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E-Book

Das schwarze Schaf

Benachteiligung und Ausgrenzung in der Familie

AutorPeter Teuschel
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl303 Seiten
ISBN9783608106770
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Ausgrenzung tut weh, besonders, wenn es in der eigenen Familie passiert. Das Leid, das ungeliebte Kind oder das schwarze Schaf zu sein, macht keineswegs an den Grenzen der Herkunftsfamilie halt, meist überschattet es das weitere Leben der Betroffenen, wirkt sich auf ihr Selbstwertgefühl und ihre Beziehungen aus. Der Psychotherapeut und Mobbing-Spezialist Peter Teuschel zeigt hier die vielen Facetten von ungerechter Behandlung und systematischer Benachteiligung in der Familie bis hin zu häuslicher Schikane und Ausgrenzung. Er gibt Einblick in die Familiendynamik, die hinter solchem Verhalten stehen kann. Für schwarze Schafe ist es ein erster Schritt der Befreiung, um diese Zusammenhänge zu wissen. Dann können sich Wege auftun, dieses »Schicksal« hinter sich zu lassen.

Peter Teuschel, Dr. med., ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie; nach seiner Tätigkeit als Chefarzt einer psychiatrischen Fachklinik ist er nun in eigener Praxis in München niedergelassen als Psychiater, Psychotherapeut und Coach.

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Leseprobe

Teil I
VOM GEFÜHL, DAS SCHWARZE SCHAF ZU SEIN


EIN GROSSES UNBEHAGEN


An der Familie kommen wir nicht vorbei. Wir alle stammen aus Familien. Die meisten von uns kennen ihre Eltern und, wenn vorhanden, Geschwister. Für all diejenigen, die in Heimen oder Pflegefamilien aufgewachsen sind, wird diese Umgebung zu einer Ersatzfamilie.

Die Beziehung zu unseren Angehörigen ist unsere erste soziale Erfahrung. Sie prägt uns, bestimmt unser Lebensgefühl über weite Strecken, wir können uns ihr nicht entziehen. In unsere Familie werden wir hineingeboren, wir werden nicht gefragt und haben keine Wahl. Insofern ist Familie Schicksal.

Haben wir Glück und meint es das Schicksal gut mit uns, wachsen wir umsorgt und geliebt auf. Wir machen die Erfahrung, dass Beziehungen gut und wir liebenswert sind. Auf dieser Basis können wir als erwachsene Menschen wiederum gute Beziehungen führen, Bindungen eingehen, uns beruflich etablieren, kurz, unseren Weg als ausgeglichene und selbstbewusste Menschen finden.

Mit etwas weniger Glück aber stehen wir vor einem Problem. Die Erfahrung, innerhalb der Familie nicht ausreichend geliebt zu sein, gar zurückgewiesen zu werden, prägt sich tief in unsere Seele ein. Besonders wenn wir den Eindruck haben, dass andere Mitglieder der Familie uns vorgezogen werden, mehr Zuneigung und Aufmerksamkeit erhalten, mehr Anerkennung bekommen, ernster genommen werden, entsteht ein negatives Lebensgefühl. Es ist gekennzeichnet durch ein quälendes Unbehagen, durch Empfindungen eigener Unzulänglichkeit, das Gefühl, nichts zu gelten oder sich ständig etwas beweisen zu müssen.

Es ist das Gefühl, das schwarze Schaf zu sein.

Wenn ich Berichte von Menschen höre, die dieses Lebensgefühl in sich tragen, ist deren Blick meist gesenkt. Wenn man sich von der eigenen Familie ausgegrenzt fühlt, kann man anderen schwer in die Augen blicken. Viele dieser Frauen und Männer sind ratlos, sie fragen sich, was sie »falsch gemacht«, wodurch sie dieses Los »verdient« haben. Sie sind innerlich ständig auf der Suche nach dem Weg, diese Rolle abzuschütteln und sich doch noch als vollwertiges Mitglied der Familie fühlen zu dürfen. Die Zuneigung des Lebenspartners, der Erfolg im Beruf, all das scheint nichts zu wiegen im Vergleich zu ihrer belastenden Erfahrung in der eigenen Familie.

Manche Menschen, die als schwarze Schafe zu mir zum Gespräch kommen, bringen dieses Thema gleich mit, sie packen direkt aus und erzählen viele, viele Beispiele, so als müssten sie mich überzeugen, dass sie sich das alles nicht nur einbilden. Andere umkreisen das Thema wie die Katze den sprichwörtlichen heißen Brei. Über alles andere in ihrem Leben scheinen sie lieber zu sprechen als über die beschämende Erfahrung, gegenüber der Schwester oder dem Bruder benachteiligt worden zu sein oder immer noch zu werden. Wieder andere berichten über eine »normale« Kindheit. Sie haben sich eine Version von Familie zurechtgelegt, die nicht der Realität entspricht. »Natürlich haben meine Eltern mich geliebt«, höre ich dann, und ich lasse das so stehen. Ich frage auch zunächst nicht nach, was eine »normale« Kindheit ist. Erst später, wenn Vertrauen aufgebaut ist, zeigt sich, dass die Benachteiligung in der Kindheit, die oft bis zur Gegenwart andauert, gar nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen wird. Diese Frauen und Männer haben die Rolle des schwarzen Schafes so sehr verinnerlicht, dass sie sie nicht mehr hinterfragen, ja, sie sehen sie gar nicht als Problem in ihrem Leben. Die Erkenntnis, dass doch nicht alles so »normal« war und immer mehr Erinnerungen auftauchen an Benachteiligungen, Zurückweisungen und Liebesentzug, ist dann meist sehr schmerzlich.

Das Thema hat viele Facetten. Sie reichen von Ausgrenzung aus der Gemeinschaft, Bevorzugung der Geschwister und lieblosem Umgang über ständige Behinderungen der individuellen Entwicklung bis hin zu offenen Schikanen und Psychoterror. Manches Mal sind es nur Erinnerungen an die Kindheit, oft aber ziehen sich die Erfahrungen durch bis in die Gegenwart und prägen das aktuelle Familiengefühl. Dabei ist es egal, ob die Familie noch zusammenlebt oder nicht. Das Gefühl, innerhalb der Familie nicht willkommen zu sein, kennt keine Entfernungen.

So sind die Geschichten dieser Menschen vielfältig, manches Mal ähneln sie sich, dann wieder sind sie in ihrer Einmaligkeit unvergleichbar. Allen schwarzen Schafen, die ich kennengelernt habe, ist aber eines gemeinsam: Ihr großes Unbehagen über sich und die Welt.

Dieses Gefühl entsteht nicht, wenn es nur gelegentlich zu den erwähnten Benachteiligungen und Ausgrenzungen kommt. Wechseln sich diese ab mit Phasen, in denen eine positive Familienatmosphäre herrscht, in der alle das Gefühl haben, ein willkommenes Mitglied der Familie zu sein, besteht die Chance, dass sich diese gute Erfahrung durchsetzt. Dann war »nicht alles schlecht«. Es besteht jedoch bei einigen Menschen die Tendenz, vereinzelte positive Kindheitserfahrungen als »Gegenbeweis« für eine ansonsten belastende Kindheit anzuführen. An diesen seltenen Ereignissen, bei denen sie sich geschätzt und geliebt fühlen durften, halten sie sich fest. Dabei übersehen sie, dass grundlegende Erfahrungen, die unser Lebensgefühl nachhaltig prägen, durch häufige und sich immer wiederholende Ereignisse entstehen. Insofern sind die positiven Erinnerungen dieser Frauen und Männer wie der viel zitierte »Tropfen auf dem heißen Stein«, sie dienen lediglich unserem Verstand als Argument, zur Ausbildung eines positiven Selbstwertgefühls genügen sie nicht.

Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall. Bin ich auf der Suche nach einem Schuldigen, der mir als Sündenbock für eigene verfehlte Entscheidungen und meine Lebensunzufriedenheit dienen soll, werde ich immer einzelne Ereignisse aus Kindheit und Jugend anführen können, bei denen ich ungerecht behandelt wurde. Dies dient dann als Beleg, um ein misslungenes Leben mit einer »schlechten Kindheit« zu begründen. Die Betreffenden stehlen sich durch diese Schuldzuweisungen aus der eigenen Verantwortung. Auch von diesen Menschen wird im Buch die Rede sein, nicht zuletzt damit deutlich wird, wie wir sie von »echten« schwarzen Schafen unterscheiden können.

Interessanterweise befürchten viele der tatsächlich Benachteiligten, auf diese Weise ihrer Familie Unrecht zu tun. Sie haben Angst, ihren Angehörigen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Den Selbstzweifeln an dieser Stelle sind kaum Grenzen gesetzt. »Bilde ich mir das etwa nur ein?« »Vielleicht ist es ja in anderen Familien genauso und ich bin nur ungerecht?« »Oder lag es doch an mir, dass nicht alles so gut gelaufen ist?« Diese Zweifel sind sehr hartnäckig. Selbst in Fällen, in denen sich schwarze Schafe entschlossen haben, dieses Thema in Therapie, Coaching oder Beratung anzugehen, wird man immer wieder auf sie stoßen. Wer sich nicht so gerne offenbart, wird sich entsprechend mehr mit diesen Zweifeln plagen. Im letzten Teil des Buches werde ich einige Vorschläge machen, wie ein Umgang mit ihnen gelingen könnte.

SCHULD UND SCHAM


Viele Menschen, die sich innerhalb der Familie ausgegrenzt fühlen, haben Hemmungen, darüber zu sprechen. Oft wollen sie noch nicht einmal darüber nachdenken, das Thema ist ihnen unangenehm. Vor allem, wenn sie beginnen, sich mit diesem Problem in ihrem Leben auseinanderzusetzen, geht es ihnen nicht gut. Einen der Gründe dafür habe ich schon genannt. Es sind Schuldgefühle. Sie treten auf, wenn wir den Eindruck haben, wir hätten etwas Falsches getan. Aber auch bei »schlechten Gedanken« fühlen wir uns schuldig. Wir scheinen uns für unsere Gedanken verantwortlich zu fühlen und sie als aktive Handlungen zu empfinden. Natürlich steht unsere Gedankenwelt in enger Verbindung zu unserer Person, aber ebenso wenig, wie wir die Gedanken kontrollieren können, sind wir für sie verantwortlich. Es mag gelingen, die eigenen Gedanken zu beeinflussen, darauf beruhen in der Tat auch einige wichtige Methoden der Therapie und Selbsthilfe. Das spontane Auftreten des einzelnen Gedankens können wir aber nicht steuern. Auch in diesem Aspekt sind »die Gedanken frei«.

Die Schuldgefühle der schwarzen Schafe drehen sich oft um ihre vermeintliche Undankbarkeit. Wenn das Gefühl hochkommt, die Mutter oder der Vater hätten mich nicht wirklich geliebt oder würden meine Schwester oder meinen Bruder mehr lieben als mich, sind meist Schuldgefühle nicht mehr fern. Ich kenne Menschen, die sich bei diesen Gedanken nie schuldig gefühlt haben, aber sie sind in der Unterzahl. Die allermeisten der schwarzen Schafe werden wissen, wovon ich rede.

Einige können berichten, dass die Eltern, wurden sie denn einmal konfrontiert mit dem Vorwurf der Benachteiligung, fast schon reflexhaft mit dem Stichwort »Undankbarkeit« reagiert haben. Die Dankbarkeit gegenüber den Eltern scheint als »erste Kindespflicht« fest in unserer Vorstellung verankert zu sein. Dem Argument, dass wir schließlich unser Leben den Eltern zu verdanken haben, ist ja zunächst auch wenig entgegenzusetzen. Auf dieser Basis erleben manche Menschen alle eigenen Regungen, die sich kritisch mit den Eltern beschäftigen, als Undankbarkeit. Insofern ist die »unbedingte Dankbarkeit« ein Totschlagargument und wir kommen nicht weiter, solange es uns nicht gelingt zu differenzieren.

An dieser Stelle berühren wir thematisch bereits einen ganz wichtigen Punkt. Diese, ich möchte sie einmal »Ur-Dankbarkeit« nennen, die auf der existentiellen Tatsache beruht, dass es uns ohne unsere Eltern nicht gäbe, diese Dankbarkeit prägt unsere Beziehung zur Familie in einem Maße, das sie von allen anderen Beziehungen unterscheidet. Konflikte innerhalb der Familie, insbesondere zwischen Eltern und...

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