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E-Book

Mozarts Klaviersonaten

Ein musikalischer Werkführer

AutorSiegfried Mauser
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2014
ReiheBeck'sche Reihe 2223
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783406661723
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Klaviersonaten Wolfgang Amadeus Mozarts gehören bis heute zu den beliebtesten Klavierwerken der Musikgeschichte. Sie zeichnen sich durch ihren Assoziationsreichtum, ihre klangliche Flexibilität und ihre dramatische Präsenz aus. Sie zeugen von Mozarts grundsätzlicher Orientierung an Theatralität und spiegeln die vielfältigen praktischen Erfahrungen des wegen seiner Improvisationen gerühmten Wunderkindes wider. Siegfried Mauser bietet in diesem Buch eine ebenso erhellende wie unterhaltsame Analyse aller 18 Klaviersonaten Mozarts. Es wird deutlich, dass die faszinierenden Sonaten Mozarts unter vielen Aspekten über den Horizont der Wiener Klassik hinaus visionär in die Zukunft weisen.

Der Pianist und Musikwissenschaftler Siegfried Mauser leitet seit 2002 die Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Er amtiert derzeit noch als Präsident der Hochschule für Musik und Theater München und ist bereits zum neuen Rektor des Mozarteums in Salzburg gewählt. Erst kürzlich hat er sämtliche Klaviersonaten Mozarts eingespielt. Bei C.H.Beck ist von ihm lieferbar Beethovens Klaviersonaten (2008).

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Leseprobe

Erste Phase


Improvisierte «Manieren» und instrumentales Theater: Frühe Münchner Sonaten KV 279–284


Obwohl die sechs Sonaten KV 279–284 in engem Zusammenhang zu sehen sind – Mozart nummeriert sie selbst im Sammelautograph durch – und ihre gemeinsame Entstehung eindeutig auf den Jahresbeginn 1775 in München zu verlegen ist, fällt dennoch die «dem Grafen Dürnitz in München gemachte» (Brief vom 9. Juni 1784) Sonate in D-Dur KV 284 in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen. Zum einen hebt sie sich architektonisch mit einem breit angelegten Variationsfinale, das mit fast 20 Minuten Dauer einem selbständigen Variationszyklus vergleichbar ist, von den fünf anderen Sonaten ab; zum anderen verweist die bemerkenswerte Einschätzung Mozarts, gerade dieses Werk komme «auf die Pianoforte vom stein unvergleichlich heraus» (Brief vom 17.10.1777), auf eine Sonderstellung, die auf eine besondere Affinität zur Aufführungspraxis auf den modernen Hammerklavieren hinweist. Gerade das kann man bei den fünf anderen Sonaten nicht in derselben Weise behaupten, da vielfach cembalospezifische Figurationen dominieren und sich nur gelegentlich mit galanten und empfindsamen Elementen mischen, die allerdings teilweise durch notierte Übergangsdynamik (crescendo und diminuendo) in ihrem klangexpressiven, modernen Charakter verstärkt werden. Muss hier also zumindest eine instrumentenspezifische Ambivalenz in Anschlag gebracht werden, so scheint die enorm gesteigerte Charakterisierungskunst und Virtuosität der sechsten, erstmals «großen» Sonate deutlich auf das Hammerklavier zu verweisen. Auch die getrennte Publikation im Erstdruck scheint dies zu bestätigen: KV 279–283 wurden als Sammlung 1779 bei Breitkopf, KV 284 erst 1784 bei Torriceila in Wien, zusammen mit der Klaviersonate KV 333 und der großen Klavier-Violinsonate KV 454 veröffentlicht. Mozart hat zudem KV 284 mehrfach als einzelnes Werk erwähnt und aufgeführt, beispielsweise anlässlich einer Augsburger Akademie im Oktober 1777: «Dann spiellte ich allein die letzte Sonate ex D fürn Dürnitz» – was ebenfalls den besonderen Rang bestätigen dürfte.

Natürlich gibt es darüber hinaus auch vielfache Gemeinsamkeiten, die wohl unter anderem in Bezug zur damals in München vorbereiteten Uraufführung der Oper «La finta gardiniera» KV 196 stehen. Dieses Werk markiert im Gattungsbereich der opera buffa einen ähnlichen Durchbruch wie der ebenfalls in München uraufgeführte «Idomeneo» KV 366 (1781) für die opera seria. Es bildet einen sinnfälligen Hintergrund zumindest für den instrumental-theatralen Humor, wie er sich besonders deutlich im Finale von KV 281 bemerkbar macht, aber darüber hinaus generell in der dichten und vielfältig wechselnden Charakterisierungskunst nahezu aller Sonatensätze erkennbar ist. Mozart hat wohl die sechs Sonaten vor allem für das eigene Konzertieren während der dreimonatigen Münchner Zeit geschrieben, gleichsam als Präsentationsmöglichkeit des ausübenden Musikers: «[Habe] in München schon alle Meine 6 Sonaten recht oft auswendig gespiellt.» (Brief vom 17.10. 1777). Sicherlich konnte das Augenmerk auf den Opernkomponisten dadurch verstärkt werden, wenn der Virtuose Mozart auf seinem Instrument die für damalige Verhältnisse wirklich «schweren Sonaten» (Brief vom 4.2.1778) spielte – somit war auch eine Art Werbemaßnahme mit der Komposition und Aufführung der Sonaten verbunden. Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, dass sich ein je unterschiedlich akzentuierter Grundcharakter pro Sonate im Sinne eines jeweils spezifischen Verhältnisses zwischen opernhafter Theatralität und virtuos-spielerischer Instrumentalität ergibt.

Sonate in C-Dur KV 279

Beide Aspekte werden sofort im ersten Satz der Sonate in C-Dur KV 279 evident – dem einzigen der Sammlung, dessen Autograph verloren ging: Wir haben einen Sonatenhauptsatz mit nahezu durchlaufenden Sechzehntelfigurationen vor uns, die humorvoll-spielerisch, wie aus fantasievoller Improvisation gewonnen erscheinen und Dreiklangsbrechungen, Wechselnoten, Skalen und Albertibässe abwechseln lassen. Aus diesem Spiel ergibt sich eine Vielzahl gestisch-motivischer Gestalten, die zwar rudimentär ein abgesetztes zweites Thema erkennen lassen – ab T. 20 in G-Dur, mit einleitendem Vorspann über terzverwandtes E-Dur und Doppeldominate D-Dur ab T. 16 –, im Prinzip aber mehr einer parataktisch gereihten Vielheit entsprechen als einem kalkulierten Formkonzept. Diese wird durch das Bewegungskontinuum sowie die zahlreichen Sequenzbildungen zusammengebunden – mit deutlich spürbarer Nähe zu cembalospezifischen Bewegungsabläufen. Sequenzmechanik dominiert dementsprechend auch die 18-taktige Durchführung mit eintaktigen Harmoniewechseln ausgehend von g-Moll (T. 39–57) – sie erinnert von fern an entsprechende Verläufe aus Scarlatti’schen Sonaten. Ein ebenfalls sequenzwiederholter Zweitakter (T. 48–51) webt kurzzeitig eine korrespondenzmelodische Phrase in die barockisierende Bewegungsmotorik ein – ein beinahe irritierender Fremdkörper, noch dazu in überraschend wechselndem Piano (T. 48/50) und Forte (T. 49/51). Hier kommt besonders deutlich das improvisatorisch-theatrale Element zur Geltung, das sich bereits in der Exposition mehrfach in überraschenden Wendungen und Abbrüchen zeigte, so in T. 12ff. oder T. 25ff., ebenfalls mit abrupten Dynamikwechseln verbunden. Die plötzlich hervorspringenden Figuren wirken wie spontan gesetzte Gesten, die durchaus von imaginierten Personen einer Instrumental-Bühne Mozarts aus dem Geiste des Musiktheaters stammen könnten. In der leicht erweiterten Reprise ab T. 58 – mit 42 statt 38 Takten in der Exposition – erscheint das zweite Thema ab T. 74 lehrbuchmäßig modulierend in der Grundtonart C-Dur. Dennoch bringt sich weniger das eingehaltene Sonatenhauptsatzprinzip mit seinen grobformalen Verhältnissen als primäres Klangereignis ins Spiel, als vielmehr weiterhin die motorische Instrumentalität, wie wir sie beispielsweise von barocken Suitensätzen im schnellen Tempo her kennen.

Der schnellen Bewegungsmotorik des ersten Satzes entspricht eine triolisch-gebundene des zweiten Satzes in F-Dur, die ebenfalls im Begleitsatz nahezu durchläuft und eine für Andante-Sätze Mozarts charakteristische Dialog-Kantabilität in der Oberstimme zulässt – noch im Andante der «Sonata facile» KV 545 finden wir diesen Typus wieder, der auf ebenso schlichte wie bezwingende Weise erzählende Dialogstrukturen über ein weitgehend gleich bleibendes Klangband legt. Durch dieses entsteht eine Art instrumentaler Bühnenboden, auf dem sich die Individualität des differenzierten Erzähl- und Sprachflusses entfaltet. Im Beispiel des Andante von KV 279 fallen die erneut immer wieder überraschend einbrechenden Dynamik-Kontraste auf – schon zu Beginn in T. 2–4: Fortissimo – Piano – Fortissimo –, deren konsequente Umsetzung in der Interpretation erst den theatralen Gestus innerhalb der grundsätzlich epischen Disposition deutlich macht. Wir haben ein erstes Beispiel vor uns, wie die frühklassische Expressivität aus «empfindsamer» Tradition in eine theatrale Dimension überführt wird: Der dynamisch-dramatische Wechsel erscheint wie ein Dialog sprechender Figuren, die sich teilweise ins Wort fallen – z.B. durch die überraschende Wiederholung des Oktavfalls im Forte in T. 4. Ein besonders auffälliges Beispiel eines theatralen actioreactio-Verhältnisses ist ab T. 10 erkennbar: Auf die Fixierung des Tones g in der Oberstimme, durch piano-Repetitionen in T. 10 sowie akzentuierende kurze Vorschlagsfiguren im Forte in T. 11–13 herbeigeführt, reagieren drehende Umspielungsfiguren (erneut forte – piano) in Sexten und Dezimen in Mittel- und Unterstimme. Die gestische Präsenz dieses Vorgangs übersteigt entschieden den Normalfall motivischer Korrespondenzbildung.

Auch formal erweist sich der Satz als charakteristisches Beispiel offener Reihungskonzeption im Frühwerk Mozarts, dem letztlich vier Gestaltungseinheiten zu Grunde liegen: T. 1–8/10–13/18–21/22–25; deren vier- bzw. achttaktige Regelmäßigkeit wird durch Überleitungspartien unterlaufen, die jedoch ein derart starkes Eigengewicht einbringen, dass sie kaum weniger motivisch relevante Züge aufweisen: T. 9–10/14–17/26–27 Diese heteronome Motiv-Gesten-Vielfalt erhält erst am Beginn des Mittelteils eine verdeutlichende Wendung. Hier wird das Einstiegsmaterial durchführungsartigen, harmonischen Umbeleuchtungen ausgesetzt (T. 29–38) und so im Nachhinein als eine Art Hauptmotivik ausgewiesen. Der reprisenartige Schlussteil ab T. 43 koppelt dann erneut die verschiedenen Einheiten in assoziativer Freiheit und Gleichberechtigung aneinander –so taucht jetzt die ursprünglich vierte und letzte Einheit des ersten Teils (T. 22–25) als kurzer zweitaktiger Einschub schon unmittelbar nach der ersten Einheit auf (T.48–49). Improvisatorischer Zugriff und theatraler Gestenreichtum bestimmen so die Binnengliederung des Satzes, der sich trotz erkennbarer formaler Tendenzen konventionellen Zuordnungen im Sinne einer festgelegten und verpflichtenden Gestalt letztlich entzieht.

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