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E-Book

Hitlers erster Feind

Der Kampf des Konrad Heiden

AutorStefan Aust
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783644040519
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Er war einer seiner schärfsten Kritiker, und doch soll Hitler sich bei Veranstaltungen manchmal geweigert haben, mit seiner Rede zu beginnen, bevor er nicht eingetroffen war: Konrad Heiden. Als Mitarbeiter der angesehenen «Frankfurter Zeitung» gehörte er zu den ersten Publizisten, die den Aufstieg der Nazis kritisch begleiteten. Auf seiner zweibändigen Hitler-Biographie, die 1936/37 in der Schweiz herauskam, bauten fast alle späteren Lebensbeschreibungen des Diktators auf. Und doch ist Heiden heute nahezu vergessen. Stefan Aust porträtiert diesen faszinierenden Mann und lässt aus seiner Perspektive Hitlers Aufstieg und Herrschaft lebendig werden. Heiden, Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, hatte sich bereits während seines Studiums in München Anfang der zwanziger Jahre gegen den Nationalsozialismus engagiert. «Marsch ohne Ziel, Taumel ohne Rausch, Glauben ohne Gott und selbst in seinem Blutdurst ohne Genuß» - so charakterisierte er die Bewegung in einem Buch, das Ende 1932 im Rowohlt Verlag herauskam. Im März 1933 zur Flucht gezwungen, setzte Heiden seinen Kampf gegen das Regime unter Lebensgefahr fort. In den USA galt er als führender Experte für das NS-Regime und dessen «Staatsfeind Nr. 1». 1966 starb er in New York. Es ist höchste Zeit, sich dieses Hitler-Gegners der allerersten Stunde wieder zu erinnern. Der Autor arbeitet an einem Doku-Drama für die ARD über Heiden.

Stefan Aust, geboren 1946, ist Herausgeber der Welt und der Welt am Sonntag. Von 2010 bis 2013 war er Gesellschafter und Geschäftsführer des Nachrichtensenders N24. Zuvor war er lange Jahre Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel sowie Gründer und Geschäftsführer von Spiegel TV. Er schrieb zahlreiche Bücher, darunter der internationale Bestseller «Der Baader Meinhof Komplex», «Heimatschutz» (2014, mit Dirk Laabs), «Hitlers Menschenhändler. Das Schicksal der Austauschjuden» (2013, mit Thomas Ammann) und «Digitale Diktatur» (2014, mit Thomas Ammann).

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Leseprobe

Prolog Rückkehr nach Deutschland


Die viermotorige Propellermaschine vom Typ Constellation war am Abend in New York in Richtung Hamburg gestartet. Unter den etwa hundert Passagieren an Bord waren auch Konrad Heiden und seine Lebensgefährtin Margarethe van Weert. Der Schriftsteller kehrte zum ersten Mal nach dem Krieg zurück in seine Heimat. Es war Dezember 1951. Er machte sich Notizen, in der Sprache, die nun seit fast zwei Jahrzehnten die seine war. Doch sein Englisch war immer noch eine Übersetzung aus dem Deutschen, und auch sein Denken war ziemlich deutsch geblieben.

 

Plötzlich wurde einem Mann auf der anderen Seite des Ganges übel. Die anderen Passagiere machten sich über ihn lustig. Die ganze Nacht über war er fröhlich und ausgelassen gewesen, als sie den dunklen Ozean überquerten. Seine Stimme übertönte die Motorengeräusche; es war eine Art rostiges Krächzen. Er war viel herumgelaufen in der Maschine und hatte endlos mit einer Gruppe junger Norweger gezecht und herumgealbert, weißblonden, robusten Burschen, die auf dem Mittelgang mit zwei drallen skandinavischen Frauen getanzt hatten. Jetzt ging es ihm schlecht, und die trinkfesten Kerle zogen ihn auf, ohne jedes Mitleid.

«Meistens geht es mir beim Fliegen gut», murmelte er mit einem heftigen deutschen Akzent und rückte an den Rand seines Sitzplatzes gegenüber von Konrad Heiden.

«Ich bin nach dem Krieg viermal zurückgekehrt», sagte er. «Es macht mich jedes Mal ganz krank, wenn ich nach Deutschland komme.»

Er schien ausgesprochen stolz darauf zu sein, dass sein Unterbewusstsein ihm diesen Streich spielte, zumindest tat er so. Er stammte aus Hannover. Seine beiden Eltern waren in einem Konzentrationslager ums Leben gekommen. Nur in Bruchstücken halblauter Sätze bröckelten diese Informationen aus ihm heraus, und immer wieder blickte er zu den Norwegern hinüber, als wollte er ihnen sagen: «Was wißt Ihr Hohlköpfe schon über unseren Schmerz.»

 

Er hatte Konrad Heiden auf den ersten Blick als jemanden erkannt, dem er Vertrauen schenken konnte, eine verständnisvolle Seele, einen von der gleichen Art. Heiden fragte sich allerdings, ob das Unterbewusstsein jemanden auch dazu bringen konnte, falsche Geschichten zu erzählen. Der kleine Mann trug seine grauenvollen Erinnerungen wie eine Monstranz vor sich her. Wahrscheinlich war die schlichte Wahrheit, dass achtzehn Stunden Flug, acht trockene Martini und seine begeisterte Teilnahme an der Party zu viel für ihn gewesen waren.

Warum war er nun zum fünften Mal zurückgekehrt, wenn er das Land so hasste? Das fragte sich Heiden. Und warum war er selbst bisher nicht ein einziges Mal zurück nach Deutschland gekommen?

«Es war wirklich meine erste Heimkehr nach neunzehn Jahren», kritzelte Heiden in sein Notizbuch, «und dafür nehme ich es recht leicht, um nicht zu sagen gleichmütig.»

Er hatte sich vorgenommen, mit offenen Augen zu kommen und einer kühlen Neugier, alle möglichen Gefühle fest verschnürt. Er würde hinsehen, Punkt. Alles beobachten, was auf ihn zukam. «Ich hatte schon fast vergessen, obwohl ich es besser wußte, daß man nur etwas sehen kann, wenn man es wirklich sehen will.»

Die Sonne war auf der linken Seite aufgegangen und «füllte die Welt mit Raum». Die Maschine tauchte ein in das fließende Licht unter ihnen, flog durch die Wolken – und da lag Deutschland. «Es war, was ich hätte erwarten können», notierte Konrad Heiden, während die Maschine langsam an Höhe verlor. «Wie unerkennbar du bist, Vaterland!»

Aus der immer noch großen Flughöhe sah man aber kein Land, sondern nur geometrische Formen, ein Meer aus großen grünen und gelben Flächen, Rechtecken bis zum Horizont, Äckern und halb gefrorenen Wiesen; langgestreckte Grenzlinien, vielleicht Zäune oder Gräben. Kleine rote Kästen, wahrscheinlich Häuser. «Man konnte nicht erkennen, ob es Paläste waren oder Hütten.» In einiger Entfernung war ein Gewässer zu sehen, lang, gerade, dünn und glitzernd wie eine Nähnadel, vermutlich ein Kanal. Dunkle Flächen, die Städte sein konnten oder Wälder.

«Verwirrend und akkurat zugleich» erschien das Vaterland. «Ja, so ist Deutschland. Wie sauber, rief Heinrich Heine, der Dichter, als er nach 13 Jahren Exil zurückkehrte. Das war vor 110 Jahren. Er sagte es halb verächtlich.»

 

Konrad Heiden war zu dieser Zeit 50 Jahre alt, seine Lebensgefährtin Margarethe van Weert, eine kleine quirlige Person, genannt «Spatzi», fünf Jahre älter.

 

Heidens Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Er hatte Deutschland vor fast zwanzig Jahren verlassen, «in den stürmischen Tagen von ebenso amateurhaften wie begeisterten Widerstandsplänen gegen die Nazis, die gerade an die Macht gekommen waren».

In eher schlichten Verstecken hatte er nach der Machtergreifung Hitlers «vor dessen noch nicht sehr effizienten Schlächtern» Zuflucht gesucht. Eine neue Generation war damals in Deutschland ans Ruder gekommen: «Neue Gesichter, neue Anführer, neue Überzeugungen; es gab nicht nur neue Herrscher, sondern auch neue Widerstandskämpfer; ein neuer Stil der Unterdrückung und ein neuer Typ von Unterdrückten.»

Es schienen, wie Heiden sarkastisch formulierte, «großartige Tage» zu werden. «Aber am Ende hatten zwei Herren vom Hauptquartier der Gestapo meinen Unterschlupf entdeckt und suchten meine Gesellschaft. Glücklicherweise, als ich gerade anderswo war. Ich harrte noch eine Weile aus, aber schließlich blieb mir keine andere Wahl, als das Land zu verlassen.»

 

Seitdem war er nicht zurückgekehrt. «Aus bitteren Gründen, nicht aus Hass oder Rachsucht. Aber wie es eben ist, wenn eine alte Liebe zu einem zurückkommt, nur weil der andere Typ eine Enttäuschung war. Dann bist du derjenige, der sich klein fühlt.»

 

Die Maschine ging langsam in den Sinkflug über. Die Dinge wurden allmählich dreidimensional und bekamen Namen. Sie überflogen eine Zusammenballung reich aussehender Häuser auf einer Hügelkette – den noblen Elbvorort Blankenese, ein Muster von roten und weißen Bauwerken mit Türmen und Steintreppen, Gärten und Terrassen, die sich wie Kaskaden den Hang hinunterzogen; samtene Rasenflächen, von dichten Büschen umgeben.

«Wie mußten die Menschen auf diesen luxuriösen Hügeln sich mit Schuld beladen haben?», fragte Heiden sich in diesem Augenblick. Er war schon nicht mehr in Deutschland gewesen, als die Nazis vollends triumphierten. Er hatte die späteren Ereignisse in den Zeitungen verfolgt und aus spärlichen Briefen, die ihn über zwölf Jahre erreichten. Nach Kriegsende schickte er Lebensmittelpakete an alte, fast vergessene Freunde. Nun war er hier und mit Deutschland noch nicht im Reinen: «Die Träume der Menschen, die Gewalt im Namen der Gerechtigkeit. Der erschreckende Untergang am Ende, die gewaltige Herabsetzung meines Landes – ich konnte das alles nicht so einfach abschütteln.»

Deutschland war für ihn eine sehr persönliche Angelegenheit, nicht viel anders als einst für Heinrich Heine: «Eine Geschichte erschütterten Stolzes, schuldbewußter Schwäche, allgemeinen Schreckens und persönlichen Elends. Deutschland hätte ein Vorreiter der Menschheit sein können – und wie hatte meine Generation das vermasselt.» Auf Englisch klagte er:

«Call it the megalomania of defeat, but Germany had been my fight. I had lost it.»

«Nennt es ruhig den Größenwahn der Niederlage, aber Deutschland, das war mein Kampf. Ich habe ihn verloren.»

 

Konrad Heiden kehrte nicht nur als Emigrant in seine alte, verlorene Heimat zurück, sondern auch als Journalist. Die weltberühmte amerikanische Illustrierte Life hatte ihm den Auftrag für eine Reportage über Nachkriegsdeutschland erteilt.

 

Im Mai 1933, kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, hatte er Deutschland verlassen. Sein erstes Buch «Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee», war noch vor dem Desaster vom 30. Januar 1933 erschienen – im Dezember 1932. Wenige Wochen später setzten es die Nazis auf die Liste der verbotenen Bücher. Heiden floh, zunächst in die Schweiz, dann ins Saargebiet, von wo aus er nach der Saar-Abstimmung am 13. Januar 1935 schon wieder fliehen musste – nach Frankreich. Eine große Mehrheit der Saarländer hatte sich für den Anschluss an Hitler-Deutschland ausgesprochen.

Es war ein Leben auf der Flucht.

 

Heiden war besonders gefährdet. Seine Artikel und Bücher in den zwanziger und dreißiger Jahren hatten die Nazis bis zur Weißglut gereizt. Er kannte die Nationalsozialisten fast alle aus den frühen Tagen der Bewegung in München, vielleicht zu gut. Er war tatsächlich ein alter Bekannter des «Führers» Adolf Hitler, sein kritischer, oftmals spöttischer, unerbittlicher Begleiter und Beobachter seit Jahrzehnten, ein Chronist des Aufstiegs zur Macht, ein intimer Kenner der Ränkespiele, der Freundschaften und Feindschaften, der Rivalitäten und Intrigen innerhalb der «Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei» (NSDAP).

 

Jetzt, bei der Landung in Hamburg, erinnerte sich Heiden an seine eigenen Erlebnisse Jahre zuvor in der Hansestadt: «Einst war Hamburg die Hauptstadt des Wohlstandes und der Sünde gewesen, wo diejenigen, die ihn sich leisten konnten, den besten Kaviar diesseits der russischen Grenze bekamen.» Im Zentrum der Stadt umgaben «drei Reihen von Palästen einen silbernen See», die Alster. Am Hafen, glitzernd und herausfordernd, lag Deutschlands größtes Rotlichtviertel,...

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