Schritt eins: Verstehen
Wir haben ein sehr klares Bild davon, wie sich guter Sex anfühlen sollte: das Austauschen intensiver Blicke, die aufsteigende Lust, die intime Berührung, lange Küsse zweier Menschen, die ihre Kontrolle auf- und sich einander hingeben. Für ein paar glückselige Augenblicke sind Sie nicht allein, sondern vereint im Bereiten und Empfangen von Lust. In den Augen Ihres Liebhabers sind Sie äußerst begehrenswert, und das gibt Ihnen das Gefühl, stark zu sein und mit sich selbst im Reinen. Gleichzeitig machen Sie Ihrem Liebhaber das gleiche Geschenk. All Ihre Alltagsprobleme schmelzen dahin, während die Gefühle in einem langen und befriedigenden Höhepunkt gipfeln. Danach liegen Sie sich in den Armen, während Ihre Atmung sich langsam wieder normalisiert … Aber was passiert mit dem Sex, wenn die Lust nachlässt? An diesem Punkt verschwimmt das Bild entweder oder wird sehr deprimierend.
Wir haben keine wirkliche Vorstellung davon, wie sich unser Liebesleben mit der Zeit verändert – abgesehen von solchen Ammenmärchen wie: »Wirfst du während der ersten zwölf Monate jedes Mal einen Cent in einen Topf, wenn du Sex hast, und nimmst danach jedes Mal wieder einen Cent heraus, wird der Topf nie leer werden.« Kein Wunder, dass so viele Angst davor haben, sich dauerhaft zu binden (denn wer würde schon bereitwillig die verwandelnde Kraft eines Orgasmus oder das angenehme Gefühl danach, das wie ein sanfter Balsam auf die Seele wirkt, aufgeben?), und dass sich so viele Menschen in gefährliche, schmerzhafte und zerstörerische Affären stürzen.
Doch es muss nicht sein, dass aus dem einer Flutwelle ähnlichen, lusterfüllten Sex, der alle mit sich reißt, ein Strom und dann ein Rinnsal wird. Er durchläuft sechs verschiedene Phasen, von denen jede eigene Freuden, Probleme und Belohnungen mit sich bringt.
Die sechs Stadien des Liebeslebens
Sex bedeutet unterschiedliche Dinge und erfüllt in Ihrer Beziehung auf Ihrem gemeinsamen Weg zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Aufgaben. Für leidenschaftlichen und häufigen Sex ist es wichtig zu verstehen, in welcher Phase Sie sich gerade befinden und welche besonderen Herausforderungen damit verbunden sind.
Lustphase – die ersten sechs Monate
Die Lust verringert die Distanz zwischen uns und einem attraktiven Fremden, damit wir den Mut aufbringen, ein Zimmer zu durchqueren und Hallo zu sagen, und sie gibt uns den Impuls, aus einem Bekannten oder einem Freund mehr werden zu lassen. Es ist fraglich, ob wir ohne die Kraft der Lust mutig genug wären, uns nackt auszuziehen, gegenseitig zu berühren und unsere Körper miteinander verschmelzen zu lassen.
Die Lust gab Jeff, 25, den Ansporn, seine spätere Frau um ein Date zu bitten: »Ich parkte mein Motorrad früher in der Garage eines Freundes. Ich ging oft hin, um nach einer anstrengenden Woche eine Spritztour zu machen, um runterzukommen. Das eine Mal war mein Freund nicht da, dafür kam seine neue WG-Mitbewohnerin zur Tür. Sie lud mich auf einen Kaffee ein, und wir saßen in der Küche und redeten und redeten. Die ganze Zeit über hoffte ich, dass mein Freund nicht nach Hause kommen würde, denn ich wusste, dass er auch ein Auge auf sie geworfen hatte. Ich redete über Unverfängliches wie das Wetter, aber ich dachte: Wie kann ich sie kriegen? Plötzlich hatte ich eine Eingebung: ›Hättest du Lust, mit mir eine kleine Spritztour zu machen?‹ Es ist nett, einen Sozius auf der Maschine zu haben, aber ein sexy Mädchen … und wenn es sich dann noch um die 18-jährige Mitbewohnerin des Freundes handelt, erhöht das den Reiz.«
Frauen sind genauso empfänglich für Lust wie Männer, obwohl sie traditionell als die Torwächterinnen gelten und sich angeblich nicht so leicht vom Sex in den Bann ziehen lassen. »An meiner Arbeitsstelle tauchte ein Feuerwehrmann auf, der auf der Suche nach dem Haustechniker war. Er lächelte, und ich fühlte mich total benommen und kicherte herum«, erklärte Samantha, 31. »Er blieb einen Augenblick länger als nötig neben meinem Schreibtisch stehen, und ich fragte nach seinem Namen, damit ich dem Haustechniker sagen konnte, wer nach ihm gesucht hatte – nichts weiter, ehrlich. Als er ging, rannte ich zur Vorderseite des Gebäudes – von der aus man den Parkplatz überblickt –, um zu sehen, ob er mit dem Feuerwehrauto gekommen war. War er enttäuschenderweise nicht. Genau in diesem Moment sah er nach oben, und unsere Blicke begegneten sich. Vielleicht lag es an der Uniform, vielleicht war es auch pure Lust, aber ich winkte ihm zu. Anstatt sich ins Auto zu setzen, ging er über den Parkplatz, kam wieder nach oben und lud mich ein, mit ihm am Freitagabend auszugehen. Wir verbrachten das komplette Wochenende im Bett.«
Auch wenn zum Objekt unserer Begierde eine starke physische Verbindung bestehen mag oder sogar eine emotionale Verbindung, ist die Lust tatsächlich etwas stark nach innen Gerichtetes – es geht dabei mehr um uns selbst und unsere eigenen Fantasien als um die andere Person. Mit Rückblick auf ihr heißes Sexwochenende gab Samantha zu, dass es eher um ihren Wunsch, gerettet zu werden, gegangen war (sie hatte gerade erst eine Scheidung durchgestanden) als darum, den Grundstein für eine Beziehung zu legen.
Für Jeff dagegen war die Motorradfahrt der Anfang eines drei Jahre dauernden Werbens: »Sie war ganz anders als alle, die ich kannte, es war aufregend, und ich stand ständig unter Strom. Ihr Vater hasste mich, dachte, ich wäre ein großmäuliger Jungspund. Wir kamen aus unterschiedlichen Welten. Konnte sie meine Liebe überhaupt erwidern?«
Probleme: Die Lust macht uns blind sowohl gegenüber den Schwächen als auch den Stärken einer sich anbahnenden Beziehung. Am einen Ende der Skala kann sie zwei Menschen aneinander binden, die überhaupt nicht zusammenpassen. Am anderen Ende der Skala, wenn die Lust nachlässt, kann es passieren, dass zwei Liebende mit einer absolut vielversprechenden Zukunft anfangen, an sich zu zweifeln. Dies kommt besonders häufig bei Menschen vor, die eine schwierige Kindheit hatten; und auch wenn sie jemanden vielleicht physisch nah an sich heranlassen, werden sie Schwierigkeiten damit haben, dies in eine emotionale Intimität zu übersetzen.
Tipp: Betrachten Sie Ihre vergangenen Beziehungen und verstehen Sie deren Muster. Hatten Sie eine Reihe kurzer Affären? Wenn die Lust nachließ, machten Sie sich dann Gedanken darüber, dass Sie die falsche Entscheidung getroffen hatten, und fingen wieder damit an, sich nach der/dem Richtigen umzusehen? Wenn das zutrifft, sprechen Sie mit Ihrem derzeitigen Partner über Ihre Gefühle – anstatt ihm die kalte Schulter zu zeigen und sich zu distanzieren –, und suchen Sie nach Lösungen für Ihre Ängste und Sorgen. Wenn die Lust Sie an eine Reihe nicht zu Ihnen passender Männer beziehungsweise Frauen gebunden hat, versuchen Sie, etwas länger zu warten und potenzielle Partner besser kennenzulernen, bevor Sie mit ihnen ins Bett gehen. (Wie man sich gute Beziehungen erarbeitet, ist auch Thema in einem meiner anderen Bücher: The Single Trap: The two step guide to escaping it and finding lasting love; bisher nur auf Englisch erschienen.)
Bindungsphase – sechs Monate bis drei Jahre
Während es bei der Lust nur ums Erobern und Besitzen der anderen Person geht – egal, für wie kurze Zeit –, handelt es sich in der nächsten Phase um das Aufbauen einer dauerhaften Beziehung. Jetzt wird aus der von Ihnen geliebten, wandelnden, atmenden und seufzenden Verkörperung Ihrer Fantasien ein echter Mensch – mit allen damit verbundenen Komplikationen. Auch das Liebesleben kann komplizierter werden, denn die individuelle Sexualität zweier Menschen (wie jemand gern berührt werden möchte, was ihn oder sie anmacht, ob er oder sie eher abends oder morgens auf Sex steht) verschmilzt zu einer Paarsinnlichkeit (Dinge, die ein Paar gern gemeinsam genießt).
In der Frühphase des Sex mit Christopher, 31, hatte Sheena, 32, die Leidenschaft so umgehauen, dass sie dabei einige ihrer persönlichen Grenzen überwand. »Ich fühle mich nicht wirklich wohl dabei, wenn ich an intimen Stellen berührt werde«, erklärte sie in ihrer ersten Sitzung. Wie viele andere fand Sheena nicht die richtigen Worte, um über Sex zu sprechen, und bediente sich verschiedener Euphemismen oder ließ Hinweise fallen, in der Hoffnung, dass Christopher sie verstehen würde. (Nähere Informationen darüber, wie man über Sex spricht, erhalten Sie im Übungsteil in meinem Liebeslexikon) Ich stellte Sheena einige Fragen und fand heraus, dass sie, obwohl sie zu Anfang der Beziehung Oralsex zugestimmt hatte, ihre Meinung geändert hatte. »Am Anfang störte es mich nicht so sehr – er fühlte sich gut an, und ich wollte Christopher nicht verärgern –, aber als ich die Gelegenheit zum Nachdenken hatte, war ich nicht mehr so sicher«, so Sheena. Christopher wusste nicht nur nichts von diesen Vorbehalten, sondern hatte auch nicht realisiert, dass es ihr kein Vergnügen bereitet hatte, ihn oral zu befriedigen: »Ich war so erregt, dass eine Berührung mit ihrer Zunge schon fast reichte, damit ich kam, also checkte ich gar nicht, dass sie nicht scharf darauf war.«
Zum Glück hielten Sheenas Gefühle bezüglich Oralsex – »Ich finde ihn schmutzig, ich kann es nicht ändern, so bin ich nun mal« – das Paar nicht davon ab, eine...