Die Grundlage für den Einsatz von Marketing bildet immer die Analyse des Käuferverhaltens und der Determinanten dieses Verhaltens (vgl. Meffert 1986: 133). Die „Käufer“ sind im Falle des Kommunalmarketings, neben anderen Anspruchsgruppen wie Touristen oder Einwohnern, zum einen Unternehmen mit einer relativ weitgehenden Standortwahlfreiheit, zum anderen die ansässige Wirtschaft, deren Bestand es zu pflegen gilt (vgl. Pieper 1994: 197). Für die Kommunen als Standortanbieter sind deshalb Kenntnisse über die Zielsetzungen und Strategien ihrer „Kunden“, also der Unternehmen, hinsichtlich ihrer Standortwahl von höchster Bedeutung. Dabei sind sowohl Bewertungs- und Auswahlkriterien für Standorte, als auch die formell und informell an den Entscheidungen beteiligten Personen und Gruppen von Interesse (vgl. Schnurrenberger 2000: 4). Effiziente, an den Entscheidungsprozessen der Unternehmen ausgerichtete Kommunalmarketingkonzepte sollten also bei der Erklärung von Standortentscheidungen ansetzen.
Die Standortwahl bezieht sich in der vorliegenden Arbeit auf die räumliche Ebene des Makrostandorts im Sinne einer Kommune bzw. einer Stadt. Dementsprechend werden in diesem Kapitel verschiedene theoretische Ansätze zur einzelwirtschaftlichen Standortwahl dargestellt. Zunächst erfolgt die kurze Erläuterung der Raumwirtschaftstheorie Schätzls (2001), sowie zweier neoklassischer Theorien zur unternehmerischen Standortentscheidung. Mit ihren restriktiven Annahmen erklären diese Ansätze keinesfalls vollständig die Standortwahl von Unternehmen, liefern jedoch insofern einen Beitrag, als dass die langfristige Gewinnmaximierung auch bei der Standortwahl eine entscheidende Einflussgröße ist. Auch wenn sich die Entscheidungsträger nicht immer streng rational und nach dem Maximalprinzip verhalten, so können suboptimale Entscheidungen zum Ausscheiden des Unternehmens aus dem Markt führen; dieses Faktum gilt, aufgrund ihrer langfristigen zeitlichen Wirkung, gerade für die Standortentscheidung. Mit einer Erläuterung der vielfachen Kritik an der traditionellen Standortlehre wird zum Ansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie übergeleitet. Diese Sichtweise stellen Bathelt und Glückler (2002) der Raumwirtschaftstheorie gegenüber und rücken dabei nicht die Eigenschaften des Wirtschaftsraums, sondern die unternehmerischen Entscheidungsträger in den Mittelpunkt der Standortentscheidung. Sie betonen Dynamik, moderne unternehmerische Organisationsformen sowie die Bedeutung sozialer Einbettung der Entscheidungsträger in lokale Milieus und Produktionssysteme. Dies führt bereits zu ersten Hinweisen, welche Anforderungen technologieorientierte und damit potenziell zukunftsfähige Unternehmen an ihr Umfeld stellen, und ob ihre Ansiedlung überhaupt durch Marketingaktivitäten herbeigeführt werden kann. Betrachtet findet ebenfalls der evolutionäre Ansatz von Unternehmensgründung und -entwicklung entlang historischer Pfade. Die Gründungs-, Standort- und Wachstumsfaktoren aus evolutionärer Sicht sowie die Saatbeet-Hypothese können wichtige Anhaltspunkte liefern, inwiefern eine Region Unternehmen in ihr Umfeld einbindet, und ob diese ihren Standort nach außerhalb dieser verlegen würden. Regionen bzw. Kommunen gelangen somit zu einer Einschätzung, ob Marketingaktivitäten in Richtung einer Abwerbung von Unternehmen aus benachbarten Räumen überhaupt als lohnenswert angesehen werden können.
Für das Kommunalmarketing, das gezielt Einfluss auf die Entscheidungsträger nimmt, stellen insbesondere Erkenntnisse verhaltenswissenschaftlicher Ansätze wichtiges Basiswissen dar. Standortentscheidungen werden vielfach nach bestimmten Heuristiken getroffen, sind oftmals suboptimal und werden von persönlichen Präferenzen beeinflusst. Für die spätere Entwicklung des Standortfaktoren-Bewertungsinstrumentes ist eine genauere Beleuchtung dieser Theorien unumgänglich. Den Ansatzpunkt des hier zu entwickelnden Instrumentes bildet die Kenntnis des innerbetrieblichen Entscheidungsprozesses. Hierzu sind deshalb die Kernphasen der Standortwahl herauszuarbeiten und Anhaltspunkte für die Ausgestaltung des Instrumentes zu gewinnen.
Schließlich erfolgt eine Darstellung der aus unternehmerischer Sicht entscheidenden Standortfaktoren. Die Standortfaktorensicht geht zwar auch auf die Arbeit Webers (1909) zurück[1], ist aber den gewandelten Anforderungen anzupassen und zu erweitern. Die hier herausgearbeiteten Faktoren stellen zusätzlich die Grundlage für das später entwickelte Kommunalmarketing-Instrument dar.
Den Abschluss bildet, nach einer Einschätzung der Standortmobilität von Unternehmen und des Ansiedlungspotenzials in Deutschland, die Zusammenführung der einzelnen Phasen des betrieblichen Standortwahlprozesses mit den Standorttheorien und ihrem Erklärungsgehalt einerseits, sowie den Einflussmöglichkeiten durch kommunales Marketing bzw. Standortmarketing andererseits.
Der unter anderem von Schätzl (2001: 17f.) vertretene Raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschaftsgeographie hat seinen Ursprung in der regional science, die in den 1950er Jahren in den USA begründet wurde. Ziel der Wirtschaftsgeographie ist es demnach, mittels Theorie- und Modellbildung Aufschluss über die räumliche Ordnung und Organisation der Wirtschaft zu erhalten. Untersuchungsgegenstand ist dabei das interdependente Raumsystem aus der Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum (Struktur), räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen (Interaktionen) sowie deren Entwicklungsdynamik (Prozess) (vgl. Bathelt und Glückler 2002: 27). Den Kern wirtschaftsgeographischer Forschung bildet somit die Analyse dieser drei Elemente, wobei die zur Erklärung ökonomischer Raumsysteme herangezogenen raumwirtschaftlichen Theorien nach Schätzl (2001: 24f.) in folgende drei Bereiche unterteilt werden können:
- Standorttheorien: Sie sollen den optimalen Standort für einen Einzelbetrieb der Landwirtschaft, der Industrie oder des Dienstleistungssektors ermitteln, bzw. Aufschluss über die optimale Verteilung aller Standorte innerhalb eines ökonomischen Raumsystems sowie die zeitliche Veränderung der Struktur geben. Somit lassen sich die Standorttheorien weiter untergliedern in die Theorie der unternehmerischen Standortwahl und Standortstrukturtheorien. Die klassischen Strukturtheorien entwickelten v. Thünen (1875) zur Landnutzung, Lösch (1944) für die Industrie und Christaller (1933) für den tertiären Sektor, während Weber (1909) den Grundstein für die einzelwirtschaftliche Betrachtung legte (vgl. Pieper 1994: 12).
- Räumliche Mobilitätstheorien: Erklärt werden die Ursachen und Auswirkungen räumlicher Mobilität einzelner Produktionsfaktoren sowie von Gütern und Dienstleistungen.
- Regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien: Ziel dieser Theorien ist die Darstellung und Erklärung sozioökonomischer Entwicklungen einzelner Regionen sowie die Darstellung interregionaler Unterschiede im Entwicklungsstand.
Der Raumwirtschaftliche Ansatz ist stark durch neoklassische Modelle geprägt, weshalb auch hier die Verhaltensannahmen des homo oeconomicus gelten. Demnach agiert der Entscheider absolut rational, ist über alle Umweltzustände informiert, unterliegt keinen Umwelteinflüssen und reagiert ausschließlich auf materielle Reize. Der wirtschaftende homo oeconomicus versucht stets, mit gegebenen Mitteln den größtmöglichen Erfolg zu erzielen, oder strebt bei vorgegebenem Erfolg eine Aufwandsminimierung an. Dieses ökonomische Prinzip wird nicht durch persönliche Präferenzen oder suboptimales Verhalten gestört (vgl. Freckmann 1995: 8). Besonders präsent sind diese Annahmen in den folgenden Darstellungen der Theorie der einzelwirtschaftlichen Standortwahl.
In seinem 1909 erschienenen Werk „Über den Standort der Industrie“ entwickelte Weber als erster eine umfassende Theorie zum optimalen Standort des industriellen Einzelbetriebs. Für das Modell der kostenminimalen Standortwahl werden einige Abstraktionen vorgenommen (vgl. Weber 1909: 36ff.): So sind die Standorte der Rohmaterialen sowie die räumliche Verteilung des Konsums bekannt und die Transportkosten im einheitlichen Transportsystem eine Funktion von Gewicht und Entfernung. Innerhalb eines homogenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems ist die räumliche Verteilung der als immobil geltenden Arbeitskräfte ebenfalls bekannt, die Lohnhöhe ist – bei räumlicher Differenzierung – konstant, Arbeitskräfte sind unbegrenzt verfügbar. Unter Berücksichtigung dieser Annahmen wird die Standortwahl lediglich von drei harten Faktoren beeinflusst. Zum einen sind dies die Transportkosten als zentraler Faktor, zum anderen Arbeitskosten und Agglomerationswirkungen, also die Auswirkungen räumlicher Konzentration ökonomischer Aktivitäten, als eher untergeordnete Korrekturgrößen. In seiner Theorie behandelt Weber ein...