Zur Entstehung von Musik gibt es verschiedene theoretische Ansätze. Einig ist sich die Forschung auf Grund archäologischer Funde darüber, dass bereits Frühmenschen vor 10.000-50.000 Jahren Musikinstrumente wie Flöten mit Grifflöchern oder Schwirrhölzer herstellten und benutzten. Älteste Funde belegen einfache Flöten in der Zeit bis vor 600.000 Jahren. Diese jedoch werden eher als reine Signalinstrumente gedeutet, da sie keine Tonhöhenvarianz ermöglichten. Zudem wurden erst im Zusammenhang mit den jüngeren Funden Indizien für den Einsatz der Instrumente bei kultischen Handlungen gefunden.[5]
Man vermutet, dass der Einsatz von Musik in der Frühphase ausschließlich in Verbindung mit Magie und Religion stattfand. Daher spricht Wörner von einem „gewaltigen geistesgeschichtlichen Sprung“[6] zwischen den Signalflöten und den späteren Musikinstrumenten. Diese Entwicklung spiegelt die kulturelle Entwicklung des Menschen, die Entwicklung einer Vorstellung von Magie und von Religion wider.
Dieser Zusammenhang von geistlichem Denken und der Musik ist über die Zeit erhalten geblieben. Viele Kulturen verbinden ihre Schöpfungsmythen mit Musik. So soll in der altindischen Mysthik die Musik den Menschen von den Göttern gegeben worden sein und rituelle Musik, Tanz und Gesang sollen die kosmische Kraft perpetuieren.[7] Ähnliches lässt sich auch für andere Kulturen belegen, die verschiedene religiöse Hintergründe hatten, wie den Buddhismus oder den Hinduismus im späteren Indien.
Auch in der jüdisch-christliche Lehre wird von Jubal gesprochen, von dem die Flöten- und Zitherspieler abstammen sollen.[8]
Die griechische Mythologie sieht in der Musik ein Geschenk Apollons und der Musen. Diese Überzeugungen spiegeln sich auch in der Betrachtung von Musik in den verschiedenen Kulturen wider. Neben älteren Sichtweisen, wie im Hinduismus, in dem es heißt „die Welt ist Klang“,[9] oder der tibetischen Lehre, nach der alle Klänge Gebete sind, gibt es auch in der europäischen Tradition wichtige Verknüpfungen von Göttlichkeit und Musik. So ist von Martin Luther überliefert, dass Musik, nebst dem Worte Gottes, das Einzige ist, sie lenkt und beherrscht die menschlichen Gefühle.[10]
Neben den Mythen, die das Göttliche, Übernatürliche zum Ursprung der Musik erklären, gibt es auch Forschungsansätze über die Gründe und den Ablauf des geistesgeschichtlichen Sprungs von Tönen als Signal zur Musik.
Die dazu entwickelten Theorien müssen dabei immer als Vermutung angesehen werden. Zum einen geht es nicht um einen Zeitpunkt, an dem Musik von den frühen Menschen „erfunden“ wurde, sondern um eine Zeitspanne von mehreren zehntausend oder sogar hunderttausend Jahren. Daneben ist die Entwicklung nicht lückenlos nachvollziehbar, im Gegenteil überwiegen die Lücken in der Dokumentation bei weitem.[11] In der Forschung zur Evolution der Musik ist man sich zwar grundsätzlich einig, dass die Musik mit der Entwicklung des menschlichen Verstandes ihren Ursprung nahm und mit der Entwicklung der Sprache einherging.[12] Von dieser Grundannahme haben sich aber verschiedene Theorien entwickelt, die den Ursprung und die Evolution der Musik untersuchen.
D. Zelimir macht in seinem Text auf ein gewisses Potential für Verwirrung aufmerksam, das der Begriff der „Evolution“ der Musik in sich trägt. So ist in dem Begriff sowohl die darwinistische Idee der biologischen Weitergabe bestimmter für das Überleben vorteilhafter Fertigkeiten enthalten, wie auch die kulturell begründete Entwicklung und Veränderung musikalischer Systeme und Stile.[13]
Nach diesem Erklärungsansatz ist die Entstehung von Musik auf das darwinistische Modell der „sexuellen Selektion“ und der damit verbundenen „Adaption“ von für das Überleben wichtigen Eigenschaften und Fertigkeiten zurückzuführen. Die Eigenschaften und Fähigkeiten der reproduktiv erfolgreichsten Gruppe werden weitergegeben und finden auf lange Sicht Niederschlag in den Erbinformationen des Nachwuchses.[14] Darwin hat in der Musik die Nachahmung von Tierlauten gesehen und sie genau wie Vogelstimmen als sexuellen Lockruf interpretiert.[15] Dieser Theorie folgend muss Musik aber mehrere Eigenschaften erfüllen. Sie muss einen Vorteil für das Überleben bieten, oder zumindest die Chancen zur Reproduktion für die musizierenden Frühmenschen im Vergleich zu den nicht musizierenden vergrößern; und sie muss das Potential für eine genetische Weitergabe haben. Der praktische Wert der Musik für das Überleben ist dabei sehr umstritten. Schon in der Antike gingen Philosophen davon aus, dass Musik und Kunst allgemein keinen praktischen Nutzen haben.[16] Auch die Adaption von Musikalität, also die Entwicklung vererbter Strukturen im Gehirn, ist umstritten. Zwar ist man sich über die adaptiven Eigenschaften der menschlichen Sprache einig; ob diese aber auf Musik übertragen werden können, ist nicht klar.[17] Zudem gibt es den Einwand, die sexuelle Selektion hätte die Musik zu einer Fertigkeit werden lassen müssen, die nur bei einem Geschlecht vorzufinden wäre, wie es auch beim Vogelgesang der Fall ist.
Dem entgegen sieht Geoffrey Miller[18] die sexuelle Selektion als Grundlage der Musik an. Für ihn ist die Annahme, dass Musik nur ein Nebenprodukt der Kultur allgemein sei, und sie dem großen Gehirnvolumen und der Entwicklung eines Bewusstseins zu verdanken sei, unzureichend.
Dem Einwand, dass Musik von beiden Geschlechtern gemacht wird, hält Miller entgegen, dass auch andere Beispiele adaptiver Verhaltensweisen aus dem Tierreich bei männlichen und weiblichen Angehörigen der Spezies zu finden sind. Auch hätte Darwin in seinen Ausführungen zu Musik darauf hingewiesen, dass bei Frühhominiden die Partnerwerbung von beiden Geschlechtern üblich war.[19]
Miller sieht in der Musik eine komplexe biologische Adaption. Er verweist auf bestimmte Gehirnareale, die nur für die Verarbeitung musikalischer Signale zuständig sind, und es dem Menschen erlauben, hunderte von Melodien zu speichern und zu reproduzieren. Indizien für den Nutzen von Musik im Sinne der Entstehung der Musik durch sexuelle Selektion sieht Miller in einer Reihe von Indikatoren. So ist die sexuelle Motivation eher indirekt. Ein Tänzer zeigt im Tanz seine körperliche Fitness und seine Koordinationsfähigkeit. Ein Instrumentalist zeigt seine Fähigkeit zur Automation komplexer technischer Abläufe, was dafür spricht, dass er viel Zeit hat; nach Miller ein Indiz für das Fehlen familiärer Verpflichtungen.[20]
Eine weitere Theorie zur Entstehung der Musik basiert auf der Annahme, dass die menschliche Sprache und die Musik einen gemeinsamen Ursprung haben. Steven Brown[21] entwirft dafür das Modell der „Musilanguage“.
Dabei geht Brown davon aus, dass der Sprache und der Musik ein „Ursystem“ vorausging und sich beide daraus entwickelten. Er unterscheidet dabei verschiedene Merkmale, die den Verlauf der Auseinanderentwicklung verdeutlichen.
1. shared features (gemeinsame Merkmale): hiermit sind die Eigenschaften gemeint, die für Sprache und Musik gleichermaßen nötig sind, wie die generelle Vokalisation und die Fähigkeit, emotionale Zustände musikalisch und sprachlich auszudrücken
2. parallel features (parallele Merkmale): dies sind Merkmale, die in Sprache und Musik analog, aber nicht identisch sind. Dazu zählen Phrasierung und Kombination; es werden in beiden Medien spezielle Aufbaublöcke und übergeordnete Strukturen verwendet, das „Material“ ist aber anderes
3. distinct features (spezialisierte Merkmale): hierunter werden die Eigenschaften gefasst, die nur für die Musik oder nur für die Sprache charakteristisch sind. Als Beispiele werden die propositionale Syntax und der isometrische Rhythmus genannt.
Brown zufolge gab es im Verlauf der Entwicklung diese drei Stadien, die sich auf die Entwicklung des zentralen Nervensystems (ZNS) auswirkten. Vor der Auseinanderentwicklung von Sprache und Musik gab es im ZNS einen gemeinsamen Bereich (Modul), der die undifferenzierten Merkmale der ersten Gruppe verarbeitete. Durch die Trennung der Entwicklung beider Fähigkeiten fand eine Reorganisation des ZNS statt, und es entstanden Bereiche, die sich über die zweiten und später dritten Merkmale...