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E-Book

Schafe leben nur im Jetzt

AutorThea Welland
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644546219
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mutter, Kind und 30 Schafe Schon als Stadtkind träumt Thea Welland von einem Leben in der Natur - und heute weiß die Schäferin, die aus ihrer Leidenschaft einen Beruf gemacht hat, eines ganz sicher: Von Schafen kann man fürs Leben lernen. Sie berichtet von einem Jahr mit ihrer Herde, von den Schwierigkeiten dieses selbstbestimmten Lebens, von den vielen erfüllenden Momenten, wenn etwa wieder ein gesundes Lamm geboren wird, und von der Entschleunigung, die jeder Augenblick mit den Schafen für sie bedeutet. Thea Welland ist überzeugt: Man kann jede Hürde nehmen, wenn man nur zwischendurch einen Augenblick auf der Weide innehält und sich von der Ruhe dieser wundervollen Tiere anstecken lässt.

Thea Welland ist Agraringenieurin und Ökobäuerin. Sie lebt in Witzenhausen, gemeinsam mit ihrer Tochter Lilli, Hunden, Katzen, Hühnern und einer großen Milchschafherde. Ihre Naturkosmetik auf der Basis von Schafmilch vertreibt sie unter www.welland-naturseifen.de.

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Leseprobe

Mai: Pipilotta oder Wie alles begann …


Mein Schafjahr beginnt im Mai. Denn in einem Mai kam Pipilotta, und in einem Mai ist sie wieder gegangen.

Pipilotta war mein erstes Schaf. Ihre Mutter ein Milchschaf, der Vater ein Rhönbock; sie hatte braune Ohren und braune Ringe um die Augen zu ihrer sonst weißen Wolle. Bildschön. Als ich sie das erste Mal sah, war sie gerade ein halbes Jahr alt.

Ich war bereits 27 und blickte auf ein Leben zurück, das aus meiner heutigen Sicht in einer anderen Welt stattgefunden haben musste.

Ich bin Einzelkind, unbeabsichtigt, und absolutes Wunschkind. Meine Eltern taten alles und das Beste für mich. Ich ging in den christlichen Kindergarten, in die Pfadfindergruppe und sonntags in den Kindergottesdienst. Ich lernte früh schwimmen und die Musik kennen, um mich später an den Wochenenden in Wettkämpfen zu messen und Beethovens Klaviersonaten zu spielen. Ich erlernte das Cellospielen und ging auf ein humanistisches Gymnasium, welches ich mit großem Latinum und Graecum abschloss. Mit 16 spielte ich noch mit meinen Puppen, und in den Ferien bereiste ich mit meiner Mutter und einem VW-Bus die nahe Welt. Mein Vater arbeitete viel und versorgte uns gut. Ich erlebte das, was man eine behütete Kindheit nennt, und ich fühlte mich auch so. Dennoch war eine Leere in mir, von der ich nicht wusste, woher sie kam, geschweige denn, wie sie zu füllen war. Mit 16 flüchtete ich mich in eine Magersucht, mit 18 zog ich aus und sah mich das erste Mal mit den Realitäten des Lebens konfrontiert. Ich ging in den Rettungsdienst, um Geld für Miete und Lebensmittel zu verdienen und um die Zeit bis zu einem Studium der Veterinärmedizin zu überbrücken. Und ich lernte das Partyleben kennen. Ich ließ die Sau raus. Ich holte nach, was ich meinte, in den letzten Jahren verpasst zu haben, und es dauerte nicht lange, bis ich mit Ecstasy und Koks neue Freiheit und neue Freunde fand. Und immer wieder und immer noch diese Leere in mir.

In dieser Zeit verstarb mein Vater. Leise, nach dreimonatigem Koma. Den Werten, die er und meine Mutter mir vermittelten, verdanke ich es, dass ich im Sommer 1995 in Berlin auf der Loveparade stand und wusste, dass das nicht mein Leben sein konnte. Dass die Sucht nach Vergnügen und Rausch mich in den Abgrund führte. Ich ließ alles stehen, meine Freunde, meine Drogen, und fuhr nach Hause. Ich kaufte mir von meinem letzten Geld einen Hund, und glasklar entstand in mir der Wille, zurück zu meinen Wurzeln zu gehen, zu den Wurzeln meiner Vorfahren – aufs Land. Die Ausbildung, die ich im darauffolgenden Sommer auf einem Bauernhof antrat, war Therapie und Erfüllung zugleich. Es war schwer. Nicht so sehr die körperliche Arbeit – ich bin groß und war immer schon sportlich – als vielmehr das plötzliche Leben in einer Großfamilie und Arbeitsgemeinschaft. Ich hatte absolut keine Ahnung von Landwirtschaft. Aber mein Leben begann JETZT.

 

Der erste Bauernhof, auf den ich kam, lag malerisch in der Wedemark. Ein typischer norddeutscher Backsteinbau mit großer Tenne, 20 Milchkühen und 40 Schweinen. Rechts von der Tenne ging es in den Kuhstall, geradeaus in die Küche, die Schlafzimmer lagen oben darüber. Die Kühe lebten noch in Anbindehaltung, kamen aber im Sommer nur zum Melken in den Stall, im Winter waren sie wenigstens tagsüber auf der Weide. Das Klimpern der Ketten und Schnauben der Tiere, wenn sie in der dunklen Jahreszeit im Stall blieben, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen an diese Zeit. Gemolken wurde über eine Rohrmelkanlage, das heißt, der Melker trug das Melkgeschirr von einer Kuh zur anderen und molk im Sitzen zwischen den Tieren. Es war mein erster Kontakt mit dieser Arbeit überhaupt, und mit Begeisterung verschwand ich zwischen den dicken Kuhbäuchen, so dass mein Chef mich für ein wahres Melkwunder hielt. Noch an meinem ersten Tag saß ich auf dem Schlepper und lenkte mit klopfendem Herzen das Ungetüm über die Feldwege. Schweine füttern, Kühe holen, Ställe misten. Ich liebte es, und der Bauer war voll des Lobes. Erst in der Heuernte kam ich an meine Grenzen. Meine ungeübten Städterhände waren die schwere Arbeit nicht gewohnt. Bald konnte ich nachts vor Schmerzen nicht schlafen, eine Entzündung des Nervs lautete die Diagnose. Operation beider Hände, erst links, dann rechts, sonst würden innerhalb weniger Wochen Tastsinn und Bewegungsfreiheit vollends verschwinden. Dauer der Heilung: zwölf Wochen.

Ich war geschockt, verzweifelt, mein neugewonnenes Leben so schnell wieder verloren zu haben. Ich ging zurück in die Stadt, in meine Wohnung, und ließ mich behandeln. Zu dem Schmerz und der plötzlichen Untätigkeit kam die Angst, vor den tüchtigen Bauersleuten als Versagerin dazustehen. Ich ging weiterhin in die Landwirtschaftsschule und wartete darauf, dass ich wieder arbeiten konnte.

Als ich drei Monate später auf den Hof kam, war die Stimmung eine andere. Die herzliche Derbheit des Bauern war Zurückhaltung gewichen, und ich fühlte mich ausgeschlossen. Es trat ein, womit ich niemals gerechnet hatte: Ich musste den Hof verlassen, weil die Bauersfrau es nicht ertrug, dass ihr Mann mit einem weiblichen Lehrling die Tage verbrachte.

Jahre später erfuhr ich, dass es dort längst keine Kühe mehr gibt. Mastschweine in neugebauten Stallsystemen sichern nun das Einkommen der Familie.

 

Für mich war klar, dass ich meine Ausbildung in einem Milchviehbetrieb fortsetzen wollte. Es fand sich ein Hof mit 120 Milchkühen und Pensionspferdehaltung nebst Reithalle, auf dem ich sofort anfangen konnte. Hier wehte ein anderer Wind. Gemolken wurde in einem 12er-Fischgrät, was bedeutet, dass beidseitig eines Grubenganges jeweils fünf Kühe wie Gräten hintereinanderstehen. Der Melker sieht die Kühe hereinkommen, später nur noch Euter und Klauen und verrichtet seine Arbeit von der gefliesten Grube aus. Vorbei war es mit Kuhbäuchen und Melkgeschirren auf engstem Raum. Es fiel mir schwer, mir die Kühe anhand ihrer Euter einzuprägen, zu viele waren es, die in immer anderer Reihenfolge den Melkstand betraten. Das Futter wurde nicht mehr mit der Schubkarre in den Stall gefahren, sondern mit einem großen Mischwagen, den zu befüllen schnell meine Aufgabe wurde. In der dritten Woche zertrümmerte ich mit dem Siloschneider die Heckscheibe des Schleppers – der Klassiker unter Azubikatastrophen. Aber ich biss mich durch. Bald fand ich Gefallen an dieser größeren Betriebsamkeit. Hier arbeiteten der alte Bauer und seine Frau, der Sohn und bei Arbeitsspitzen wie der Getreide- oder Heuernte auch die Brüder mit. Das Gemeinschaftsgefühl, zusammen diese vielen Tiere zu versorgen und die Früchte der Felder einzubringen, tat mir gut. Das war eine Zukunft, die ich mir damals vorstellen konnte. Ich lernte schnell und viel auf diesem Hof.

Aber ich sah auch den enormen Druck, unter dem das Geld verdient werden musste, und ich erlebte, wie sich unter diesem Druck der mitfühlende Umgang mit dem Tier verbot. Kälber wurden im Schnelldurchgang aus ihren Müttern gezogen, weil die Gülle auf das Feld musste. Dass sie wenigstens ein paar Tage zusammenbleiben konnten, war unmöglich, denn die Milch brachte den Umsatz. Am schlimmsten war für mich aber der Umgang mit den Kühen, die nach fünf Jahren und vier Geburten nicht mehr die erwünschte Leistung brachten und einem Viehhändler verkauft wurden. Der Transporter kam, das Tier wurde verladen und verschwand vom Hof. Nicht nur einmal sah ich den Bauern dem Wagen hinterherschauen, und ich frage mich bis heute, ob ich ihn verurteilen oder mit ihm fühlen sollte. Und ich fragte mich, ob ich diese Landwirtschaft leben wollte, ob ich Tiere und Pflanzen «produzieren» wollte, denn so lautete die offizielle Bezeichnung der Lehrfächer in der Schule. Eine kurze Liaison mit einem Jungbauern aus dem Nachbardorf zeigte mir, dass es sich in anderen Betrieben mit anderen Tieren – konventionelle Masthähnchenhaltung – ähnlich verhielt. Aber ich kannte nichts anderes, und daher war es für mich richtig. Ich verließ den Hof nach einem Jahr mit dem Ziel, nach der Ausbildung die Meisterschule zu besuchen und später in einen Betrieb einzuheiraten.

 

Der Ausbildungsplan sah vor, das letzte Lehrjahr in einem gänzlich anderen Betrieb zu verbringen, und so verschlug es mich in ein winziges Dorf nahe Celle. Ein Biolandbetrieb mit 4000 Legehennen, Masthähnchen und Mutterkuhhaltung. Meine Vorurteile waren gewaltig. Zum einen betrachtete ich die Milchkuhhaltung als die Königsdisziplin der Landwirtschaft und konnte mit Hühnern rein gar nichts anfangen, zudem bedeutete Mutterkuhhaltung so gut wie keinen engen Kontakt mit den Tieren, die fast das ganze Jahr auf der Weide verbrachten. Und Bio – nun ja – war damals noch eine Nischenbewegung. Meine alten Chefs hatten kein gutes Haar daran gelassen.

Umso überraschter war ich, als ich am Ende eines Feldweges, kurz vor dem Nirgendwo, einen kleinen Einsiedelhof entdeckte. Ein leuchtend grüner Bauwagen verkündete, er sei der Hofladen, und auf dem Schild am Eingang hießen den Besucher alle Bewohner des Hofes willkommen. Geführt wurde der Betrieb von einem jungen Paar, nur wenig älter als ich, dessen Begeisterung für das, was sie taten, bald auf mich übersprang.

Hier lebten Hühner und einige Hähne in kleinen Gruppen zusammen. Die Ställe waren den natürlichen Bedürfnissen der Tiere entsprechend eingerichtet – besonderer Clou war ein ehemaliges Transportband einer Legebatterie, das der Chef zu einem Schlafplatz für seine Biohühner...

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