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Der Text im Spannungsverhältnis von Produkt-, Prozess- und Kontextorientierung

Zur Entwicklung wissenschaftspropädeutischer Schreibkompetenz bei Jugendlichen an der Schwelle von der Oberstufe zur Universität

AutorSebastian Achatzi
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl119 Seiten
ISBN9783638057752
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 1,0, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Institut für Germanistik), 117 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Wirtschaft bescheinigt Auszubildenden in schöner Regelmäßigkeit eine defizitäre (Lese-) und Schreibfähigkeit; selbst die Schreibdidaktikforschung sieht seit einigen Jahrzehnten den Erwerb der Schriftsprache sowie das Formulieren von Texten als Problem an. Diese Missstände reflektierend befasst sich die vorliegende Studie mit der Notwendigkeit, den Voraussetzungen und Möglichkeiten der systematischen Entwicklung akademischer Schreibfähigkeit seitens der Schule und der Universität. Aus der wachsenden Kluft zwischen der Qualifizierung im Rahmen der gymnasialen Oberstufe und den Schreibanforderungen der Universität resultiert die Notwendigkeit einer Norm, Sinn und Funktion wissenschaftlicher Textproduktion reflektierenden und bewusst machenden integrativen Neukonzeption der Ontogenese von Schreibfähigkeiten und -fertigkeiten. Zu diesem Zweck werden die traditionellen, teils monothematischen schreibdidaktischen Ansätze kritisch hinterfragt sowie die vier Anforderungsbereiche des Schreibens - Prozess, Produkt, Kontext und Kontent - in ihrer Wechselwirkung aufeinander beschrieben und diskutiert. Der Fokus der Studie richtet sich auf die soziale Determiniertheit von Schreiben. Mithilfe einer interdisziplinären Herangehensweise wird anhand des soziologischen Konzeptes der 'Sozialen Welt' das spezifische Handlungsfeld 'Wissenschaft' ausgelotet und auf soziale Erwartungen, Stile sowie kommunikative Beziehungen in der entsprechenden Diskursgemeinschaft kapriziert. Es wird herausgearbeitet, dass wissenschaftliches Schreiben notwendig als kommunikativer Prozess zu verstehen sein muss und von daher seine Bewertungsparameter erhält. Wenn das finale Ziel wissenschaftlichen Schreibens und Kommunizierens das Beschreiben, Erklären und Lösen lebens- und gesellschaftspraktischer Probleme darstellt, so muss im Verlauf schulischer und akademischer Schreibsozialisation ein Bewusstsein generiert werden, das einer Progression der Abstraktion wissenschaftlichen Schreibens keinen Raum gewährt und die Tätigkeit des wissenschaftlichen Schreibens wieder in einen gesellschaftlich-kommunikativen Gesamtzusammenhang überführt. Der Zweck der vorliegenden Arbeit besteht in einer Initialzündung, mithilfe jener die theoretisch erarbeiteten Hypothesen und Forderungen an adressaten-, absichts- und wirkungsorientiertes wissenschaftliches Arbeiten in eine empirische Studie zu den Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Generierung reflektierter wissenschaftlicher Kompetenz überführt werden.

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Leseprobe

3.     Propädeutisches, Begriffsbestimmungen und Allgemeines

 

3.1     Der Textbegriff

 

3.1.1  Zur Herausbildung des pragmatisch begründeten Textbegriffs

 

Was als Resultat, als Produkt des akademischen Schreibens hervortreten soll, ist unzweifelhaft ein Text. Um die Vorraussetzungen und notwendigen Handlungen zum Entstehen desselben zu ergründen, muss eine Definition, eine Bestimmung des Begriffes „Text“ vorhanden sein. Was ist ein Text? Dass es bis heute keine einheitliche, abschließende Definition von Text gibt liegt u. a. darin begründet, dass bisher kein Konsens hinsichtlich entwickelter Textmodelle und ihrer stets differenten Gebrauchsweisen existiert. Rosemarie Behnert spricht in ihrem 1997 erschienenen Aufsatz von circa 30 Textdefinitionen[22]. Bedenken wir, dass in den vergangenen zehn Jahren Forschungstätigkeit etliche hinzugetreten sind, veranschaulicht diese Zahl das Problem sehr nachdrücklich.

 

Stand bis zur Mitte der 60er Jahre ausschließlich der Satz im Fokus linguistischer Analysen und Betrachtungen, so lässt sich danach ein rapide gestiegenes sprachwissenschaftliches Interesse an der Untersuchung von Texten registrieren. Galt bisher der Satz als größte linguistische Einheit, also als größte „überschaubare und daher einer linguistischen Erklärung zugängliche Einheit“[23], so entstanden nun unter dem Fokus auf den Text verschiedene linguistische Forschungsrichtungen mit zum Teil unterschiedlichen Konzeptionen, wie die „Textlinguistik“, die „Texttheorie“ oder die „Textgrammatik“. Diese waren Resultat einer Perspektivenerweiterung. Die Annahme jedoch, die Textbildung würde sich analog zur Satz- oder Wortbildung allein durch das Regelsystem der Sprache vollziehen, hat sich als untauglich erwiesen. Es reicht nicht aus, sprachliche Einheiten unterhalb der Satzgrenze zu segmentieren und klassifizieren und die Regeln der Kombination zu Sätzen aufzuzeigen. Erste Versuche, die Einzelsatzanalyse zu einer Satzpaaranalyse zu erweitern, scheiterten. Ein Text komme offenbar eher durch den inhaltlichen Zusammenhang als durch die Verwendung spezifischer syntaktischer Verknüpfungsmittel zustande. Aufgrund der Begrenztheit der Satzbeschreibungsmodelle entstand die Notwendigkeit, „die Domäne der Linguistik über die auf den Satz begrenzte Systemlinguistik hinaus zu erweitern, die traditionelle Satzlinguistik zu einer Textlinguistik/ Übersatzlinguistik auszuweiten“[24]. Das primäre Zeichen sollte nicht mehr der Satz, sondern der Text sein. Die Durchsetzung dieser Auffassung mündete in eine allgemeine Interessenverlagerung von den internen Eigenschaften des Sprachsystems auf die Funktionen der Sprache in der Kommunikation. Diese neue, Anfang der 70er Jahre aufkommende, pragmatische Orientierung definierte schließlich die Forschungsrichtung „Pragmalinguistik/ Pragmatik“. Ein im Rahmen dieser Orientierung entwickeltes theoretisches Konzept ist die „funktional- kommunikative Sprachbeschreibung“. Auch wenn dieses Konzept der Potsdamer Schule zum Zweck der Sprachbeschreibung und Textanalyse entwickelt wurde, kann es für unseren Kontext der Entwicklung von Textproduktionskompetenz wichtige Grundannahmen liefern, welche Texte und Sprache unter einer kommunikationsorientierten Perspektive erscheinen lassen.[25]  In der Kommunikationslinguistik nimmt der Begriff sprachliches Handeln einen zentralen Platze ein. Das Sprachsystem sollte wieder in die kommunikative Tätigkeit und diese wiederum in das Ensemble aller gesellschaftlichen Tätigkeiten eingebettet und aus ihnen abgeleitet werden.[26] Bedeutungsvoll war vor allem die Erkenntnis, dass der Text die eigentliche Existenzform aller kommunikativen Äußerungen ist. Hierauf aufbauend wurden die Bedingungen sprachlich- sozialer Verständigung zwischen Teilnehmern der sprachlichen Interaktion für die Textkonstitution relevant und rückten stetig in das linguistische Betrachtungsfeld. Aus unserer Schreiberperspektive heraus ist der Text das Ergebnis unseres kommunikativen Handelns und zugleich Objekt und Ansatzpunkt der Rezeptionstätigkeit des Lesers. Der Text wurde vor dem Hintergrund der pragmatischen Wende in den 70er Jahren also nicht mehr als grammatisch verknüpfte Satzfolge angesehen, sondern als komplexe sprachliche Einheit, die funktional, also durch Zielgerichtetheit und Zweckbestimmtheit bedingt und auf Zielgerichtetheit und Zweckbestimmtheit bezogen war. Diese Perspektive kennzeichnete man als „sprachlich- kommunikativ“, da das sprachliche Handeln immer „durch bestimmte Kommunikationsziele bedingt oder auf sie bezogen“[27] ist. Letztendlich wurde unter „Text“ eine Größe verstanden, die eben nicht nur durch die Realisierung von Systemkenntnissen bestimmt wird, sondern besonders von Determinanten und Faktoren im Gefüge der sprachlichen Kommunikation. Gemäß diesen Vorraussetzungen definiert Schmidt Text als

 

ein Stück mündlicher und schriftlicher Rede, durch das ein Sachverhalt als relativ abgeschlossene Inhaltseinheit nach einem Kommunikationsplan sprachlich gestaltet ist, um eine bestimmte Kommunikationsabsicht zu realisieren […] Er ist in der Regel eine vom Inhalt und Zweck bestimmte Folge von Sätzen oder satzwertigen Einheiten (Elementen, zwischen denen Relationen inhaltlicher und formaler Art bestehen)[28].

 

Will man Sprechakte nicht nur als Zeichenfolgen, sondern als Texte mit Handlungsbezogenheit erklären, so müssen neben systeminternen Faktoren systemexterne Faktoren in die Analyse einbezogen werden. Neben die grammatischen Strukturen treten also Parameter der Kommunikation wie Ziel, Zweck, Anlass, Gegenstand oder Verhältnis der Kommunikationspartner.

 

Auf diesen Annahmen aufbauend, möchte ich in dieser Arbeit einen pragmatisch orientierten Textbegriff setzen, in welcher der Text als ein Kommunikat, als die sprachliche Manifestation einer kommunikativen Handlung verstanden wird und folgende Merkmale aufweist:

 

Inhaltseinheit (semantische Merkmale)

 

Kommunikationsabsicht (Funktion)

 

Satzfolge und

 

Kohärenz.[29]

 

Wenn ich den Text in der vorliegenden Arbeit primär als kommunikative Einheit verstehe, habe ich mich natürlich einseitig und selektiv auf einen, wenn auch unmittelbar relevanten Aspekt von Text festgelegt. Es erscheint mir fraglich, ob es überhaupt möglich ist, einen allgemeingültigen Textbegriff zu prägen. Dem stehen meiner Ansicht nach unüberwindbare Schwierigkeiten subjektiver und objektiver Art entgegen. Diese sind einerseits in der multidimensionalen Erscheinung Text wie auch in der Divergenz der theoretischen Ansätze begründet. Zentraler Aspekt bei der Prägung des Textbegriffs ist die Unterscheidung zwischen syntaktischer (Text als Einheit der Grammatik) und pragmatischer (Text als Einheit der Kommunikation) Perspektive.

 

Eine beide Perspektiven vereinende Definition von Text bietet das Studienbuch Linguistik. Da dieses als Grundstein studentisch- wissenschaftlichen Arbeitens gilt, soll auch die darin vertretene Textdefinition als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit dienen. Diese fasst die grundlegende Erkenntnis der linguistischen Pragmatik auf, dass nicht nur Form und Inhalt die umfassende Bedeutung einer sprachlichen Einheit determinieren, sondern sich diese vor allem aus dem Erfassen der kommunikativen Funktion ergibt:

 

„Ein Text ist eine komplex strukturierte, thematisch wie konzeptuell zusammenhängende sprachliche  Einheit, mit der ein Sprecher eine sprachliche Handlung mit erkennbarem kommunikativem Sinn vollzieht.“[30]

 

Trotz der Errungenschaften der „funktional- kommunikativen Sprachbeschreibung“ gegenüber strukturalistischen Ansätzen versteht diese ihren Gegenstand immer noch als statische Größe. Für den Linguisten ist der Text in seiner Analysetätigkeit das Resultat des Produzenten, dient also als Rezeptionsobjekt und ist damit für eine Analyse unter den verschiedensten Aspekten, meist mit dem Ziel der Identifizierung unifizierbarer Textmerkmale, aus denen dann Textsorten resultieren, geeignet.[31]

 

Michel jedoch beschreibt, dass das Produkt „Text“ niemals statisch gefasst werden kann und stets dessen Dynamik reflektiert werden muss: die

 

„interaktionsbezogene Sicht im Herangehen an das Phänomen Text fordert konsequenterweise, dass die jeweilige Funktion wie auch die aktuelle Semantik eines Textes nicht statisch als etwas Feststehendes, Geschlossenes, rein Textinternes, sondern dynamisch, nämlich in bezug auf die Interaktionsbedingungen, also abhängig von den Intentionen, Wissensvorrausetzungen, Einstellungen und Annahmen des Produzenten bzw. des Rezipienten in einer aktuellen Situation zu sehen sind.“[32]

 

Die Fragestellungen um Statik und Dynamik des Produktes „Text“ sollen an dieser Stelle knapp angeführt werden, vor allem, um die Perspektivenvielfalt der unterschiedlichen Autoren und Forscher evident werden zu lassen: Sobotta richtet die Frage an Michel, ob nicht der Text immer noch Resultat einer produktiven und Objekt einer rezeptiven Sprachhandlung und damit statisch sei. Die von Michel thematisierte...

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