Kapitel 1: Was ist Glück?
Lehnen Sie sich einen Moment zurück und lassen Sie Ihre Phantasie schweifen. Was kommt Ihnen beim Wort »Glück« als Erstes in den Sinn? Ein romantisches Wochenende mit dem oder der Liebsten, ein Kneipenabend mit Freunden? Vielleicht ein Strandspaziergang bei stürmischem Wetter, wenn Gischt durch die Luft weht?
Oder doch eher der Sechser im Lotto, der Ihnen hilft, sich all die lang gehegten Wünsche zu erfüllen: das Haus mit Garten, das knallrote Coupé, ein Urlaub auf Tahiti?
Auf all diese Vorstellungen passt der Begriff Glück, und doch geht es um zwei grundverschiedene Dinge: Während eines harmonischen Abends mit Freunden oder Familie sind wir (hoffentlich) glücklich; knacken wir den Jackpot, haben wir Glück. Und wie jeder Leser von Klatschspalten weiß, kann man jede Menge Glück haben, ohne sich dabei im Geringsten glücklich zu fühlen. Der Lottogewinner, dessen Leben aus der Bahn gerät, ist schon Legende.
Die Volksweisheit kennt den Unterschied sehr wohl, wir finden ihn im Märchen vom Hans im Glück veranschaulicht: Hans hat Glück, weil ihn sein Dienstherr überreich entlohnt. Aber durch den Goldklumpen, den er nun mit sich herumträgt, fühlt er sich auch innerlich geradezu beschwert. Erst als er einen miesen Tausch nach dem anderen abschließt, also eigentlich eine Pechsträhne durchmacht, gewinnt er seine glückliche Stimmung zurück.
Glück haben und glücklich sein
Immer wieder geraten wir in Versuchung, Glück haben mit glücklich sein zu verwechseln: Wir sehnen uns nach freudigen Empfindungen und glauben, ihnen durch günstige Umstände näher zu kommen. Damit berauben wir uns oft genug der Chance, wirklich Glück zu empfinden. Denn wir ernten keine guten Gefühle, sondern meist nur Frustration, wenn wir darauf warten, dass glückliche Begebenheiten auf uns herabregnen wie die Goldmünzen auf das Sterntaler-Mädchen. Es muss kein Lotteriegewinn sein, den wir ersehnen; genauso können wir insgeheim darauf warten, dass endlich der richtige Partner unseren Weg kreuzt oder dass ein Headhunter uns einen phantastischen Job anbietet.
Die deutsche Sprache trägt das Ihre zu diesem Denkfehler bei, indem sie keinen Unterschied zwischen dem inneren Empfinden und äußeren Umständen macht. Die meisten anderen europäischen Sprachen trennen da sauber, das Englische etwa in »happiness« und »luck«. Doch das ist nichts im Vergleich zum Sanskrit, der Sprache des alten Indien: Sie kennt ein gutes Dutzend Worte für die verschiedenen Weisen, Glück zu empfinden.
Denn auch bei dem innerlichen Glücksempfinden, um das es in diesem Buch geht, handelt es sich keineswegs immer um dasselbe Gefühl. Das Kribbeln im Magen, wenn wir verliebt sind, und die wohlige Entspannung bei einer Massage, die rauschhafte Verzückung beim Sex und der Genuss, nach einer schweißtreibenden Stunde Sport ein kühles Bier zu trinken, fühlen sich nicht nur unterschiedlich an. Es sind tatsächlich verschiedene Gefühle, die in unseren Körpern und Hirnen mit jeweils bestimmten Zuständen einhergehen.
Diese Gesichter des Glücks sollten wir kennen lernen. Nur dann können wir uns diesen Empfindungen bewusst öffnen und unser Leben so führen, dass sie sich möglichst oft einstellen. Gelingt uns das, wird das Glücksempfinden von einem Zufallsgast, der gelegentlich vorbeikommt oder auch nicht, zu einem guten Bekannten, den wir gezielt einladen können.
Bevor wir uns allerdings die einzelnen Nuancen des Glücks genauer anschauen, sollten wir zunächst der Frage nachgehen, was der gemeinsame Kern all dieser Gefühle ist – und warum es sie überhaupt gibt.
Das Glück entspringt dem Körper
Man hat Ihnen ein Kompliment gemacht, jemand hat Ihnen Blumen geschenkt, oder Sie genießen einfach nur ein sehr gutes Essen? Ganz gleich, was Sie freut – in Ihrem Körper hat sich ein angeregter Zustand eingestellt. Es lohnt sich, einmal darauf zu achten, denn viele der Veränderungen dabei kann man spüren.
Wenn Sie glücklich sind, pulsiert das Blut etwas schneller in Ihren Adern. Bei den meisten Menschen trennen drei bis fünf Herzschläge pro Minute das Glück vom Normalzustand. Ihre Hauttemperatur steigt um etwa ein Zehntel Grad, weil sich die Durchblutung verbessert. Wenn Sie sich gut fühlen, entspannen sich die Muskeln an den Gliedmaßen und werden geschmeidiger. Sogar Ihre Finger zittern jetzt anders, nicht so eckig, etwas weicher als sonst. Diesen Unterschied werden Sie allerdings höchstens dann bemerken, wenn Sie einen Faden in eine Nadel fädeln wollen. Hinzu kommen wichtige Vorgänge, die wir gar nicht direkt spüren können: Freude verschiebt auch das Gleichgewicht der Hormone.
Und noch bevor Sie selbst oder die Menschen in Ihrer Umgebung auch nur den Anflug eines Lächelns wahrnehmen, hat sich auch im Gesicht einiges getan. Der Jochbeinmuskel, der die Mundwinkel nach oben zieht, hat sich ein wenig angespannt. Der Augenringmuskel, der Lachfalten hervorbringt, hat sich ebenfalls leicht zusammengezogen. Dafür ist der Augenbrauenmuskel, der das Gesicht bei Ekel, Trauer und Furcht verzieht, jetzt nicht im Einsatz.
So sieht das Glück aus. Wie alle Gefühle nimmt es seinen Ausgang ebenso sehr im Körper wie im Gehirn. Denn Wohlbefinden entsteht erst dann, wenn das Gehirn die richtigen Signale von Herz, Haut, Muskeln empfängt und deutet. Ohne unseren Körper wären wir zum Glücklichsein außerstande.
Dieser Gedanke mag zunächst irritieren. Kein Zweifel, manche Glücksempfindungen, etwa beim Essen oder bei der Liebe, verdanken wir leiblichen Genüssen beinahe in Reinform. Was aber geschieht, wenn wir uns an einen fröhlichen Abend mit Freunden erinnern oder uns auf eine Urlaubsreise freuen? In solchen Momenten des Glücks ist unser Körper auf den ersten Blick gar nicht beteiligt. Vielmehr scheint unsere Phantasie, also unser Geist, die Hauptrolle zu spielen. Doch das ist eine Täuschung: Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen allein lassen uns keine Emotionen erleben. Erst wenn sie sich mit den richtigen Körpersignalen verbinden, können wir Freude empfinden. Denn aus diesen Signalen konstruiert das Gehirn die Wahrnehmung leiblichen Wohlbefindens. Versuchen Sie einmal, mit verspannten Muskeln und Angstschweiß auf der Stirn glücklich zu sein!
Das Glück entspringt also mindestens ebenso sehr unserem Körper, Armen und Beinen, Herz und Haut, wie unseren Vorstellungen und Gedanken. Deshalb täten wir gut daran, den Körper viel ernster zu nehmen, als wir es gewohnt sind.
Gefühle kann man nicht erzwingen
Aber warum können wir dann nicht unserem Körper befehlen, Glück zu empfinden, so, wie wir absichtlich die Hand heben, um uns am Kopf zu kratzen? Diese ärgerliche Tatsache hängt mit der Architektur unseres Gehirns zusammen. Für die Steuerung simpler Körperfunktionen und damit auch für Gefühle sind nämlich Nervenbahnen zuständig, auf die das Bewusstsein kaum Einfluss hat.
Das menschliche Nervensystem zerfällt in zwei Teile, die weitgehend getrennt voneinander arbeiten: Man unterscheidet das willkürliche vom unwillkürlichen Nervensystem. Das willkürliche Nervensystem steuert die meisten Muskeln, die unsere Knochen bewegen. Über seine Leitungen laufen die Befehle, wenn ich meinen Zeigefinger abknicken will, um diesen Text weiterzutippen.
Das unwillkürliche (oder autonome) Nervensystem dagegen regelt die grundlegenden Funktionen des Organismus. Es steuert Wachen und Schlaf, kontrolliert den Herzschlag und lässt uns vor Scham erröten. Und da wir auf das unwillkürliche Nervensystem kaum Einfluss haben, wie es der Name schon sagt, können wir nicht einfach beschließen, glücklich zu sein. Von diesem Teil des Nervensystems hängen all jene unbewussten Regungen des Körpers ab, aus deren Wahrnehmung das Gehirn die guten Gefühle erzeugt. Deshalb können wir auf direktem Weg unsere Emotionen kaum verändern. Wir müssen schon raffinierter vorgehen.
Macht Lächeln froh?
Der Volksmund ist überzeugt: Ein Lächeln reicht, um einen Griesgram in gute Laune zu versetzen. Das klingt plausibel. Wenn Gefühle auf Körperzustände zurückgehen, liegt der Umkehrschluss nahe, dass man nur den Körper beeinflussen muss, um ein Gefühl zu wecken. Können wir uns also wirklich mit Hilfe unserer Gesichtsmuskeln in eine glückliche Stimmung bringen? Die Antwort lautet: Theoretisch ja, praktisch eher nicht.
Denn ob Lächeln froh macht, hängt von der Art ab, wie wir das Gesicht verziehen. Der amerikanische Forscher Paul Ekman hat unzählige fröhliche Mienen untersucht und notiert, welche Gesichtsmuskeln jeweils in Aktion traten. So entdeckte er 19 verschiedene Arten des Lächelns.
18 davon sind nicht echt, aber nützlich. Sie dienen uns als Maske. Es gibt ein Lächeln, mit dem wir peinlich berührt nach einem schlechten Witz Höflichkeit zeigen; ein Lächeln, hinter dem wir Angst verbergen; eine gute Miene, die wir zum bösen Spiel machen. Ohne diese Signale würde menschliches Miteinander kaum funktionieren. Mit Freude allerdings haben sie wenig zu tun.
Nur eine Weise des Lächelns ist echt. Wenn nicht nur die Mundwinkel nach oben wandern, sondern wir zudem die Augen etwas zusammenkneifen und Lachfalten in den Augenwinkeln erscheinen, drückt unser Gesicht Glück aus. Dann hat sich der Augenringmuskel zusammengezogen. Ekman nannte dieses Mienenspiel »Duchenne-Lächeln«, zu Ehren des französischen Wissenschaftlers, der als Erster diesen Muskelstrang untersuchte.
Weitere Studien ergaben, dass einzig das Duchenne-Lächeln wahres Wohlgefühl signalisiert. Wenn Ekman seinen Versuchspersonen...