= dass p). A ist überzeugt, dass Hans zum Fest kommt. A bezweifelt, dass Hans zum Fest kommt. Umgekehrt ergeben die gleichen Einstellungen zu verschiedenen Inhalten verschiedene propositionale Einstellungen: (28) A glaubt, dass Hans zum Fest kommt. A glaubt, dass Maria zum Fest kommt.

Es werden mehrere Arten der Sprechereinstellung unterschieden (für einen Überblick vgl. Searle 1982; Wagner 2001:55ff.), darunter zwei, die die Differenz zwischen glauben, wissen und intendieren verdeutlichen: „Epistemische Einstellungen“ haben eine Beziehung zur Proposition des Sprechaktes im dem Sinne, dass sie p oder nicht p als Referenzpunkt erfordern. In modallogischer Hinsicht deckt der Begriff „epistemisch“ die Skala zwischen „verifiziert“ und „falsifiziert“ ab. Bei linguistischer Verwendung in Bezug auf die

Sprechereinstellung ist ebenfalls nicht festgelegt, inwieweit und auf welcher Basis die Proposition verifiziert ist. (29) glauben, dass p überzeugt sein, dass p vermuten, dass p etc. Eine Untergruppe der epistemischen Einstellungen ist die „veridische“ Gruppe, welche die Proposition, dass p erfordert. Hier ist ein verifizierter Inhalt Voraussetzung, jedoch nicht notwendigerweise faktiv, sondern aus der Gewissheit des Sprechers heraus. Der Wahrheitsanspruch geht also von der subjektiven Überzeugung aus, nicht von der Wirklichkeit. Somit gehören vor allem für die erkenntnistheoretische Frage nach Wissen und Wahrheit mitunter folgende Ausdrücke zur veridischen Gruppe: (29a) wissen, dass p sich bewusst sein, dass p behaupten, dass p etc. Im Gegenzug hierzu ist die „volitive“ Einstellung nicht wesentlich auf unsere episteme, also unser Wissen und Erkennen bezogen, sondern sie versprachlicht Wünsche, Vorlieben oder Intentionen mit den entsprechenden Modalverben: (30) wollen / wünschen, dass p beabsichtigen, dass p intendieren, dass p etc. Hier ist wiederum der Bezug zur Proposition insofern wichtig, als dass eine Bewertung durch den Sprecher stattfindet. Im Sinne einer Verifizierung des Inhaltes zur Geltung von p ist die volitive Gruppe neutral.

Vor diesem Hintergrund ist nun wiederum Falkenbergs allgemeine Definition des prototypischen Falls der Lüge in (24) zu sehen und die bezeichnenden Verben als Repräsentanten ihrer jeweiligen propositionalen Einstellung zu lesen. Glauben ist für das hier behandelte Thema die zentrale epistemische Einstellung und, wie auch schon in Kapitel III.2. ausgeführt, immer auch in der Bedeutung von vermuten und überzeugt sein zu verstehen. Als Vertreter der volitiven Gruppe wird intendieren bzw. Intention gebraucht.

3.2. BEHAUPTEN Betrachtet man die Zusammensetzung der Definition des zentralen Falls der Lüge (24) nach Falkenberg noch einmal, wird klar, dass lügen offenbar analytisch einerseits mit glauben, andererseits mit behaupten verknüpft ist. In seiner Diskussion des achten Gebots („Du sollst kein falsches Zeugnis geben“), in dem für ihn jede Form der Lüge inbegriffen sei, stellt bereits Augustinus in gewisser Weise das Wesen der Behauptung dar: „Jeder, der etwas aussagt, legt Zeugnis ab von seiner Gesinnung.“ (Keseling 1953:§6). Damit bestimmt er die Behauptung nicht nur als Bedingung der Lüge, sondern auch die subjektive Sprecherüberzeugung als deren zentrales Merkmal. Ebenso sieht es auch Frege (1892) als selbstverständlich an, die Lüge mit einer Behauptung zu identifizieren und er führte mit seiner Trennung von Satz, Bedeutung und Urteil weg vom bislang undefinierten und verschwommenen Begriff der „Aussage“ bzw. enuntiatio (Augustinus). Die Behauptung wird nun zwar in der modernen Literatur als assertiver Sprechakt genauer eingegrenzt, bezüglich der Lüge aber sind differenzierte Eigenschaften herauszuarbeiten.

Behauptungen haben das Merkmal, dass sie immer nach Wahrheit oder Falschheit ihres propositionalen Inhaltes zu hinterfragen sind. Demgemäß befindet sich das Behaupten in einer Klasse mit feststellen, aussagen, erklären, berichten etc.. Diese Sprechakte können mit das zum Zeitpunkt t Gesagte ist wahr oder …ist falsch kommentiert werden, was sie von z.B. fragen, bitten, empfehlen oder wünschen unterscheidet, durch die kein faktiver Sachverhalt behauptet wird. Mit der Behauptung verbindet sich also ein „[…] Wahrheitsanspruch, dessen Gültigkeit und Reichweite in einer nachträglichen Argumentation geprüft werden kann (nicht muss).“ (Wunderlich 1976:254). In verstärkter Form als beim Feststellen unterstellt der Sprecher, Beweise und gute Argumente für seine Aussage zu haben und impliziert, eine fundierte Meinung zur Sache zu haben. Ungeachtet dessen ist der Wahrheitsanspruch beim Behaupten weniger überprüft, als bei der Feststellung.

Der Sprechakt des Behauptens geschieht durch die Äußerung eines in der Regel unmarkierten konstativen Aussagesatzes, der mittels performativer Analyse auf seine Tiefenstruktur (Ich behaupte, dass p) zurückgeführt werden kann. Um aber bei der sprechakttheoretischen Terminologie zu bleiben, so ist die Behauptung ein Prototyp der illokutionären Klasse der Assertive.

Im Adressaten kann eine bestimmte epistemische Einstellungen erzeugt werden, vielmehr, es kann ein mehr oder weniger offensichtlicher Zweck der Behauptung sein, den

Angesprochenen zu bestimmten Urteilen zu bewegen. Grice spricht dabei von der „M- Wirkung“ einer Äußerung, welche beim Hörer entweder eine Handlung bzw. die Absicht, eine Handlung auszuführen, hervorruft (im Falle einer imperativen Äußerung) oder einen Glauben bzw. den Glauben, dass der Sprecher etwas glaubt, erzeugt (bei einer indikativen Äußerung) (vgl. Grice 1968b, in: Meggle 1979:92f.). Unter Voraussetzung von Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit des Sprechers, mit der er - laut Searles Aufrichtigkeitsbedingung - in einem entsprechenden illokutionären Akt einen gewissen Bewusstseinszustand ausdrücken muss, stellt sich die Behauptung folgendermaßen dar: (31) A behauptet, dass p gdw. (a) A glaubt aktiv, dass p (b) A äußert s zu t mit der M-Intention, in B den aktiven Glauben zu erzeugen, dass p Diese Form der Behauptung kann man genauer als „bezeugende Behauptung“ spezifizieren (vgl. Falkenberg 1982:102f.). Daneben gibt es noch feinere Abstufungen von Behauptungen, bei denen der Sprecher den Adressaten nicht unbedingt dazu bewegen will, die eigene Überzeugung anzunehmen, sondern sie ihm lediglich zu erkennen zu geben oder ihn dazu zu veranlassen, sich die Anschauung selbst zu bilden (z.B. durch Prüfung von Begründungen). Somit kann behaupten auch hinweisend oder argumentierend sein.

Aus diesen Hauptmerkmalen ist in einem weiteren gedanklichen Schritt zu schließen, dass es zur Lüge keiner weiteren sprachlichen Mittel bedarf, als zur Behauptung. Ausgeschlossen ist, dass A in (31a) den aktiven Glauben, dass p falsch ist haben könnte, da im aktiven Glauben, die Überzeugung, dass p wahr ist ausgedrückt wird und, wie schon weiter oben besprochen, die Überzeugung von etwas Falschem nicht möglich ist. Deshalb wird auch in den folgenden Bestimmungen vom Glauben, dass nicht p die Rede sein. Damit wird ausgedrückt, dass der Sprecher glaubt, dass p nicht zutrifft. Es ist also möglich, dass der Sprecher nur den Anschein erweckt, den aktiven Glauben an die faktische Gültigkeit der Proposition seiner Behauptung zu haben. In diesem Fall wäre nicht der dem illokutionären Akt entsprechende Bewusstseinszustand, sprich, die tatsächliche Überzeugung, ausgedrückt worden. Die logische Folge aus der Tatsache, dass man mit einer Behauptung seine Überzeugung ausdrücken kann, ist also, dass man mit einer Behauptung genauso gut auch nur vortäuschen kann, diese Überzeugung zu haben. Dies rechtfertigt einen Blick auf die Bedingungen des Erfolgreichseins der Behauptung.

3.2.1. ERFOLGSBEDINGUNGEN DER BEHAUPTUNG Wie in den vorigen Abschnitten schon erläutert wurde, ist das Ziel der Behauptung (zumindest jenes Typs, von dem wir hier ausgehen), im Adressaten eine bestimmte epistemische Einstellung zu wecken. Anknüpfend an die Beschreibung der einzelnen Glückensbedingungen für illokutionäre Akte am Beispiel des Versprechens in der Einführung (Kap.I.2.1.1.1.), sollen hier die wesentlichen Bedingungen für das Erfolgreichsein der Behauptung zusammengefasst werden (zu den Bedingungen vgl. Falkenberg 1982: 92f.).

Die unterste Ebene der Behauptung betrifft die Umstände der sprachlichen Produktion des Sprechaktes: (32) Die Äußerung des Deklarativsatzes d von A war als Behauptung, dass p geglückt gdw. A hat dadurch, dass er d geäußert hat, behauptet, dass p Wird aus irgendeinem Grund von außen die lautliche Äußerung gestört oder abgebrochen, kann die Behauptung als lokutiver Akt nicht zu Ende geführt...

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