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E-Book

Auferstehung als Lebenskunst

Was das Christentum auszeichnet

AutorHildegund Keul
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783451801327
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die Auferstehung bildet den Kern des christlichen Glaubens. Ebenso unverzichtbar ist es, sich von der Armut in der Welt bewegen zu lassen. Beides hängt innerlich zusammen. Wo sonst, wenn nicht mitten in bedrängenden Erfahrungen von Armut ist Auferstehung gefragt? Das Buch führt in inspirierender Weise vor Augen, wie der Glaube an die Auferstehung zur Lebenskunst wird, die auf Erfahrungen von Armut antwortet. Es verändert den Blick auf die Armut und stärkt den Glauben an die Auferstehung. Dazu behandelt es u.a. Jesu Orientierung an den Armen, die Armutsbewegung im Hochmittelalter, das II. Vaticanum, das 'die Armen und Bedrängten aller Art' in den Mittelpunkt rückt und den heutigen säkularen Kontext am Beispiel der Arbeit der Missionsärztlichen Schwestern in Berlin-Marzahn.

Hildegund Keul, geb. 1961, Dr. theol. und M. A. Studium der Theologie und Germanistik in Trier, Jerusalem und Würzburg. Hildegund Keul ist Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz und apl. Professorin für Fundamentaltheologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Würzburg.Für ihr Buch über 'Mechthild von Magdeburg' erhielt Hildegund Keul den Mystik-Medien-Preis 2007 der Theophrastus-Stiftung.

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Leseprobe

2. Teil
Armut und Spiritualität im Hochmittelalter – Impulse der Mystik für eine Armutsbewegung heute


Armut ist geschichtslos. Es ist der Reichtum, der Geschichte schreibt. Er dokumentiert sich weithin sichtbar in Burgen und Palästen, Stadtmauern und Kathedralen, prächtigen Kirchen und Bürgerhäusern. Sehr deutlich zeigt sich dieses Phänomen bei Stadtführungen. Wie reich Menschen früherer Epochen waren, ist an den Gütern abzulesen, die sie ihren Nachkommen vererbten. Da die Ärmsten aber nichts zu vererben haben, bleiben sie stumm. Selbst in den Müllhalden mittelalterlicher Städte, die mit ihren Getreidekörnern über die Nahrung jener Zeit Auskunft geben, ist die Armut abwesend. Weil sie gerade keine Getreidekörner und keinen Erbschein, keinen Kaufvertrag und keine Häuser hinterlassen, werden die Armen in der Geschichte unsichtbar. Auch hier gilt: Hunger macht stumm.

Aber die Armut muss nicht zwangsläufig im Schatten des Reichtums verschwinden. Vielmehr kann man das, was unsichtbar gemacht und verdrängt wird, benennen und öffentlich ins Gespräch bringen. Wie wirksam und inspirierend dies geschehen kann, das zeigt sich im 13. Jh. Damals sind unzählig viele Christinnen und Christen in Sachen Armut unterwegs. Sie schließen sich zusammen und vollziehen einen Aufbruch, der sogar für ihre Zeit signifikant werden wird. Es sind so viele Menschen, dass heute von einer Armutsbewegung gesprochen wird. In dieser Benennung steckt eine Erkenntnis: Armut bewegt. Menschen aus allen Ständen der Gesellschaft, die zuvor strikt getrennt waren, lassen sich von der Armut berühren. Sie kommen geistig in Bewegung, indem sie nach dem Wort Gottes und seiner Bedeutung für ihre Zeit fragen. Und sie setzen sich körperlich in Bewegung, indem sie dahin gehen, wohin die Armut sie ruft. Elisabeth von Thüringen verlässt die Burg, Franziskus das Kaufmannshaus, die beide im Zeichen von Macht und Reichtum stehen, und suchen jene Orte auf, an denen sie die Armut des Evangeliums leben können. Sich den Fragen der Armut zu stellen, wird so zu einem Zeichen der damaligen Zeit.

Diese Leistung kommt nicht von ungefähr. Vielmehr ist sie darauf zurückzuführen, dass sich die Armutsbewegung mit konkreten Lebensfragen der damaligen Menschen befasst. Sie entwickelt mitten in den Herausforderungen des Alltags eine spezifische Spiritualität. Es gehört zum Markenzeichen dieser Bewegung, dass sie soziale Problemlagen und spirituelle Praktiken, theologische Positionen und Armutserfahrungen aufeinander bezieht. Protagonistinnen und Protagonisten sind unter vielen anderen Franziskus und Klara von Assisi, Dominikus und Mechthild von Magdeburg, Marguerite Porète und Meister Eckhart. Ihre Werke werden in der Theologie heute der Mystik zugeordnet. Dabei ist zu beachten, dass das Wort »die Mystik« erst im 17. Jh. entstanden ist. Das Adjektiv »mystisch« gab es schon lange zuvor genauso wie »Geheimnis« als zentralen Begriff christlicher Gottesrede. Aber sowohl die Substantivierung »die Mystik« als auch die Bezeichnung von Personen als Mystiker oder Mystikerin wurden erst vor knapp vierhundert Jahren in die Debatte eingeführt.

Aber dennoch ist es sinnvoll, von einer »Mystik der Armutsbewegung« zu sprechen. Allgemein bezeichnet Mystik jene Traditionen, die mitten in der zermürbenden Alltäglichkeit des Lebens seinen Geheimnischarakter in den Mittelpunkt religiöser Lehren und Praktiken stellen. Mystik ist dem Geheimnis des Lebens auf der Spur. Sie folgt dem, was nicht auf den ersten Blick, sondern erst mit innerer Konzentration sichtbar ist (griechisch ????? = die Augen verschließen) – und was sich zugleich als so machtvoll und überwältigend zeigt, dass es Atem und Stimme verschlägt (????? = verstummen, schweigen, sprachlos werden).

Die verschiedenen Religionen haben ihre je eigenen mystischen Traditionen. Die christliche Mystik wiederum zeichnet sich durch ihren Glauben an jenes Geheimnis aus, das sich in der Auferstehung Jesu Christi offenbart. An diesem Glauben orientiert sie ihr Denken und Handeln, Reden und Schweigen. Dass die Auferstehung Jesu Christi nicht nur damals geschah, sondern auch im alltäglichen Leben von Menschen späterer Zeiten präsent ist, markiert das Geheimnis, das im Herzen des Christentums wirksam ist. Diesem Geheimnis widmet sich die Mystik. Sie ist daher keine Mystik der Weltflucht, sondern eine Mystik des Alltags, die nach der Präsenz Gottes in den kleinen und großen Fragen des Lebens sucht.

Die Armutsbewegung des 13. Jh.s entwickelt eine spezifische Spiritualität, die in diesem Sinn als Mystik zu bezeichnen ist. Denn sie orientiert sich an dem Geheimnis der Auferstehung, das sich in sozialen, kulturellen und politischen Realitäten des Alltags offenbart. Diese Mystik wächst aus der Armutsbewegung, ist mit ihren Fragen befasst und sucht theologische Antworten. Der Ausgangspunkt war damals die soziale Realität. Das Anliegen wiederum war eine Spiritualität, die in der Armut nicht nur überleben, sondern wirklich leben hilft. Sie will nicht nur den Hunger, sondern auch seine verheerenden Machtwirkungen überwinden, die in Verzweiflung, Resignation oder Hass wirksam sind.

Die Rede von Gott erlangt in diesem Kontext zentrale Bedeutung. Sie erhält Relevanz, wo sie in Not und Bedrängnis Zeichen der Hoffnung setzt. Mystikerinnen und Mystiker behalten diese Zeichen der Hoffnung nicht für sich, sondern bringen sie ein und stellen sie zur Debatte. Sie sprechen von Gott als dem fließenden Licht, das die Dunkelheiten des Lebens erhellt. Und Licht hat eine Eigenschaft, die sich in der Osternacht besonders zeigt: Licht vermehrt sich, wenn man es teilt. Daher sind eigene und fremde Gotteserfahrungen eine entscheidende Quelle jener Tatkraft, die die Menschen in der Armut entwickeln. Ihr visionäres Potential nährt sich aus dem Glauben an Jesus Christus, denn seine Auferstehung offenbart das Geheimnis des Lebens: das Leben steht auf aus dem Tod. Der Kern der Mystik ist der Glaube an Gott als jene Macht, die stärker ist als die Todesmächte, die in der Armut so bedrängend am Werk sind.

Die Armutsbewegung richtet ihre Aufmerksamkeit gezielt auf die Zeichen ihrer Zeit, denn sie will die Botschaft des Evangeliums in ihrer Gegenwart verorten. Was hat Gott in den Herausforderungen der eigenen Zeit zu sagen? Die Menschen der Armutsbewegung fragen nach den Zeichen der Zeit. Zugleich wird ihre Bewegung selbst zum Zeichen der Zeit.1 Dieses Zeichen verweist auf die verborgene, aber wirksame Gegenwart Gottes im Alltag jener Menschen, die in Bedrängnis und Not geraten sind. Zeichen der Zeit aber haben nicht nur punktuelle Bedeutung, sondern übergreifende Signifikanz. Diese kann zu anderen Zeiten neu aufscheinen. Ist die Armutsbewegung von damals in der Lage, in heutigen Fragen der Armut Lebenszeichen zu setzen?

Wer die Liebe zu den Nächsten, zu Gott und zu sich selbst erfährt, lässt sich das Leben nicht so leicht vergällen von dem, was fehlt – und wird fähig, das zu teilen, was da ist. Die Liebe widersteht tatkräftig der Gefahr von Armut und Gewalt, die sich ständig potenzieren will, und durchbricht den Teufelskreis des Geldes, der Menschen knechtet. Das Geheimnis des Lebens wird offenbar, wo Menschen der erstickenden Macht des Todes beharrlich das Leben abringen. Denn die Ohnmacht wird nicht übermächtig, wenn sie die Macht dessen erfährt, was Mechthild von Magdeburg »Das fließende Licht der Gottheit« nennt.

2.1 Franziskus von Assisi und die geliebte Armut


Die bekannteste Symbolfigur der mittelalterlichen Armutsbewegung ist Franziskus von Assisi (1181–1226), der diese Bewegung geradezu verkörpert. Seine Liebe zu den Armen, sein beharrlicher Einsatz für den Frieden und nicht zuletzt sein Sonnengesang haben ihn berühmt gemacht und verleihen ihm heute noch große Faszination. Er ist ein Mensch, der bescheiden auftritt und mit einfachen Worten spricht. Aber einfältig oder naiv ist er keineswegs. Er hat vielmehr eine klare Sicht und eine prägnante Sprache. Er nimmt die tiefgreifenden Veränderungen seiner Zeit wahr und entwickelt Alternativen zu einem Lebensstil, der die Reichen privilegiert und die Armen immer weiter in Bedrängnis stößt.

2.1.1 Das Gewaltpotential des Geldes und das christliche Alternativprogramm – die Krippe Jesu


Franziskus stammt aus einer wohlhabenden Familie italienischer Kaufleute. Geld ist für ihn zunächst kein Thema, weil es ihm selbstverständlich zur Verfügung steht. Leichtfüßig und manchmal leichtsinnig lebt er in den Tag hinein. Dies ändert sich jedoch, als er in den Krieg der Stadt Assisi gegen Perugia zieht. In diesem Bürgerkrieg zweier Handelsstädte, die um Geld, Macht und Ansehen konkurrieren und die aus wirtschaftlichen Gründen zu den Waffen greifen, macht Franziskus seine ersten Gewalterfahrungen. Sie prägen sein Leben und lenken es in eine ganz neue Bahn. 1202 gerät er in Gefangenschaft, wo er zwar pfleglich behandelt wird, aber dennoch einen bedrängenden Machtzugriff erfährt.

Auch nach seiner Befreiung hat er zunächst, dem Ideal der Ritter folgend, klare militärische Ambitionen. Erst eine Reifezeit mit schwerer Krankheit führt 1205 zu seiner Bekehrung. Fragen nach dem Zusammenhang von Gott und Geld, Besitz und Gewalt werden in der Folge zu zentralen Themen seines Lebens.2 Die Überzeugung, dass Geld dreckig ist und dass Besitz die Gottesbeziehung gefährdet, wird zu einem signifikanten Baustein seiner Spiritualität. Als der Bischof von Assisi Franziskus fragt, warum er keinen Besitz zulassen will und das Annehmen von Geld kategorisch ablehnt, antwortet er: »Herr, wollten wir etwas besitzen, so müssten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung haben. Daher kommen ja...

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