Teil II: Die Krise dauerhaft bewältigen – ein Sechs-Punkte-Programm
Es scheint, als hätten wir uns unentrinnbar in der Rettungsmaschinerie verheddert. Wie also kommen wir aus dieser Situation politisch und ökonomisch wieder heraus?
Es liegt in der schon eingangs diskutierten Logik des Handelns von Politikern begründet, dass diese in aller Regel nur das im Moment zur Abwendung einer unmittelbaren Katastrophe Nötige tun. Sie sind von den Stimmungen der Bevölkerung und der Medien abhängig, und sie zielen auf ihre Chancen bei der nächsten Wahl. Daher ist es auch verständlich, dass wir von Krise zu Krise stolpern und einen Rettungskredit nach dem anderen vergeben, um mit dem neuen Kredit die Rückzahlung des alten Kredits zu ermöglichen – immer im Bestreben, die Ruhe zu wahren und die Risiken in die Zeit nach dem Ende der Legislaturperiode zu verschieben.
Viele Politiker haben, wenn man sie zu energischem Handeln drängt, oft zwei Entschuldigungen parat. Die eine ist, dass es für bestimmte, an die Wurzeln der Krise herangehende Handlungen jetzt noch zu früh sei, weil die Wirtschaft dafür erst einmal gesunden müsse. Die andere lautet, dass es jetzt aus irgendwelchen Gründen zu spät für solche Handlungen sei. Man hätte die Maßnahmen früher ergreifen müssen, aber das sei von den Vorgängern versäumt worden. Jetzt müsse man mit den Versäumnissen leben. Der Zeitraum dazwischen – also jener zwischen »zu früh« und »zu spät« – existiert offensichtlich gar nicht. Und warum? Viele Politiker schauen, wie schon erläutert, ängstlich auf die nächste Wahl, und bis dahin wollen sie nichts riskieren – zumal sie sich mangels Fachkenntnissen oft gar nicht in der Lage sehen, Risiken angemessen einzuschätzen, und von daher auch nicht wissen, wie sie auf mögliche Gefahren reagieren sollten. Auch wenn die belastenden Auswirkungen einer sofortigen Handlung langfristig betrachtet viel kleiner sind als die einer späteren, verschieben sie die nötigen Politikmaßnahmen lieber, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden.
Es kommt erschwerend hinzu, dass sinnvolle Maßnahmen meistens nur langfristig wirken, kurzfristig aber Kosten und Nachteile und damit für den politischen Entscheidungsträger Popularitätsverluste mit sich bringen. Das bedeutet angesichts der Kürze der Wahlperioden, dass sich die Politik oft außerstande sieht, schmerzliche Reformen durchzuführen, und sie daher nur im Ausnahmefall in Angriff nimmt, wenn es gar nicht mehr anders zu gehen scheint. Und dann läuft sie Gefahr, vom Wähler abgestraft zu werden.
Gerhard Schröders Agenda 2010, mit der eine Periode der Lohnzurückhaltung eingeleitet wurde, ist solch ein Beispiel. Schröder selbst verlor angesichts der kurzfristigen Lasten der von ihm verantworteten Politik sein Amt, aber die Robustheit der deutschen Wirtschaft heute, gut zehn Jahre später, ist auch auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Nur selten gibt es Politiker, die zu schwierigen chirurgischen Eingriffen bereit sind. Die meisten scheuen sich vor der Verantwortung oder ducken sich angesichts der Komplexität der ökonomischen Entscheidungssituation lieber weg und beten, dass sie ihre Legislaturperiode ohne Blessuren überleben.
Zwischenzeitlich wird in der Eurokrise die Abhängigkeit von den Schuldnern immer größer. Denn die Schuldenlast steigt weiter, und immer größere Teile des eigenen Vermögens sind gefährdet. Das Grundproblem ist, dass es heute auf der Welt viel zu viele Geldanlagen gibt, hinter denen Kredite an Personen, Firmen und Staaten stehen, die nicht zurückzahlen können. Es geht hier sicherlich, wenn man die überschuldeten Hausbesitzer der USA mit einbezieht, weltweit um Tausende von Milliarden Euro. Das alles ist ohnehin schon ein Problem, und zu diesem Problem treten jetzt immer mehr öffentliche Schulden der europäischen Krisenländer hinzu.
Wie die Politik agiert, ist beim letzten Griechenlandpaket vom Herbst 2012 wieder besonders deutlich geworden. Die Laufzeiten der intergouvernementalen Kredite werden einfach um 15 Jahre verlängert, und für die ersten zehn Jahre werden gar keine Zinsen verlangt. Bei anderen Krediten wiederum wurde der Zinssatz drastisch gesenkt. In der Summe bedeutet das, wie das ifo Institut ausgerechnet hat, eine Entlastung Griechenlands, die einem weiteren Schuldenschnitt von einigen Dutzend Milliarden Euro entspricht.
Zugunsten Irlands hat man im Februar 2013 ähnlich getrickst. Mit Billigung der EZB hatte die irische Regierung ihre Notenbank 2010 im Umfang von 40 Milliarden Euro neues Geld herstellen lassen, um damit die Gläubiger der bankrotten Anglo Irish Bank auszuzahlen. Die Bank bzw. die aus ihr gebildete Nachfolgeorganisation ließ man im Februar 2013 in Konkurs gehen, und zum Ausgleich erhielt die EZB niedrigverzinsliche Staatspapiere mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 34 Jahren. Die EZB war durch diese Geschäfte von einer Institution zur bloßen Liquiditätsversorgung zu einer Einrichtung zur langfristigen Staatsfinanzierung geworden.
Was also ist zu tun?
Ich sagte schon: Wir sind gefangen im Euro. Nun müssen wir raus aus diesem Gefängnis. Dafür habe ich einige konkrete Vorschläge. Zum einen geht es um Forderungen, die jetzt sofort umgesetzt werden sollten, um den gordischen Knoten zu durchschlagen. Zum anderen geht es um Maßnahmen, die langfristig die richtigen Weichen für mehr Stabilität der Eurozone stellen, damit wir nicht noch einmal in eine solch brenzlige Lage geraten.
Meine Vorschläge gliedere ich in sechs Punkte. Bei den ersten dreien handelt es sich um Sofortmaßnahmen und bei den anderen dreien um die langfristig richtigen Maßnahmen.
TOP 1 Alles auf den Tisch: Schuldenkonferenz und Schuldenschnitt
Als Allererstes brauchen wir eine große Schuldenkonferenz, bei der alle Schulden der Krisenländer auf den Tisch gelegt werden und bei der die Gläubiger und Schuldner anschließend über einen Schuldenerlass bzw. Schuldenschnitt verhandeln.
Denn es macht keinen Sinn mehr, sich noch länger vorzumachen, dass die Schulden zurückgezahlt werden. Je länger man damit wartet, desto mehr Schuldenprogramme müssen aufgelegt werden, desto länger zieht sich das Siechtum hin und desto teurer wird die ganze Sache für die Steuerzahler. So hat der Bundesfinanzminister seine Landsleute im Januar 2014 bereits auf ein viertes Schuldenprogramm für Griechenland eingestimmt, nachdem es schon beim ersten Programm vom Mai 2010 und dann auch jeweils bei den anderen Programmen hieß, die Situation werde sich rasch beruhigen, und es sei kein weiteres Programm nötig. Das stimmte leider nicht. Griechenland hat heute mehr als doppelt so viel Arbeitslose wie damals, und auf ein Schuldenprogramm folgte das nächste. Es war und ist ein Fass ohne Boden.
Es ist verständlich, dass die allgemeine Bevölkerung schon gar nicht mehr hinhört und beginnt, die Probleme zu verdrängen, wenn wieder einmal Dutzende von Milliarden Euro an Rettungsgeldern über den Tisch geschoben werden. Die Griechen können demgegenüber nichts verdrängen, denn sie sind selbst von einer schrecklichen Massenarbeitslosigkeit betroffen, die sie wegen und nicht etwa trotz des Euro erleiden.
Die privaten Gläubiger und damit auch unsere Banken und Versicherungen, aber vor allem die französischen Banken und Anleger aus aller Welt müssen nun eben in den sauren Apfel beißen, die Realitäten zur Kenntnis nehmen und die Verluste offiziell anerkennen und in ihren Bilanzen verbuchen. Im Übrigen muss auch der deutsche Staat die Verluste aus der Griechenlandrettung verbuchen, statt den Griechen einzureden, sie stünden mit einer Laufzeitverlängerung bis zur Mitte des Jahrhunderts und einer Zinssenkung auf die Hälfte besser da. Solche Vorschläge dienen allein der Verschleierung der Abschreibungsverluste in den Bilanzen, auch jenen des Staates.
Abzuschreiben sind nicht nur Teile der Staatsschulden, sondern auch der Target-Schulden der nationalen Notenbanken und der Schulden der Banken, weil sonst das Geldwesen der Krisenländer nie mehr auf die Beine käme oder die Steuerzahler riesige Programme zur Rekapitalisierung der Banken finanzieren müssten.
Was davon ist am wichtigsten?
Am wichtigsten ist das Problem der Bankschulden. Wir müssen bei den bankrottreifen Banken Südeuropas einen Schuldenschnitt durchführen, mit dem endlich die Gläubiger in Haftung genommen werden. Je eher das geschieht, desto besser. Schuldenschnitte bedeuten zwar, dass man schmerzliche Abschreibungen in den Büchern vornehmen muss, aber sie lassen keine Verluste entstehen, die nicht schon längst da sind. Die Verluste werden nur ans Licht gebracht. Im Übrigen verlieren die Steuerzahler und Rentner Zeit und damit immer mehr Geld, je später der Schuldenschnitt durchgeführt wird, weil sich zwischenzeitlich immer mehr private Gläubiger aus dem Staub machen. Über die Rettungsaktionen wird den Steuerzahlern und Rentnern ja der wertlose Anlageschrott der Gläubiger und das damit verbundene Verlustrisiko aufgebürdet.
Die Staatengemeinschaft mit ihren Rettungskrediten gehört zu den Großgläubigern der Krisenländer. Und vor allem auch die EZB, die die Hauptlast der Rettungsaktivitäten geschultert hat, indem sie ihr selbst gemachtes Geld den Banken geliehen hat. Das habe ich schon erläutert. Indem die EZB den Banken der Krisenländer weit über das Normalniveau hinaus Geld geliehen hat und indem nun auch noch der ESM den Banken Geld leihen soll, werden die privaten Schuldverhältnisse sukzessive durch Schuldverhältnisse mit staatlichen Institutionen ersetzt. Außerdem werden die in Schieflage geratenen...