Heimatlos in der katholischen Kirche
Beatrice war 26, als sie 1969 Roland kennen lernte. Die Laisierung wurde verweigert, es gab keine Möglichkeit, in der Kirche weiterzuarbeiten.
Will ich meine Geschichte erzählen, muss ich mit meiner Kindheit beginnen. Schon in meinem Elternhaus habe ich erlebt, wie viel Spannungen und Leid entstehen, wenn Menschen unter Druck nach kirchlichen Regeln leben. Meine Mutter war römisch-katholisch, der Vater christkatholisch, wir Töchter wurden in der römischkatholischen Tradition erzogen – das Kirchenrecht erlaubte nichts anderes. Mein Vater litt darunter. Seine Klagen, er müsse seine Gottesdienste immer allein besuchen, klingen mir noch heute in den Ohren. Römisch-katholisch zu werden, wie sein Schwiegervater verlangte, verweigerte er. Vom damaligen Dorfpfarrer, immer auf Betteltour für den Kirchenneubau, sagte er: »Mein Geld nimmt er, aber ich bin ihm nichts wert.«
Vaters Leiden hat mich nicht duckmäuserisch gemacht, sondern rebellisch. Es führte mich dazu, alles kritisch zu hinterfragen. 1958, als Johannes XXIII. gewählt wurde, ahnte ich erst durch Vaters Reaktion, wie bedeutungsvoll dieser Papst für die katholische Kirche sein würde. Für das Verständnis der christlichen Konfessionen. Einen solchen Papst konnte er sogar als Christkatholik akzeptieren; die katholische Kirche war für ihn keine Bedrohung mehr.
Ich selbst bewegte mich oberflächlich in dieser Kirche. Diktate und Gebote beeindruckten mich nicht. Nach meiner Ausbildung zur Primarlehrerin zog es mich ins Ausland, für ein Jahr nach Paris. Dort fand ich Kontakt zur katholischen Studentengemeinde und erlebte eine ganz andere Gemeinschaft als zu Hause: offene Gespräche, lebhafte Gottesdienste. Zurück in der Schweiz, war ich in der Pfarrei nicht mehr heimisch: Ich fühlte mich nicht ernst genommen, fand das Leben in den Gottesdiensten nicht widergespiegelt. Sollte ich diese Kirche nicht besser verlassen? Vier Jahre später, während meines zweiten Auslandaufenthalts, erlebte ich erneut eine aufgeschlossene Studentengemeinde in Salzburg. Mir war klar, ohne etwas Ähnliches zu Hause würde die Kirche in meinem Leben keine Rolle mehr spielen.
Bei meiner Rückkehr Ende 1969 trat ein junger Pfarrer seine Stelle in unserer Pfarrei an. Ich war neugierig, wollte sehen, wie er arbeitet – und war überrascht: lebendige Gottesdienste, lebensnahe Predigten. Er stellte Jesus, dessen Leben, Botschaft und Praxis in den Mittelpunkt. Vor allem wollte er, dass der Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Pfarrei spürbar würde. Er holte Laien zur Mitarbeit, gründete den Pfarreirat, regte Erwachsenenbildung an, ermöglichte den Lektorendienst… Auch im Dorf spürte man den neuen Wind – mit den beiden anderen Konfessionen begann erst ein zaghaftes, später ein intensives ökumenisches Miteinander. Ich engagierte mich im Pfarreirat und in der Liturgiegruppe. So lernte ich diesen Pfarrer näher kennen.
Lange vor Roland habe ich gemerkt, dass zwischen uns mehr als Sympathie war. Als ich ihm dies eröffnete, erschrak er – und realisierte, dass auch er so empfand. Als wir prüfen wollten, ob es sich um wirkliche Liebe handelt und nicht bloß um Verliebtsein, begann das Versteckspiel. Alles, was in einer beginnenden Bekanntschaft selbstverständlich und notwendig ist, war uns verboten. In der Öffentlichkeit zeigte ich mich nicht mehr mit ihm zusammen. Meine Spontaneität und meine Gefühle musste ich zurücknehmen, um mich nicht unverhofft zu verraten. Ich fühlte mich wie in einem Schraubstock. Nach außen konnten wir keine unbeschwerte Beziehung leben. Zusammen sein konnten wir nur heimlich. Wir haben versucht, das auszuhalten: das Gesetz zu respektieren und die Liebe zuzulassen.
Ich fragte mich: Muss ich auf diese Beziehung verzichten? Kann ein Gesetz stärker sein als die Liebe, die zwei Menschen füreinander empfinden? Soll ich die Liebe, die im Gottesdienst immer wieder als Geschenk Gottes verkündet wird, in meinem Leben ausklammern?
Zu wissen, dass Roland seinen Beruf aufgeben müsste, wenn wir zu unserer Liebe stehen würden, schmerzte mich. Ich konnte nicht begreifen, dass Pfarrerberuf und Ehe nicht vereinbar sein sollten. In der christkatholischen Kirche dürfen Pfarrer und Bischöfe verheiratet sein; ich wusste, dass beides sehr wohl zusammengeht.
Gleichzeitig erlebten wir, dass unsere Partnerschaft die Arbeit in der Pfarrei bereicherte und stärkte. Je länger, je mehr spürten wir auch, wir würden diese Geheimhaltung auf Dauer nicht ertragen. Ich selbst konnte zwar mit Freundinnen darüber reden, Roland aber bekam Redeverbot von Bischof Anton Hänggi. Die Belastung wurde so groß, dass mich heftige Migräneattacken plagten. Wir machten uns in kleinen Schritten auf zu einer Entscheidung: heiraten oder trennen. Holten Rat bei ehemaligen Priestern, die inzwischen als ausgebildete Psychologen kirchenunabhängig arbeiteten. Ihre Fachkenntnisse und ihre Verschwiegenheit waren uns eine große Hilfe. Auch dass sie unsere Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung kannten.
Als wir ernsthaft zur Ehe tendierten, besprach Roland sich mit dem Bischof. Seine Zukunft konnte er sich nur im kirchlichen Dienst vorstellen – in welcher Funktion auch immer. Der Bischof erlaubte ihm schließlich, sich heimlich als Katechet oder Laientheologe in einer anderen Pfarrei zu bewerben. Ich stellte mir vor, künftig mit Roland zusammen als Katechetin zu wirken. Wir durften unter dem geltenden Kirchengesetz davon ausgehen, dass etwa innert Monatsfrist von Rom die Dispens, die Entlassung aus dem Priesterstand, erteilt würde.
So beschlossen wir, kirchlich zu heiraten.6 Mein Mann durfte nicht einmal bei seinem Abschiedsgottesdienst darüber reden und der Pfarrei seine Gründe vorlegen. Das war ganz gegen seine Art und brachte ihn an den Rand der Kräfte. Wie mit dem Bischof abgemacht, reichte er die Bitte um Rückversetzung in den Laienstand erst ein, als er an einem anderen Ort eine neue Stelle angetreten hatte. Damals, im Oktober 1978, war ein neuer Papst gewählt worden: Johannes Paul II. Ohne die Bischöfe zu informieren, stoppte er die Laisierungen vom ersten Tag an. Zwei Jahre warteten wir vergeblich auf eine Antwort, trotz mehrmaligen Interventionen des Bischofs. Bis heute hat mein Mann nicht einmal eine Bestätigung erhalten, dass sein Gesuch je im Vatikan eingetroffen ist. Schon das Ringen um den Entscheid hatte Kraft gekostet. Nun kam die ausbleibende Dispens dazu – zermürbend. Und ein Vorgesetzter ohne Verständnis und Mitgefühl, obwohl der Kirchenrat in der Stellenausschreibung explizit erklärt hatte, auch ein laisierter Priester sei willkommen. Der Pfarrer hingegen wollte jemanden, der priesterliche Dienste übernehmen konnte, was für einen Laientheologen nicht möglich ist. Das alles erschöpfte meinen Mann bis zur Depression. Obwohl er seit langem Religion unterrichtete, war er nicht mehr in der Lage, den Unterricht vorzubereiten. Trotz meiner Berufstätigkeit fuhr ich zweimal pro Woche zu ihm, um ihn aufzurichten und ihm bei der Vorbereitung der Stunden zu helfen.
Ohne Dispens gab es keine Möglichkeit, im kirchlichen Dienst zu bleiben.7 Mein Mann entschloss sich 1980, er war 45, für eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Psychologen/Berufsberater. Mit meinem Gehalt kam ich für die Kosten und den Lebensunterhalt beider auf.
Heute sind wir 32 Jahre verheiratet. Mein Mann setzte sich als IV-Berufsberater nochmals dreizehn Jahre mit ganzer Kraft ein. Ich selber gab den Beruf auf, widme mich seither der Hausarbeit und ehrenamtlichen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft, betreute auch meine betagte Mutter bis zu deren Tod 1999. In der römisch-katholischen Kirche fühlen wir uns inzwischen beide heimatlos, die Austrittsdebatte führen wir periodisch. Ich bleibe, weil ich weiter dafür kämpfen will, dass nicht das Gesetz, sondern die Botschaft Jesu zur Mitte wird. Dass künftig die Gemeinden mit ihrem »Vorsteher« Eucharistie feiern können, ob verheiratet oder nicht, ob Mann oder Frau.
Roland
Als Beatrice mir die Augen öffnete, dass wir uns als Mann und Frau lieben, erschrak ich; ich wusste, welch schlimme Konsequenzen dies haben konnte. Verzicht auf den priesterlichen Dienst, der zu meinem Wesen gehörte wie die Verbundenheit mit dieser Frau. Welche Qual, wegen dieses rein menschlichen, in vielem fragwürdigen Gesetzes zwischen zwei Werten entscheiden zu müssen, die gleichermaßen mein Glück ausmachten und deren Verbindung sowohl der Seelsorge wie der Ehe zugutekämen.
Gott will das ganzmenschliche Heil, verkündete ich stets – und Jesus hätte sich ohne Zögern für die Lebensdynamik entschieden. Der erzwungene Verzicht auf solch volles Leben würde mich zu einem verbitterten, bürokratischen »Seelsorger« machen, der den Menschen nicht mehr im Sinne Jesu begegnen könnte.
Der Diözesanbischof zeigte tiefes Mitgefühl, nahm aber auch seinen Auftrag ernst, der Kirche einen Priester zu erhalten. Sein Jawort zu meinem neuen Weg müsse er mit seinem Gewissen vereinbaren können. Der...