Ökonomie befasst sich in der Regel mit Tauschvorgängen. Der Tausch ist die kleinste Einheit in einer freien Marktwirtschaft und er ist die Art und Weise, wie in einer freien Gesellschaft kooperiert wird. Menschen tauschen, weil sich beide Parteien durch den Tausch besser stellen als ohne den Tausch, sonst würden sie nicht tauschen. Damit es zum Tausch kommt, müssen die Parteien miteinander verhandeln. Jeder bietet dem anderen etwas an. Unser Alltag besteht aus vielen kleinen Tauschaktionen, bei denen wir etwas geben, um etwas dafür zu bekommen. Desto wichtiger es uns ist, etwas zu bekommen, umso mehr sind wir dafür zu bieten bereit. Tauschen ist ein universeller Akt und einvernehmliche Liebesbeziehungen und Sex sind ebenso Akte des Tausches, denen Aushandlungsprozesse vorhergehen und die Austauschprozesse beständig begleiten. Der amerikanische Ökonom Walter Block brachte es so auf den Punkt: »Tatsächlich sind alle freiwilligen menschlichen Beziehungen, von der Liebesbeziehung über die intellektuelle Beziehung Tauschgeschäfte. Im Falle romantischer Liebe und Heirat werden Gefühle, Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit getauscht. Dieser Handel mag ein glücklicher sein und die Partner mögen Freude im Geben finden. Aber es bleibt ein Handel. Es ist klar: Solange nicht Gefühle, Liebenswürdigkeit oder irgendetwas anderes gegeben werden, ist auch keine Erwiderung zu erwarten.«20 Es wird also immer irgendetwas gegen irgendetwas getauscht und auch im Falle von Sex ist das nicht anders.
Sex ist Tausch zum Zweck der Maximierung des psychischen Einkommens
Jeder Tausch besteht aus zwei Teilen: Der eine Tauschpartner gibt etwas und der andere gibt dafür etwas zurück. Beim Tausch findet eine Handlung statt in der Erwartung der Handlung des anderen. Den Kern jedes Tausches und jeder Handlung bildet etwas Immaterielles. Es geht nie um Geld, Güter, Dienstleistungen – diese sind nur Mittel zum letztendlichen Zweck, nämlich zur Herstellung eines bestimmten emotionalen Zustandes. Der allerdings lässt sich wieder auf etwas Materielles zurückführen: auf den biochemischen Prozess in unserem Gehirn. Wir geben, weil wir für unsere Gabe etwas erwarten, das uns das größtmögliche psychische Einkommen zu versprechen scheint – nüchtern formuliert: eine bestimmte biochemische Reaktion, die bei uns Gefühle wie Wohlsein, Zufriedenheit, Erregung et cetera auslöst. Menschen finden sich zusammen mit dem Ziel einer Maximierung ihres psychischen Einkommens. Geschlechtsverkehr zwischen zwei Menschen findet statt, weil beide Beteiligte zum selben Zeitpunkt zu dem Ergebnis kommen, dass dies gerade das beste Mittel ist, ihr psychisches Einkommen zu maximieren. Käme einer von beiden zu dem Ergebnis, auf andere Weise sein psychisches Einkommen besser mehren zu können, würde er dem Geschlechtsverkehr nicht zustimmen.
Sex als permanenter Informationsaustausch
Sex umfasst verschiedene Handlungen, die nicht unbedingt einzeln und explizit miteinander abgesprochen sind, aber in der Regel ein Repertoire umfassen, von dem man ausgeht, dass der andere damit einverstanden ist. Im Akt selbst erfolgt ein beständiger Informationsaustausch darüber, welche Handlungen akzeptiert oder abgelehnt werden. Der Akt ist nicht völlig symmetrisch, nicht jede Einzelhandlung wird von den Beteiligten gleichermaßen gemocht. Es werden also bestimmte Handlungen akzeptiert, die weniger Lust bereiten, um dafür selbst andere Handlungen durchführen zu dürfen, die mehr Lust bereiten. Das heißt, die Beteiligten lassen an ihrem Körper bestimmte Handlungen durchführen und führen am Körper des anderen bestimmte andere Handlungen aus und tauschen dafür im Gegenzug die Möglichkeit, andere Handlungen am Körper des Partners durchzuführen und von ihm am eigenen Körper durchführen zu lassen. Sex ist insoweit auch ein Aushandlungsprozess und ein Entdeckungsverfahren, in dessen Verlauf ausgetestet wird, wo die Möglichkeiten und Grenzen liegen. Wenn das Ungleichgewicht für eine Seite zu groß wird oder eine Grenze überschritten wird, dann kann das zu einem plötzlichen Abbruch führen, was aber in der Regel die Beteiligten zu vermeiden suchen. Sex ist also auch ein permanenter Kommunikationsprozess darüber, welche Handlungen zugelassen und welche Handlungen abgelehnt werden und welche Handlungen im Gegenzug erwünscht sind.
Einvernehmlicher Sex als Ergebnis von Kosten-und-Nutzen-Abwägungen
Zum einvernehmlichen Sex kommt es immer deshalb, weil er beiden Partnern unter den gegebenen Umständen, bei Abwägung aller Vor- und Nachteile, bei den vorliegenden Informationen zu diesem Zeitpunkt als die bestmögliche Option erscheint. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich diese Annahme später als falsch herausstellen kann. Jede Annahme über die Zukunft kann sich als falsch herausstellen. Wir können Entscheidungen immer nur mit den Informationen treffen, die wir haben, und nicht mit denen, die wir nicht haben. So wie alle Unternehmungen, in die wir investieren, auch scheitern können und unsere Investitionen umsonst gewesen sind, verhält es sich auch mit sexuellen Beziehungen. Ein Mann, der seine Ehe zerstört, weil er sich auf eine Affäre eingelassen hat, die nicht gehalten hat, was sie versprach, wird sein Verhalten im Nachhinein wahrscheinlich nicht als besonders rational ansehen. Dabei nimmt er jedoch die Informationen, die er zu einem späteren Zeitpunkt über den Ausgang der Affäre gewonnen hat, und projiziert sie in die Vergangenheit. Also zurück zu einem Zeitpunkt, als er diese Informationen noch nicht haben und sie deshalb auch nicht in seine Risikokalkulation und seine Kosten-Nutzen-Rechnung einfließen lassen konnte. Seine Ehefrau, die ihn nach dem Betrug verlässt, mag im Nachhinein die gemeinsam verbrachte Zeit als Fehlinvestition und vielleicht auch die Heirat als wenig rational ansehen. Zu dem Zeitpunkt, als die Entscheidung gefallen ist, erschien es ihr aber als die beste Wahl, die sie treffen konnte.
Nahe und ferne Ziele der sexuellen Handlung
Handeln ist immer Mittel zu einem Zweck. Das ist mit Sex nicht anders. Auch Sex ist lediglich ein Mittel zum Zweck, um unser psychisches Einkommen zu maximieren. Manche Handlungen sind unmittelbar mit einem psychischen Einkommen verbunden und manche Handlungen sollen über Umwege dazu führen, uns ein psychisches Einkommen zu verschaffen. Wenn ich ein heißes Bad nehme und dabei klassische Musik höre, dann generiert das für mich unmittelbar ein psychisches Einkommen; wenn ich in einem Büro arbeite, um am Ende des Monats einen Lohn zu erhalten, der es mir ermöglicht, ein Bad zu nehmen und dabei klassische Musik zu hören, dann ermöglicht mir die Büroarbeit über Umwege ein psychisches Einkommen. In beiden Fällen sind die Handlungen Mittel zum Zweck – die Frage ist nur, wie nah oder fern die Erfüllung des eigentlichen Zwecks der Handlung in der Zukunft liegt. Auch bei der Entscheidung, sich auf eine sexuelle Handlung einzulassen, kann es um ein nahes oder fernes Ziel gehen. Ein offensichtliches Ziel kann die Erreichung einer unmittelbaren und schnellen sexuellen Befriedigung sein oder das Ziel kann darin bestehen, ein Kind zu zeugen, oder darin, eine Partnerschaft zu stabilisieren und zu vertiefen, oder für das sexuelle Entgegenkommen von dem Partner ein Entgegenkommen an anderer Stelle zu erreichen.
Prioritäten der Partnersuche
Nehmen wir einmal an, es gäbe zehn Merkmale, die für einen Menschen den idealen Partner ausmachen. Jedes dieser Merkmale wird auf eine Skala von »wichtig« bis »weniger wichtig« bis »unwichtig« aufgetragen. Dem Merkmal werden dann Punkte zugeordnet. Das Merkmal »Treue« wird, sagen wir einmal, mit fünf, das Merkmal »sieht gut aus« mit vier, das Merkmal »Humor« mit drei und das Merkmal »ist ein guter Liebhaber« mit zwei Punkten bewertet. Jedes dieser Merkmale kann in unterschiedlichem Maße erfüllt sein. Nehmen wir an, eine Frau hat die Wahl zwischen einem Mann, der treu ist, aber weder gut aussieht, noch ein guter Liebhaber ist, dagegen viel Humor hat, und einem Mann, der gut aussieht, viel Humor hat, ein guter Liebhaber ist, aber überhaupt nicht treu. Sie steht also vor der Wahl zwischen verschiedenen Kombinationen einer Reihe von Merkmalen und es hängt nun von ihrer subjektiven Bewertung ab, wie sie die verschiedenen Vorzüge und Nachteile im Verhältnis zueinander gewichtet. Es wird klar, dass es kaum eine Kombination von Merkmalen gibt, die zu hundert Prozent alle gewünschten Vorzüge widerspiegelt, sondern dass im realen Leben Abstriche von der Idealvorstellung notwendig und selbstverständlich sind. Die Wahl wird noch dadurch erschwert, dass der andere ja auch ein Wörtchen mitzureden hat. Der andere hat ebenfalls eine Merkmalsliste des idealen Partners und schätzt ab, welche Merkmale zu welchem Anteil erfüllt sind und welche nicht. Zum Beispiel kann ein Mann eine Frau kennenlernen, die zwar alle Merkmale erfüllt und tatsächlich seiner idealen Partnerin sehr nahe kommt – er allerdings kommt ihrem Bild eines idealen Partners nicht einmal ansatzweise nahe. Er kann dann lediglich versuchen, auf seine eigene Kombination von Merkmalen Einfluss zu nehmen, um für sie attraktiver zu werden.
Der Wettbewerb auf dem Partnermarkt als Entdeckungsverfahren
Dieser Wettbewerb ist kein Kampf aller gegen alle und der mitunter kritisierte »Leistungsdruck« und die »Konkurrenzangst« auf dem freien Markt21 halten sich in Grenzen. Zum einen war der Druck in früheren Zeiten, nach einem bestimmten Partnermodell zu heiraten und die dafür notwendigen materiellen Grundlagen zu schaffen beziehungsweise den...