Obwohl mehrere Quellen ein geringes bzw. nicht ausreichendes wissenschaftliches Interesse an der Entwicklung neuer Denkansätze zu internationalen Erfahrungen und zum Phänomen der Reintegration nach der Rückkehr bestätigen,[152] kristallisieren sich heraus zwei unterschiedliche Ansätze:
Anpassungsansatz beschäftigt sich mit dem Individuum, das sich bei der Rückkehr wieder anpasst. Dieser Ansatz ist auch die Grundlage für die Modelle zum Auslandsaufenthalt (beispielsweise das Stufenmodell von Oberg[153]) mit dem Kulturschock-Phänomen.
Lern- und Entwicklungsansatz befasst sich mit der Frage, wie Expatriates das erworbene Wissen weitergeben, sich weiterentwickeln, internationales Lernen und internationale Kompetenzen in der gesamten Organisation fördern.[154]
Jedoch spricht die Fachliteratur nicht von Lern- und Entwicklungseffekten im Zusammenhang mit einem Anpassungsansatz nach dem Auslandsaufenthalt, die für das Unternehmen Wettbewerbsvorteile und Know-how-Erweiterung bedeuten können. Daher wird am Ende des Kapitels ein Versuch unternommen, die Ansätze der Anpassungs-, Lern- und Entwicklungstheorien in einem Parallelmodell der Reintegration zu einem Gesamtkonzept zu vereinen.
Die Theorien zur Anpassung waren in den letzten Jahrzehnten vorherrschend und sind als Phasenmodelle verbreitet. Sie repräsentieren die unterschiedlichen Stufen der Wiederanpassung nach zeitlichem Ablauf. Es wird von einem Individuum ausgegangen, das eine turbulente Zeit durchmacht. Die inneren psychischen Vorgänge und das Wohlbefinden des Expatriates stehen im Vordergrund. Auf die Entwicklungsmöglichkeiten und Prozesse in einer internationalen Organisation wird nicht geachtet. Hauptsächlich sind bei den Phasenmodellen zum Auslandsaufenthalt U- und W-Kurven-Hypothesen[155] verbreitet, wobei die W-Kurven-Modelle Erweiterungen von U-Kurven-Modellen sind. Im Zusammenhang mit U- und W-Kurven-Modellen beschreiben die Theorien das Auftreten des Kulturschocks und Rückkehrschocks.
Reintegrationsmodelle finden ihren Ursprung in Integrationsmodellen (U-Kurven-Modelle) für Auslandsaufenthalte und beziehen sich auf die Wiedereingliederung der Entsendeten im Heimatland. Beispielsweise stellen die Modelle von Gullahorn / Gullahorn und Fritz den Eingliederungsprozess im Ausland und die Repatriation bei der Rückkehr dar. Hirschs Modell beginnt erst mit der tatsächlichen Ankunft im Heimatland.
Die Ansätze der Anpassungstheorien verwendet auch Adler, um verschiedene Persönlichkeitstypen bei der Reintegration zu beschreiben. Hier geht es nicht um eine Anpassungskurve nach U- und W-Modelle sondern um einen Orientierungsgrad.
Ein frühes Konzept zur Verlaufsbeschreibung von Wiedereingliederungen haben Gullahorn und Gullahorn[156] vorgelegt. Sie haben das U-Kurvenmodell von Lysgaard (1955) in ein W-Kurvenmodell erweitert und damit das erste Verlaufsmodell des Rückkehrprozesses dargestellt.[157] Die erste Hoch-Tief-Phase ist die der Ausreise und Integration im Ausland, die zweite die der Rückkehr und Eingewöhnung im Heimatland.
Abbildung 2: W-Kurvenmodell in Anlehnung an Gullahorn und Gullahorn. Quelle: Eulenburg (2001), S. 34
Uehara bestätigt in seiner Studie die Existenz des Rückkehrschocks im Wiedereingliederungsprozess.[158]
Hirsch unterscheidet in seinem Reintegrationsmodell anhand der Schilderungen von Auslandsrückkehrern in Wiedereingliederungsseminaren drei zeitlich abgrenzbare Phasen: die naive Integration, den Reintegrationsschock und die echte Integration. Er beschreibt jeweils charakteristische Erlebens- und Verhaltensweisen, die jedoch von individueller Dauer und Ausprägung sind.[159]
Abbildung 3: Prozessmodell der Reintegration. Quelle: Hirsch (2003), S. 423
Die „naive Integration“ ist vergleichbar in der englischsprachigen Literatur mit der „honeymoon“-Phase, die nach Angaben von Weaver und Adler nur weniger als einen Monat, manchmal sogar nur wenige Stunden andauert.[160]
Das Phasenmodell verwendet Hirsch in seinen Seminaren, um die Reintegration als einen Prozess kenntlich zu machen. Damit wird den Rückkehrern die Möglichkeit gegeben, sich auf einer Skale einzuordnen und schwierige Situationen der Unzufriedenheit dadurch als vorübergehend wahrzunehmen.[161]
Fritz beschreibt aus sozialisationstheoretischer Sicht anhand eines Dreiphasenmodells den Rückkehrprozess mit der Antizipations-, Akkomodations- und Adaptionsphase.
Antizipationsphase beginnt schon im Ausland und dauert bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Rückkehr, während derer vom Mitarbeiter und seiner Familie bestimmte Erwartungen über die vorzufindende Situation und ihre Rollen im Heimatland aufgebaut werden.[162] In dieser Phase kommt das Abschiednehmen im Gastland hinzu, Bedauern des Weggehens, der endgültige Abschied von Freunden und Bekannten, aber auch die Vorfreude und Erwartungen an daheim treffen aufeinander.[163]
Ist der Expat im Heimatland, beginnt die Akkomodationsphase, wo er Unterschiede zwischen seinen Erwartungen an die Situation im Heimatland und der vorgefundenen Realität erfährt. Der umgekehrte Kulturschock bzw. der Rückkehrschock fällt in diese Phase.
In der Adaptionsphase gelingt dem Rückkehrer die Integration in der Heimat, er lebt sich wieder ein und übernimmt die Normen, ohne seine Auslandserfahrungen zu verleugnen. Er wird von der Gesellschaft und seinen Kollegen und Vorgesetzten wieder vollkommen einbezogen und anerkannt.[164]
Die Beschreibungen von Hirsch und Fritz decken sich; der Unterschied liegt in der Betrachtungsweise: Fritz beschreibt die Anpassung mehr vom psychologischen Standpunkt, während Hirsch auf die Änderungen im Verhalten eingeht und die Beschreibungen durch Zeitangaben konkreter werden lässt.[165]
Im Folgenden wird ein Modell dargestellt, das den Ansatz von Hirsch und das Modell von Fritz integriert. Die Aufgliederung von Hirsch in „Naive Integration“, „Reintegrationsschock“ und „Echte Integration“ ist mit Vorbereitungsphasen - „Vorbereitung der Rückkehr“ und „Abschied“ – sowie mit einem Abschnitt „Desillusionierung“ auf sechs Stufen erweitert worden.
Abbildung 4: Verlaufskurvenmodell der Rückkehr von Hirsch und Fritz. Quelle:
Eulenburg (2001), S. 33
Die Bewältigung der Reintegration kann auch abhängig von Personentypen betrachtet werden. Eine Typologie der Anpassungsreaktionen hat Adler entwickelt. Das Modell basiert auf einer Studie mit 200 kanadischen Regierungs- und Unternehmensmitarbeitern, die den Reintegrationsprozess durchlaufen:
Abbildung 5: Bewältigungstypen des Reintegrationsprozesses. Quelle: Adler, N.J. (1991), S. 242
Die meisten Expatriates sind resozialisierte Rückkehrer, zu den entfremdeten Rückkehrern gehören Auslandsmitarbeiter, die sich sehr stark an die fremde Kultur angepasst haben (“going native“). Die beiden Extrempole (“resocialized returnee“ – “alienated returnee“) bilden Typen, die für das Unternehmen nur bedingt effektiv einsetzbar sind.[166] Weder die Glorifizierung noch die Verdrängung der Auslandserfahrungen ermöglichen aus Unternehmenssicht verwertbares „Kulturlernen“.
Der „proaktive Rückkehrer“ im Adlers Modell bringt dem Unternehmen am meisten Nutzen bezüglich internationaler Erfahrung. Hier wird eine Person erkennbar, die gegenüber der fremden Kultur Offenheit zeigt, die aber auch in der Lage ist, heimzukehren und ihre Erfahrungen aufzuarbeiten.[167] Aus den unterschiedlichen Kulturaspekten entwickelt dieser Typus eine synthetische Lebens- und Arbeitsform[168], an welcher der Expatriate das Unternehmen partizipieren lässt. Nach einer Studie von Black/Gregersen (1992) gehört „proactive returnee“ bezüglich der Loyalität gegenüber dem Unternehmen zu 32% von Rückkehrern, die sowohl dem Stammhaus als auch der Auslandsgesellschaft verbunden...