3 Analyse bisheriger Ökobilanzierungen von E-Books
Aus der Betrachtung der theoretischen Grundlagen ist erkennbar, dass Ökobilanzen komplex und dadurch schwierig in der Ausgestaltung sein können. Sie enthalten hohe Fehlerpotenziale, aufgrund derer sie möglicherweise in den betreffenden Fachkreisen nicht anerkannt werden. Dies zeigt sich auch darin, dass die beiden bekannten Bilanzierungsversuche von Moberg, Borggren und Finnveden bzw. vom Öko-Institut Freiburg in der Buchbranche bisher kaum Beachtung gefunden haben. Um Verbesserungsmöglichkeiten für zukünftige Ökobilanzen abzuleiten, ist eine kritische Analyse dieser Versuche unabkömmlich.
3.1 Moberg, Borggren und Finnveden: Books from an environmental perspective
Clara Borggren und Åsa Moberg untersuchten 2009 die Umweltauswirkungen von Buch und E-Book in Schweden.[86] 2011 erschienen zwei Berichte im International Journal of Life Cycle Assessment[87], die für die folgende Untersuchung herangezogen werden. Im ersten Schritt wurden die Umweltauswirkungen gedruckter literarischer Bücher untersucht, um die Hauptaspekte zu definieren, die für den Großteil der Auswirkungen verantwortlich sind. Außerdem sollten die Unterschiede zwischen traditionellem Buchhandel und Internethandel herausgefunden werden.[88] Im zweiten Teil der Untersuchung sollten Auswirkungen und Schlüsselfaktoren bei E-Books, die auf E-Readern gelesen werden, identifiziert werden, um dies anschließend mit dem gedruckten Buch zu vergleichen.[89]
Die funktionelle Einheit wurde definiert als „one book bought and read by one person“[90]. Dem untersuchten Buch wurden Durchschnittseigenschaften zugewiesen[91]; anschließend wurde es anhand seines Lebensweges untersucht. In der Tabelle A6 in Anhang 6 ist zusammengefasst, welche Aspekte sowohl bei Buch als auch bei E-Book berücksichtigt wurden. In einigen Fällen führten Moberg, Borggren und Finnveden Sensitivitätsanalysen durch, um verschiedene Papiersorten[92] oder Distributionswege[93] zu vergleichen. Bei der Untersuchung gedruckter Bücher wurde die Papierherstellung als eine der Phasen identifiziert, die die größten Umweltauswirkungen besitzt.[94] Außerdem können Distributionsart und Lesegewohnheit die Ergebnisse stark beeinflussen.[95] Bei der Untersuchung der E-Books wurde zur Vergleichbarkeit die entsprechende digitale Version (1,5 MB PDF-Datei) des bereits untersuchten gedruckten Buches herangezogen.[96] Für die Nutzung des E-Books wurde angenommen, dass es auf einem E-Reader mit E-Ink-Display gelesen wird, dessen Produktion und Vertrieb ebenfalls in die Betrachtung miteingeflossen sind.[97] Das Ergebnis dieser Untersuchung zeigt, dass die größte Umweltverschmutzung durch die Produktion des E-Readers geschieht.[98] Bei dem Vergleich von Buch und E-Book kommt die Studie zu dem Schluss, dass beide Varianten ihre Vor- und Nachteile haben.[99] So ist das E-Book zu bevorzugen, wenn man Aspekte wie die genutzten Ressourcen, globale Erwärmung und Eutrophierung betrachtet. Bei den Aspekten Abbau der Ozonschicht, Versauerung und Süßwasser-Ökotoxizität ist das gedruckte Buch dem E-Book vorzuziehen.[100] Die Umweltbeeinflussung des E-Books hängt jedoch stark vom Gebrauch des E-Readers ab.[101] Insgesamt kommen Moberg, Borggren und Finnveden bei der Mehrheit der Wirkungskategorien zu einem Break-Even von ungefähr 30 Büchern. Nur bei einer größeren Menge an Titeln sei die Nutzung von E-Books ökologisch gerechtfertigt.[102]
3.2 Öko-Institut Freiburg: PROSA E-Book-Reader
Das Öko-Institut in Freiburg entwickelte im Rahmen des Projektes Top 100 - Umweltzeichen für klimarelevante Produkte Vergabekriterien für ein klimaschutzbezogenes Umweltzeichen für E-Reader.[103] In diesem Zusammenhang wurde eine Ökobilanz durchgeführt, um die Umweltauswirkungen des Produktes abzuschätzen. Die berücksichtigten Aspekte sind in der Tabelle A7 in Anhang 7 aufgelistet. Die FE wurde hierbei definiert als „die jährliche Nutzung eines E-Readers durch eine Privatperson“[104]. Anschließend wurden die Phasen Herstellung, Distribution, Nutzung über ein Jahr und Entsorgung untersucht. Dabei wurden teilweise Daten von Moberg, Borggren und Finnveden übernommen.[105] Das Öko-Institut kommt gleichermaßen zu dem Ergebnis, dass die Herstellungsphase eines E-Readers die Umwelt am stärksten beeinflusst.[106] Um die Ergebnisse besser einordnen zu können, wurden die Umweltauswirkungen gedruckter Bücher, insbesondere durch Herstellung und Druck, für einen Vergleich erfasst.[107] Das Öko-Institut setzte hierbei zehn gelesene Bücher pro Jahr als Durchschnitt fest und berechnete die Umweltauswirkungen der Herstellung von diesen zehn Büchern.[108] Dabei wurden Frischfaser-Papiere und Recycling-Papiere verglichen.[109] Im Zuge einer Amortisationsrechnung wurde herausgefunden, dass ein E-Reader mit E-Ink-Display im Falle des kumulierten Energieaufwands ab elf Büchern, hinsichtlich des Treibhauspotenzials ab 22 Büchern und im Falle des Versauerungspotenzials ab 69 Büchern rentabel ist.[110] Somit weisen laut dieser Studie E-Reader bei einer durchschnittlichen Nutzung von zehn Büchern pro Jahr „Vorteile beim Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen gegenüber herkömmlichen Büchern auf“[111].
3.3 Kritische Analyse der Bilanzierungsversuche
Beide LCA-Versuche weisen bei einer genaueren Prüfung Mängel auf, insbesondere die Ökobilanz des Öko-Instituts Freiburg. Der schwerwiegendste Fehler des Öko-Instituts ist der Vergleich von E-Readern und gedruckten Büchern. Aus Kapitel 2.2.4 geht hervor, dass die untersuchten Produkte die gleiche Funktion aufweisen müssen, um verglichen werden zu können. Dies ist bei Büchern und E-Readern nachweislich nicht der Fall. E-Reader dienen dazu, Texte und somit E-Books wiederzugeben[112], wohingegen Bücher ebenso wie E-Books andere Funktionen erfüllen, auf die in Kapitel 4.1 genauer eingegangen wird. Somit ist nur ein Vergleich zwischen E-Books und Büchern möglich, so wie es Moberg, Borggren und Finnveden tun. Auch die FE weist auf diese Vergleichbarkeit hin. Das Öko-Institut hat die „jährliche Nutzung eines E-Readers durch eine Privatperson“[113] als FE definiert, wohingegen Moberg, Borggren und Finnveden diese allgemein als „one book bought and read by one person“[114] festlegen. Die letzte FE lässt sich auf E-Books und Bücher anwenden, die erste jedoch nicht. Des Weiteren betrachtet das Öko-Institut lediglich die Herstellung vergleichend, nicht jedoch die Distribution, die Nutzung und die Entsorgung (vgl. Anhang 7).[115] Gerade in diesen Phasen könnten jedoch gedruckte Bücher Vorteile aufweisen, da sie beispielsweise nicht von China nach Deutschland transportiert werden müssen. Darüber hinaus wurde vom Öko-Institut zwar der Lesedurchschnitt von zehn gedruckten Büchern mit den durchschnittlichen Lesegewohnheiten der E-Reader-Nutzergruppen gleichgesetzt[116], jedoch ist aus dem Bericht nicht erkennbar, wie der Stromverbrauch der E-Reader berechnet wurde. Wurde dies mit der Durchschnittsanzahl gelesener Bücher berechnet oder aufgrund der Herstellerangaben, wie viele Seitenumschläge die Akkulaufzeit beträgt?[117] Um eine Vergleichbarkeit zu den zehn gedruckten Büchern zu gewährleisten, muss der Stromverbrauch für die zehn E-Books ermittelt werden.
Moberg, Borggren und Finnveden dagegen berücksichtigen eine deutlich größere Menge an Aspekten (vgl. Tabelle A6 in Anhang 6). Beispielsweise berechnen sie den Gebrauch und die Produktion eines Computers in der Phase des E-Book-Kaufs, da sie davon ausgehen, dass der Verbraucher das E-Book am Computer kauft und nicht direkt über den E-Reader.[118] Dennoch kalkulieren sie ebenfalls einige Faktoren nicht ein, wie die Produktion des E-Ink-Displays.[119] Dies hinterfragen sie allerdings kritisch und geben an, dass eine Änderung der Umweltauswirkungen durch Einberechnung der nicht untersuchten Aspekte möglich sei, so z.B. die Auswirkungen von nicht fachgerecht entsorgten E-Readern, die somit nicht recycelt werden können.[120] Weiterhin werden Anregungen geboten, welche Einflussfaktoren untersucht werden müssten, da sie die Ökobilanz verändern könnten. Dazu zählen u.a.:
- Mehrfachnutzung von Büchern durch mehrere Nutzer[121] (Hier spielen Bibliotheken eine tragende Rolle)
- Taschenbuch statt Hardcover[122]
- Aufbewahrung nach der Nutzung (die benötigte Energie für die Beheizung der Räume, in denen Bücher aufbewahrt werden[123], und der in Büchern gelagerte Kohlenstoff).[124]
Außerdem sind die in den Studien verwendeten Daten kritisch zu betrachten. Es ist fraglich, ob eine Leerlaufzeit von zehn Stunden nach dem Ladevorgang, wie das Öko-Institut es annimmt,[125] realistisch ist. Ebenso werden Daten über die Edelmetallkonzentration in Mobiltelefonen für E-Reader verwendet.[126] Ob...