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E-Book

Orange Is the New Black

Mein Jahr im Frauenknast

AutorPiper Kerman
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783644526211
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Von der 5th Avenue in den Knast Das Buch zur US-Kultserie! Piper Kerman lebt glücklich mit ihrem Verlobten in Manhattan, als ihr eine Jugendsünde zum Verhängnis wird. Das Gericht verurteilt sie zu einer 15-monatigen Haftstrafe, und Piper tauscht Designeroutfits und Loft gegen orange Häftlingskleidung und eine Zelle in einem Frauengefängnis. Über die Zeit dort, über Schikanen, bösartige Attacken, aber auch über Freundschaften und vor allem ihre toughen und warmherzigen Mitgefangenen schreibt sie ohne Selbstmitleid, humorvoll und sehr unterhaltsam. «Ich liebe dieses Buch in einem Maße, das mich selbst überrascht hat. Eine wundervoll erzählte Geschichte darüber, wie unglaublich Frauen sein können.» Elizabeth Gilbert, Autorin von «Eat, Pray, Love» «Dies ist ein ernstes und großherziges Buch, das das Leben in einem Frauengefängnis sehr detailliert und - das ist entscheidend - mit Empathie und Respekt für Piper Kermans Mitinhaftierte schildert, von denen die wenigsten über ihre Möglichkeiten verfügten.» Dave Eggers «Dieses Buch können Sie nicht aus der Hand legen, weil Sie selbst in diese Situation hätten geraten können. Oder Ihre beste Freundin. Oder Ihre Tochter.» Los Angeles Times

Piper Kerman, geboren 1970 in Boston, studierte am renommierten Smith College. 2004 wurde sie inhaftiert und verbrachte über ein Jahr im Gefängnis. Sie lebt heute mit ihrem Mann, der sie auch während der Haftzeit unterstützte, in New York und arbeitet als Kommunikationsberaterin.

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Leseprobe

Kapitel 1


Are You Gonna Go My Way?


Die Gepäckausgabe am Brüsseler Flughafen war groß und luftig, und es gab diverse sich endlos drehende Gepäckbänder. Ich hastete von einem zum anderen, in dem verzweifelten Versuch, meinen schwarzen Koffer zu finden. Denn der war vollgestopft mit Drogengeld. Weswegen mich der Verlust des Koffers auch mehr beunruhigte, als man sich normalerweise um verlorenes Gepäck sorgt.

1993 war ich vierundzwanzig Jahre alt und sah wahrscheinlich aus wie jede andere junge Geschäftsfrau. Von meinen Doc Martens hatte ich mich zugunsten wunderschöner, schwarzer Wildleder-High-Heels getrennt. Ich trug schwarze Seidenhosen und ein beigefarbenes Sakko, eine typische jeune fille, total unauffällig, außer man erspähte das Tattoo auf meinem Nacken. Ich hatte mich exakt an die Anweisungen gehalten und mein Gepäck in Chicago über Paris eingecheckt, wo ich für den kurzen Flug nach Brüssel in eine andere Maschine umsteigen musste.

Als ich in Brüssel ankam, hielt ich an der Gepäckausgabe Ausschau nach dem schwarzen Trolley. Er war nirgends zu sehen. Die aufsteigende Panik unterdrückend, erkundigte ich mich in meinem stümperhaften Schulfranzösisch nach dem Verbleib des Koffers. «Manchmal schaffen es Gepäckstücke nicht auf den richtigen Flug», sagte der große, ungehobelte Kerl in der Gepäckabfertigung. «Warten Sie auf den nächsten Shuttle aus Paris – er ist wahrscheinlich in der Maschine.»

War mein Koffer entdeckt worden? Ich wusste, dass es illegal war, mehr als 10 000 Dollar einzuführen, ohne es zu deklarieren, ganz abgesehen davon, dass es von einem westafrikanischen Drogenboss stammte. Waren die Behörden mir bereits auf den Fersen? Vielleicht sollte ich versuchen, durch den Zoll zu kommen, und dann fliehen? Vielleicht kam der Koffer aber tatsächlich nur verspätet, und ich würde eine riesige Geldsumme im Stich lassen, die jemandem gehörte, der mich mit einem Telefonanruf liquidieren lassen könnte. Ich entschied, dass diese Möglichkeit die etwas furchterregendere Option war. Also wartete ich.

Schließlich traf die Maschine aus Paris ein. Ich tänzelte zu meinem neuen «Freund» von der Gepäckabfertigung hinüber, der gerade beim Sortieren war. Ich erblickte den Trolley. «Mon Koffer!», rief ich verzückt und schnappte mir den Tumi. Ich dankte ihm überschwänglich und winkte wild und freudig, während ich auch schon durch die unbewachten Türen ins Terminal segelte, wo ich meinen Freund Billy erblickte, der auf mich wartete. Unbeabsichtigt hatte ich mir so den Zoll geschenkt.

«Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Was war los?», fragte Billy.

«Besorg mir ein Taxi!», zischte ich.

Erst als wir den Flughafen verlassen hatten und durch Brüssel fuhren, atmete ich durch.

 

Meine Abschlussfeier am Smith College im Jahr zuvor fand an einem perfekten, neuenglischen Frühlingstag statt. Im sonnengesprenkelten Innenhof jaulten die Dudelsäcke, und Ann Richards, die Gouverneurin von Texas, forderte meine Kommilitonen und mich auf, hinaus in die Welt zu ziehen und allen zu beweisen, was für tolle Frauen wir waren. Meine Familie war stolz und strahlte, als ich mein Examen entgegennahm. Meine frisch geschiedenen Eltern benahmen sich vorbildlich; meine vornehmen Südstaaten-Großeltern waren höchst erfreut, ihr ältestes Enkelkind mit Doktorhut und umrahmt von WASPs – weißen angelsächsischen Protestanten – und Elitestudenten zu sehen, und mein kleiner Bruder langweilte sich zu Tode. Meine besser organisierten und zielorientierteren Kommilitoninnen würden jetzt ein Aufbaustudium anschließen oder Praktika bei gemeinnützigen Unternehmen absolvieren. Oder sie zogen zurück nach Hause – nicht weiter ungewöhnlich während der ersten Rezession unter Bush.

Ich allerdings blieb in Northampton, Massachusetts. Ich hatte mein Examen in Theaterwissenschaften gemacht, sehr zum Leidwesen meines Vaters und Großvaters. Ich kam aus einer Familie, in der Bildung einen hohen Stellenwert hatte. Wir waren ein Clan von Doktoren, Rechtsanwälten und Lehrern, dazwischen auch die eine oder andere Krankenschwester, ein Dichter oder Richter. Nach vier Jahren Studium fühlte ich mich immer noch wie ein Dilettant, unqualifiziert und unmotiviert für ein Leben am Theater, aber ebenso wenig hatte ich einen Plan B, wie in die Forschung zu gehen, Karriere zu machen oder – die super Alternative, wenn sonst nichts geht – ein Jurastudium.

Ich war nicht faul. Ich hatte neben dem College immer hart gearbeitet, in Restaurants, Bars und Nachtclubs, und mit Schweiß, Humor und der Bereitschaft, Doppelschichten zu schieben, stets die Sympathie meiner Vorgesetzten und Kollegen gewonnen. Diese Jobs und diese Menschen passten besser zu mir als viele der Leute, die ich am College kennengelernt hatte. Ich war froh, mich für das Smith entschieden zu haben, einem College voller intelligenter und dynamischer Frauen. Doch mit dem, was qua Geburt und Herkunft von mir verlangt wurde, war ich durch. Ich hatte mich unter dem sicheren Mäntelchen des Smith gewärmt, hatte mit Ach und Krach mein Examen geschafft und sehnte mich nun danach, neue Erfahrungen zu machen und Dinge auszuprobieren. Es war Zeit für mich, mein eigenes Leben zu leben.

Ich war eine gut ausgebildete junge Lady aus Boston mit einem großen Hunger nach Gegenkultur und ohne einen klaren Plan. Aber ich hatte auch keine Ahnung, was ich mit all meiner aufgestauten Abenteuerlust anfangen sollte oder wie ich mein Verlangen nach Nervenkitzel in etwas Produktives umwandeln sollte. Ich hatte keinen Hang zur Wissenschaft und zu analytischem Denken – ich wollte Kunst und Leidenschaft. Zusammen mit einer anderen frischgebackenen Theaterwissenschaftlerin und ihrer verrückten Künstler-Freundin gründete ich eine Wohngemeinschaft und nahm einen Kellnerjob in einer Hausbrauerei an. Ich freundete mich mit den anderen Kellnern, Barkeepern und Musikern an, alle gleichermaßen im heiratsfähigen Alter und alle ständig in Schwarz gekleidet. Wir arbeiteten, wir gaben Partys, wir sprangen nackt in Pools oder gingen rodeln, wir vögelten und manchmal verliebten wir uns. Wir ließen uns Tattoos stechen.

Ich genoss alles, was Northampton und das umgebende Pioneer Valley zu bieten hatte. Ich joggte kilometerweit auf einsamen Landstraßen, lernte, ein Dutzend Bierkrüge steile Treppen hinaufzuschleppen, gab mich unzähligen kleinen romantischen Sünden mit knackigen Mädels und Jungs hin und machte den ganzen Sommer und Herbst über an meinen freien Tagen Ausflüge an den Strand von Provincetown.

Als der Winter einsetzte, wurde ich unruhig. Meine Freunde vom College erzählten von ihren Jobs und ihren Leben in New York, Washington oder San Francisco, und ich fragte mich, was zum Teufel ich eigentlich machen sollte. Ich wusste, dass ich nicht mehr nach Boston zurückkehren würde. Ich liebte meine Familie, doch die Nebenwirkungen der Scheidung meiner Eltern waren etwas, dem ich komplett aus dem Weg gehen wollte. Im Rückblick wäre ein Eurorail-Ticket oder ein freiwilliges soziales Jahr in Bangladesch eine gute Idee gewesen, doch irgendwie blieb ich im Valley hängen.

In unserem Bekanntenkreis gab es eine Clique unglaublich stilvoller und cooler Lesben. In Gegenwart dieser weltgewandten und intellektuellen älteren Frauen – sie waren alle Mitte dreißig – fühlte ich mich immer ausgesprochen schüchtern, doch als mehrere von ihnen bei mir nebenan einzogen, freundeten wir uns an. Eine von ihnen war aus dem Mittleren Westen, Nora Jansen. Sie hatte eine Reibeisenstimme und einen sandbraunen Lockenschopf. Sie war klein und sah ein wenig aus wie eine französische Bulldogge oder vielleicht auch wie ein weiße Eartha Kitt. Alles an ihr war seltsam – ihre affektierte, spöttische, heisere Stimme, die Art, wie sie den Kopf schief legte und einen mit leuchtend braunen Augen unter ihrem Haarschopf hervor ansah, und selbst die Art, wie sie ihre obligatorische Zigarette hielt, das Handgelenk abgeknickt, bereit zur großen Geste. Sie hatte eine spielerische, aufmerksame Art, jemanden aus der Reserve zu locken, und wenn sie sich einem zuwandte, meinte man sofort, sie würde einen gleich in einen Insiderwitz einweihen. Nora war die einzige aus dieser Gruppe älterer Frauen, die mir überhaupt Beachtung schenkte. Es war nicht direkt Liebe auf den ersten Blick, aber in Northampton war sie für eine 22-Jährige, die versessen war auf Abenteuer, eine höchst faszinierende Person.

Und dann, im Herbst 1992, war sie auf einmal fort.

Nach Weihnachten tauchte sie wieder auf. Nun mietete sie sich eine eigene große Wohnung, eingerichtet mit nagelneuen Arts-and-Craft-Möbeln und einer irren Stereoanlage. Alle anderen, die ich kannte, hockten mit ihren Mitbewohnern auf Secondhand-Sofas, während sie sehr auffällig mit Geld um sich schmiss.

Nora lud mich auf einen Drink ein, nur wir beide, und das war etwas Neues. Hatte ich ein Date? Womöglich schon, denn sie nahm mich mit in die Bar des Hotels Northampton, was in dieser Gegend einer schicken Hotellounge am nächsten kam, alles blassgrün gestrichen, und überall weiße Rankgitter-Verzierungen. Nervös bestellte ich eine Margarita mit Salzrand, woraufhin Nora eine Augenbraue hob.

«Etwas kühl für eine Marge, oder?», kommentierte sie und bestellte einen Scotch.

Schon richtig, die Januarwinde machten den Westen von Massachusetts wenig einladend. Ich hätte etwas Dunkles in einem kleineren Glas bestellen sollen – meine eisige Margarita kam mir jetzt lächerlich kindisch vor.

«Was ist das?», fragte sie und zeigte auf die kleine Metalldose, die ich auf...

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