Einführung
Die Wahrheit ist befreiend,
doch zuerst scheut man davor zurück.
Gloria Steinem
Weizen ist nicht das »gesunde Vollkorn«, für das er sich gerne ausgibt. Er trägt in Wahrheit in großem Stil zum explosionsartig anwachsenden Übergewicht und einer ganz erstaunlichen Reihe an Gesundheitsproblemen bei – von kleinen Ärgernissen wie Schuppen bis hin zu geistiger Behinderung durch Demenz.
Für viele bricht damit ein Weltbild zusammen: Denn diese Tatsachen sind beunruhigend und ausgesprochen unpraktisch. Die Verdammung des Weizens ist ein Paradigmenwechsel, der für unser Leben von ebenso umwälzender Bedeutung werden könnte wie das Aufkommen des Internets oder die Aufstände des arabischen Frühlings.
Im Bereich der Lebensmittelindustrie erinnert Weizen an die Machenschaften der Tabakhersteller: Absichtlicher und auch irrtümlicher Schwindel von internationalem Ausmaß. Äußerlich von verführerischem Charme, aber innerlich von soziopathischer Zerstörungswut schleicht er sich in unser Leben, um auf jede erdenkliche Weise unsere Gesundheit zu ruinieren.
Für jemanden, der mein Buch Weizenwampe. Warum Weizen dick und krank macht (Goldmann, München 2013) nicht kennt, klingt das zunächst ziemlich unglaubwürdig, weil es unserem Grundwissen über gesunde Ernährung widerspricht. Immerhin sind sich alle maßgeblichen Ernährungsinstitutionen, darunter auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), einig: Gesunde Vollkornprodukte sollten einen festen Bestandteil unserer Ernährung bilden.
Dieser Rat ist allerdings ausgesprochen schädlich. »Esst mehr gesundes Vollkorn« gehört zu den schlimmsten Trugschlüssen, die im Bereich der Ernährungslehre je vorkamen. Denn unser Gesundheitswesen, das unter den Behandlungskosten für Bluthochdruck, hohen Cholesterinspiegel, Fettleibigkeit, Arthritis, Sodbrennen, Reizdarmsyndrom, Migräne, Depressionen, Diabetes und vielem mehr in die Knie geht, behandelt letztlich Weizenkonsum. Und das Mantra, mehr »gesundes Vollkorn« zu sich zu nehmen, nährt diesen Flächenbrand – zur großen Freude der Pharmaindustrie. Diese wiederum finanziert einen Großteil der Lobbyarbeit für die Förderung des Weizenkonsums. Ach, das wussten Sie gar nicht? Zahlreiche Arzneimittelhersteller sind in der Tat über enge finanzielle Verflechtungen mit den Organisationen verbunden, die im amerikanischen Kongress Lobbyarbeit betreiben, an den Vorschriften für die Schulverpflegung mitarbeiten und bei der Arznei- und Lebensmittelbehörde für die Erhaltung der kühnen Faustregel vom »gesunden Vollkorn« eintreten.
Natürlich lassen sich diese Argumente durch klinische Studien belegen, doch die Medien, die von den großen Lebensmittelherstellern mitfinanziert werden, machen selten publik, dass Weizenprodukte zu den wenigen Massenprodukten zählen, die von der amerikanischen Regierung subventioniert werden.
Seit dem Erscheinen von Weizenwampe wächst bei mir die Überzeugung, dass dieses Thema nicht nur von zentraler Bedeutung für die Gesundheit ist, sondern dass die Lage viel ernster ist, als ich dachte. Offenbar sind weit mehr Menschen betroffen als ursprünglich vermutet. Das Thema weizenfreie Ernährung ist keine kurzlebige Modeerscheinung wie einst die fettarme Ernährung. Es ist auch kein Patentrezept nach dem Motto: »Esst mehr Ballaststoffe.« Es handelt sich vielmehr um die Erkenntnis, welchen genetischen und biochemischen Veränderungen dieses Grundnahrungsmittel unterzogen wurde, alles im Namen erhöhter Erträge, ohne zu hinterfragen, ob das Ergebnis noch für den menschlichen Verzehr geeignet ist.
Haste mal ’n Brötchen?
Kluge Ernährungswissenschaftler kennen die appetitanregende Wirkung des Gliadins in Weizen höchstwahrscheinlich schon seit 25 Jahren. Wie sonst ließe sich erklären, dass Weizen in praktisch allen industriell verarbeiteten Lebensmitteln vorkommt, von der Tomatensuppe bis zur Lakritze? Vor 50 Jahren war Weizen ein Bestandteil von Brot, Brötchen und Kuchen. Wenn man heute die Supermarktgänge durchstreift, sieht man schnell, dass nahezu alles, was in Dosen, abgepackt oder tiefgekühlt daherkommt, in irgendeiner Form auch Weizen enthält. Ist der Weizen denn so wichtig für den Geschmack oder für die Konsistenz? Ich glaube nicht. Ich glaube, er steckt nur darin, um den Appetit anzuregen und die Verkaufszahlen zu erhöhen.
Parallel zur Verwandlung des Gliadinproteins in neu geschaffenen Weizensorten stieg die Kalorienzufuhr in den letzten Jahrzehnten um 440 Kalorien pro Tag an. Indem insbesondere die Großkonzerne alles mit Weizen anreichern, sichern sie sich die Nachfrage. Denn diese Weizenzusätze erzeugen ein suchtartiges Verlangen. 440 zusätzliche Kalorien an 365 Tagen im Jahr addieren sich nicht nur zu zahllosen Kalorien – und viel mehr Nachfrage nach Lebensmitteln –, sondern auch zu reichlich Gewicht auf der Waage. Vereinfacht ausgedrückt entspräche der Verzehr von 160.000 zusätzlichen Kalorien einer Gewichtszunahme von rund 20 Kilo in nur einem Jahr. Das ist zwar eine Milchmädchenrechnung, weil das Konzept »Kalorien rein, Kalorien raus« so nicht stimmt, zeigt aber dennoch sehr anschaulich, um welche Dimensionen es hier geht.
Kurz nach der Einführung des neuartigen Gliadins begann der Gewichtsanstieg in der Bevölkerung und in einem gewissen zeitlichen Abstand die schlimmste Ausbreitung von Diabetes, die die Menschheit je erlebt hat.
Das Weizenprotein Gliadin sorgt dafür, dass Weizenprodukte – ob aus Vollkorn oder aus Weißmehl – süchtig machen. Gliadin entpuppt sich als Opiat, das eine ganz spezielle Euphorie und ganz spezifische Entzugserscheinungen hervorruft, sobald der Weizenkonsum eingestellt wird. Dieses Entzugssyndrom lässt sich auch durch medizinisch wirksame Opiatblocker provozieren.
Die unbeabsichtigte Transformation des Weizengliadins in einen Appetitanreger, die von der Ernährungswissenschaft rasch entdeckt wurde, ist also die wahre Ursache des derzeitigen Ausmaßes an Übergewicht und Diabetes auf der ganzen Welt.
Die stille Macht der Tweets
Seit dem Erscheinen von Weizenwampe hat sich die Botschaft weltweit vor allem über Social Media verbreitet. Wenn viele etwas Neues ausprobieren, sind die Ergebnisse mitunter so durchschlagend, dass am Ende viele Einzelberichte bestätigen, was die Wissenschaft erforscht hat. Tausende konnten durch eine weizenfreie Ernährung ihre Gesundheit und ihr Gewicht in einer Weise verändern, die sie vorher für unmöglich gehalten hätten. Sie konnten auf zahllose Arzneimittel verzichten und waren endlich frei von Schmerzen, Luftnot, Durchfall, Krämpfen, Ödemen und Müdigkeit – nur wenige Tage, nachdem sie sich endgültig von Vollkornbrot und Frühstücksflocken verabschiedet hatten.
Mithilfe von Twitter, Facebook und Co. jagen wir den Weizen zum Teufel und verbreiten die Botschaft der Ernährungsrevolution. Diese Botschaft ist in Regierungsetagen ebenso unbeliebt wie in den heiligen Hallen der Lebensmittel- und Agrarkonzerne. Der Agrarriese Monsanto lässt sich die Lobbyarbeit bei der amerikanischen Regierung über zwei Millionen Dollar pro Quartal kosten – und das ist nur ein einziges Unternehmen. Finanziell können wir mit derartigen Dimensionen nicht mithalten. Aber wir dürfen miteinander reden und unsere Erfahrungen teilen – was jene Wirtschaftsunternehmen kaum mit uns vorhaben.
Glutenfrei und andere Mythen
Immer mehr Menschen ernähren sich bewusst glutenfrei und kaufen entsprechende Lebensmittel.
Großer Fehler! Natürlich ist es gut, Weizengluten zu meiden. Allerdings geht man dabei leicht glutenfreien Industrieprodukten auf den Leim. Die Hersteller glutenfreier Nahrungsmittel haben sich erstaunlicherweise mehrheitlich dafür entschieden, einfach auf Stärke aus Reis, Mais, Kartoffeln oder Tapioka auszuweichen. Damit erzeugen sie zwar durchaus brauchbare, glutenfreie Alternativen zu typischen Weizenprodukten, die in Bezug auf Geschmack und Konsistenz recht ähnlich ausfallen, aber diese Produkte treiben den Blutzucker sogar noch mehr in die Höhe als die ursprünglichen Weizenerzeugnisse. Ein glutenfreies Mehrkornbrot oder glutenfreie Nudeln sind im Hinblick auf Blutzuckerspitzen und deren schädliche Folgen kein guter Weizenersatz. Unsere Ernährung sollte demnach weizen- und glutenfrei sein, aber auch frei von glutenfreien Produkten voller leerer Kohlenhydrate.
Das klingt verwirrend, ich weiß, und es ist einer der Gründe, warum ich Weizenwampe – Das Kochbuch nachliefere. Ich will Ihnen helfen, zu essen, ohne zu darben. Die vorgestellten Rezepte sind schmackhaft, blutzuckerfreundlich, appetitlich, ohne den Appetit übermäßig anzuregen, und rundum gesund.
Nur noch Salat und Pappkram?
Die meisten Menschen finden die Vorstellung, auf Weizen zu verzichten, einschüchternd, wenn nicht gar erschreckend. Schließlich gehen damit echte Entzugssymptome einher. Man nimmt mir etwas, wonach ich süchtig bin, und was bleibt dann noch? Muss ich den Rest meines Lebens von Salat und faden Ersatzprodukten leben?
Keineswegs! Viele können bestätigen, dass weizenfreie Ernährung sogar besser schmeckt. Die erste Veränderung tritt bereits auf, wenn man das Suchtmittel eliminiert: Ab jetzt schmeckt Essen wieder um seiner selbst willen, ganz ohne einen Appetitmacher, der uns dazu bringt, alles zu vertilgen, was uns in die Finger kommt. Das Geschmackserlebnis nimmt zu. Sie können einzelne Nuancen besser erkennen und reagieren empfindlicher...