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E-Book

Napoleon

AutorVolker Ullrich
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783644502215
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Napoleon Bonaparte zählt zu den faszinierendsten und zugleich irritierendsten Gestalten der Weltgeschichte. Sein kometenhafter Aufstieg aus dem Nichts zum Herrscher Frankreichs und zum Herrn über Europa, sein ebenso jäher Absturz und das leidvolle Ende auf der Felseninsel St. Helena haben seit je die Phantasie gereizt und die Historiker zu immer neuer Auseinandersetzung herausgefordert. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Dr. Volker Ullrich, geb. 1943, studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie. Er lebt als Historiker und Publizist in Hamburg. Von 1990 bis 2009 betreute er das «Politische Buch» bei der Hamburger Wochenzeitung «DIE ZEIT». Er veröffentlichte unter anderem: «Kriegsalltag. Hamburg im Ersten Weltkrieg» (Köln 1982); «Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871-1918 (Frankfurt a. M. 1997); «Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Beiträge zur Sozialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg» (Bremen 1999); «Der ruhelose Rebell. Karl Plättner 1893-1945. Eine Biographie» (München 2000); «Fünf Schüsse auf Bismarck. Historische Reportagen 1789-1945» (München 2002); «Deutsches Kaiserreich» (Frankfurt a. M. 2006); «Das erhabene Ungeheuer. Napoleon und andere historische Reportagen» (München 2008); «Die deutsche Revolution 1918/19» (München 2009): 'Adolf Hitler. Biographie' (2 Bde, Frankfurt a.M. 2013/2018). In der Reihe «rowohlts monographien» erschien 1998 «Otto von Bismarck» (rm 50602), 2006 «Napoleon» (rm 50646) und 2008 «Der Kreisauer Kreis» (rm 50701).

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Leseprobe

Aufstieg mit Fortune


Gerade erfahre ich Neues aus Paris; es ist höchst erstaunlich und alarmierend […]. Man weiß nicht, wohin das führt, schrieb Napoleon in einem Brief vom 15. Juli 1789[34], nachdem die Kunde vom Sturm auf die Bastille einen Tag zuvor nach Auxonne gedrungen war. Auch die Garnisonsstadt an der Saône blieb von den revolutionären Erschütterungen in der Hauptstadt nicht unberührt. Demonstranten drangen in Amtsräume ein, verwüsteten das Mobiliar und verbrannten Akten. Im August verweigerten Kanoniere von Napoleons Regiment den Gehorsam und verlangten die Herausgabe der Kriegskasse. Dem Sekondeleutnant waren die Anzeichen von Disziplinlosigkeit zuwider, wie er überhaupt gegenüber den Aktionen des peuple, der unteren Schichten des Volkes, stets eine instinktive Abscheu empfand. Auf der anderen Seite begrüßte er lebhaft die Abschaffung der feudalen Privilegien. Es ist ein großer Schritt zum Guten, kommentierte er in einem Brief an seinen Bruder Joseph den historischen Beschluss der Nationalversammlung vom 4. August 1789.[35] Ende August leistete auch sein Artillerieregiment den Eid auf die neue Ordnung.

Das Land, wo man geboren ist, übt einen unsichtbaren Zauber aus; die Erinnerung verschönert es unter allen Formen, selbst bis zum Duft, den man den Sinnen so gegenwärtig glaubt, daß man mit verbundenen Augen den Boden zu erkennen meint, den man als Kind betreten hat.

Napoleon auf St. Helena

Doch nichts hielt Napoleon mehr in Frankreich. Sein künftiges Wirkungsfeld erblickte er auf Korsika, das ihm immer noch als patrie, als sein eigentliches Vaterland, galt. Ende September 1789, nachdem ihm erneut Urlaub gewährt worden war, traf er in Ajaccio ein. Gemeinsam mit seinem Bruder Joseph entfaltete er eine fieberhafte politische Aktivität. Ein patriotischer Klub wurde gegründet, eine Nationalgarde gebildet und in einer Eingabe an die Nationalversammlung die Forderung erhoben, die Korsen in jene Rechte wieder einzusetzen, die die Natur jedem Menschen in seinem Lande verliehen hat.[36]

Freilich dachte Napoleon jetzt nicht mehr an eine völlige Unabhängigkeit Korsikas. In seiner Einstellung zu Frankreich hatte sich seit dem 14. Juli 1789 ein Wandel vollzogen. Hatte er vor der Revolution die Franzosen vor allem als Unterdrücker seiner Landsleute gesehen, so ging er nun von einer Identität der Interessen aus. Diese aufgeklärte, mächtige und edle Nation, erklärte er emphatisch, hat sich ihrer Rechte und ihrer Stärke erinnert: Sie ist frei geworden und hat gewollt, daß auch wir es werden; sie hat uns ihren Schoß geöffnet, und fortan haben wir dieselben Interessen, dieselben Sorgen. Es gibt kein Meer mehr zwischen uns.[37] Stolz trugen Napoleon und seine Anhänger die dreifarbige Kokarde als Unterpfand der Freiheit an ihren Hüten, und an der Casa Buonaparte las man ein Transparent mit der Aufschrift: «Es lebe die Nation, es lebe Paoli, es lebe Mirabeau.»[38]

Ende November 1789 beschloss die Pariser Nationalversammlung, Korsika in das neue Frankreich aufzunehmen und ihm dieselben verfassungsmäßigen Rechte zu geben. Gleichzeitig wurde eine Amnestie für die politischen Flüchtlinge, an der Spitze Pasquale Paoli, ausgesprochen. Der legendäre Freiheitskämpfer kehrte im Juli 1790 nach Korsika zurück, wo man ihm einen triumphalen Empfang bereitete.

Auch die Brüder Buonaparte warben heftig um seine Gunst, doch schon die erste Begegnung Napoleons mit dem Idol seiner Jugendjahre endete mit einer Enttäuschung. Paoli brachte den Söhnen seines einstigen Weggefährten, der sich so wendig auf die Seite der Franzosen geschlagen hatte, von vornherein erhebliches Misstrauen entgegen. Der kalte Empfang tat der Verehrung Napoleons für den Führer der Korsen zunächst keinen Abbruch. Als der konservative Abgeordnete des korsischen Adels, Graf Buttafoco, im Oktober 1790 von der Tribüne der Nationalversammlung aus Paolis selbstherrliche Allüren anprangerte, verteidigte Napoleon in einer Schrift Lettre à Buttafoco wortreich seinen Meister.[39] Paoli allerdings reagierte auf diesen Dienst seines eilfertigen Bewunderers eher unwillig. Die Broschüre des Bruders, ließ er Joseph Buonaparte wissen, «hätte einen größeren Eindruck hinterlassen, wenn er weniger gesagt hätte und weniger parteiisch gewesen wäre».[40]

Bereits im Dezember 1789 hatte sich der französische Militärkommandant von Ajaccio über Napoleon beim Kriegsminister beschwert: «Es wäre besser, wenn dieser Offizier bei seiner Einheit wäre, weil er hier ständig Unruhe im Volk schürt.»[41] Napoleon ließ sich jedoch viel Zeit; erst im Februar 1791, längst nachdem die offizielle Frist seiner Beurlaubung abgelaufen war, kehrte er zu seinem Regiment in Auxonne zurück. Das unentschuldigte Fernbleiben blieb jedoch folgenlos. Viele royalistisch gesinnte Offiziere hatten mittlerweile ihren Dienst quittiert und Frankreich verlassen. So war man im Grunde froh über jeden, der bei der Fahne blieb.

Anfang Juni 1791 wurde Napoleon zum Premierleutnant beim 4. Artillerieregiment in Valence befördert. Hier erfuhr er vom gescheiterten Fluchtversuch Ludwigs XVI. und seiner Familie in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni – ein Ereignis, das dem Ansehen der Monarchie schweren Schaden zufügte. Auch Napoleon gab sich nun offen als Republikaner zu erkennen. Er engagierte sich, sehr zum Ärger mancher seiner Offizierskollegen, in der «Gesellschaft der Freunde der Verfassung», dem Jakobinerklub am Ort, und er beteiligte sich an einem Aufsatzwettbewerb, den die Akademie von Lyon ausgeschrieben hatte. Das Thema lautete: «Welche Wahrheiten und Empfindungen sind den Menschen einzuprägen, um sie glücklich zu machen.» Als Preisgeld winkten 3000 Livres, die der Leutnant, der sie gut hätte gebrauchen können, allerdings nicht bekam.

Napoleon hat sich, als er Kaiser geworden war, von dieser Schrift distanziert, weil sie voll republikanischer Ideen gewesen sei und einen überspannten Drang nach Freiheit erkennen lasse – angeblich hat er sogar das Manuskript, als Außenminister Talleyrand es ihm eines Tages überreichte, ins Kaminfeuer geworfen.[42] Tatsächlich war die vierzigseitige Abhandlung eine etwas wirre Mixtur all dessen, was er sich im Laufe seiner jungen Jahre an fortschrittlichen Gedanken angelesen hatte. Vor allem war sie eine Verbeugung vor Rousseau, dem wichtigsten Stichwortgeber: O, Rousseau, warum hast du nur sechzig Jahre lang gelebt? Im Interesse der Tugend hättest du unsterblich sein sollen.[43]

Im Oktober 1791 war Napoleon bereits wieder auf Korsika. Die Entfremdung zwischen ihm und Paoli zeigte sich nun deutlicher, und sie hatte nicht nur persönliche, sondern auch sachliche Gründe. Durch die Partei der Paolisten zog sich ein immer breiterer Riss: Während die einen, unter ihnen der Clan der Buonapartes, eine enge Anbindung Korsikas an Frankreich befürworteten, suchten die anderen, allen voran Paoli selbst, ein höheres Maß an Unabhängigkeit zu bewahren. Napoleon strebte im Kampf um die Macht eine führende Position in einem Freiwilligen-Bataillon an, und er bediente sich dabei ebenso machiavellistischer Mittel wie seine Kontrahenten. Während der Ostertage 1792 brachen in Ajaccio blutige Unruhen zwischen Katholiken und Republikanern aus, in die auch Napoleons Verband verwickelt war. Eine Flut von Klagen über das ungesetzliche Vorgehen des Leutnants erreichte das Pariser Kriegsministerium.

Ohnehin war bei seinen Vorgesetzten die Geduld erschöpft. Zu Beginn des Jahres 1792 wurde er wegen wiederholten Überschreitens seines Urlaubs aus der Stammrolle der Armee gestrichen. Im Mai brach Napoleon nach Paris auf, um sich zu rechtfertigen. Und er erreichte nicht nur seine Wiederaufnahme, sondern wurde sogar zum Hauptmann befördert. Jeder tüchtige Offzier wurde gebraucht, denn inzwischen befand sich das revolutionäre Frankreich im Krieg mit den konservativen europäischen Mächten Österreich und Preußen, der zunächst eine ungünstige Wendung zu nehmen schien. Zugleich beschleunigte sich die Radikalisierung im Innern; im Lager der Revolutionäre spitzten sich die Gegensätze zu: zwischen den gemäßigten Girondisten (so benannt nach der Herkunft einiger ihrer führenden Vertreter aus dem Departement Gironde in Südwestfrankreich) und den Anhängern der «Bergpartei», den radikalen Jakobinern um Maximilien de Robespierre, die, gestützt auf die besitzlosen Unterschichten, die Sansculotterie, die Ideen der Volkssouveränität und Gleichheit nun in die Tat umsetzen wollten. Die Jakobiner gebärdeten sich wie die Narren, ohne gesunden Menschenverstand, schrieb Napoleon an seinen Bruder Joseph[44], nachdem am 20. Juni 1792, dem Jahrestag des Ballhausschwurs, bewaffnetes Pariser Volk in die Tuilerien eingedrungen war und Ludwig XVI. gezwungen hatte, die Jakobinermütze aufzusetzen und mit ihm zu trinken.

Napoleon war auch Augenzeuge des zweiten Sturms auf die Tuilerien am 10. August 1792, in dessen Verlauf fast alle Angehörigen der Schweizer Garde, die das Schloss verteidigte, getötet wurden. Noch auf Sankt Helena hat...

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