Einleitung
Die Zahnarztpraxis – ein Basar ohne Transparenz
Manchmal haben Patientenvertreter richtig Wut im Bauch. Wenn gegen Zahnärzte zahlreiche Beschwerden oder Anzeigen vorliegen, diese aber trotzdem weiterarbeiten können.
? So wie in Hannover, wo sich seit 2010 mehr als 120 Patienten zusammengeschlossen haben, die sich alle vom gleichen Zahnarzt getäuscht und falsch behandelt fühlen. In einem der größten Zahnarztskandale in Deutschland wird seit Jahren ermittelt. Doch der Zahnarzt konnte auch Ende 2013 nahezu uneingeschränkt praktizieren und umfangreich für sich werben.
? So wie ein auf Angstpatienten spezialisierter Zahnarzt aus Regensburg, der Patienten in Vollnarkose behandelte, aber entgegen allen Regeln der Kunst Zähne abschliff, Wurzelkanäle schlecht füllte und zudem teils fünfstellige Rechnungen schrieb. Der von der örtlichen Presse als »Horror-Zahnarzt« titulierte Dr. H. erhielt Mitte 2013 vom Amtsgericht einen Strafbefehl über ein Jahr Haft auf Bewährung und 1.500 Euro Geldstrafe.
? So wie ein Zahnarzt aus Havelberg im Landkreis Stendal, Sachsen-Anhalt. Obwohl er sich so gut wie alles zuschulden kommen ließ, was in dieser Branche möglich ist, dauerte es fünf Jahre, bis ihm die Approbation entzogen wurde. Die Medien nannten ihn »Doktor Zahnlos«: Er zog einmal 20 und einmal elf Zähne in je einer Vollnarkose, teilweise ohne Einwilligung und ohne Befund. Dazu kamen Verfahren wegen Abrechnungsbetruges und fahrlässiger Körperverletzung, das unrechtmäßige Führen des Doktortitels sowie ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
? So wie in Köln die Zahnärztin Gisa P., die als »Frau Dr. Horror« von 1998 bis 2000 Patienten massiv schädigte und danach in zwei weiteren Bundesländern praktizierte, obwohl Patientenberater offensiv alle Instanzen informiert hatten.
Das seien Einzelfälle, sagt die Standesführung der Zahnärzteschaft dann regelmäßig. Belegen kann sie das bislang allerdings kaum. Denn die Behandlungsqualität in der Zahnmedizin wird nicht erfasst. Natürlich gibt es gute Zahnärzte. Aber wie viele gut sind und wie viele schlecht, kann man nur schätzen. Am Praxisschild oder an der Internetseite eines Zahnarztes kann ein Patient es meist nicht erkennen. Denn die zahnmedizinische Fortbildung ist so unübersichtlich, dass für Patienten ein Dünnbrettbohrer genauso qualifiziert aussehen kann wie ein echter Könner. Blender gibt es auch unter Zahnärzten. Und nicht alle schwarzen Schafe machen Schlagzeilen. Zahnärzte, die zu teure Therapien empfehlen, die jahrelang Karies übersehen, die Implantate falsch positionieren oder gesunde Zähne ruinieren, haben trotz diverser Kontrollmechanismen wenig zu befürchten. Einzelne Untersuchungen haben immer wieder deutliche Qualitätsmängel zutage gefördert. Aber meist verschwanden diese Studien in Schubladen. Eine kritische Haltung ist in der Branche nicht förderlich für die Karriere.
Patienten können nicht sehen, was der Zahnarzt in ihrem Mund macht, sie können kaum überprüfen, welche Qualität das hat, was es kosten darf und welche Lösung wirklich notwendig ist. Das, medizinisch betrachtet, kleine Feld der Zahnheilkunde ist extrem kompliziert. Der mündige Patient, der gut informiert ist und gleichberechtigt mit dem Zahnarzt entscheidet – kaum irgendwo wäre er nötiger als in der Zahnmedizin, und kaum irgendwo sind wir weiter davon entfernt. Gold und Keramik, Inlay und Implantat, Gesichtsscanner und Laser – alles ist möglich, aber was ist richtig?
Der Wettbewerb zwischen Zahnärzten um den Patienten ist längst Realität. Zahnärzte schalten Anzeigen, locken mit Rabattaktionen für Zahnreinigungen und werben im Internet für Implantate oder schonende Behandlungen mit Hypnose.
In diesem Bereich der Medizin sind verwirrend viele Privatleistungen möglich, in keinem anderen Bereich wird nach Einschätzung von Verbraucherschützern und Patientenberatern so viel neben der Kassenleistung angeboten und mit Zuzahlungen verdient. Vor allem der Umstand, dass der Patient beim Zahnersatz ohnehin zubezahlt, wirkt offenbar für einige Zahnärzte wie eine Einladung.
Auch wenn politische Entscheidungen diese Kommerzialisierung vorangetrieben haben – die Zahnärzte laufen Gefahr, Vertrauen zu verspielen. Denn was nötig und nützlich ist und was nicht, ist für den Patienten nicht transparent. Die Kassenleistung steht teilweise wie ein Aschenputtel im Abseits, ein Schicksal, das ab und an auch der Kunst der Zahnerhaltung immer noch widerfährt.
Die Praxis ein Basar: Was manche Kritiker durch den mitunter schwunghaften Verkauf von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) etwa Augenärzten oder Gynäkologen unterstellen, gehört bei Zahnärzten zur täglichen Verhandlung. Denn das System aus einer Basisversorgung und einer Zuzahlung für Extras führt zu einer Art Wildwuchs, verstärkt vom steigenden Wettbewerbsdruck unter Zahnärzten. Mehr als elf Milliarden Euro geben die gesetzlichen Kassen pro Jahr für Zahnbehandlungen aus. Doch was die gesetzlich versicherten Patienten darüber hinaus privat bezahlen, wird nicht erfasst und nicht geprüft. Während Zahnärzte bei Geräten oder Hygiene rigiden Vorschriften unterworfen sind, wird die Qualität der eigentlichen Arbeit am Zahn nicht erfasst.
Ist man gegen kriminelle Energie wirklich machtlos, wie es die Standesführung im Fall von Sachsen-Anhalt anführte? Mit den bestehenden Möglichkeiten wolle man gegen schwarze Schafe vorgehen, sagt Jürgen Fedderwitz vom Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Wenn diese Möglichkeiten offensichtlich nicht ausreichend sind, muss die Zahnärzteschaft sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich gut genug für die Qualität einsetzt. Fälle wie die, die Sie in diesem Buch finden, sollten Anlass sein, die eigenen Disziplinarstrukturen kritisch zu überprüfen. Sonst sollte der Gesetzgeber einschreiten. Dagegen wehrt sich die Zahnärzteschaft bislang energisch.
Zahnärzte in Zahlen
Rund 68.500 niedergelassene oder in Praxen angestellte Zahnärzte gibt es in Deutschland – im Verhältnis zur Einwohnerzahl ergibt das eine hohe Versorgungsdichte. Das wird vermutlich so bleiben, weil mehr junge Zahnärzte nachfolgen als alte in den Ruhestand gehen und weil es keine Niederlassungsbeschränkung gibt.
Natürlich ist die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland gut, sogar so gut wie in kaum einem anderen Land der Welt. Auch die Kassenversorgung ist trotz aller Kritik fast nirgendwo so umfangreich wie in Deutschland. Aber das darf nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Qualität wird kaum eingefordert, schlechte Arbeit wird kaum geahndet. Was Zahnärzte im Studium lernen, entspricht nicht immer den heutigen Praxisansprüchen. Was Zahnärzte in der Praxis machen, entspricht nicht immer dem aktuellen Wissensstand. Die Datenlage aus Studien ist besser geworden, aber im internationalen Vergleich weiter verbesserungswürdig, unabhängige Forschung gibt es kaum. Und die Debatte über all diese Missstände wird zwar geführt, aber von manchen Zahnärzten immer noch boykottiert.
Es mag wichtigere Körperteile geben als Zähne. Aber die Werbung ist unerbittlich: Ein strahlendes Lächeln gehört zum Selbstbewusstsein. Oft ist jedoch nicht sicher, ob man das viele Geld richtig ausgegeben hat. Eine Zahnreinigung kann medizinisch effektiv oder je nach Ablauf auch nur Kosmetik sein. Eine Zahnspange ist teuer ? wissenschaftliche Nachweise für ihren gesundheitlichen Nutzen liegen aber nicht vor. Bei Implantaten sind handwerkliche Fehler unerfahrener Zahnärzte ein großes Problem. In der Kieferorthopädie und in der Zahnästhetik steht oftmals die Optik im Vordergrund, weniger die medizinische Notwendigkeit.
Dieses Buch beleuchtet grundsätzliche Probleme und besonders prägnante Fälle, die sich in Zahnarztpraxen zugetragen haben. Auch wenn die Zeiten von Zahnreißern lange vorbei sind: Die allgemein gesehen hohe zahnmedizinische Versorgung in Deutschland ist kein Ruhekissen, wenn gleichzeitig die Versorgungen im Einzelnen zu oft von minderer Qualität sind. Für den einzelnen Patienten zählt, dass sein Zahnarzt sorgfältig arbeitet und die Versorgung lange hält.
Dieses Buch will nicht den Stab brechen über einen ganzen Berufsstand. Aber es will Missstände aufzeigen, die in der breiten Öffentlichkeit bislang kaum bekannt sind. Von der Wahl der Versorgung bis zur Abrechnung wird der Patient dem Zahnarzt immer unterlegen sein. Deshalb lesen Sie dieses Buch – dann kennen Sie immerhin die Fallen, in die man stolpern kann.
Elf Milliarden Euro für die Zähne
Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2011 rund 11,7 Milliarden Euro für zahnärzliche Behandlungen ausgegeben. 1991 waren es 8,9 Milliarden. Trotz dieses Anstiegs ist die Zahnmedizin nur ein kleiner Posten in dem Gesamttopf von 168 Milliarden Euro, die 2011 insgesamt in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgegeben wurden. Ein Umstand, der möglichen Reformeifer bremst. Weil andere Gesundheitsbereiche sehr viel stärker anstiegen, sank der prozentuale Anteil der Zahnmedizin an den GKV-Gesamtausgaben sogar, nämlich von 15,9 Prozent im Jahr 1992 auf nun 6,9 Prozent.
Innerhalb der zahnärztlichen Behandlungskosten entfiel der größte Anteil mit 54,5 Prozent auf konservierende und chirurgische Leistungen, dann folgt der Zahnersatz mit 27,3 Prozent. An dritter Stelle steht die Kieferorthopädie mit einem Anteil von 8,2 Prozent, dann die Individualprophylaxe mit 4,0 Prozent. Die heutzutage so wichtige Parondontalbehandlung kommt nur auf einen Anteil von...