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E-Book

Ein Jahr in Amsterdam

Reise in den Alltag

AutorBettina Baltschev
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451802560
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vielleicht ist Amsterdam keine klassische Weltstadt und die Sprache nicht wirklich zu gebrauchen, aber warum der reinen Logik folgen? Ein Jahr in Amsterdam - das bedeutet Massenpicknick im Vondelpark, ein Besuch im Coffeeshop, kulinarische Abenteuer mit Poffertjes, Pannekoeken, Matjes, Stropwafels und Snoepm und Hausboote überall. Und spätestens, wenn endlich das Fahrrad geklaut wird, gehört man dazu...

Bettina Baltschev, geb. 1973 in Berlin, studierte Kulturwissenschaften, Journalistik und Philosophie. Seit einigen Jahren ist sie Autorin und Redakteurin beim Hörfunk der ARD.

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Leseprobe

mei

Am Flughafen geht es schon los. Andere Flughäfen dieser Welt heißen nach Präsidenten oder schlicht nach der Stadt, in der sie sich befinden, in Amsterdam dagegen klingt der Name des Flughafens wie das Geräusch der Krähen beim Liebesakt. Bitte sprechen Sie mir nach: Srrripphoool. Als wenn der Holländer gleich bei der Ankunft der Besucher seines ebenso überschaubaren wie feuchten Fleckchens Erde klarstellen will: ‚Probier es erst gar nicht. Niemals wirst du unsere Sprache wirklich beherrschen.‘

Schon gut, ich bleibe erst mal beim Englischen, das versteht hier sowieso jeder. Deutsch eigentlich auch, aber das ist eine andere Geschichte, die wird später erzählt. In den nächsten zwölf Monaten werde ich noch genug Gelegenheit bekommen, mich der niederländischen Sprache wenigstens zu nähern. Zum Beispiel bei Joop und Lots. Die beiden habe ich mir in Berlin aus dem Internet gefischt, wo sie ein Zimmer ‚in a nice neighborhood of Amsterdam‘ angeboten haben. Eine richtige Bleibe werde ich mir später suchen, wenn ich mich etwas besser auskenne. Dass es nicht einfach werden würde, hatte mir die nette Dame von der niederländischen Botschaft in Berlin gesagt, und dass ich nicht zu viel erwarten solle. Was sie damit wohl gemeint hat?

Erst einmal bin ich froh, dass ich das Haus von Joop und Lots gefunden habe. Die ‚nice neighborhood‘ entpuppt sich als üppig begrünte Reihenhaussiedlung im Amsterdamer Stadtteil Slotervaart. Den müsste man außerhalb der Niederlande eigentlich nicht kennen. Aber zufällig habe ich über Slotervaart gerade erst in einer führenden deutschen Wochenzeitung gelesen, dass es sich wegen des hohen Ausländeranteils und der überdurchschnittlichen Kriminalitätsrate um einen Problembezirk handelt und der erste muslimische Bezirksbürgermeister der Niederlande deshalb mit einer Null-Toleranz-Strategie dafür sorgen will, Slotervaart aus den negativen Schlagzeilen zu holen.1 In der Lobo-Braakensiekstraat merkt man jedoch von all dem nichts: Hier stehen keine flats, wie die Hochhäuser in den Niederlanden heißen, in denen sich angeblich schon mal zehn Personen in zwei Zimmern drängen, sondern Reihenhäuser mit zwei Stockwerken. Wer es sich leisten konnte, hat sich noch ein Dachgeschoss oben draufgesetzt. Joop und Lots konnten es sich leisten und haben deshalb zwei Gästezimmer zu vergeben.

Obwohl wir uns bis eben nicht kannten, drücken sie mir zur Begrüßung drei Küsse ins Gesicht, erst Joop, links, rechts, links, dann Lots, links, rechts, links.

„Hoi, Bettina, welkom in Amsterdam, hoe is het met je?“ Wie es mir geht? Na ja, den Umständen entsprechend, mit zwei Koffern in der Hand und flatterndem Herzen. Statt in Berlin meinen Problemen ins Auge zu sehen, stehe ich nun am Anfang eines unbekannten Weges in einer unbekannten Stadt vor zwei mir unbekannten Menschen, die zugegeben alles dafür tun, dass mir die ersten Tage nicht zu schwer werden. Slotervaart ist, abgesehen von seinem schlechten Ruf, nicht unbedingt das, was ich mir unter ‚typisch Amsterdam‘ vorgestellt hatte. Statt Wohnen an der Gracht eine stille Straße gar nicht so weit vom Flughafen. Dass in Amsterdam, verglichen mit Berlin, London oder Paris, alles ‚gar nicht so weit‘ ist, hätte ich mir denken können. Die einzige Sehenswürdigkeit in Slotervaart ist übrigens ein See, der Sloterplas, wo Joop und Lots regelmäßig drum herum joggen, immerhin. Der einzige Lärm kommt von den Flugzeugen, die in Schiphol, nein, in Srrripphoool, abheben und über den Garten ziehen, in dem ich mit Joop und Lots meine erste Tasse Tee von ca. 2500 in den nächsten zwölf Monaten trinke.

Joop trägt ein buntes Oberhemd und Lots eine leichte Bluse, als wenn der Frühling schon längst begonnen hätte. Ich dagegen habe meinen Wollpullover angelassen und mir den Schal zurückgeholt, den ich im ersten Übermut abgelegt hatte. In Berlin habe ich vor kurzem zwar auch schon draußen gesessen, aber irgendwie ist die Luft hier frischer. Bilde ich mir das nur ein oder riecht es wirklich ein bisschen nach Meer?

„Ob ich noch eine Tasse Tee bekommen könnte?“ – „Ja zeker!“, sagt Lots und gießt mir nach.

Als ich am nächsten Morgen in meinem kleinen Dachzimmer aufwache, ist es abwechselnd hell und dunkel. Das kommt von den Wolken, die vom Wind an der Sonne vorbeigetrieben werden. Holländischer Wind, das ist auch so ein Kapitel für sich, aber ich will ja nicht vorgreifen. Joop und Lots sind schon wach, sie sitzen beide auf dem Wohnzimmerteppich und machen eine Art Gymnastik. Ach ja, das hab ich noch gar nicht gesagt, Joop und Lots sind Anfang sechzig, Eltern von drei erwachsenen Kindern, seit vierzig Jahren verheiratet, und zwar glücklich. Außer Gymnastik machen sie viele Dinge gemeinsam, kochen, reisen, reden, auch über Gefühle und so weiter. Sogar ich werde früher oder später darüber sprechen müssen, aber zu diesem Zeitpunkt nehmen sie noch Rücksicht auf meine Verlegenheit.

Lots fragt, ob ich ihre gymnastischen Übungen mitmachen will, ich lehne dankend ab und mache mir stattdessen ein Brot. In Holland geht das so: Ich nehme mir eine der flexiblen gummiartigen rechteckigen Scheiben, die man hier brood nennt und die immer in Plastiktüten verkauft werden wie bei uns Toastbrot, bestreiche sie mit Butter, wobei mein Messer an der glatten Oberfläche abrutscht. Daraufhin wuchte ich ein kiloschweres Stück Käse auf die Käseschneidemaschine (eine Konstruktion auf vier Füßen, bei der ein Messer in den Boden eingelassen ist, über das man den Käse schiebt) und schneide damit ca. einen Zentimeter dicke Scheiben Käse ab. Die lege ich auf das Brot, was ich einmal zusammenklappe, und erhalte so eine Mahlzeit, die, hat man sie gegen acht Uhr morgens eingenommen, aufgrund des Käses bis ca. zwei Uhr nachmittags vorhält. Das Brot spielt beim Sättigungseffekt übrigens eher keine Rolle, da stehen die Holländer den Engländern eindeutig näher als uns deutschen Sauerteigbäckern. Zu meinem boterham, so heißt das Ding in meiner Hand, trinke ich wieder eine Tasse Tee, wobei, auch das ist mir neu, ein Teebeutel ruhig auch zwei bis fünf Mal wiederverwendet werden kann, der Tee wird dann zwar etwas heller, aber geschmacklich ändert sich fast nichts.

„En wat doe jij vandaag?“ Joop und Lots haben ihre Übungen beendet und schauen mich erwartungsvoll an, so, als wenn ich bereits am ersten Tag nach meiner Ankunft ganz Amsterdam in die Tasche stecken müsste. „Tja, ein bisschen spazieren gehen vielleicht?“

„Met de fiets?“ Mit dem Fahrrad? Ja sicher, warum nicht. Wie jeder gute Holländer haben Joop und Lots neben ihren eigenen Fahrrädern noch einige Ersatzräder in der Garage, man weiß ja nie, wer zu Besuch kommt, wann man einen Platten hat oder mal wieder ein Fahrrad geklaut wird. Das Damenfahrrad, das für mich in Frage kommt, hat schon bessere Tage gesehen, aber Joop versichert mir, dass es noch fährt, dass die Bremsen funktionieren, ich in der Stadt sowieso keine Gangschaltung brauche und das Quietschen der Pedalen im Straßenverkehr untergeht. Dann drückt er mir zwei Schlösser in die Hand, die jeweils wahrscheinlich doppelt so teuer waren wie das Fahrrad selbst, und schaut mir tief in die Augen.

„Nooit zonder slot! Niemals ohne Schloss! Du bist in Amsterdam, vergiss das nicht, wenn du hier irgendwo dein Rad ohne Schloss abstellst, dann wirst du es innerhalb von Sekunden los sein.“ Ich nicke etwas eingeschüchtert und fahre los. Immer geradeaus, haben sie gesagt, dann würde ich das Stadtzentrum nicht verfehlen.

Ich fahre vorbei an flats, auf deren Balkons Bettlaken trocknen, vorbei an Supermärkten, vor denen ältere Männer mit riesigen Einkaufstaschen sich auf Bänken ausruhen, an Berufsschulen, vor denen hübsche junge Frauen in Turnschuhen, Jeans und Kopftuch in der Sonne sitzen und coole junge Männer auf Motorrollern ihnen Avancen machen, indem sie um sie herumkurven und ihre Namen rufen.

Nach ca. zehn Minuten Fahrt, in denen ich mich an das Fahrrad und das Fahrrad sich an mich gewöhnt hat, werden die Straßen schmaler, die Häuser kleiner und heimeliger, roter Backstein und große Fenster ohne Gardinen bestimmen das Straßenbild. Langsam nähert sich Amsterdam meinen Vorstellungen an.

Und dann muss ich an einer Brücke anhalten, wo bereits eine Horde Radfahrer vor einer rot-weißen Schranke steht. Die Brücke ist in der Mitte auseinandergeklappt, auf dem Kanal darunter schieben sich langsam zwei Lastkähne vorbei. Nur gut, dass ich nirgendwo pünktlich sein muss. Die Leute um mich herum sind das Warten offensichtlich gewöhnt, sie kauen Nägel, quasseln in Handys oder gucken aufs Wasser. Kaum hat sich die Brücke wieder gesenkt, springen alle auf ihre Räder und sprinten davon.

Hinter der Brücke beginnt der Vondelpark (Vondel wie Fondel und Park wie Park, der Deutsche macht gern ein W aus dem V, dabei sagen wir doch auch Vogel und nicht Wogel). Dieser Park verdient jeglichen Superlativ oder einen einzigen Vergleich: Der Vondelpark ist für Amsterdam das, was für New York der Central Park ist. Auf fünf Quadratkilometern stehen 4400 Bäume und jedes Jahr kommen zehn Millionen Besucher dazu. Diese Besucher lassen sich in fünf Gruppen unterteilen: Radfahrer, Skater, Jogger, Spaziergänger und Hunde. Spaziergänger sind das schwächste Glied in der Kette und in ständiger Gefahr, über den Haufen gefahren oder gerannt zu werden, aber davon lassen sie sich kaum beeindrucken, es sei denn, es sind Touristen. Benannt ist der Vondelpark nach Joost van den Vondel, der im 17. Jahrhundert lebte und neben einem gewissen Gerbrand A. Bredero (nach ihm sind ein Gymnasium und ein Pfannkuchen-Restaurant benannt) und einem gewissen Pieter Corneliszoon Hooft (seinen Namen trägt die teuerste Einkaufsstraße der...

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