„Der wohl größte Hemmschuh war aber letztlich die Preisgestaltung. Da Fonds bei ihren Käufen 15% bis 20% verdienen wollen, entstand bei den Banken der Eindruck, dass ihnen viel zu wenig geboten wurde; das heißt, die Investoren wollen billig kaufen und kommen nicht nahe genug an den Buchwert der Kredite heran, um zu verhindern, dass der Bank beim Verkauf kein signifikanter Verlust entsteht.“[1]
Dieses Zitat von Henning Heuerdings, Partner bei PricewaterhouseCoopers, verdeutlicht, wie weit die Bewertungen der beiden Transaktionspartner Geschäftsbanken und Investoren divergieren. In einer Studie von Kroll/Mercer Oliver Wyman vom Februar 2005 wurde das Gefühl der Geschäftsbanken, dass die angebotenen Preise der Investoren zu niedrig lägen, als das größte Handelshindernis analysiert.[2] Auch 21 Monate später hat sich an diesem Grundproblem wenig geändert, wie eine aktuelle Studie von Roland Berger Strategy Consultants vom November 2006 ergab. Mit 88,9% wurden immer noch die unterschiedlichen Preisvorstellungen zwischen Investoren und Geschäftsbanken als stärkstes Hemmnis genannt.[3] Damit hat sich in Deutschland eine ähnliche Problematik eingestellt, die bereits in Japan zu Spannungen zwischen Banken und Investoren geführt hat.[4]
Trotz dieser Schwierigkeit hat sich der erst seit 2003 in Deutschland aufkeimende Markt für notleidende Kredite in letzter Zeit gut entwickelt. Der Handel mit Distressed Assets stammt ursprünglich aus den USA und entstand in der „Savings & Loan Crisis“ in den achtziger Jahren. In den neunziger Jahren verschob sich das Geschäft nach Japan und weitete sich von dort auf den Rest Asiens aus.[5] Schätzungen von Ernst & Young zu Folge sind in Japan bereits Transaktionen mit notleidenden Krediten in einem Umfang von 600 Mrd. USD getätigt worden.[6] In Europa nahm der Distressed Debt Markt seinen Anfang in Schweden und Italien, nachdem die dortigen Bankensysteme durch den großen Anteil an notleidenden Krediten geschwächt waren und der systematische Verkauf der Distressed Assets zum Abbau der Instabilität beitragen sollte.[7]
Im Anschluss daran wurde Deutschland von Distressed Debt Investoren entdeckt; seit 2003 wächst der Markt in Deutschland signifikant. So stieg das Marktvolumen in Deutschland, ausgedrückt im Nominalwert, nicht dem tatsächlich gezahlten Transaktionspreis, der gehandelten notleidenden Kredite von ca. 3 Mrd. EUR im Jahr 2003 auf ca. 12 Mrd. EUR in 2004[8] und geschätzte 15 Mrd. EUR in 2005[9] und 2006.[10] Prognosen für die Zukunft zeigen, dass sich der Markt stabilisieren und zwischen 15 und 20 Mrd. EUR jährlich betragen wird.[11] Das starke Anwachsen des Handelsvolumens in den letzten Jahren zeigt, wie groß das Interesse am Handel mit notleidenden Krediten auf Seiten der Banken und der Investoren ist. Neue aufsichtsrechtliche Anforderungen wie die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft der Kreditinstitute (MaK) und die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) sowie die höhere Anforderung an die Eigenkapitalunterlegung durch Basel II erhöhen für die Geschäftsbanken die Kosten im Zusammenhang mit notleidenden Krediten. Die seit 2003 geschaffene Möglichkeit der Veräußerung der durch den konjunkturellen Abschwung in den letzten Jahren entstandenen notleidenden Kredite half den deutschen Geschäftsbanken ihre im internationalen und europäischen Vergleich sehr niedrige Rentabilität zu verbessern und stabilisierte das Bankensystem.[12] Ein wichtiger Unterschied im Vergleich zu anderen internationalen Märkten ist allerdings, dass in Deutschland die Verkäufer von notleidenden Krediten selbst meistens nicht notleidend sind und deshalb andere Anreize für den Verkauf von notleidenden Krediten eine Rolle spielen.[13]
Mittelfristig wird kein Abflachen des deutschen Marktes für notleidende Kredite erwartet, da er mit einer geschätzten Größe von 160 Mrd. EUR[14] bis 300 Mrd. EUR[15] der zweitgrößte[16] Markt der Welt ist und damit deutlich weiteres Potential bietet. Allein der Markt für notleidende Unternehmenskredite als Teilbereich des gesamten Marktes für notleidende Kredite in Deutschland wird auf 30-60 Mrd. EUR geschätzt.[17] Mögliches Wachstum wird insbesondere im Bereich der Sparkassen gesehen, da bisher nur sehr wenige Transaktionen aufgrund der geringen Größe der einzelnen Sparkassenkreditportfolien getätigt worden sind. Neue Verfahren der Bündelung der Sparkassenkredite zur Senkung der Transaktionskosten versprechen aber auch hier Potential.[18]
In der Vergangenheit bestand ein großer Anteil des Handels mit notleidenden Krediten (ca. 95% in 2004)[19] aus sogenannten Portfolien. Darunter versteht man den Verkauf mehrerer Kredite unterschiedlicher Arten (Konsumenten-, Immobilien- und Unternehmenskredite) gegenüber unterschiedlichen Schuldnern. In Zukunft werden demgegenüber Einzeltransaktionen (auch Single Name genannt), also der Verkauf eines Kredits gegenüber einem Schuldner (in der Regel ein Unternehmen), weiter an Bedeutung gewinnen.[20] Roland Berger Strategy Consultants prognostiziert, dass bis zum Jahr 2008 der Anteil an Single Name Transaktionen bei 55,1% liegen wird.[21] In diesem Zusammenhang wird deshalb auch die Bewertung eines einzelnen Kredits und des dahinter stehenden Schuldners im Fokus der Investoren liegen.
Die akademische Aufarbeitung und Forschungsintensität wird der wirtschaftlichen Bedeutung des aufstrebenden deutschen Markts für notleidende Kredite bisher nicht gerecht. Allerdings hat die Anzahl der Publikationen in letzter Zeit zugenommen. Das Hauptforschungsgebiet der Betriebswirtschaftslehre liegt in den Perspektiven des Marktes,[22] der juristische Schwerpunkt auf den rechtlichen Rahmenbedingungen des Distressed Debt Investing.[23] Weitgehend unerforscht ist hierbei die oben angesprochene Problematik der divergierenden Preisvorstellungen geblieben. Im Zuge des prognostizierten Anstiegs des Verkaufs kleinerer Unternehmenskredite wird jedoch der Unterschied in der Bewertungsmethodik und der Preisfindung zwischen Investoren und Geschäftsbanken weiter an Aktualität und Bedeutung gewinnen. Ein gemeinsames Grundverständnis der Bewertungsverfahren notleidender Unternehmenskredite wird deshalb ein zentraler Faktor sein das Haupthandelshindernis abzubauen und das Handelsvolumen der Vergangenheit auch in Zukunft stabil zu halten.
Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, die Unterschiede in der Bewertung und der Bewertungsmethode für einzelne notleidende Unternehmenskredite (Single Names) zwischen Distressed Debt Investoren auf der einen und Geschäftsbanken auf der anderen Seite herauszuarbeiten und zu analysieren, um beiden Seiten ein besseres Verständnis für die Preisvorstellungen des anderen zu geben und auf diese Weise das große Hemmnis unrealistischer Erwartungen bei Transaktionen mit notleidenden Krediten abzubauen. So soll die Arbeit dazu beitragen, die Transparenz in dem undurchsichtigen Markt für notleidende Kredite zu erhöhen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt deshalb sowohl auf den Bewertungsverfahren der Banken, die stark von Basel II und den Bilanzierungsrichtlinien bestimmt sind, als auch auf den kapitalmarktnahen Methoden der Investoren.
Auf Basis der Zielsetzung wird die Untersuchung folgendermaßen strukturiert. Nach dem einführenden ersten werden im zweiten Kapitel die Grundlagen für die weitere Untersuchung gelegt werden. Dabei werden zunächst der Forschungsansatz und die finanztheoretischen Grundlagen der Arbeit näher erläutert und der zentrale Begriff des notleidenden Kredits abgegrenzt. Darauf aufbauend werden dann die Motivationsgründe der Transaktionspartner an dem Handel mit notleidenden Krediten teilzunehmen, getrennt nach den Verkaufsanreizen der Banken und den Erwerbsmotiven der Investoren, dargestellt. Die Motivationsgründe sind für die Bewertungen der notleidenden Kredite sowohl von den Banken als auch den Investoren entscheidend, so dass im weiteren Verlauf darauf referenziert wird. Des Weiteren werden die Investitionsstrategien der Distressed Debt Investoren, durch die sich aktive von passiven Investoren unterscheiden lassen, untersucht. Die Unterschiede bei den Investitionsstrategien schlagen sich auch auf die Bewertung nieder, da kontrollorientierte Investoren in der Regel einen Fortführungswert zu Grunde legen, wohingegen nicht kontrollorientierte den Liquidationswert als Messgrundlage benutzen. Abschließend sollen noch die Unterschiede einer Portfolio und Single Name Transaktion erläutert werden und der Fokus der Arbeit auf die Bewertung von Single Name Transaktionen gelegt werden, da Portfolien nur durch Aggregation der Bewertungen einzelner Kredite analysiert werden und insbesondere der Single Name Bereicht nachhaltiges Wachstum verspricht.
Nachdem in diesem Kapitel die Grundlagen der...