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E-Book

Weltunternehmen und historische Formen des Unternehmens

AutorDarnell Hilliard
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl396 Seiten
ISBN9783531923963
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,25 EUR
Für die Soziologie ist das Unternehmen kein besonders prominenter Gegenstand der Analyse. Die Wirtschaftssoziologie untersucht die Ausdifferenzierung der 1 Wirtschaft in der Gesellschaft. Dabei befasst sie sich vor allem mit dem P- nomen der Knappheit von vorkommenden Gütern und Leistungen als dem Grundproblem der Wirtschaft, fragt danach, welche unterschiedlichen Mögli- keiten der Problemlösung sich aus der Verwendung des Geldmediums ergeben und analysiert Märkte als soziale Strukturen der Produktion und des Konsums, innerhalb derer das Geld auf vielfältige Weise und in unterschiedlichem Tempo zirkuliert. Die Arbeits- und Industriesoziologie beschäftigt sich mit der Frage, welche Folgen unterschiedliche Formen der Organisation von Arbeit für das Denken und Handeln der Arbeitenden einerseits und für einzelne Standorte, 2 Branchen und gesellschaftliche Funktionsbereiche andererseits haben. Die Organisationssoziologie befasst sich mit der empirischen und theoretischen Erforschung der Konstitution und des Wandels von sozialen Strukturen organi- 3 sierten Handelns. Und die Soziologie des Managements interessiert sich vor allem für die unterschiedlichen Formen der Koordination und Kontrolle von 4 Entscheidungen. So gerät das Unternehmen vor allem als korporativer Akteur in den Blick, dessen Entscheidungen über die Produktion von Gütern und Dienstleistungen das System der Wirtschaft reproduzieren (Wirtschaftssozio- gie); als eine betriebliche Form der Organisation von Arbeit durch Hierarchie, Herrschaft und Kontrolle (Arbeits- und Industriesoziologie); als eine bestimmte Ausprägung von formaler Struktur, die das Verhalten seiner Mitglieder reguliert (Organisationssoziologie); oder als Raum von betrieblichen Ressourcen, der durch strategische Managemententscheidungen möglichst effizient zu gestalten ist (Managementsoziologie). 1 Vgl.

Darnell Hilliard ist als Soziologe und Personalberater in Hamburg tätig.

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Leseprobe
5. Multinationales Unternehmen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (S. 1271-172)

5.1. Nation und Weltgesellschaft

Wie zahlreiche unternehmenshistorische Studien zeigen, taucht in der Unternehmensszene des späten 19. Jahrhunderts eine Unternehmensform auf, die sich in vielerlei Hinsichten von den bisherigen Unternehmensformen unterscheidet. Ein Theoriedefizit dieser Studien kann man als Soziologe vor allem darin sehen, dass sie ihren Beschreibungen der Ausdifferenzierung dieser neuen Unternehmensform entweder die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Markt oder die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Technik zugrunde legen. Sehr kompakt formuliert heißt dies, dass sie die Veränderungen auf der Innenseite des Unternehmens entweder aus Ausdehnungen lokaler und nationaler Märkte hin zu internationalen Märkten oder aus kommunikations-, transport- oder produktionstechnischen Innovationen in der Umwelt des Unternehmens heraus zu erklären versuchen.

Die Bedeutung dieser Umweltreferenzen soll und kann hier nicht bestritten werden. Die Ausdifferenzierung dieser, wie auch aller anderen Unternehmensform(en) soziologisch zu analysieren, heißt jedoch, weder die eine noch die andere Unterscheidung als Leitunterscheidung zugrunde zu legen, sondern von der Unterscheidung zwischen Unternehmen und Gesellschaft auszugehen. Daher soll im Folgenden in erster Linie die Gesellschaft und ihre Teilsysteme daraufhin beobachtet werden, welche neuen Möglichkeiten diese für Unternehmensgeschäfte und Unternehmensbildungen bereithalten.

Es ist auch in diesem Zusammenhang nicht beabsichtigt, die Vielfalt neuer gesellschaftlicher Strukturen zu rekonstruieren, geschweige denn eine vollständige Beschreibung der Gesellschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu leisten. Vielmehr konzentrieren sich die Analysen darauf, einige markante Vorgaben dieser Gesellschaft herauszuarbeiten, die sich rückblickend gesehen als Bedingungen der Möglichkeit der Ausdifferenzierung einer neuen Unternehmensform interpretieren lassen.

Mit welcher Gesellschaft bekommt es das Unternehmen nun zu tun und welche neuen Beobachtungsperspektiven dessen, was als Geschäft und Unternehmen möglich ist, ergeben sich aus dieser Gesellschaft? Im Anschluss an bereits vorliegende Arbeiten1 wird hier davon ausgegangen, dass die Leitunterscheidung zwischen Nation und Weltgesellschaft einen aussichtsreichen theoretischen Ausgangspunkt darstellt, um einige Antworten auf die genannte Fragestellung zu skizzieren.

Diese Unterscheidung verweist zum einen darauf, dass es das Unternehmen auf seiner Außenseite nun mit einer Gesellschaft zu tun bekommt, die sich im Zuge der funktionalen Differenzierung, der besseren Organisierbarkeit von Kommunikationen und der Verfügbarkeit von leistungsfähigeren Verbreitungsmedien und Transporttechniken im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend als eine Weltgesellschaft exponiert, die immer mehr Gebiete in Europa, Übersee, Asien, Afrika und anderen Gegenden der Welt kommunikativ erreicht.

Diese Unterscheidung verweist zum anderen darauf, dass es das Unternehmen auf seiner Außenseite mit einer Nahumwelt zu tun bekommt, die nicht mehr primär durch städtische und ländliche, territoriale oder andere Grenzbildungen, sondern zunehmend durch nationale bzw. nationalstaatliche Grenzen markiert ist. Die Nahumwelt konstituiert sich im weitesten Sinne durch eine Gemeinschaft von Gleichen, die als Angehörige einer Nation berechtigt sind, bestimmte Leistungen des Staates zu erhalten (z. B. das Recht auf Besitz von Privateigentum), aber umgekehrt auch verpflichtet sind, bestimmte Regeln des Staates einzuhalten (z. B. regelmäßige Steuerabgabe). 3 Die hier verwendete Unterscheidung zwischen Nation und Weltgesellschaft verweist drittens schließlich darauf, und darin kann man die eigentliche Pointe dieser Unterscheidung sehen, dass die beiden Seiten dieser Unterscheidung nicht etwa ein Konkurrenzverhältnis konstituieren, sondern vielmehr ein Komplementär- oder Steigerungsverhältnis.

Einerseits bildet die Ausdifferenzierung nationalstaatlicher Bezugseinheiten eine wesentliche infrastrukturelle Grundvoraussetzung dafür, dass die verschiedenen Teilsysteme der Weltgesellschaft ihre Funktionen auch in kommunikativ neu erschlossenen Gebieten der Welt dauerhaft erfüllen können und nicht etwa durch traditionale, multifunktionale Mechanismen (z. B. physische Gewalt) zurückgedrängt werden. Andererseits entsteht auf der zwischenstaatlichen Ebene der Weltgesellschaft „eine Erwartungsstruktur, die bestimmte Komponenten nationaler Staatlichkeit

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