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E-Book

Mehrsprachigkeit - Diversität - Internationalität

Erziehungswissenschaft im transnationalen Bildungsraum

VerlagWaxmann Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl314 Seiten
ISBN9783830978992
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
„Die Ziele der allgemeinen und der beruflichen Bildung haben sich mit der Interkulturalität und Internationalität auseinanderzusetzen, und zwar nicht nur im Hinblick auf interkulturelle Situationen, die sich aus einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund oder Minderheiten in pädagogischen Institutionen ergeben können, sondern auch im Hinblick auf jegliche Formen des interkulturellen Kontakts. So gesehen, hat interkulturelle Bildung keine sektorielle Aufgabe, sondern eine Querschnittsdimension der Bildung zu sein.“
(Allemann-Ghionda 2013, S. 48)

In Anbetracht globaler und soziokultureller Veränderungsprozesse fühlen sich immer mehr Menschen verschiedenen Ländern, Kulturen und Sprachen zugehörig. Diese Komplexität von Mehrfachzugehörigkeiten erfasst Cristina Allemann-Ghionda in ihrem Konzept der polyphonen Identität (Allemann-Ghionda 2003). Gemeint ist damit „ein Repertoire an sprachlich kodierten »Stimmen«“ (Allemann-Ghionda 2004, S. 83). Wie in einem Orchester können sich diese Stimmen „im Sinne von »Ausdrucksweisen«“ und „je nach kommunikativem Zusammenhang isoliert äußern, oder aber in einer Weise kombiniert auftreten, dass der Klang einen eigenen, unverwechselbaren Ausdruck hervorbringt“ (ebd.). Diese musikalische Vielstimmigkeit wird in einem Aquarell von Paul Klee aus dem Jahre 1929 dargestellt. Aus diesem Grund haben wir das Bild Polyphone Strömungen für das Cover der vorliegenden Festschrift ausgewählt, welches die Faszination für die Verbindung unterschiedlicher Stimmen in ihrer Diversität verbildlicht. Für Cristina Allemann-Ghionda sind vor diesem Hintergrund pädagogische und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen, die Mehrsprachigkeit, Diversität und Internationalität nicht berücksichtigen, obsolet. Die drei zentralen Begriffe dieses Bandes, für die sich die allgemeine Bildung öffnen und denen sich die Erziehungswissenschaft stellen muss, bilden die Kernbereiche der Forschungs- und Lehrtätigkeiten von Cristina Allemann-Ghionda ab. Ihr ist diese Festschrift gewidmet. So sind erstens Fragestellungen zu den Themen Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in der Bildung seit ihren frühen Schriften feste Bestandteile von Cristina Allemann-Ghiondas wissenschaftlichem Denken und Wirken (Allemann-Ghionda 1995, 1997). Eng damit verknüpft sind die Frage nach dem Bildungserfolg bzw. -misserfolg von Schüler/innen mit Migrationshintergrund (Allemann-Ghionda / Pfeiffer 2008; Allemann-Ghionda et al. 2010) sowie das Thema der interkulturellen Sensibilisierung (Allemann-Ghionda / Ogay 1995).

Zweitens bilden das Postulat der Anerkennung von Diversität sowie die sich daraus ergebende Forderung nach einer entsprechenden Professionalisierung übergreifende Ziele und Schwerpunkte in Cristina Allemann-Ghiondas Forschung und Lehre. Während sich Cristina Allemann-Ghionda dabei einerseits der Professionalisierung angehender Lehrkräfte (Allemann-Ghionda / Terhart 2006), einschließlich deren Beurteilungs- und Diagnosekompetenzen in sprachlich und soziokulturell heterogenen Klassen (Allemann-Ghionda et al. 2006), widmet, setzt sie sich andererseits auch mit dem Thema der interkulturellen Kompetenzen angehender Ärzt/innen auseinander (Allemann- Ghionda / Hallal 2011). Drittens nehmen die internationale Öffnung der Erziehungswissenschaft und der Hochschulen sowie die vergleichende Erziehungswissenschaft (Allemann- Ghionda 1999, 2004, 2014) eine bedeutende Rolle in Cristina Allemann- Ghiondas Arbeiten ein.

Soziokulturelle Veränderungsprozesse tragen zur Pluralisierung von Gesellschaften bei. Migration ist dabei ein wichtiges und unübersehbares, jedoch nicht das einzige Phänomen soziokultureller und sprachlicher Vielfalt. In ihrem Modell der vier Achsen der Pluralität erfasst Cristina Allemann-Ghionda neben der Migration die infranationale Mehrsprachigkeit, die Europäische Integration und die Globalisierung als drei weitere ‚Quellen‘ soziokultureller und sprachlicher Pluralität (vgl. Allemann-Ghionda 2013, S. 47). Diese Manifestationen von Pluralität stellen wichtige Begründungszusammenhänge für die Umsetzung interkultureller Bildung dar. Für Cristina Allemann-Ghionda ist interkulturelle Bildung dabei ein pädagogischer Ansatz, der die Berücksichtigung von Differenzen in der Bildung in einem umfassenden Sinne als Pädagogik der Diversität versteht (Allemann-Ghionda 2013). Eines der zentralen Ziele einer solchen Bildung in pluralen Verhältnissen ist die Sensibilisierung pädagogischer Akteure und – im Kontext von Schule – der Schüler/innen für interkulturelle Fragestellungen, Machtverhältnisse und (Bildungs-)Ungerechtigkeiten. Die Förderung interkultureller Kompetenz ist somit ein oberstes Anliegen interkultureller Bildung.

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Kapitelübersicht
  1. Inhalt
  2. Einleitung
  3. Interkulturalität und Transkulturalität
  4. Interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit für die globale Welt
  5. Ritualisierte Mehrsprachigkeit und Umgang mit Schweizerdeutsch in vorschulischen Bildungseinrichtungen
  6. Der Lehrer erzieht nicht nur, er selbst wird erzogen. Von reformpädagogischen Zumutungen und der beruflichen Sozialisation des Lehrpersonals
  7. Diversität, Interkulturalität und Multiperspektivität im Unterricht. Möglichkeiten und Grenzen einer mehrperspektivischen allgemeinen Bildung für alle im Kontext von Chancengerechtigkeit
  8. Diversity-Management: ein Potenzial für die Lehrer/innenbildung im 21. Jahrhundert? Einblicke in das Forschungsprojekt DIVAL an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen
  9. Sprachkompetenzen Studierender. Design und Ergebnisse einer empirischen Studie
  10. HAVAS 5. Diagnostik von Sprachkompetenzen im Vor- und Grundschulalter bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund
  11. Medizin und Diversität. Eine interdisziplinäre Konnektivität in der hochschulmedizinischen Ausbildung
  12. Differenzen kritisch hinterfragen, Diversität reflexiv gestalten
  13. Der methodologische Nationalismus und Kulturalismus in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft
  14. Weltweiten Enthusiasmus aufbauen. ,Typisierte Akteure‘ in der transkontinentalen Verbreitung des wechselseitigen Unterrichts am Anfang des 19. Jahrhunderts
  15. Internationalisierung der Berufsbildungsforschung
  16. Grade Promotion Policies and Societal Contexts. The cases of Finland and Japan
  17. Reflektierter Euro- und Okzidentozentrismus. Über die Verortung von Bildung und Erziehungswissenschaft im Kontext globaler Pluralität
  18. Autorinnen und Autoren
Leseprobe
Rainer Wisbert
Interkulturalität und Transkulturalität (S. 19-20)

Die Bildungsentwürfe der europäischen Aufklärung sind zureichend nur zu verstehen vor dem Hintergrund von Telosschwund und Globalisierungstendenzen in der Neuzeit. Der Niedergang des teleologischen Denkens führte zur Freilassung des Menschen aus theologischer und metaphysischer Vormundschaft; Gott zog sich mehr und mehr aus der Welt zurück und überließ die Gestaltung der Welt zunehmend stärker der Menschheit selbst. Gleichzeitig dehnte sich der Erfahrungsraum der Menschen immer weiter aus und führte zu heftigen Debatten über die Gestaltungsprinzipien einer sich nun als Weltgemeinschaft fühlenden Menschheit. Die mannigfaltigen Beiträge in den staatspolitischen, universalgeschichtlichen und kulturtheoretischen Debatten der Aufklärung zur Kosmopolitismusfrage lassen sich auf zwei grundlegende Ordnungskonzepte reduzieren, einen Unitarismus, der im ‚philosophischen Zeitalter‘ in all seinen Varianten lange Zeit dominierte, und einen Föderalismus, der mit Abkehr von einer eurozentrischen Sichtweise in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zunehmend an Boden gewann.

Die Unitaristen gehen aus von der universalen Geltung einheitlicher Vernunftprinzipien, behaupten den Vorrang des Ganzen vor den Teilen, betonen dasjenige, worin alle Völker und Kulturen übereinstimmen, und verlangen, das Weltganze vom Gleichheitsprinzip her zu gestalten. Die Föderalisten halten es für unmöglich, das Weltganze auf nur einen Diskurs, eine Gleichung, eine Formel, ein Bild oder einen Mythos zu reduzieren. Sie fordern vielmehr eine Gemeinschaft der Völker und Kulturen, in der Vielfalt, Eigenart und Eigenständigkeit der Teilbereiche gesichert sind. Das Leitbild dieser sich an Vico und Montesquieu, aber auch an Leibniz orientierenden Bewegung ist die Idee der ‚Einheit in der Vielheit‘.

Ganz unterschiedliche Gefahren haben beide Ordnungskonzepte im Blick. Auf eine Gefährdung des Zusammenhalts der Weltgemeinschaft durch zu starke Gewichtung oder Verselbstständigung von Sonderinteressen lenken die Unitaristen unter den Aufklärern ihre Aufmerksamkeit und suchen folglich die Zentralgewalt zu stärken. Die Föderalisten hingegen befürchten eine Vernichtung des Singulären, sehen in allen allzu starken zentripetalen Tendenzen hegemoniale Bestrebungen, weisen hin auf die Gefahren von Fremdbestimmung und Eintönigkeit und verlangen eine behutsame Integration, bei der die einzelnen Partner weitgehend unabhängig und mitverantwortlich bleiben. Einig sind sich beide Seiten in dem Bekenntnis zu einem universalen Patriotismus und in der Ablehnung jeder Form partikularistischen oder relativistischen Denkens, dem sie vorwerfen, die gemeinsame Sache der Menschheit aus dem Blick zu verlieren und einen Egoismus zu predigen. Zumindest stellen sie die Partikularisten unter Separatismusverdacht.

Auch für Johann Gottfried Herder war die Welt universal geworden und universal neu zu entwerfen. Schon in frühen Königsberger und Rigaer Tagen beteiligte er sich lebhaft an den facettenreichen Aufklärungsdebatten, wandte sich zunächst gegen den machtpolitischen Zentralismus Preußens, die kulturellen Hegemonialansprüche Frankreichs und den universalistischen Rationalismus und später gegen ‚Schwärmerei‘, Geniekult und Empfindsamkeitsbewegung und entwickelte ein eigenes Ordnungskonzept zur Weltgemeinschaft. Seine Theorie der Bildung der Menschheit ist eine deutliche Absage nicht nur an Unitarismus und Partikularismus, sondern auch an alle starren und statischen Ordnungsvorstellungen. Herder entwickelt, so meine These, ein dynamisch föderalistisches Ordnungskonzept zur Weltgemeinschaft, in dem dem Übersetzen eine zentrale Rolle zukommt.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt4
Einleitung6
Interkulturalität und Transkulturalität16
1 Unitarismus und Föderalismus16
2 Föderalistisches Kulturprojekt als Übersetzungsprojekt17
3 Formen des Übersetzens19
4 Übersetzung und Bildung23
5 Selbstübersetzung und Selbstbildung25
6 Zusammenfassung28
Interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit für die globale Welt31
1 Einleitung31
2 Sprache und Kultur: Eine Prämisse32
3 Kommunikative Kompetenzen34
4 Interkulturelle kommunikative Kompetenzen36
5 Einschränkungen und Fallen42
Ritualisierte Mehrsprachigkeit und Umgang mit Schweizerdeutsch in vorschulischen Bildungseinrichtungen47
1 Sprachliche Förderung im pädagogischen Alltag europäischer Bildungseinrichtungen – Konzeptionelle Verbindung der Forschungsprojekte HeLiE und MEMOS47
2 Umgang mit individueller Mehrsprachigkeit, Standardsprache und Schweizerdeutsch im Kindergarten – strukturelle und curriculare Bedingungen51
3 „Und Italienisch können wir das Lied auch noch“ – Ritualisierte Mehrsprachigkeit und Exotisierung der ‚anderen‘ Sprachen im Kindergarten54
4 „Hier sagst du: Ich ha ä Larve“ – Umgang mit Schweizerdeutsch im Kindergarten59
5 Fazit62
Der Lehrer erzieht nicht nur, er selbst wird erzogen.Von reformpädagogischen Zumutungen und der beruflichenSozialisation des Lehrpersonals67
1 Einleitung67
2 Forderungen an Lehrkräfte in der heutigen Gesellschaft69
3 Vom Ideal zum schulischen Alltag77
4 Schluss81
Diversität, Interkulturalität und Multiperspektivität im Unterricht. Möglichkeiten und Grenzen einer mehrperspektivischen allgemeinen Bildung für alle im Kontext von Chancengerechtigkeit85
1 Einleitung85
2 Bildung und Erziehung im Kontext von Diversität und Interkulturalität87
3 Interkulturelle und Diversitätskompetenz93
4 Methodisch-didaktische Überlegungen zur Kanongestaltung im Kontext von Diversität, Interkulturalität und Chancengerechtigkeit97
Diversity-Management: ein Potenzial für die Lehrer/innenbildung im 21. Jahrhundert? Einblicke in das Forschungsprojekt DIVAL an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen103
1 Einleitung103
2 Begriffsklärung: Diversität / Diversity104
3 Diversity-Management an Hochschulen106
4 Zwischenfazit109
5 Forschungsprojekt DIVAL111
6 Ausblick115
Sprachkompetenzen Studierender. Design und Ergebnisse einer empirischen Studie119
1 Untersuchungsgegenstand und -ziele119
2 Die Stichprobe und das Untersuchungsdesign121
3 Erster Testteil: Ein modifizierter C-Test125
4 Zweiter Testteil: Die Schreibaufgabe129
5 Fazit und Ausblick144
HAVAS 5. Diagnostik von Sprachkompetenzen im Vor- und Grundschulalter bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund151
1 Einleitung151
2 Zum Hintergrund der Entwicklung153
3 Vorgehensweise und Auswertung153
4 Zur Konzeption des Instruments155
5 Linien der Sprachentwicklung161
6 Zwei Beispiele166
7 Wissenschaftliche Überprüfung169
8 Kritik172
9 Ausblick174
Medizin und Diversität. Eine interdisziplinäre Konnektivität in der hochschulmedizinischen Ausbildung179
1 Hinführung179
2 Soziokultureller Kontext ärztlicher Agitation und Reaktion181
3 Perspektiven der Internationalisierung des deutsch-medizinischen Bildungs- und Forschungsstandortes – Ein Vergleich184
4 Ausblick190
Differenzen kritisch hinterfragen, Diversität reflexiv gestalten195
1 Einleitende Bemerkungen195
2 Differenz und Diversität in der Sozialen Arbeit196
3 Kritische Differenzforschung und reflexive Diversität als Zielperspektive200
4 Eine Fallbeschreibung aus dem Forschungs- und Praxisfeld „Partnergewalt gegen Frauen im Migrationskontext“206
5 Fazit213
Der methodologische Nationalismus und Kulturalismus in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft218
1 Nationen und Kulturen im Fokus der Vergleichenden Erziehungswissenschaft218
2 Nationalkulturell ausgerichtete Vergleichsmethodik: die ‚Klassiker‘222
3 Komplexe Vergleichsdesigns unter- und oberhalb nationaler und monokultureller Kategorien225
4 Transnationale Bildungsräume und transkulturelle Identitäten227
5 Methodologische Dimensionen der heutigen Vergleichenden Erziehungswissenschaft – eine Zusammenschau230
Weltweiten Enthusiasmus aufbauen. ,Typisierte Akteure‘ in der transkontinentalen Verbreitung des wechselseitigen Unterrichts am Anfang des 19. Jahrhunderts235
1 Der wechselseitige Unterricht als ,globales‘ Modell: Einige internationale Belege236
2 ,Theoretisierung‘: Umfang und Grenzen eines Verbreitungsmechanismus239
3 ,Typisierte Akteure‘ und die textbasierte Bildung von Adressatenkreisen in verschiedenen kulturellen Kontexten242
4 Weltweiten Enthusiasmus ausführen: Abstraktion und ,simulierte Konkretheit‘ als Formen der De-Kontextualisierung251
Internationalisierung der Berufsbildungsforschung258
1 Einleitung258
2 Berufsbildungsforschung258
3 Was ist Internationalisierung?260
4 Zum Stand der Internationalisierung der Berufsbildungsforschung264
Grade Promotion Policies and Societal Contexts. The cases of Finland and Japan275
1 Introduction275
2 Grade promotion policies276
3 The case of Finland278
4 The case of Japan280
5 The challenges of providing equitable learning opportunities282
6 Closing remarks283
Reflektierter Euro- und Okzidentozentrismus. Über die Verortung von Bildung und Erziehungswissenschaft im Kontext globaler Pluralität286
1 Pluralität als Herausforderung286
2 Bildung und Erziehungswissenschaft im Kontext globaler Pluralität287
3 Ausblick auf eine pluritopische Erziehungswissenschaft307
Autorinnen und Autoren310

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