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Jim Thompsons: The Killer Inside Me - Ein hard-boiled Spiel

Ein hard-boiled Spiel

AutorMichael Wenzinger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783638616041
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Amerikanistik - Literatur, Note: 6.0 (maximum), Universität Zürich (Englisches Seminar), 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Mit dieser Arbeit möchte ich zeigen, dass Jim Thompson, obschon als hard-boiled Autor rezipiert, virtuos mit den Genremerkmalen des hard-boiled zu spielen versteht und so die Grenzen des Genre für seine Texte zu überwinden oder auszuweiten versteht. Die sich durch dieses Spiel öffnenden Brüche im Text müssen meiner Ansicht nach im Sinne des thompsonschen things are not as they seem gelesen werden, das heisst: Gerade die Tatsache, dass Thompsons Texte mit Attributen des hard-boiled überdeterminiert sind, dass er mit Genremerkmalen und mit daran gekoppelten Lesererwartungen spielt, führt zur Vermutung, dass (zumindest ein guter Teil) thompsonscher Texte nicht mimetisch, sondern tropisch zu lesen sind. Jim Thompsons legendärer Text The Killer Inside Me und einige 'Gegentexte' des 'klassischen' hard-boiled, wie zum Beispiel von Raymond Chandler, Dashiell Hammett, aber auch von Mickey Spillane sollen zeigen, dass Thompson das Gemeinte nicht direkt, sondern durch eine uneigentliche, übertragene Sprache artikuliert. Um meine Thesen zu untermauern, ziehe ich Theoretiker wie Julia Kristeva oder Slavoj Zizek bei; des Weiteren möchte ich Stimmen der Thompson-Forschung zu Wort kommen lassen. Nach einigen terminologischen Bemerkungen werde ich Thompsons Arbeiten und Spielen an verschiedenen Mythen besprechen. Weiter untersuche ich anhand des Figurenrepertoires aus The Killer Inside Me, welche Effekte Thompson durch die von ihm gewählte Erzählperspektive und Figurenkonstellation erzielt. Dies führt zu thematischen Schwerpunkten wie Gewalt,das Bild der Frau und Sexualität. Ein grösserer Teil der Arbeit wird sich anschliessend mit dem Thema der Männlichkeit auseinandersetzen. Ein wichtiges Arbeitsinstrument wird der Vergeich einzelner Motive, Bilder oder Figuren aus The Killer Inside Me mit ihren entsprechenden 'Vorbildern' aus dem 'klassischen' hard-boiled sein. [...]

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Leseprobe

2. Hauptteil


2.1. Jim Thompsons Spiel mit seinen Figuren


  [...] — hell, you’ve probably seen me if you’ve ever been out this way —(Thompson The Killer Inside Me[18], 80) 

Bereits beim ersten Stolpern über den Namen des Protagonisten in The Killer Inside Me wird der Leser stutzig. Die Art und Weise, wie dem Leser der Name Lou Fordin einem der ersten Abschnitte des Texts richtiggehend aufgedrängt wird - obschon der Verlauf des Texts dessen Nennung nicht erfordert - weist darauf hin, dass Thompson diesen Namen bewusst gewählt und platziert hat und der Protagonist des Texts auch über seinen Namen an Gestalt gewinnt.

“He’s a different boy now, Lou,” he said, kind of running his words together like foreigners do. “Stays in nights; gets along fine in school. And always he talks about you — what a good man is Deputy Lou Ford.” (TKIM, 3)

Mit dem Namen Ford verbindet sich unser noch gestaltloser Protagonist mit Henry Ford, dem Erfinder der Autoindustrie und einem der Archetypen des mythischen Amerikaners, dessen Name und der Mythos der Tellerwäscherkarriere nicht von einander zu trennen sind. Mark Seltzer bestätigt diesen Befund und bringt zusätzlich ein Haupt-Charakteristikum von Henry Fords Erfolgs-Automobil in den Diskurs ein:

  [...] Ford, the Model-T, mass-reproducible person, the hyper-typical deputy sheriff living in the hyper-typical American place, Central City [...] (Seltzer: 160)

Mit diesem Schachzug prädestiniert Thompson seinen Protagonisten sowohl für den Leser als auch für die übrigen Figuren des Texts und nimmt ihm die Möglichkeit zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit.[19]

 

Diese so mit wenigen mythischen Eckdaten versehene leere Gestalt, „A typical Western-country peace officer, that was me”[20], bietet sich nun als ideale Projektionsfläche an; die wenigen Accessoires, welche Ford durch den Text begleiten, tragen ebenfalls nichts zu einer Individualisierung bei, im Gegenteil:

Sie verstärken den Eindruck, dass Fords Gestalt Spiegelfläche für die unterschiedlichsten Wünsche und Bedürfnisse eines jeden darstellt, der mit ihm in Kontakt kommt.

Turning away from the desk, I looked at myself in the mirrored door of the laboratory. I was still wearing my Stetson, shoved a little to the back of my head. I had on a kind of pinkish shirt and a black bow tie, and the pants of my blue serge suit were hitched up so as to catch on the tops of my Justin boots. Lean and wiry; a mouth that looked all set to drawl. A typical Western-country peace officer, that was me. Maybe friendlier looking than the average. Maybe a little cleaner cut. But on the whole typical. (TKIM, 19)

Gerade der Stetson, seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Cowboy- bzw. Westernhut par excellence, wird im Verlauf des Texts noch weitere Male aufgerufen und verstärkt den Eindruck der Beliebigkeit der Figur Ford als Durchschnittsmenschen, als John Doe.

Seltzer fasst das Wesen Lou Fords wie folgt zusammen:

Ford is then a version of what I have described as the mass in person: the uniform and uniformed individual and the standardized personation of the social law. (Seltzer: 160)

2.2. Unendliches Amerika


Richard B. Schwartz zeigt in seinem Buch Nice and Noir. Contemporary American Crime Fiction, dass hard-boiled crime fiction eng mit dem Begriff Amerika verbunden ist und zieht eine direkte Linie von Nathaniel Hawthorne über Herman Melville und F. Scott Fitzgerald zu den hard-boiled Schriftstellern in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

 

Grundlegend für die weitreichenden Konnotationen und deren Verschiebungen im Laufe von mehr als 200 Jahren weisser amerikanischer Kulturgeschichte ist das Verständnis von Amerika als the Promised Land, als ein religiös aufgeladener Ort, welchen Gott seinem Volk zugewiesen hat und dessen Reinheit und Jungfräulichkeit ganz im Gegensatz zu den Attributen Europas, „the old world, a fallen world”[21], stehen.Dieses versprochene Land ist per definitionem Gegenstand von Wünschen und Träumen der Menschen, die es besiedeln. Schwartz verbindet so den Begriff des Promised Land mit dem des American Dream:

The American dream imagines the country as a second chance for mankind, as an opportunity to throw off the sins and shackles of Europe and embrace individual possibilities as broad as the land itself. (Schwartz: 15)

Amerika, das gottgeschenkte Land, muss vom freien Individuum, das sich von allem hinderlichen, sprich familiären Ballast befreit hat, erobert und unterworfen werden. Dieser stets westwärts gerichtete Drang, unbekanntes Land zu zivilisieren, entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als eine nie endende, um sich selbst kreisende Bewegung. Im Zug dieser Bewegung muss jedes Sich-Niederlassen als Enttäuschung empfunden werden, der nur mit einem neuerlichen Aufbruch begegnet werden kann: Der American Dream beschreibt so ein stetes Anrennen, einen nicht zu erreichenden, nur als Traumprojektion möglichen Zustand.

 

Es ist der mythisch aufgeladene Westen, den Jim Thompson als Setting für einen Grossteil seiner Romane wählt; so auch für The Killer Inside Me. Der Name des Schauplatzes, Central City, der schon auf den ersten Seiten des Textes fällt, liest sich, je weiter man in den Text vordringt, desto ironischer. Die ersten Konnotationen sind aber positiver oder zumindest neutraler Art und nehmen so den Diskurs der mythisch aufgeladenen Pionierstätten auf, die auch in Europa über die unzähligen Wildwest-Filme zu fixen Bildern der ‘Erfolgsgeschichte Amerika’ wurden. Central City ist eine aus dem Boden gestampfte Boom-Town („WATCH US GROW!!”[22] triumphiert eine Werbetafel am Rand der Stadt), versehen mit all jenen Requisiten, die jeden Ort zum typischen Ort des amerikanischen Westens machen: Gerichtsgebäude und Gefängnis; Diner, in dem Eier und Speck serviert werden; einige Bürogebäude; eine staubige Hauptstrasse. Die Clichiertheit und massenmedial geprägte Beliebigkeit wird im Text selber thematisiert:

“Well, it’s a nice view all right. Almost unique. I don’t suppose you’ll find more than forty or fifty thousand billboards like that one in the United States.”
(TKIM, 94)

In Anlehnung an eine Ausführung Slavoj Zizeks zu einem Text von Patricia Highsmith[23] stellt sich Central City dem Leser als Raum dar, der

[...] als eine Art Leinwand für die Projektion von Begehren fungiert: Die faszinierende Präsenz seiner positiven Inhalte dient nichts anderem als dem Ausfüllen dieser Leere. (Zizek Mehr-Geniessen: 18/19)

Die Schilderung des Landes, das Central Cityumgibt, widerspricht jedoch den dem Westen zugeschriebenen Attributen eines land of the free, einer reinen, jungfräulichen und nach den Wünschen und Bedürfnissen seiner Besiedler und Bezwinger formbaren ‘neuen Welt’:

Here in the oil country you see quite a few places like the old Branch house. They were ranch houses or homesteads at one time; but wells were drilled around ’em, right up to their doorsteps sometimes, and everything nearby became a mess of oil and sulphur water and red sun-baked drilling mud. The grease-black grass dies. The creeks and springs disappear. And the oil is gone and the houses stand black and abandoned, lost and lonely-looking behind the pest growths of sunflowers and sage and Johnson grass. (TKIM, 30)

Thompson demontiert in dieser Beschreibung systematisch die Vorstellung des Westens als ein lebendiges, seine Bewohner zu ernähren fähiges Land; statt dessen zeichnet er „[...] the beginnings of a literalized hell on earth [...][24]

 

Das beschriebene Land ist ein verbrauchtes, missbrauchtes, vergewaltigtes Land. Der Text eröffnet an dieser Stelle einen Diskurs von Gewalt und Missbrauch: Der Genuss der Früchte und Schätze der Erde scheint nur in Abhängigkeit oder unter Zuhilfenahme von Gewalt möglich. Wenn später im Text noch einmal explizit von Central City die Rede sein wird, als der Protagonist die bereits erwähnte Werbetafel der Wirtschaftskammer der Stadt betrachtet, hat der Text den Namen des Orts schon längst aus dem Kontext irgendwelcher Pionier-Romantik gelöst und legt seine ironische Substanz offen: Central City, das ist ein leerer Kern, umgeben von totem Land, die Hypertrophie amerikanischer Mythen, die sich zum Albtraum des tüchtigen, erfolgreichen, ländlichen Amerikas verkehren. Die Botschaft der Tafel „Where the hand clasp’s [sic!] a little stronger”[25] nimmt den Diskurs der Gewalt wieder auf, welcher intertextuell an die Szene im zweiten Kapitel anknüpft, in welcher der Körper der Prostituierten Joyce quasi als Vorspiel zum Sexualakt gewalttätig ‘bearbeitet’ wird:

“I’m not going to hurt you. I wouldn’t think of hurting you. I’m just going to beat the ass plumb off of you.” I said it, and I meant it and I damned near did. I jerked the jersey up over her face and tied the end in a knot. I threw her down on the bed, yanked off her sleeping shorts and tied her feet together with them. I took off my belt and raised it over my head...

I don’t know how long it was before I stopped, before I came to my senses. All I knew is that my arm ached like hell and her rear end wasone big bruise [...] (TKIM, 9)

Der Zusammenhang zwischen Gewalt und Genuss wird in der Folge deutlich,...

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