Boiodurum, Patavia: Das römische Passau
Kastelle am Donau-Limes
Im 1. Jh. n. Chr. richteten sich die Römer zwischen Donau und Inn ein. Auf beiden Flüssen begann ein intensiver Schifffahrts- und Handelsverkehr. Die Donau diente bis ins 5. Jh. als Limes, als Nordgrenze des Imperium Romanum. Das römische Passau wurde deswegen entscheidend durch seine Grenzlage zum nördlichen Barbaricum geprägt. Die militärische Sicherung stand im Vordergrund. Darüber hinaus schied der Inn die beiden Provinzen Rätien und Noricum. Das Gebiet Noricums kann mit dem heutigen Österreich gleichgesetzt werden, Rätien umfasste im Wesentlichen das heutige Bayern südlich der Donau. Da beide Provinzen verschiedenen Zollbezirken innerhalb des Reiches angehörten, bildete der Inn eine innerrömische Demarkationslinie.
Um 50 n. Chr. entstand im Bereich des späteren Klosters Niedernburg zuerst eine kleine befestigte rätische Zollstation, in deren Umfeld sich eine Wohn- und Gewerbesiedlung mit Donauhafen (heute Römerplatz) entwickelte. Zur Sicherung der Innmündung wurde unter Kaiser Domitian um 90 n. Chr. auf der norischen Seite ein Kleinkastell in Holz-Erde-Technik errichtet, das den alten keltischen Ortsnamen Boiodurum übernahm. Im 2. Jh. sind für das Kastell breite Gräben und steinerne Umfassungsmauern nachgewiesen. Davor bildete sich ein vicus, ein Lagerdorf, heraus. Zu dieser Zeit bestand schon die Römerstraße entlang des Südufers der Donau, welche zahlreiche Städte, Kastelle, Fährstationen und Wachttürme bis zum Schwarzen Meer verband. Die nächstgelegenen Legionslager und »Großstädte« waren Castra Regina (Regensburg) im Westen und Lauriacum (Lorch unterhalb von Enns) donauabwärts. Auch die kleine rätische Zollstation zwischen Inn und Donau erfuhr bis ums Jahr 100 den Ausbau zu einem festen Kastell. Mit der Stationierung der cohors IX Batavorum um 160/170 wurde ein neues, umfangreicheres Lager notwendig, das die 1000 Mann umfassende berittene Kundschaftertruppe aufzunehmen vermochte. Die Kohorte setzte sich aus Batavern, Angehörigen eines Germanenstammes vom Niederrhein, zusammen. Ihr neues Kastell, in den Quellen »Castra Batava« oder »ad Batavos«, später auch »Batavis« genannt, hat sich allem Anschein nach auf der Höhe des Domberges befunden, obgleich hier noch keine eindeutige archäologische Fundlage herrscht. Auf der gesamten Halbinsel breitete sich im 2. und in der ersten Hälfte des 3. Jhs. die stadtähnliche Ansiedlung Batavis aus, von deren reger Geschäftigkeit zahlreiche Funde künden.
BIOGRAFIE
Wer waren die Bataver?
Der im Mündungsgebiet des Rheins – also in den heutigen Niederlanden – lebende germanische Stamm der Batavi wird von Julius Cäsar im »Gallischen Krieg« und von Cornelius Tacitus in der »Germania« erwähnt. Da die Bataver schon früh die römische Oberherrschaft vertraglich anerkannt hatten, genossen sie einen privilegierten Bundesgenossenstatus mit Steuerfreiheit. Ein Aufstand gegen die Römer im Jahr 69 n. Chr., der ganz Niedergermanien (Germania Inferior) erfasste, blieb erfolglos, endete aber mit der Erneuerung des Bündnisses mit Rom. Die Verpflichtung der Bataver bestand in der Stellung von Hilfstruppen (Auxilien) für das römische Heer unter eigenen Kommandanten. Eine solche Truppe übernahm im 2. Jh. die Wacht an der Donau und gab der Stadt Passau ihren Namen. Die enge Bindung der Bataver an Rom zeigte sich in eigenen Bataver-Abteilungen der kaiserlichen Leibgarden. Der Hauptort ihres niederrheinischen Heimatlandes war Noviomagus (Nimwegen). Im 16. Jh. kam der neue lateinische Begriff »Batavia« für die Niederlande auf. Mit Batavia benannten die Niederländer sodann die zu ihrem Kolonialreich gehörende heutige indonesische Hauptstadt Jakarta.
Im Zuge verheerender Einfälle der germanischen Alemannen ging das bewohnte und befestigte Areal um 260 zu Grunde. Auch das gegenüberliegende norische Kastell Boiodurum wurde aufgegeben. Nach dem Abzug der Alemannen kehrte jedoch die römische Administration zurück. Die Grenzverteidigung des Donau-Limes wurde nach 280 von den Kaisern Diokletian, Maximian und Konstantin grundlegend reorganisiert und konsolidiert. An die Stelle offener Siedlungen und der herkömmlichen quadratischen Kastelle traten nun kleinräumige, aber schwer befestigte Anlagen. Über eine Kette von Sicht- und Signaltürmen sollten jegliche feindlichen Bewegungen sofort zum nächsten Heeresposten gemeldet werden. Ein solcher Wachtturm – ein burgus – wurde am Donauufer in Bayerisch-Haibach (2,8 km flussabwärts) ausgegraben.
Abb. 2: Kastell Boiotro am Inn, erbaut Ende des 3. Jhs. n. Chr. Die Rekonstruktionszeichnung zeigt die 0,14 Hektar große trapezförmige Anlage. Die längere Mauer zum Inn war 80 m lang. Das Kastell beherbergte eine Kohorte von 200 Mann unter einem Tribun.
Als neues Zentrum entstand auf norischer Seite direkt am Inn eine mächtige Festung mit 3,6 m starken Mauern und vier wuchtigen Eckbastionen. Das römische Staats- und Verwaltungshandbuch notitia dignitatum nannte sie Boiotro – eine sprachliche Verballhornung von Boiodurum. Im Inneren des trapezförmigen spätantiken Kastells befanden sich Einrichtungen für eine Truppe von 200 bis 300 Mann unter einem Tribunen. Im Schutz des Bollwerks entstand eine gleichnamige Siedlung mit Bootslände und einer Fährverbindung über den Inn zum jenseitigen rätischen Ufer. Münz- und Keramikbefunde weisen darauf hin, dass das Kastell Boiotro bereits kurz vor 400 vom Militär geräumt wurde. Vermutlich wechselte die Garnison ins leichter zu verteidigende rätische Batavis zwischen den Flüssen über. Ein steinerner Einbau aus dem 5. Jh. spricht noch für eine weitergehende Nutzung des Kastellareals. Gegen den Ausgang des 5. Jhs. lässt eine archäologisch feststellbare Brandschicht auf das Ende auch dieser Behausung oder Unterkunft schließen.
Sankt Severin und das Ende der Römerzeit (um 476)
Das – wohl auf dem Domberg zu lokalisierende – rätische Lager der Bataver-Kohorte war den Kriegszügen der Alemannen zum Opfer gefallen. An seiner Stelle entstand um 280 ein neues Kastell, das nun aber wieder den Raum der ersten römischen Besiedlung in der flachen Niederung vor dem Ort einnahm. Es hat sich offenbar um eine mauerumzogene Stadt gehandelt, innerhalb derer ein kleiner Teil als innere Festung massiv ausgebaut war. Der Ortsname Batavis blieb bestehen. Sachfunde deuten darauf hin, dass unter der Besatzung auch Soldaten germanischer Herkunft waren. Die Fundreihe bricht um 400 ab, setzt sich aber in der zweiten Hälfte des 5. Jhs., wenn auch schwächer ausgeprägt, weiter fort. Nach der Vita Sancti Severini wurden Batavis und Boiotro zwischen 470 und 480 von Alemannen und Thüringern zerstört und von der provinzialrömischen Bevölkerung verlassen. Auch die »Wissenschaft des Spatens« hat bisher keine größeren Fundkomplexe nach diesem Datum ans Tageslicht befördert.
Abb. 3: Das ausgegrabene Gelände des spätantiken Kastells Boiotro am Inn aus der Vogelschau. Gut erkennbar sind die Fundamente der 3,60 m starken Wehrmauer und eines mächtigen Eckturms.
Für das Ende der Römerherrschaft in Passau steht uns in der Lebensbeschreibung des heiligen Severin ein anschauliches Zeitgemälde zur Verfügung. Die Vita wurde nicht lange nach Severins Tod im Jahr 482 von seinem Schüler Eugippius niedergeschrieben. Seit 453 war Severin in Noricum als Wandermönch unterwegs und gründete Klosterzellen, darunter eine in Boiotro. Er traf auf eine bereits seit mehreren Generationen christianisierte römische Provinzbevölkerung und versuchte, die jenseits der Donau lebenden Germanenstämme für das Christentum zu gewinnen. Erfolg zeigte seine Missionstätigkeit bei Germanen, die bereits in geschlossenen Gebieten innerhalb des Reichsgebiets wohnten. Sein Wirken als Organisator und sein diplomatisches Verhandlungsgeschick mit Barbaren aller Art bestärken die Annahme, dass Severin ein hoher Reichsbeamter war, den erst ein Gelübde zum asketischen Kirchenmann gewandelt hatte. Seine Aufgabe sah er darin, das Überleben der Provinzialen in turbulenter Zeit zu sichern und, als dies nicht mehr möglich war, die Auswanderungswilligen geordnet nach Italien zu führen. In Batavis fand er noch eine römische Besatzung vor und berichtet von Handelsschifffahrt und Landwirtschaft. Sowohl in Boiotro als auch in Batavis existierten Kirchen und Mönchsgemeinschaften. Einen archäologischen Hinweis auf Severins Zelle könnte der erwähnte Einbau im verlassenen Kastell Boiotro bieten. Die von Severin bzw. Eugippius genannte, Johannes dem Täufer geweihte Basilika in Boiotro war sicher der Vorgängerbau der heutigen Severinskirche am Innufer. Die ebenfalls in der Vita erwähnte Cella mit Baptisterium in Batavis wird entweder im Bereich Niedernburg oder auf dem Domberg vermutet.
Den wohl nach 476 einsetzenden Alemannensturm vermochte der Heilige noch so lange aufzuhalten, bis er den Großteil der Bevölkerung aus Osträtien gesammelt, donauabwärts nach Lauriacum (Lorch) umgesiedelt und in Sicherheit gebracht hatte. Von dort erfolgte ein Jahrzehnt später der planmäßige...