2 Frühe historische Aspekte vom Umgang mit Irren
Aufgrund der fehlenden Aufzeichnungen lässt es sich schwer rekonstruieren, wie man in der Urzeit und den frühen Hochkulturen mit psychisch Kranken umgegangen ist. In der Urzeit, bei den Naturvölkern, gab es noch keine Psychiatrie. Von einer Wissenschaft, welche sich mit Geisteskrankheiten beschäftigt, fehlt deshalb noch jede Spur.[9]
2.1 Urzeit
Trotzdem kann man davon ausgehen, dass psychische Krankheiten bereits in der Urzeit vorgekommen sind. Allerdings haben die Naturvölker, die so genannten Primitiven, noch nicht zwischen psychischen und physischen Krankheiten unterschieden.[10] Übernatürliche Kräfte wie böse Geister, aber auch Götter, Zauberer und Hexen galten als Krankheit auslösend.[11] Medizinmänner, Schamanen und Priester hatten die Rolle eines Arztes inne.[12] „Der Schamane (...) wurde zur Krankheits-austreibung offiziell ‚beauftragt’; er war Akteur zeremonieller Handlungen und Psychotherapeut im weitesten Sinne insofern, als er - sich selbst mit Rauschmitteln und Trommeln in Ekstase versetzend, um den Dämonen angemessen entgegentreten zu können - den Kranken (...) suggestiv zu beeinflussen suchte“.[13] Dies geschah mittels Zauberformeln, Gesängen, Tänzen, Drogen, Opfergaben und Geister-beschwörungen.[14]
Der Steinzeitmensch schlug ein Loch in den Kopf des Kranken, in der Annahme dass so der Krankheit verursachende böse Geist aus dem Körper entweichen kann.[15] Als belegt gelten rituelle Schädelkulte, welche schon von den Neandertalern ausgeübt wurden. Seit es den Menschen gibt, existieren religiöse, magische Handlungen und Spiritualität. Aber wie genau man in der Urzeit mit Geisteskranken umgegangen ist, welchen Stellenwert sie in der Gemeinschaft hatten, bleibt unklar. Anzunehmen ist, dass Geisteskranke im Überlebenskampf bei Nahrungsmittelknappheit ausgestoßen wurden, um das Überleben der restlichen Stammesmitglieder zu sichern. Sehr gut möglich aber auch, dass sie verehrt wurden, weil sie etwas Besonderes darstellten.[16]
2.2 Frühe Hochkulturen
Je nach Kultur und religiösem Hintergrund hatten die Völker ihre eigenen Ansichten darüber, welche Dämonen existieren, wann sie wirken und welche Krankheiten sie auslösen. Im Erkrankungsfall versuchte man, ähnlich wie bereits in der Urzeit, den dafür verantwortlichen Dämon zum Verlassen des Körpers zu überzeugen. Durch Musik und Schlaf versuchte man dem Dämon gut zuzureden, ihn zu besänftigen. Man glaubte auch daran, dass ein Verjagen böser Geister mittels Lärm, Schock und Flüssigkeitszufuhr möglich sei. Oder dass diese von guten Geistern verjagt werden konnten (die man zuvor erst einmal durch Gebet und Opfergaben um Hilfe anrufen musste).
Es ist überliefert, dass bereits frühe Hochkulturen über die Ursachen psychischer Beeinträchtigungen nachgedacht haben. Mit unterschiedlichen Methoden versuchte man eine Heilung herbei zu führen Von einer systematischen psychologischen Erforschung der psychischen Erkrankungen kann man allerdings noch nicht sprechen.[17] Ägypter und Babylonier haben bereits 2000 v. Chr. Symptome verschiedener Krankheiten beschrieben. Auch sie glaubten, dass übernatürliche bzw. göttliche Kräfte für psychische Krankheiten verantwortlich seien.[18] Schutzpatrone wurden angerufen[19] und böse Geister mittels Ritualen vertrieben. Der von einem bösen Geist Besessene galt als ansteckend und unrein. Um nicht selber krank zu werden trug man Amulette, zum Schutz vor dem bösen Blick, Mund bzw. Finger. Therapiert wurde mit so genannten Entsprechungszaubern, im Glauben, dass dadurch die Krankheit von einem Menschen auf ein Tier übertragen wird und so eine Heilung möglich sei.
Die Hebräer hielten in der Niederschrift des Alten Testamentes auch Krankheiten fest. Ihrer Überzeugung nach bringt die Sünde Krankheit und Tod in die Welt. Das Gebet, Fasten und Befolgen der hygienischen Vorschriften hätte dagegen eine heilende Wirkung.[20] Wahnsinn galt bei den Hebräern als Strafe Gottes, denn schon Gott sprach zum Volke Israel:
„Wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und tust, was in seinen Augen gut ist, wenn du seinen Geboten gehorchst und auf alle seine Gesetze achtest, werde ich dir keine der Krankheiten schicken, die ich den Ägyptern geschickt habe. Denn ich bin der Herr, dein Arzt“.[21]
Die Hebräer glaubten also, dass alle Krankheiten dem Menschen von Gott auferlegt wurden und dass nur Gott allein diese wieder zum Verschwinden bringen kann.
2.3 Antike
Die Geschichte der Psychiatrie fängt eigentlich erst mit der Antike an. Mit den Griechen beginnt die Wissenschaft der Medizin und somit auch der Psychiatrie.[22] Sie nahmen als erste an, dass seelische Erkrankungen natürliche Ursachen haben müssten. Der übernatürliche Charakter von Geisteskrankheiten wurde zum ersten Mal überwunden, aus dem dämonologischen Ansatz wurde ein somatologischer. Mit seiner Viersäftetheorie war Hippokrates dabei der dominierende Arzt. Ihm zufolge beruhen alle Krankheiten auf einem Ungleichgewicht der im Körper vorkommenden vier Säfte: Gelbe und schwarze Galle, Schleim und Blut. Der Grundstein, dass psychische Probleme durch gestörte körperliche Vorgänge hervorgerufen werden, war somit gelegt.[23]
Daraufhin konnten sich weitere Theorien entwickeln, wie z. B. dass die Wanderung der Gebärmutter im Körper der Auslöser von Hysterie sei. Oder dass Krankheit von einer zu starken Zusammenziehung bzw. Erschlaffung des Gewebes abgeleitet werden kann; ersteres hätte Manie, zweiteres Depression zur Folge. Als Sitz der Geisteskrankheit galt das Gehirn. So verschieden die Theorien über den Ursprung von Krankheiten waren, so verschieden waren auch die Therapievorschläge. Platon propagierte Diät und Gymnastik gegen Krankheiten, Aristoteles gab den Ratschlag angestaute Leidenschaft durch Musik abzureagieren, empfehlenswert war aber auch Isolation, Ölumschläge, Aderlass, Schaukeln, Massagen, Spaziergänge, Lesen, Gespräche und Schachspielen. Kaltes frisches Wasser und Opium als Medikament wurde genauso wertgeschätzt, wie Traumdeutung und Inkubationsriten.[24]
Dem Heilgott Asklepios waren Wallfahrtstätten, eine Mischung zwischen Kirche und Spital, gewidmet. Sehr viele Kranke suchten dort Heilung. Als Therapie wurde dort Tempelschlaf angewendet. Dem betenden und badenden Kranken erschien in der Nacht der Heilgott um ihn zu heilen. Der Aufenthalt an einem prächtigen Ort, die Erfolg versprechenden Riten, das hoffnungsvolle Warten und letztendlich die Entspannung in Kombination mit Gerüchten über bereits erfolgte Heilungen dürften zur Beliebtheit dieser Wallfahrtstätten geführt haben.[25]
Die Römer führten psychische Probleme auf ein verzerrtes Denken und Wahrnehmen zurück, verursacht durch Ärger, Angst und Neid. Eine Heilung sei nur mit Hilfe eines Therapeuten möglich, denn der Mensch sei aufgrund übermäßiger Eigenliebe nicht in der Lage sich selbst zu heilen.[26] Celsus empfahl Schock, Furcht und Schmerz als heilsame Behandlungsmethoden, weil sie sich positiv auf den Geist, die Seele und die Gemütslage auswirken würden.[27] Soranus bevorzugte dagegen eine ganzheitliche und schonungsvollere Behandlung: Fasten, Aderlass, gute Ernährung, Spaziergänge sowie geistige Beschäftigung. In dieser Zeit galten Hirnerkrankungen in der Regel als unheilbar. Aus diesem Grund hätte ein Arzt auch moralisch das Recht eine Behandlung dieses Patientenkreises abzulehnen.[28]
2.4 Mittelalter
Als eine großartige medizinische Erfindung des Mittelalters gelten die Spitäler. Ansonsten ist auf dem Gebiet der Psychiatrie während dieser Zeit wenig Positives und Fortschrittliches passiert. Im Gegenteil, das Wenige, das die Griechen wussten, ging verloren. Nur noch Vereinzelte, wie z. B. Temkin, hielten an der griechisch-psychiatrischen Tradition, dem somatologischen Ansatz, fest. Vielmehr fiel die Psychiatrie auf frühere Kulturstufen zurück und der dämonologische Ansatz breitete sich wieder aus.[29]
2.4.1 Spitalgründungen im frühen Islam
Die Wissenschaft und Medizin wurde im Mittelalter von den Religionen dominiert. Im arabischen Raum entstanden unter dem Einfluss des Islam die ersten Spitäler. Geisteskrankenabteilungen wurden in Bagdad im 8. Jahrhundert, in Kairo im 9. Jahrhundert errichtet. Die Moslems standen den Geisteskranken recht wohlwollend gegenüber.[30] Diese Einstellung hängt mit dem frühen Islam zusammen. Dieser kennzeichnete sich auf dem medizinischen Gebiet durch Toleranz, Mitleid und Krankenpflege aus. Die Geisteserkrankungen wurden im islamischen Konzept zu einem wichtigen Thema.[31] „Mohammed, der möglicherweise selbst an Epilepsie litt, gab Anweisung, die Geistesgestörten - im Koran als ‚Gottesgesandte’ bezeichnet - freundlich aufzunehmen, zu ernähren, zu pflegen und geduldig...