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E-Book

Die Konzentrationslager-SS

Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien

AutorKarin Orth
VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783835320307
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Obwohl bereits ganze Bibliotheken mit Studien zu nationalsozialistischen Konzentrationslagern gefüllt werden können, blieb eine detaillierte Studie über das Führungspersonal der Konzentrationslager bislang aus. Die vorliegende Arbeit schließt diese Forschungslücke. Wer waren die Männer, die vor Ort die Verantwortung trugen, und was wurde aus ihnen nach 1945? Nach einer Einführung über die Entwicklung der nationalsozialistischen Konzentrationslager untersucht die Autorin die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Führungsgruppe, wobei sich ein präzises Profil herausbildet. Zur Veranschaulichung werden 9 Werdegänge exemplarisch detailliert präsentiert. Es gelingt Karin Orth dabei, das auf vielfältige Weise verwobene soziale Netz des SS-Führungskorps herauszuarbeiten: Freundschaften und ein eigener sprachlicher Code schufen einen gemeinsamen gesellschaftlichen Kontext, vor allem aber wurde das Geflecht durch die gemeinsam verübten Verbrechen und die Formen der kollektiven Gewalt zusammengehalten. In diesem Zusammenhang verfolgt die Autorin auch die Frage nach der an bestimmte Ereignisse gebundenen Eskalation des Terrors. Schließlich beschreibt Karin Orth, was nach Ende der NS-Herrschaft aus dem Führungspersonal der KZ wurde. Die Ergebnisse der Untersuchung ordnet sie in den Kontext der Bedeutung anderer Tätergruppen im Nationalsozialismus, ihrer Rolle, Funktion und Bedeutung, ein.

Karin Orth, geb. 1963, Studium der Geschichte, Politologie und Soziologie, 1990-93 wiss. Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 1994-97 der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und 1998 des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Von 1994-1998 Lehrbeauftragte der Universität Hamburg, seit 1999 wiss. Assistentin am Historischen Seminar der Universität Freiburg.

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Leseprobe
Schlußbetrachtung (S. 297-298)

Die Frage, was die nationalsozialistischen Täter zu ihrem mörderischen Handeln bewog, ist sowohl unter Historikern als auch in der Öffentlichkeit ebenso heftig diskutiert wie unbeantwortet. Den theoretisch abgeleiteten und letztlich eindimensionalen Erklärungsmodellen, seien sie herrschaftssoziologisch inspiriert und komplex wie die »absolute Macht« von Wolfgang Sofsky oder pauschal wie der von Daniel Jonah Goldhagen behauptete »eliminatorische Antisemitismus«, stehen wenige empirische Arbeiten gegenüber. Eine wesentliche Voraussetzung, um die Motivation der Täter zu benennen und ihr Handeln durch ein nicht nur in sich plausibles, sondern empirisch gesättigtes Modell zu erklären, ist, daß aussagekräftige subjektive Quellen der historischen Akteure vorhanden sind – etwa Briefe, Tagebücher oder andere persönliche Aufzeichnungen.

Für die Mitglieder der Konzentrationslager-SS sind derartige Quellen nur höchst spärlich überliefert. Zeitgenössische Dokumente mit subjektivem Gehalt sind rar, die Äußerungen der betrachteten Personen vor Gericht (insbesondere während der alliierten Militärgerichtsprozesse) über ihren Werdegang oder ihre Motivation sind in quantitativer und qualitativer Hinsicht eher dürftig. Eine Biographie, die den Standards der Biographieforschung entspricht, läßt sich auf der Grundlage des überlieferten Quellenmaterials nicht schreiben.

Die geringe Dichte der Quellen erlaubt zudem nur sehr eingeschränkt, die Motive der beschriebenen Männer zu bestimmen. Ihre Handlungsmaximen ließen sich meist nur aus dem Rückschluß gewinnen – aus dem Mosaik von Zeugenaussagen, den Einlassungen der untersuchten SS-Führer in den Nachkriegsverfahren sowie den Ergebnissen der historischen Forschung, die Auskunft über die Lagerrealität und damit das konkrete Handeln der Konzentrationslager-SS geben.

Lediglich für zwei Lagerkommandanten, für Höß und Pister, lassen sich Handlungskonzepte auf der Grundlage ihrer Überlieferungen konturieren. Pisters Tätigkeit lag ein »Erziehungskonzept« zugrunde: Es beruhte auf der Vorstellung, daß er die »Zöglinge« des SS-Sonderlagers Hinzert ebenso wie die deutschen Häftlinge des KZ Buchenwald zu brauchbaren Gesellschaftsmitgliedern resozialisieren könne.

Seine Methoden waren denkbar traditionell und zielten ausnahmslos auf Sekundärtugenden: Militärisches Lagerleben, Strenge und Arbeitszwang führten in seiner Vorstellungswelt gleichsam automatisch zu »Ordnung«, »Pünktlichkeit « und »Reinlichkeit«. Pister sah sein Konzept aus zwei Gründen für sinnvoll und erfolgreich an: Durch seine Maßnahmen sei sowohl den Zöglingen bzw. KZ-Häftlingen »geholfen« als auch der deutschen Gesellschaft, da diese einer finanziellen »Last« enthoben sei.

Diese Vorstellungen leiteten Pister bis zum Ende seiner Welt: Er übergab im April 1945 das Stammlager Buchenwald den deutschen Funktionshäftlingen und deutete dies als »Machtübertragung«, als Fortsetzung seiner »Fürsorge« für diese Häftlingsgruppe unter den extremen Bedingungen der »Feindannäherung «.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung10
Teil I Die Konzentrationslager-SS: Rahmenbedingungen und Strukturen22
Die Geschichte des KZ-Systems24
Organisations- und Verwaltungsstrukturen der Konzentrationslager34
Die zentrale Verwaltungsinstanz: die Inspektion der Konzentrationslager34
Die Wachtruppe35
Der Kommandanturstab39
Das System der Funktionshäftlinge50
Veränderungen in der zweiten Kriegshälfte53
Das Führungspersonal der Konzentrationslager58
Das statistische Profil der Untersuchungsgruppe59
Die Abteilungsleiter65
Die Lagerkommandanten79
Die Sozialstruktur der Konzentrationslager-SS88
Teil II Die Führungsgruppe der Konzentrationslager: Neun biographische Studien92
Methodische Überlegungen94
Wege zur Lager-SS96
Martin Weiß und Richard Baer96
Die Versorgung der »alten Kämpfer«102
Josef Kramer104
Rudolf Höß106
Paul Werner Hoppe und Johannes Hassebroek116
Formierung126
Die »Dachauer Schule«128
Eickes Präferenzen128
Initiationsriten130
Entlassungen wegen »erwiesener Unfähigkeit«133
Aufstieg innerhalb der Lager-SS137
Das Netzwerk der Konzentrationslager-SS152
»Innere« und »äußere Front«154
Der Einsatz an der »äußeren Front«154
Der Einsatz an der »inneren Front«164
Kollektive Gewaltausübung202
Die zweite Kriegshälfte206
Das Personalrevirement des Sommers206
Pohls Kommandanten214
Die Konstruktion der »Anständigkeit«251
Scheitern256
Reaktionen angesichts der Katastrophe256
Flucht265
Zusammenbruch271
Die Konzentrationslager-SS nach Kriegsende274
Die Phase der alliierten Militärgerichtsbarkeit274
Rückkehr in die deutsche Gesellschaft290
Schlußbetrachtung298
Abkürzungsverzeichnis308
Quellen- und Literaturverzeichnis310
Archivalien310
zeitgenössische Schriften sowie Erinnerungsberichte und Memoiren315
Danksagung334
Dienstgrade335
Organisationsstruktur der Lager-SS336

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