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Vögeln ist schön

Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt

AutorUlrike Heider
VerlagRotbuch Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783867895842
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Abhängig vom politischen Klima entstehen, vergehen und wiederholen sich bestimmte Vorstellungen von Sexualität. Ulrike Heider ist diesem Phänomen nachgegangen. Mit oft scharfer Kritik und der Würze persönlicher Erinnerungen schickt sie den Leser auf eine ideologische Zeitreise von den 1950er Jahren bis heute. Drastisch schildert sie Sexualverbote, Zensur und Doppelmoral in der Ära des kalten Krieges. Mit Vergnügen lässt sie die Sexuelle Revolution aufleben, berichtet von Sitten-Skandalen an Gymnasien, von der Freien Liebe revoltierender Studenten, von Kommune 1 und 2. Auch die Klitoris als Schlüssel zum Reich der Zärtlichkeit kommt zu ihrem historischen Recht, ebenso wie die Kampagnen gegen den 'Schwanzfick' und jene Weiberfreunde, die sich 'Softies' nannten. Als Kanzler Kohl die 'geistig moralische Wende' ausrief, war der kurze Sommer des 'Make Love not War' vorbei. Die 'Tränen des Eros' begannen zu fließen, aus Hedonisten wurden Libertins. Sie rehabilitierten Pornographie und Bordellerotik, propagierten abgründige Leidenschaften, Geschlechterkämpfe und ein pessimistisches Bild von Sexualität, das heute Mainstream ist. Macht, Ohmacht und Schmerz gehören demnach zur Lust wie Krieg zum Frieden oder der Herr zum Knecht. Weder Liberale noch Progressive, weder Gender-Feministinnen noch Queerbewegte zweifeln daran, während traditioneller Sexualkonservatismus ungehindert wiederkehrt.

Ulrike Heider wuchs in Frankfurt/Main auf, engagierte sich dort in der antiautoritären Protestbewegung und promovierte 1978 als Politologin. Seit 1988 lebt sie als freie Schriftstellerin in New York und Berlin. Sie schrieb zahlreiche Bücher, Essays und Radiosendungen zur Schüler- und Studentenbewegung, über Anarchismus, afroamerikanische Politik und Sexualität.

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Leseprobe

Vorwort


SEXUALITÄT IST GEFÄHRLICH UND SCHMUTZIG. Sexualität ist gut und sorgt für Frieden. Sexualität ist weiblich. Sexualität ist Identität. Sexualität ist Macht und kommt vom Verbot. Sexualität ist Verhandlungssache. Dies und mehr ist in den letzten fünfzig Jahren behauptet, verworfen und wiederholt worden. Fasziniert von der Widersprüchlichkeit der Zuschreibungen bin ich der Frage nachgegangen, was die Menschen während meiner eigenen Lebenszeit mit Sexualität verbanden und verbinden. Ich habe mich dafür an die wichtigsten sexualpolitischen Ereignisse und Entwicklungen erinnert und versucht, ihre Bedeutung mit dem heutigen Abstand zu verstehen. Ich habe philosophische Klassiker, andere zeittypische Texte und Filme zum Thema Sexualität analysiert, sie miteinander verglichen und im historischen Zusammenhang interpretiert. Manchmal konnte ich es beim Schreiben nicht lassen, mich selbst als Person einzubringen, die Geschichte erlebt, Erfahrungen sammelt und sich dazu Gedanken macht.

»Vögeln ist schön«, um es gleich zu verraten, stand 1968 als Graffito weit sichtbar an einem Schulhaus in der hessischen Provinz. Es stand da nur eine halbe Stunde, denn der Direktor holte sofort die Maler, um die Parole zu überpinseln. Lokalreporter sprachen von einer »nicht wiederzugebenden unflätigen Bemerkung«1. Und das Provinzstädtchen erlebte einen Sittenskandal, von dem die Presse landesweit berichtete. Was damals noch geschah, wird der Leser später erfahren.

Mein Versuch, die sich wandelnden und wiederholenden Vorstellungen von Sexualität zu beschreiben, beginnt mit einem zornigen Blick zurück auf die 1950er und 1960er Jahre. Für anständige Bürger und Eheleute war Sex damals etwas, worüber man nicht sprach, für dessen Äußerungen man sich schämte und dessen Funktionen es vor Kindern und Jugendlichen zu verbergen galt. Kunstzensoren und Sittengesetzgeber versuchten die »Unschuld« der Kinder zu hüten und die Jungfräulichkeit der Mädchen zu bewahren. Außerehelicher Geschlechtsverkehr glich der Prostitution, war etwas Niedriges und Schmutziges. Eine Frau, die abtrieb, galt als Verbrecherin, eine schuldig Geschiedene als Hure, ein Schwuler als einer, der notorisch Minderjährige verführt.

Angst vor moralischem Verderben und tierischer Triebhaftigkeit bestimmte das offizielle Bild von der Sexualität. Scheinbar einziges Kontrastprogramm für Nonkonformisten war ein – meist nur theoretischer – Antimoralismus, angeregt von sexuellen Großsprechern wie Henry Miller oder der Affinität des französischen Existentialismus zu de Sade. Unter vorgehaltener Hand prahlte so mancher meiner Schulfreunde damit, die Schriften des grausamen Marquis gelesen zu haben. Sexualität war für solche Möchtegern-Libertins etwas Gefährliches, Abgründiges und Asoziales, verwandt mit Prostitution, Gewaltverbrechen und Unterwelt. Sexuellen Genuss im Sinne unbeschwerter Lebensfreude konnten sie sich ebenso wenig vorstellen wie die Biedermänner.

Die Machthaber der Adenauer-Ära hatten versucht, die Menschen mit strikter Arbeits- und Sexualmoral zu disziplinieren, um Antikommunismus und Wiederaufrüstung durchzusetzen. Ihren Nachfolgern schien es opportun, den inzwischen vom Wohlstand geprägten Bundesdeutschen etwas mehr Genuss zu gönnen. Die Zensoren verloren an Einfluss. Stimmen erhoben sich, die für Enttabuisierung der Sexualität und Aufklärung plädierten, und Oswalt Kolle schrieb sein erstes Buch für Eheleute. Kritische Gymnasiasten griffen diese reformerischen Befreiungsbemühungen auf und forderten Sexualkundeunterricht in der Schule. Die mutigsten von ihnen gingen weiter, verlangten die Antibabypille und freie Sexualität für Jugendliche. Als sie ihren Schuldirektor persönlich kritisierten, mussten sie sich vor Gericht verantworten.

Die Sexuelle Revolution, wie sie von antiautoritären Schülern und Studenten verstanden wurde, war als Teil einer sozialen Revolution gedacht, die die Gesellschaft in allen Bereichen verändern sollte. Die Opposition gegen Krieg, Imperialismus und soziale Ungerechtigkeit auf der ganzen Welt sollte sich mit der Entwicklung neuer, menschlicherer Beziehungen, neuer Liebesformen und Sexualbegegnungen der Oppositionellen untereinander verbinden. Dem politischen Optimismus dieser Jahre, genährt von den Erfolgen der Befreiungsbewegungen der Dritten und dem Einfluss der Studentenbewegungen der Ersten Welt, entsprach ein optimistisches Menschenbild, oft verbunden mit dem Glauben an eine ursprünglich gute Menschennatur. Dazu gehörte ein ebensolches Bild von der Sexualität, deren Befreiung die Rebellen bald zu idealisieren und romantisieren begannen. Sexualität, solange sie nicht unterdrückt würde, galt als etwas grundsätzlich Positives, das geeignet war, Frieden, Harmonie, Gleichheit und Glück zu schaffen. Wilhelm Reich und Herbert Marcuse, beide von Marx und Freud, Marcuse auch von dem hedonistischen Frühsozialisten Charles Fourier beeinflusst, standen für solches Denken. Reichs Rousseau’sches Menschenbild förderte politische und sexualpolitische Illusionen. Marcuses Skeptizismus gegenüber der Befreiung unter unfreien Bedingungen wurde oft überlesen. Ein überwältigender Hedonismus prägte die Einstellung zur Sexualität, bei Männern nicht minder als bei Frauen.

Zu Sexualreformern und Sexualrevolutionären gesellten sich als dritte Befreiungsfraktion all jene, denen es ums Geld verdienen ging. Eine breite Front von Illustriertenmachern, Film-produzenten und Werbefotografen trotzte der Zensur in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mehr und mehr Sexualtoleranz ab. Oberflächliche Sexartikel, schlechte Sexfilme, verführerische Fotos dümmlich dreinblickender »Mädchen«, (teil)entblößte Beine, Busen und Ärsche brachten glänzende Profite ein. Sexwelle hieß das damals und speiste sich aus anderen Quellen als die Sexuelle Revolution, obwohl sie diese bisweilen zu korrumpieren drohte.

Kritik an solch sexistischer Korrumpierung und am uneingelösten Versprechen von Geschlechtergleichheit in der Studentenbewegung erhob sich schon seit 1968 unter den ihr angehörenden Frauen. Erst gegen Mitte der 1970er Jahre allerdings begann sich die Neue Frauenbewegung auf Sexualität zu konzentrieren und diese in weibliche und männliche aufzuspalten. Als Fortsetzung des idealisierten Bildes aus der Sexuellen Revolution entstand schließlich die Vorstellung von der ursprünglich sanften, zärtlichen und friedensstiftenden Frauenlust mit der Klitoris als einzigem, nur dem Genuss dienendem Organ. Dem entgegen stand die böse, destruktive und kriegerische Männersexualität mit der Waffe Penis als patriarchalischem Herrschaftsinstrument. Feministinnen verweigerten den »Schwanzfick«, feministische Männer versuchten, ohne diesen auszukommen, und die neue Schwulenbewegung propagierte ein androgynes Männerbild. Anstelle der befreiten Sexualität als Hoffnungsträgerin trat das »weibliche Prinzip«, weniger dem Lustgewinn als der Identität verpflichtet.

Es kamen die 1980er Jahre und mit ihnen ökonomische Unsicherheit, Verschärfung der sozialen Gegensätze und die große Angst vor dem Atomkrieg. Helmut Kohl ermahnte die Deutschen, den Gürtel enger zu schnallen, und rief die »geistig moralische Wende« aus. Kein Zufall dürfte es gewesen sein, dass es zu dieser Zeit in Bezug auf Sexualität zu einem drastischen Paradigmenwechsel kam, der der Lust ihre hedonistische Leichtigkeit absprach, sie verdüsterte und dramatisierte. Als Vorreiter eines neuen Libertinismus profilierten sich weibliche und männliche Angehörige der zerfallenden linken Bewegung. Im Namen der Sinnlichkeit rehabilitierten sie Pornographie und Bordellerotik, bezichtigten die Frauenbewegung der Prüderie und feierten die Femme fatale. »Geilheit« und »Lüsternheit« hießen die entsprechenden Identifikationsbegriffe. Zum Ideal erhoben und einmal mehr als Natur erklärt wurde eben die von Macht und Gewalt geprägte Sexualität, die die Feministinnen als männlich definiert und verteufelt hatten. Zärtlichkeit, Friedfertigkeit und Altruismus galten neuerdings als Feinde der Lust. Geschlechterkampf statt Partnerschaft war angesagt, und ein Geschlechterpolarismus, der den des essentialistischen Feminismus übertraf.

Lieblingsautoren der neuen ideologischen Avantgarde waren die Nietzsche- und de-Sade-Interpreten Michel Foucault und Georges Bataille. Foucault, der die Sexualbefreier verlacht, die Sexualität der Macht verschreibt und die Lust desexualisieren will. Bataille, dessen Eros obszön, gefährlich, schmutzig und gewalttätig ist, und der das Verbot zur Quelle der Lust erhebt. Die Philosophie Friedrich Nietzsches samt Elitarismus und Schmerzverherrlichung erlebte ein Comeback, ein sozialdarwinistisches und antihumanistisches Menschenbild gewann an Einfluss. Der sich zum Negativen wandelnden Vorstellung von der Natur des Menschen folgte die von seiner angeblich atavistisch-bösen Sexualität. Aids tat ein Übriges, um diese mit Risiko, Gefahr und Tod zu verbinden.

In den 1990er Jahren, während derer sich die...

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