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E-Book

Das Paradies ist die Hölle

Meine Reise zu den letzten Mapuche-Indianern

AutorNahuel Lopez
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641068134
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Der Kampf eines indigenen Volkes gegen seine Vernichtung
Nahuel Lopez, der seine Wurzeln in Chile hat, dem Land der Mapuche-Indiander, erzählt Geschichten von Menschen, denen er begegnet ist, bei denen er gewohnt, mit denen er Freundschaft geschlossen hat. Menschen vom Stamm der Mapuche, einem südamerikanischen, vom Aussterben bedrohten Indianer-Volk. Sie kämpfen einen aussichtslosen Kampf gegen eine gnadenlose Gesellschaft, in der für sie kein Platz mehr zu sein scheint. Die Mapuche gehören zu den Ärmsten der Armen, sie haben keine Lobby, keine Waffen, keine Rechte - sie haben nur sich selbst, ihren Glauben und ihren Willen zu überleben. Diesen Menschen will Nahuel Lopez mit diesem Buch eine Stimme geben, den Skandal der Menschenrechtsverletzung publik machen und so einen Funken Hoffnung säen.


  • Ein ergreifendes Buch mit einer humanitären Botschaft
  • Mit zahlreichen Fotos


Nahuel Lopez, geboren 1978, war Redakteur der ARD-Sendung 'Beckmann' und Redaktionsleiter des Talkformats 'Markus Lanz' beim ZDF. Seit 2007 ist er Autor des Feuilletons der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung'. Er lebt und arbeitet als Journalist und Buchautor und ist Inhaber der GRANVISTA TV- und Filmproduktion. Darüber hinaus ist er Dozent der Medienakademie in Hamburg.

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Leseprobe

Ankunft im Paradies


»Das Land, das nie wirklich eines war und doch noch immer existiert, lag nun so sanft und unbekümmert da, als sei der Frieden hier zuhause.«

 

NAHUEL LOPEZ

Es war einer der frühen Januartage des Jahres 2011, sonnig noch und warm, eine brodelnde Abendluft, als ich zum ersten Mal hier einfuhr. Von einem windigen Autovermieter aus Santiago de Chile hatte ich mir wider besseres Wissen einen silbernen Mietwagen aufschwatzen lassen – einen kleinen Japaner, für derartige Landausflüge gänzlich ungeeignet. Siebenhundert Kilometer waren es bis hierher von der Hauptstadt in den Süden, die berühmte Ruta 5 entlang, die wie ein ewig langer Schnürsenkel aus Asphalt die beiden amerikanischen Kontinente durchzog, von Alaska bis Feuerland, um irgendwann in dieses Meer aus Bäumen einzutauchen, einst die sagenumwobenen Wälder Araukaniens.

Unter mir polterten die Kieselsteine. Umhüllt von einer wilden Wolke aus hellem Sandstaub, die mein »Silberpfeil« um mich herum aufwarf, fuhr ich durch kleine Alleen hindurch, in ein Tal hinein, überquerte einen Fluss, um mich dann wieder schwerfällig hinaufzukämpfen. Schließlich wurden die ersten Häuser sichtbar, gelbe, blaue, grüne und braune Holzhütten, aus deren Schornsteinen dunkler Rauch quoll und sein Aroma von verbranntem und feuchtem Holz über die Ebene legte. Das Land, das nie wirklich eines war und doch noch immer existiert, lag nun so sanft und unbekümmert da, als sei der Frieden hier zuhause.

 

Vor mir tat sich die Comunidad Ponotro auf, eine von unzähligen kleinen Gemeinden der Mapuche, versprenkelte Relikte einer vergangenen Zeit. Zwei nachtschwarze Augen blitzten aus der sich langsam lichtenden Staubwolke auf, die Augen eines fröhlichen Gesichts auf einem Fahrrad. »Hola Tio!«, rief das kleine Gesicht in seinem Ringelshirt, das in einem Mordstempo, winkend und sich vor Freude beinahe überschlagend, über die Schotterpiste auf mich zuraste, um den Besucher zu begrüßen. Es war Nachito, eines der drei Kinder der Familie, dessen sechstes Mitglied ich von nun an war, wenn man die drei Hunde nicht mitzählte.

Es wurde bereits dunkel, als ich mein Gepäck aus dem Auto kramte. Um mich herum der fünfjährige Nachito, der neugierig jede meiner Taschen nach interessanten Mitbringseln untersuchte und staunte und staunte und nicht einmal genug Wörter für all die Fragen zu kennen schien, die aus ihm rauspurzelten. Mit dabei waren der kleine Alén und Tochter Millaray, die älteste der drei Geschwister. Vater Jaime, ein kleiner und stämmiger Mapuche-Mann mit flusigem Bart und einem Che-Guevara-Gesicht, stand neben seiner Frau Angelica, lächelte mir freundlich zu und beobachtete mit Seelenruhe das große Treiben rund um den Ankömmling. Ein eisiger Wind kratzte jetzt über das Land hinweg. Es roch nach Meer und frischen Blüten. Ich atmete ein – so tief, wie es nur ging, und über mir leuchtete der Himmel der Araucanía, ein Becken irisierender Kristalle. Und wenn es nicht so kitschig wäre und so unendlich falsch, dann könnte man fast sagen, es war wie die Ankunft im Paradies.

 

Natürlich war ich nicht der erste Besucher hier in diesem abseitigen Fleckchen Erde am Pazifischen Ozean. Seitdem die Spanier vor etwa fünfhundert Jahren als erste Fremde ins Reich der Mapuche eingedrungen waren, übte das Leben der Menschen hier eine exotische Faszination aus auf Abenteuerhungrige von Übersee. Vor allem Europäer waren hier immer wieder auf der Suche gewesen nach Reinheit, Echtheit, nach so etwas wie Glück. Gerade hier bei uns gab es ein ausgeprägtes Abenteurertum und eine sonderbar esoterische Sehnsucht nach dem ursprünglichen und unverdorbenen Naturmenschen, diese Bewunderung für den edlen Wilden. Der spanische Dichter Alonso de Ercilla y Zúñiga hatte die Ureinwohner Araukaniens in seinem berühmten Werk La Araucana vor fünfhundert Jahren so getauft, ein Begriff, der später von den Romantikern, vor allem aber auch von Jean-Jacques Rousseau geprägt und auf abenteuerliche Weise idealisiert wurde.

Eines der wohl bizarrsten Kapitel dieses uns sehr eigenen Abenteurerdrangs ist wohl das um den Franzosen Orélie-Antoine de Tounens, oder wie er sich später nannte: Orélie-Antoine I., durch Gottes Gnaden und den Willen der Indianer des Südens des amerikanischen Kontinents, König von Araukanien und Patagonien. Thronfolger und Herr dieses seinerzeit von Orélie-Antoine begründeten Hauses Araukanien und Patagonien ist heute sein Nachfahre, Philipp Boiry Raynaud, selbsternannter Prinz Philipp I.

Orélie-Antoine de Tounens jedenfalls war mindestens skurril, wenn nicht gar vollkommen verrückt. Mit Anfang zwanzig begann er zunächst eine Karriere als Prokurist beim Arbeitsgericht im französischen Périgueux. Seine eigentliche Leidenschaft aber waren die Abenteuerbücher jener Jahre, Reiseberichte aus fernen Ländern und von wilden Menschen, denen er in Gedanken nachgereist war und sich der Illusion hingab, eines Tages die hispanoamerikanischen Republiken auf dem Kontinent unter dem Dach eines Königreichs zu vereinen. Seines Königreichs natürlich. Seit seiner Kindheit hatte er davon schon geträumt und dieses Ziel seither auch nie mehr aus den Augen gelassen.

1858 landete der damals 33-jährige de Tounens nach mehrwöchiger Überfahrt mit einem Schiff tatsächlich im Norden Chiles. Von Coquimbo aus verschlug es den Franzosen zunächst nach Valparaíso, wo er Spanisch lernte und seine exzentrischen Pläne verfeinerte. 1860 erreichte er mit ein paar wenigen Gefolgsleuten die Araucanía, ein zu jener Zeit schwer umkämpftes Gebiet, das Land der Mapuche.

Es war die letzte Phase der »Guerra de Arauco«, dem Krieg zwischen den Mapuche und den chilenischen Independentistas, den Unabhängigkeitskämpfern, die sich von der spanischen Krone losgesagt hatten und nun aus dem zerfurchten Land ein ganzes machen wollten. Die Unabhängigkeitskämpfer beherrschten damals bereits das Gebiet von der Atacama-Wüste bis zum Bío Bío-Fluss, dessen Verlauf von den Anden bis zum Pazifik die natürliche Grenze darstellte, auf die sich die Spanier mit den Mapuche nach über dreihundert Jahren des Blutvergießens geeinigt hatten. Doch die Chilenen erkannten diese Grenze nicht an. Auch der restliche Teil des Landes, der seit jeher den Mapuche gehörte, sollte nun chilenisches Territorium sein. Daran hatte sich diese letzte und vielleicht blutrünstigste Etappe in der langen Reihe schwerer Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern hier entzündet. Auseinandersetzungen, die ihnen bis heute den Nimbus der Unbesiegbarkeit verleihen und ihren Ruf als ein Volk von Kriegern und Kämpfern zementierten.

Orélie-Antoine de Tounens jedenfalls witterte hier seine historische Chance. Er reiste in die Araucanía, einem Gebiet, das damals für Wingkas, wie die Mapuche alle Fremden noch heute nennen, eigentlich unzugänglich war. Dies hätte den sicheren Tod der Abenteurer bedeuten können. Doch de Tounens gewann das Vertrauen der Mapuche. Und er freundete sich mit einem Lonco an, mit Quilapán, dem Häuptling einer der vielen Comunidades, die zusammengenommen das Volk der Mapuche bilden.

Vielleicht war es ja de Tounens bizarres Äußeres, der lange und lockige Bart und die schulterlangen schwarzen Haare, oder dieser etwas wirre Blick, der ihn für die Mapuche unverdächtig machte. Vielleicht war es auch die Tracht der Mapuche, die er zu tragen pflegte, immer in einen schweren Poncho gewickelt und mit einem Trailonco um die Stirn. Möglicherweise war es aber auch diese unverrückbare Überzeugung, die ihm innewohnte, hier, weitab seiner Heimat, seine eigene Bestimmung zu finden. Quilapán jedenfalls schien von de Tounens Vorhaben überzeugt, eine konstitutionelle Monarchie mit ihm zu begründen, einen eigenen Staat, um sein Volk gegen die Aggressoren aus dem Norden zu verteidigen.

Wie genau die Krönungszeremonie schließlich ablief, und ob die dem Zeremoniell beiwohnenden Mapuche auch wussten, was genau da vor sich ging, das lässt sich nicht rekonstruieren. Ein absurdes Unterfangen war es allemal. Die Mapuche als Ganzes gab es eigentlich nicht, sie standen nie unter der Führung eines Einzelnen. Das Volk war ein aus unzähligen Stämmen zusammengestückeltes Geflecht, aufgeteilt in autonome Comunidades, in Gemeinden, die wiederum aus wenigen Großfamilien bestanden mit dem Lonko, dem Stammesführer, als Oberhaupt und verschiedenen spirituellen Autoritäten.

Orélie-Antoine de Tounens aber wähnte sich am Ziel seiner Träume. Via Zeitungsanzeige verkündete er seinen Anspruch auf den neu geschaffenen Thron und auf ein Gebiet, das sich seiner Ansicht nach vom Pazifik bis zum Atlantischen Ozean erstreckte, und von Rio Negro bis hinunter zur Magellanstraße reichte. Eine Fläche etwa doppelt so groß wie das heutige Deutschland. Neben der Zeitungsannonce verfasste de Tounens dann auch noch einen Brief an den Kanzler der chilenischen Republik und erklärte darin feierlich seine Herrschaft. Vielleicht war de Tounens doch noch nicht ganz so übergeschnappt, wie mancher Historiker ihn an diesem Punkt der Geschichte zeichnet. Immerhin wollte der exzentrische Abenteurer damals auch den französischen Botschafter für sein Vorhaben auf seine Seite ziehen, was ihm eine gewisse Sicherheit garantiert hätte, sollte sich die chilenische Regierung mit seinem Anspruch auf den Thron doch nicht arrangieren können. Der aber hatte kein Interesse, in dieses sonderbare Vorhaben seines Landsmannes mit hineingezogen zu werden, und erklärte de Tounens kurzerhand für dement.

1862 nahmen die chilenischen Truppen den Abenteurer fest. Sie hatten genug vom merkwürdigen Störenfried, der ihre territorialen Vorhaben zu durchkreuzen suchte. De Tounens wurde der Prozess gemacht,...

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