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E-Book

Die letzte Geisha

Eine wahre Geschichte

AutorSayo Masuda
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl202 Seiten
ISBN9783458774907
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR

Sayo Masuda ist erst zwölf Jahre alt, als sie an ein Geisha-Haus verkauft wird und in die brutale Welt des traditionellen japanischen Amüsements eintaucht. Doch die Maske der ewig lächelnden Geisha täuscht: Die Ausbildung ist hart und unmenschlich, hinter den Kulissen herrschen Rivalität und Schikane. Aber Sayo Masuda hat es geschafft: Nach Jahren der Demütigung und Einsamkeit konnte sie ihr Leben alsGeisha hinter sich lassen und sich eine neue Existenz in Freiheit und Selbstbestimmung aufbauen. Die Frau, die nie wirklich lesen und schreiben gelernt hatte, verfaßte ihren ganz persönlichen Lebensbericht und gewährt, fern jeder Exotik, ungeschminkte Einblicke in den Alltag der Geishas.



<p>Masuda Sayo, 1925 als uneheliches Kind geboren, von der Mutter abgelehnt, wurde mit 12 Jahren an ein Geisha-Haus verkauft. In den 1950er Jahren verfa&szlig;te sie, als Beitrag f&uuml;r einen Wettbewerb einer Frauenzeitschrift, ihren Lebensbericht. 1957 wurde ihre Autobiographie von einem japanischen Verlag ver&ouml;ffentlicht. Sp&auml;ter lebte Masuda Sayo in Nagano, wo sie sich mit einem Lebensmittelhandel ein bescheidenes Lebensziel erf&uuml;llen konnte. Sie starb dort 2008 an den Folgen von Leberkrebs.</p>

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Leseprobe

Die letzte Geisha


 

Ein furchtsamer ausgesetzter Hund


Kindermädchen Tsurukko


Meine Kindheitserinnerungen setzen ein, als ich in Ky?hara, einer ländlichen Gegend nahe Shiojiri in der Präfektur Nagano, im Haus eines Großgrundbesitzers das Kind hütete. An meine frühste Kindheit erinnere ich mich kaum, aber dieser Haushalt war der eines reichen Grundbesitzers, der drei Knechte in seinen Diensten hielt und außerdem, zur Zeit der Reispflanzung zum Beispiel, noch ein Dutzend und mehr Landarbeiter beschäftigte. Der Hof war rings von dichtem Baumbestand umgeben, darunter mehrere große Maronenbäume.

Wegen Kleinigkeiten fürchterlich gescholten, lebte ich in ständiger Angst vor menschlichen Wesen. In der Tat sehe ich, wenn ich an meine Kindheit denke, sofort das Bild vor mir, wie ich, ausgeschimpft und an einem Maronenbaum festgebunden, lauthals heule. Weiß der Kuckuck, wieso Maronenraupen so leicht runterfallen; jedenfalls ist unter den Bäumen immer alles voll Raupen, und besonders viele am Fuß der Bäume, wo sie dann anfangen, langsam den Baumstamm raufzukrabbeln. Ich ekle mich schrecklich vor Raupen, angebunden aber kann ich mich nicht rühren, auch wenn mir die Würmer am ganzen Leib herumkriechen. Ich heulte so, daß ich beinah ohnmächtig wurde. Damals war ich vielleicht sechs Jahre alt.

Ich kam in jener Zeit nicht mal dazu nachzudenken, warum ich keine Eltern habe und warum nur immer ich gequält werde. Alles, was mir bewußt war, ist, daß Hunger weh tut und daß ich vor Menschen Angst habe. Ich lebte nur mit den Gedanken, wie ich mich so gut verstecken kann, daß mich niemand findet, und wie ich den Bauch am besten vollkriege. Um beim Bauchvollkriegen zu bleiben: Mit dem Essen war ich vollkommen von den Leuten abhängig. Unter der Anrichte stand ein schartiger Napf, in den ich die Reste von Reis und Suppe bekam. Wenn viel übrigblieb, war der Napf schon mal randvoll, aber wenn nichts übrigblieb, dann war's das. Wenn alle mit dem Essen fertig waren, sauste ich in die Küche und guckte in den Napf, und wenn was drin war, kauerte ich mich eilig unter die Anrichte und aß es auf.

Mein Bett, ein Hanfsack, mit Stoffetzen vollgestopft, lag in einen Winkel im Abstellschuppen hingerollt, und darin schlief ich, indem ich mich mit den Füßen voran zwischen die Lumpen reinwühlte. Aber in der Nacht muß ich Pipi machen. Der Schuppen ist dunkel, und ich habe Angst. Und wie ich noch überlege, bin ich wieder eingeschlafen. Wenn ich reinmache, stört es mich nicht, weil es am Morgen noch warm ist, aber wenn ich am Abend wieder die Beine reinstrecke, ist es naßkalt. Da hast du Mist gemacht letzte Nacht, denke ich. Es ist so widerlich, daß ich überhaupt nicht einschlafen kann. Dann habe ich mir eine dunkle Stelle vor der Tür gesucht, mich wie ein Hund zusammengerollt und geschlafen. Der Winter in Shinano ist aber kalt, das ist gar nicht so einfach. Ich bin entschlossen, nicht mehr reinzupinkeln, doch wenn die Nacht kommt, habe ich wieder Angst. Ich habe also immer wieder draußen schlafen müssen. Kalt ist es nicht nur in der Nacht. Wenn mir beim Kinderhüten auch der Rücken warm ist,[1] die Füße sind so kalt, daß sie beinah festfrieren. Egal wie kalt es im Winter war, ich bekam keine Socken anzuziehen und hielt deshalb immer einen Fuß auf den Oberschenkel des anderen Beines; die Füße abwechselnd, stand ich immerzu auf einem Bein. Von daher kommt mein Spitzname »Tsuru« (Kranich).

Gequält haben mich nicht nur die Erwachsenen. Wenn ich mich dummerweise von Kindern erwischen lasse, tun die mir garantiert irgendwas an, was mir weh tut.

»Mach mal 'nen Hund nach!« rufen sie, lassen mich auf allen Vieren kriechen, bellend herumrollen und mit dem Mund Brocken aufheben, die sich die Kinder aus dem Mund genommen und auf die Erde geworfen haben. Wenn ich nicht mitmachen will, trampeln sie mir auf die Füße, zwicken, treten und piesacken mich erbarmungslos. Weil ich aus Angst davor alles gemacht habe, was sie wollten, war ich für die Kinder ein schönes Spielzeug, glaube ich.

Da ich völlig verlaust war, als ich herkam, hatte man mir den Kopf kahlgeschoren. Irgendwann fangen die Kinder an zu fragen:

»He, du da, bist du ein Bub oder ein Mädchen?«

Da habe ich den Po blankgemacht und es ihnen gezeigt. Da machen die sich dann einen Spaß draus, und wenn sie mich nur von weitem sehen, necken sie mich schon:

»Streck den Po raus, streck den Po raus!«

Mit sieben oder acht habe ich mich dann geschämt, obwohl mir niemand Schamgefühle beigebracht hat; das ist wohl auch ein Instinkt menschlicher Wesen. Ich will also weglaufen, aber sie stellen sich mir in den Weg und sagen, sie lassen mich nicht durch, bis ich den Po rausstrecke.

»He, du da, Tsuru, du Affenkind, du hast wohl einen knallroten Po!« hänseln sie mich. Erst wenn ich weine, lassen sie von mir ab. Wenn ich weine, freuen sich die Kinder, jubeln »haah, das Affenkind heult!«, und laufen dann auseinander. Ich habe mir das vermutlich gemerkt und bin sie dann immer losgeworden, indem ich am Ende geheult habe.

Die leuchtenden Augen der Kühe


Was meine Arbeit angeht, so bin ich um 5 Uhr morgens geweckt und zum Bach geschickt worden, zum Wäschewaschen. Auf dem Land geht man zum Geschirrspülen und zum Wäschewaschen an verschiedene Bäche. Im Winter sind beide Bäche zugefroren; nur an der Stelle, wo alle ihre Wäsche waschen, ist das Eis dünner. Ich schlage das Eis an der dünnen Stelle auf und wasche die Windeln, aber einem Kind geht das nicht so flott von der Hand; wenn die gewaschenen Windeln ausgewrungen werden sollen, sind sie schon steif gefroren. Also tauche ich sie, die frostwunden Hände warm hauchend, wieder ins Wasser und wringe sie aus. Wenn ich mit dem Waschen fertig bin, muß ich putzen, und dann gibt's endlich Frühstück. Erst danach fängt das eigentliche Kinderhüten an.

Auf dem Gehöft lebten Großvater, Großmutter und das junge Ehepaar, und meine Aufgabe war es, das Kind des jungen Paares zu hüten. Weil viele Bedienstete im Haus waren, trug sich eines Tages folgendes zu:

2 Sen in Münzen, an einer gut sichtbaren Stelle ausgelegt, um meine Ehrlichkeit zu prüfen, sind angeblich verschwunden. Ich habe die nicht einmal gesehen, noch wußte ich damals überhaupt, wie man mit Geld umgeht. Trotzdem hieß es, ich hätte sie stibitzt, mir davon Süßigkeiten gekauft und genascht, und es setzte Schelte. Die Hände sollte ich falten und um Vergebung bitten.

»Ich war's doch nicht«, stieß ich trotzig hervor, aber das machte es nur noch schlimmer.

»Bis du es zugibst, bleibst du hier drin!«

Ich wurde im Speicher eingesperrt und zwei Tage lang nicht rausgelassen. Im Speicher waren Säcke mit ungeschältem Reis gestapelt, in die ich einen Finger reinbohrte, Reiskörner rauspuhlte und kaute, aber weil ich zwei Tage lang keinen Tropfen Wasser zu trinken bekam, war mir sterbenselend zumute. Und trotzdem fiel mir nicht ein, mit lauter Stimme zu schreien:

»Warum tut ihr mir so was an, wo ich doch das Geld nicht geklaut habe!«

Statt dessen lebte ich nur voller Angst weiter, was immer man mir auch antat.

Von heute aus gesehen, sind damals vielleicht wirklich 2?Sen weggekommen, aber weil der Verdacht, ohne jedes Indiz, nicht auf einen Erwachsenen fiel, nehme ich an, man hat mich wohl als warnendes Beispiel für die anderen Angestellten gequält.

Im Sommer verfaulen auf den Feldern die Gurken, so viele, daß man sie gar nicht alle essen kann, und trotzdem bekam ich nicht genug Gemüse zu essen. Ich schleiche mich also ins Gurkenfeld und esse mich geduckt heimlich satt. Ich achte zwar gut darauf, von keinem gesehen zu werden, und doch kommt es irgendwie immer sofort heraus.

»Du warst schon wieder im Gurkenfeld!«, und schon habe ich drei, vier Ohrfeigen weg.

»Ich geh wirklich nicht wieder rein«, verspreche ich und bin auch fest entschlossen, nicht mehr reinzugehen, aber wenn der Hunger bohrt, schleiche ich mich wieder rein. Und wieder kommt's raus. Schließlich droht man mir:

»Wenn du noch mal reingehst, wirst du in den Kuhstall gesperrt!«

Vor dem Kuhstall habe ich Angst. Wenn man mitten in der Nacht in den Kuhstall gesteckt wird, schrecken die Kühe auf und trampeln wild herum, man wird getreten, gestoßen und muß Schlimmes ertragen. Die Augen der Kühe, die im Dunkeln leuchten, sind unheimlich, und bis heute habe ich eine Heidenangst vor Kühen.

Ich bin also fest entschlossen, jetzt aber wirklich nie mehr ins Gurkenfeld zu gehen, doch am Ende bin ich trotz allem wieder drin. Wieder kommt's sofort raus. Aus Angst vor dem Kuhstall streite ich felsenfest ab, im Feld gewesen zu sein, sosehr man mir auch zusetzt.

»So, du bist also nicht im Feld gewesen … Und das hier, was ist das?«

Ich kriege die Windeln des Kindes vor die Nase gehalten, und endlich wird mir das Rätsel klar, warum es immer sofort rausgekommen ist. Wenn ich im Gurkenfeld geduckt esse, stopft sich das Baby alles, was seine Hände erreichen, in den Mund, und dann finden sich in den Windeln auch Gurkenblätter mit drin.

Seitdem hieß es, jemanden wie mich kann man das wertvolle Kind nicht hüten lassen, und ich mußte Arbeiten verrichten wie Unkraut jäten im Feld oder im Herbst den mit Reis beladenen Ochsenkarren vom Reisfeld zum Hof führen. Aber ich fürchtete mich vor den Ochsen und schaffte es nicht, sie dahin zu kriegen, wo sie hinsollten. Einmal geriet der Karren mit einem Rad in den Graben, und als ich mir nicht weiterzuhelfen wußte, kam ein Onkel aus...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel10
Zweites Kapitel13
Drittes Kapitel19
Viertes Kapitel24
Fünftes Kapitel32
Sechstes Kapitel38
Siebtes Kapitel43
Achtes Kapitel50
Neuntes Kapitel58
Zehntes Kapitel66
Elftes Kapitel73
Zwölftes Kapitel80
Dreizehntes Kapitel88
Vierzehntes Kapitel94
Fünfzehntes Kapitel101
Sechzehntes Kapitel106
Siebzehntes Kapitel114
Achtzehntes Kapitel134
Neunzehntes Kapitel148
Zwanzigstes Kapitel167
Einundzwanzigstes Kapitel176
Zweiundzwanzigstes Kapitel184
Dreiundzwanzigstes Kapitel221
Vierundzwanzigstes Kapitel231
Fünfundzwanzigstes Kapitel249
Sechsundzwanzigstes Kapitel257
Siebenundzwanzigstes Kapitel269
Letztes Kapitel291
Der Autor310

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