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E-Book

Frühe Bildung

Lernförderung im Elementarbereich

AutorAndreas Gold, Minja Dubowy
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783170239067
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
In der bildungspolitischen Diskussion spielen Maßnahmen der außerfamilialen frühen Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern eine gewichtige Rolle. Auf der Grundlage empirischer Befunde leistet das Buch einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. Behandelt werden die wichtigsten elementarpädagogischen Konzepte und Maßnahmen für Kinder im Vorschulalter. Spezifische Förderprogramme für verschiedene Entwicklungsbereiche werden exemplarisch beschrieben - vor allem zur Sprachförderung, zur Förderung früher mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen und zur Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung. Empirische Befunde zu den Auswirkungen früher Bildung auf die Entwicklung der Kinder werden zusammenfassend dargestellt.

Dr. Andreas Gold ist Professor für Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt/M. Dr. Minja Dubowy ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.

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Leseprobe

2          Entwicklung und Lernen in der frühen Kindheit


In diesem Buch geht es um Bildungsprozesse und um deren Förderung im Kleinkind- und im frühen Kindesalter, also bei Kindern bis zum Alter von etwa sechs Jahren. Um die Ausführungen zu Zielen und Inhalten früher Bildung und zu den konkreten Fördermaßnahmen besser verstehen und einordnen zu können, sind Kenntnisse über die typischerweise in diesem Altersbereich ablaufenden Entwicklungsprozesse in den zentralen Bereichen der kindlichen Entwicklung hilfreich, wenn nicht sogar notwendig. Nicht ohne Grund wird in den letzten Jahren eine stärkere Behandlung entwicklungspsychologischer Themen in der Ausbildung von Erzieherinnen2 gefordert. Der dahinter stehende Gedanke ist einfach: Wer weiß, wie sich das Denken und die Sprache von Kindern, ihre Emotionalität und ihr Sozialverhalten im Normalfall entwickeln und wann Kinder üblicherweise bestimmte Kompetenzen erwerben, der wird eher in der Lage sein, ihnen in der pädagogischen Arbeit kindgerecht zu begegnen und entwicklungsadäquate Lerngelegenheiten anzubieten. Auch das Erkennen von Auffälligkeiten kindlichen Verhaltens fällt leichter, wenn Kenntnisse über die alterstypischen Entwicklungsverläufe und über mögliche Verzögerungen oder Störungen der Entwicklung vorhanden sind.

Im Folgenden werden wir einen kurzen Exkurs in die Entwicklungspsychologie des frühen Kindesalters unternehmen, um die typischen Entwicklungsverläufe sowie die wichtigsten theoretischen Ansätze in den für die frühe Bildung besonders relevanten Funktionsbereichen darzustellen. Für eine ausführlichere Erörterung sei auf die Ausführungen in den einschlägigen Lehrbüchern der Entwicklungspsychologie (z. B. Schneider & Lindenberger, 2012; Hasselhorn & Schneider, 2007) verwiesen. Wir betrachten dabei nur die für die frühe Bildung zentralen Inhaltsbereiche der kognitiven Entwicklung, der Sprachentwicklung und der sozial-emotionalen Entwicklung. Auch in anderen Funktionsbereichen, wie der Motorik oder der Wahrnehmung, kommt es in der frühen Kindheit natürlich zu bedeutsamen Entwicklungsprozessen.

Kinder entwickeln sich in den ersten sechs Lebensjahren auf vielfältige, rasante und tiefgreifende Weise. Manche Veränderungen sind schon auf den ersten Blick sichtbar: Mit sechs Jahren sind die Kinder im Schnitt doppelt so groß und fünfmal so schwer wie mit einem Jahr. Sie haben zwischenzeitlich Laufen, Sprechen, zur Toilette Gehen und vieles mehr gelernt. Einige können schon in Ansätzen lesen, schreiben oder rechnen. Psychische Veränderungen manifestieren sich mehr oder weniger offensichtlich im Verhalten der Kinder. Im Folgenden werden wir zunächst auf die kognitive Entwicklung, dann auf die Sprachentwicklung und anschließend auf die Entwicklung des Sozialverhaltens und der Emotionalität im frühen Kindesalter eingehen.

Fokus: Entwicklung, Sozialisation, Erziehung und Lernen

Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit den Veränderungen und Konstanzen der psychischen Entwicklung von Menschen. Entwicklungstheorien thematisieren die Mechanismen und Ursachen dieser Veränderungen. Vor allem im Hinblick auf die jeweils zugeschriebene Bedeutsamkeit von Anlage (Reifung) und Umwelt (Lernen) unterscheiden sich diese Theorien voneinander.

Individuelle Entwicklung und Sozialisation sind eng miteinander verknüpft. Als Sozialisation bezeichnet man das Hineinwachsen in eine Gesellschaft, also die Genese der Persönlichkeit in Abhängigkeit von sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen. Die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung von Kindern wäre ohne eine Bezugnahme auf die Normen und Wertvorstellungen einer Gesellschaft und ohne eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen und -agenten, die solche Normen und Werte vermitteln, nur unzureichend beschrieben. Maßnahmen der Erziehung spielen bei den kindlichen Sozialisations- und Entwicklungsprozessen eine wichtige Rolle. Erziehungshandeln ist eine (meist) bewusste und absichtsvolle Form der Einflussnahme auf Andere, um Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse zu befördern.

Als Lernen bezeichnet man erfahrungsbedingte Veränderungen des Verhaltenspotenzials eines Menschen. Entwicklungsveränderungen, die allein oder überwiegend auf Reifungsprozesse zurückgehen (z. B. die Entwicklung der Fähigkeit zur Tiefenwahrnehmung) bezeichnet man nicht als Lernen. Meist sind aber Lern- und Entwicklungsprozesse sehr eng miteinander verwoben. Damit Entwicklung stattfinden kann, muss es Lerngelegenheiten (Umwelt) geben, die erfahrungsgesteuerte Lernprozesse möglich machen. Damit gelernt werden kann, müssen aber auch die notwendigen Entwicklungsvoraussetzungen (Anlage und Reifung) vorhanden sein. Die alte Anlage-Umwelt-Dichotomie im Sinne eines Entweder-Oder ist schon lange überholt. Vielmehr ist in der aktuellen Entwicklungspsychologie die Auffassung vorherrschend, dass beide Einflussfaktoren und zugleich die Selbstgestaltungskräfte eines Individuums an den Entwicklungsprozessen und an ihren Ergebnissen ursächlich beteiligt sind.

Auf zwei grundlegende und eigentlich selbstverständliche Tatsachen ist vorab hinzuweisen. Zum einen darauf, dass es sich bei den nachfolgend beschriebenen Entwicklungsverläufen stets nur um typische, also üblicherweise so verlaufende Entwicklungsprozesse handelt. In der Realität können diese Prozesse einen sehr variablen Verlauf nehmen. Altersangaben, die ein »typisches« Erreichen bestimmter Kompetenzstufen (beispielsweise bei der Sprachentwicklung) kennzeichnen, sind deshalb immer nur Durchschnittswerte, die das Ausmaß der natürlichen Variabilität individueller Entwicklungsverläufe nicht sichtbar werden lassen. Zum anderen sind in frühen Bildungseinrichtungen stets auch Kinder anzutreffen, deren Entwicklungsverläufe aus ganz unterschiedlichen Gründen – seien es ungünstige familiale oder soziale Bedingungen ihres Aufwachsens, seien es Dysfunktionen in einzelnen Funktionsbereichen – von dem hier geschilderten »normalen« Verlauf abweichen und verzögert oder beeinträchtigt sind. Im pädagogischen Alltag einer vorschulischen Einrichtung bedürfen solche Kinder der besonderen Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Erzieherinnen.

2.1       Kognitive Entwicklung


Kindliche Äußerungen und Handlungen lassen sich leichter verstehen, wenn man etwas über den kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes weiß, also darüber, wie Kinder einer Altersstufe üblicherweise denken und schlussfolgern und wie sie Informationen verarbeiten. Auch das kindliche Spiel- und Interaktionsverhalten erschließt sich besser, wenn man weiß, wie Kinder ihre Umwelt eigentlich wahrnehmen und interpretieren. Grundlegende Kenntnisse der kognitiven Entwicklung sind also für den Umgang mit kleinen Kindern im Prinzip unerlässlich. Moderne Entwicklungstheorien, die sich auf das Denken und den Wissenserwerb beziehen, sehen die individuelle Entwicklung als Zusammenspiel der Entfaltung genetisch programmierter (endogener) Anlagen mit von der Umwelt bereitgestellten (exogenen) Lernanregungen. Viele einflussreiche Ansätze heben zusätzlich die Bedeutsamkeit der Eigenaktivität des sich entwickelnden Individuums hervor. Zu diesen Theorien gehören z. B. die Stufentheorie von Jean Piaget und die sozio-konstruktivistische Theorie von Lev Wygotski, die im Folgenden dargestellt werden. Nicht eigens eingehen können wir an dieser Stelle auf die kognitionspsychologischen Entwicklungstheorien der Informationsverarbeitung, die sich mit den altersabhängigen Veränderungen kognitiver Prozesse und Strukturen befassen (zusammenfassend: Miller, 1993; Sodian, 2012).

Die Stufentheorie von Piaget


Die Stufentheorie des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget (1896–1980) gilt als Klassiker unter den kognitiven Entwicklungstheorien. Auch wenn wir heute wissen, dass junge Kinder wesentlich kompetenter sind als von Piaget angenommen, ist sein Verdienst für die Entwicklungspsychologie weithin unbestritten (Piaget, 1936/1973, 1926/2010; zur Einführung: Miller, 1993; Sodian, 2012, zur Vertiefung: Ginsburg & Opper, 2004). Der Theorie Piagets liegt ein konstruktivistisches Verständnis von Lernen und Entwicklung zugrunde: Lernen und Entwicklung finden statt, indem sich ein Kind aktiv mit seiner gegenständlichen und sozialen Umwelt auseinandersetzt, d.h. das Kind konstruiert sich sein Wissen durch eigenes Handeln. Die meisten heute verbreiteten elementarpädagogischen Ansätze berufen sich auf diese Grundannahme Piagets ( Kap. 5).

Für die Denkentwicklung postuliert Piaget eine invariante Abfolge qualitativ unterschiedlicher Stadien oder Stufen, die universell gültig sein soll. In jedem dieser Stadien erwirbt das Kind spezifische Denkstrukturen, die beim Übergang in ein neues Stadium nicht nur erweitert, sondern qualitativ neu strukturiert werden. Zentral sind dabei die...

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