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Rechtlicher Leitfaden für gerichtliche Verfahrenspflegschaften (§§ 50, 67 FGG)

AutorGerhard Binder
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783638629003
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Skript aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Familienrecht / Erbrecht, Note: ohne, Fachhochschule Esslingen Hochschule für Technik Esslingen, Veranstaltung: Vorlesung, 0 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Zum 1.7.98 hat der Gesetzgeber zur Wahrnehmung von kindlichen Interessen in gerichtlichen Verfahren die Grundlage für eine Verfahrenspflegschaft geschaffen. Verfahrenspfleger vertreten in gerichtlichen Verfahren in der Regel minderjährige Kinder, welche sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und für die häufig entwicklungsbeeinflussende, juristische Entscheidungen zu treffen sind (u.a. Eingriff in die elterliche Sorge, Sorgerechts- und Umgangsregelungen nach Trennung der Eltern, freiheitsentziehende Unterbringung eines Kindes). Im Interesse des vertretenen Kindes sollte der Verfahrenspfleger mit den gerichtlichen Verfahrensabläufen sowie mit den vom Gericht für seine Entscheidung zu prüfenden Rechtsgrundlagen vertraut sein. Der Leitfaden soll in die kindbezogenen materiellrechtlichen Fragen und das Verfahrensrecht einführen und die Rollenfindung des Verfahrenspflegers fördern. Zudem sollen praktische Hinweise die tägliche Arbeit erleichtern.

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Leseprobe
4. Prozessrecht und Prozessverlauf

 

4.1. Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens

 

Ein gerichtliches Verfahren für oder wegen minderjährigen Kindern kann durch einen Antrag eines Elternteils oder/und von Dritten und durch das Gericht von Amts wegen eingeleitet werden.

 

Bei Problemen, welche nicht die elementarsten Grundbedürfnisse von Kindern betreffen, überlässt es das Gesetz den Beteiligten, sich über kindbezogene Belange zu verständigen. Gelingt keine Einigung kann ein Beteiligter durch einen Antrag eine gerichtliche Klärung erreichen.

 

Bei einer eingetretenen oder drohenden Gefahr für das kindlichen Wohl zwingt der Gesetzgeber die Gerichte zur selbständigen Wahrnehmung des Wächteramtes für minderjährige Kinder.

 

4.1.1. Antragsverfahren

 

Zur Einleitung folgender Verfahren ist ein Antrag erforderlich:

 

Herausgabe eines Kindes (§ 1632 III BGB)

 

Sorgerechtsregelung bei Getrenntleben der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern (§ 1671 BGB)

 

Sorgerechtsregelung bei Getrenntleben der Eltern bei alleinigem Sorgerecht der Mutter (§ 1672 BGB)

 

Der Antragsteller kann in der Regel auch über die Rücknahme oder die Erledigung des Antrages entscheiden.

 

Im Übrigen gelten für das Familiengerichtsverfahren für und über minderjährige Kinder –unabhängig vom Antrags- oder Amtsverfahren- die im folgenden dargestellten Verfahrensgrundsätze, insbesondere der Amtsermittlungsgrundsatz. Das Gericht hat die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen (§ 12 FGG) und geeignet erscheinende Beweise zu erheben, § 15 FGG.

 

4.1.2. Von Amts wegen eingeleitete Verfahren

 

Erhält das Familiengericht Informationen über Verhaltensweisen oder Umstände, die auf eine Gefährdung des Wohles eines Kindes hindeuten, muss es von Amts wegen ein Verfahren einleiten. Am häufigsten werden Gerichte von Amts wegen aufgrund einer Kindeswohlgefährdung tätig.

 

Das Gericht hat wie bei einem Antragsverfahren die erforderlichen Ermittlungen vornehmen und geeignet erscheinende Beweise zu erheben (§ 12 FGG) und die für notwendig erachteten Schutzmassnahmen für das Kind treffen.

 

4.2. Gerichtliche Ermittlungen

 

Bei der Ermittlung des Sachverhaltes ist das Gericht nicht auf die Beweismittel beschränkt, die einer Partei in einen Zivilprozess zum Beweis des von ihr behaupteten Sachverhaltes zur Verfügung stehen (Beweismittel nach der Zivilprozessordnung: Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Parteivernehmung). Das Gericht kann vielmehr seine Ermittlungen in jeder nur denkbaren und möglichen Form durchführen und z.B. telefonische, schriftliche Auskünfte einholen und selbst privates Wissen einbringen und verwerten. Vor einer Entscheidung müssen die betroffenen Eltern und die weiteren Verfahrensbeteiligten (z.B. Verfahrenspfleger, Jugendamt, Kind, Eltern, Pflegeeltern) jedoch über den Sachverhalt informiert werden, den der Richter seiner Entscheidung zugrunde legt (Gebot des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG) und die Beteiligten müssen Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 

4.3. Bestellung eines Verfahrenspflegers

 

Das Gericht hat auch in jedem Stadium des Verfahrens die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das betroffene minderjährige Kind zu prüfen, § 50 FGG. Bei einer Mitteilung oder einem Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung mit der erkennbaren Notwendigkeit der Erörterung einer zukünftigen Fremdbetreuung des Kindes müsste die Bestellung eines Verfahrenspflegers sofort erfolgen.

 

4.4. Anhörungspflichten des Gerichtes

 

4.4.1. Anhörung der sorgeberechtigten Eltern (§ 50 a I FGG)

 

Die sorgeberechtigten Eltern sind in einem Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge eines Kindes betrifft, vom Gericht grundsätzlich anzuhören. In Angelegenheiten der Personensorge soll das Gericht die Eltern in der Regel persönlich anhören. In einem Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind die Eltern stets persönlich anzuhören, um mit ihnen zu klären, wie die Gefährdung des Kindeswohls abgewendet werden kann.

 

Von der Anhörung der Eltern darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden, § 50 a III Satz 1 FGG. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über den Zeitpunkt der Anhörung der Eltern. Den Eltern sollte vor einer Anhörung Gelegenheit zur Besprechung mit ihren Rechtsanwälten und für Gespräche mit dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes gelassen werden.

 

Zur Durchsetzung dieser Anhörung der Eltern kann das Gericht das persönliche Erscheinen von Vater und Mutter anordnen. Sollte der Vater und / oder die Mutter zum festgesetzten Termin ihrer Anhörung nicht erscheinen, kann der Richter Zwangsmaßnahmen ergreifen und diese vollstrecken (§ 33 FGG: Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld bis 25.000,- EUR, auch wiederholt).

 

Die Anhörung der Eltern erfolgt regelmäßig in der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit der weiteren Prozessbeteiligten (Rechtsanwälte des Vaters und der Mutter, des Verfahrenspflegers, des Vertreters des Jugendamtes, soweit dieser an der mündlichen Verhandlung teilnimmt). Abweichende Vorgehensweisen sind rechtlich zulässig und bei bestimmten Rahmenbedingungen (Gewaltgefährdung, Verfeindung der Eltern) auch geboten. Das Ergebnis der in Abwesenheit der weiteren Verfahrensbeteiligten durchgeführten Anhörung ist allen Verfahrenbeteiligten zur Kenntnis zu bringen (Gebot des rechtlichen Gehörs).

 

4.4.2. Anhörung der nicht sorgeberechtigten Eltern (§ 50a II FGG)

 

Einen Elternteil, dem die Sorge nicht zusteht, hört das Gericht an, es sei denn, dass von der Anhörung eine Aufklärung nicht erwartet werden kann.

 

4.4.3. Anhörung des Kindes , § 50 b FGG

 

Das betroffene Kind ist vor einer Entscheidung durch den Richter persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes oder der persönliche Eindruck vom Kind für die Entscheidung wichtig ist. Es ist kaum ein Fall denkbar, bei welchem die Voraussetzungen nicht vorliegen .Grundsätzlich sind deshalb die betroffenen Kinder vom zuständigen Familienrichter persönlich anzuhören. Ein Kind ist ab seinem 14. Geburtstag stets anzuhören. Von einer Anhörung des betroffenen Kindes (unabhängig vom Alter) darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden, § 50 b III FGG, z.B. wenn das Kind durch die Anhörung in seinem Wohl gefährdet werden könnte. Sieht das Gericht von einer Anhörung ab, muss es die Gründe in seiner Entscheidung darstellen.

 

Vor der Bestimmung des Termins zur Anhörung sollte sich der Richter wegen der Auswirkungen auf die Kinder und ihr Aussageverhalten Gedanken über die Rahmenbedingungen der Anhörung zu machen:

 

Sollen Geschwister gemeinsam oder getrennt angehört werden?

 

sollen die Eltern oder nur der Vater oder die Mutter anwesend sein dürfen?

 

Ist es sinnvoll, die Prozessbevollmächtigte der Eltern und/oder den Verfahrenspfleger zur Anhörung zuzulassen oder müssen sie ausgeschlossen werden?

 

In welchen Räumlichkeiten (Gerichtsaal, Büro des Richters, Kinderzimmer oder Spielplatz, bei den Kindern zu hause u.a.) soll die Anhörung durchgeführt werden?

 

Welcher Elternteil soll das Kind zur Anhörung bringen (Beeinflussung)?

 

Gibt es Gründe, den Eltern und ihren Prozessbevollmächtigten den Termin der Anhörung der Kinder nicht mitzuteilen und die Kinder z.B. in einem vertrauten sozialen Umfeld (Kindergarten, Schule) anzuhören?

 

Zu welchem Zeitpunkt soll die Anhörung der Kinder durchgeführt werden (eigener Termin zur Anhörung der Kinder)?

 

Die Angaben der Kinder sind vom Richter zu protokollieren und den Eltern sowie den weiteren Beteiligten (Jugendamt, Verfahrenspfleger) zur Kenntnis zu bringen (Anspruch auf rechtliches Gehör). Sollte eine Protokollierung oder das Schreiben des Protokolls vor der folgenden mündlichen Verhandlung nicht möglich sein, sind die Beteiligten vorab mündlich zu informieren.

 

4.4.4. Anhörung des Jugendamtes, § 49 a I Nr. 8 FGG

 

Bei einer Gefährdung des Kindeswohles (§ 1666 BGB) hört das Familiengericht vor einer Entscheidung das Jugendamt an.

 

4.4.5. Anhörung weiterer Beteiligter

 

4.5. Mitwirkung des Jugendamtes am gerichtlichen Verfahren

 

Das Jugendamt hat das Familiengericht bei allen Maßnahmen zu unterstützen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen (§ 50 SGB VIII). Das Jugendamt nimmt dabei eine eigenständige Aufgabe wahr und ist nicht nur „Gehilfe“ und „Auftragsempfänger“ des Gerichts. Im Rahmen seiner Mitwirkungsaufgabe hat das Jugendamt das Familiengericht insbesondere

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