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Stalking

Ein Leitfaden zur Risikobewertung von Stalkern - das 'Stalking Risk Profile'

AutorDavid V. James, James R.P. Ogloff, Michele T. Pathé, Paul E. Mu, Rachel D. MacKenzie, Troy E. McEwan
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl202 Seiten
ISBN9783170288225
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis52,99 EUR
Mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 11 % ist Stalking ein weit verbreitetes Phänomen. Fachleute unterschiedlicher Disziplinen müssen sich zunehmend mit der Risikoeinschätzung und Therapie von Stalkern beschäftigen. Wie wichtig es ist, dieser Aufgabe sorgfältig und mit der nötigen Kompetenz nachzugehen, wird durch tragische Tötungsdelikte verdeutlicht, denen Stalking vorausging. Die deutsche Übersetzung des Stalking Risk Profile bietet eine praxisnahe, wissenschaftlich fundierte dynamische Risikoeinschätzung und vermittelt praxisorientierte Vorschläge für Therapie- und Managementstrategien. In einem umfassenden Einleitungskapitel werden die für die Interventionsstrategien relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland dargestellt.

Das Stalking Risk Profile wurde von einer Gruppe von australischen und englischen Psychologen und Psychiatern entwickelt, die sich über viele Jahre klinisch und wissenschaftlich intensiv mit Stalkern und deren Opfern beschäftigt haben. Das Übersetzerteam: Professor Dr. Harald Dreßing leitet den Bereich Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und erforscht zusammen mit Dr. Malte Bumb (Arzt) und Konrad Whittaker (cand. med.) die vielfältigen Facetten von Stalking.

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Leseprobe

Einleitung: Stalking – Forschungsstand und rechtliche Möglichkeiten in Deutschland


Harald Dreßing, Konrad Whittaker und Malte Bumb


Vorbemerkungen


Während die wissenschaftliche und rechtliche Auseinandersetzung mit Stalking in den angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern bereits Anfang der 1990er Jahre erfolgte, wurde die Brisanz dieser Problematik in Deutschland erst wesentlich später erkannt. Mittlerweile ist die Thematik aber sowohl in der Forschung, als auch in der Praxis der psychosozialen Beratung und der Gerichte angekommen. Es gibt hierzu inzwischen eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen (Übersicht bei Dreßing 2004, 2013) aber auch zusammenfassende Darstellungen in Form von Monografien (z. B. Dreßing & Gass 2005; Gallas et al. 2010).

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde insbesondere durch spektakuläre Tötungsdelikte, denen ein Stalking vorausging, geweckt. Diese tragischen Verläufe stellten die Risikoeinschätzung und das Risikomanagement bei Stalkingfällen in den Fokus klinischer Forschung. Für diejenigen, die sich professionell mit Stalking beschäftigen, wurde ein empirisch fundiertes Instrument notwendig, das bei der Risikoabschätzung für gewalttätige Eskalationen hilft und die Anwendung angemessener Interventionen ermöglicht.

Das von englischen und australischen Kollegen publizierte »Stalking Risk Profile« ist hierfür sehr gut geeignet. Aufgrund unterschiedlicher Gesetzgebungen sind einige im englischsprachigen Manual vorgeschlagenen Interventionsstrategien – wie z. B. eine zwangsweise ambulante Behandlung – in Deutschland nicht umsetzbar. Auf diese Besonderheiten wird in der Übersetzung hingewiesen. Da es im Bereich der Stalkingliteratur kein vergleichbares Instrument zur Risikoeinschätzung und Interventionsplanung gibt, freuen wir uns sehr, dass die angelsächsischen Autoren dieses Werks einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugestimmt haben. Mit der Herausgabe des Stalking Risk Profile in deutscher Sprache wird die außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit mit einigen der englischen und australischen Kollegen nun fortgesetzt.

Forschungsstand und Praxis in Deutschland


Epidemiologische Befunde in Deutschland


Die erste epidemiologische Untersuchung in Deutschland zu diesem Thema wurde im Jahre 2005 unter der Federführung von einem der Übersetzer des vorliegenden Manuals (HD) durchgeführt. Die Verbreitung des Stalkings wurde dabei erstmals mittels einer Stichprobenuntersuchung der Mannheimer Bevölkerung systematisch erhoben. 2000 Personen aus der Einwohnermeldedatei der Stadt Mannheim wurden nach repräsentativen Kriterien ausgewählt und postalisch befragt. Die Ergebnisse dieser Studie sind vergleichbar mit denen der angelsächsischen Kollegen: 11,6 % der Befragten gaben an, mindestens einmal in ihrem Leben Opfer eines Stalkers gewesen zu sein. Die beschriebenen Episoden erfüllten die hierfür festgelegten Definitionskriterien (mehrere unerwünschte Kontaktaufnahmen, mindestens zwei verschiedene Stalking-Verhaltensweisen, Mindestdauer zwei Wochen, Angst bei den Betroffenen). Die Stalkingopfern waren zu 87,2 % Frauen und zu 12,8 % Männer (Dreßing et al. 2005). Damit waren insgesamt 17,3 % der befragten Frauen und 3,7 % der Männer mindestens einmal im Leben von Stalking betroffen.

Die Ergebnisse dieser deutschen Studie sind vergleichbar mit den Ergebnissen internationaler Studien: In den USA zeigte sich eine Lebenszeitprävalenz von 8 % bis 12 % bei Frauen und 2 % bis 4 % bei Männern (Tjaden & Thoennes 1998); in Großbritannien 16,1 % bei Frauen und 6,8 % bei Männern (Budd & Mattinson 2000). Je nach Breite der Stalkingdefinition ergaben sich in Australien Prävalenzraten von 14,9 % bis 32,4 % bei Frauen und 6,1 % bis 12,8 % bei Männern (Purcell et al. 2002). Unterschiede in den Prävalenzraten sind vor allem auf Unterschiede in den Kriterien (Dauer, Häufigkeit der Belästigung) zurückzuführen.

Als gemeinsames Ergebnis aller bisher durchgeführten epidemiologischen Untersuchungen ist festzuhalten, dass Stalking in Industrienationen ein weit verbreitetes Phänomen ist. Stalker versuchen ihre Opfer auf unterschiedliche Art und Weise zu verfolgen und zu bedrohen. In der in Deutschland durchgeführten epidemiologischen Studie wurden die Opfer durchschnittlich fünf verschiedenen Methoden der Verfolgung, Beeinträchtigung und Belästigung ausgesetzt. Von den Stalkern wurden dabei am häufigsten die folgenden Methoden verwendet: Unerwünschte Telefonanrufe (78,2 %), Herumtreiben in der Nähe (62,6 %), unerwünschte Briefe, E-Mails, SMS, Faxe (50 %), Verfolgen (38,5 %), Kontaktaufnahme über Dritte (35,9 %), vor der Haustür stehen (33,3 %), Auflauern (24,4 %), Nachrichten am Auto oder der Haustür hinterlassen (19,2 %), mit dem Auto verfolgen (19,2 %), Beschädigen von Eigentum (16,7 %), Eindringen in die Wohnung (15,4 %), Zusenden von Geschenken (17,9 %), Bestellungen im Auftrag des Opfers (10,3 %), Zusenden von schockierenden Dingen (9 %). Beschimpfungen und Verleumdungen erfolgten in 47,4 % der Fälle. Das Opfer mit Rechtsprozessen zu überziehen (»stalking by law«) ist als besonders perfide Stalkingmethode anzuführen. Zunehmend erfolgt Stalking auch über die sozialen Netzwerke und wird hier als Cyberstalking bezeichnet (Dreßing et al. 2011).

Stalking kann einige Wochen bis zu mehreren Jahren dauern und bei den Opfern chronischen und kaum kontrollierbaren Stress bewirken, der wiederum psychosomatische Beschwerden und psychiatrische Erkrankungen nach sich ziehen kann. Für die Häufung psychischer Störungen bei Stalkingopfern sind grundsätzlich zwei Erklärungsansätze denkbar, für die es jeweils empirische Belege gibt.

Der erste Erklärungsansatz geht von der Annahme aus, dass Stalkingopfer bereits vor Beginn des Stalking an psychischen Störungen oder Auffälligkeiten litten, die sie als Stalkingopfer prädisponierten. In der in Deutschland durchgeführten epidemiologischen Studie fanden sich Hinweise dafür, dass Menschen mit einer dependenten Persönlichkeitsstruktur signifikant häufiger Opfer von Stalking wurden als Personen, die diese Persönlichkeitsstruktur nicht aufwiesen. Da es sich bei der Studie aber um eine Querschnittserhebung handelte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die dependenten Persönlichkeitsmerkmale eine Folge des anhaltenden Stalking darstellten und nicht schon zu Beginn des Stalking vorhanden waren (Dreßing et al. 2005). Allerdings zeigte eine weitere Untersuchung bei stationären psychiatrischen Patienten, dass deren Lebenszeitprävalenz für Stalking mit 20 % fast doppelt so hoch war, wie in der Allgemeinbevölkerung. Außerdem wurde bei mehr als der Hälfte dieser Stalkingopfer die psychische Störung bereits vor Beginn des Stalking diagnostiziert (Dreßing & Gass 2010). Diese Befunde bedeuten nicht, dass diese Personen selbst für das Stalking verantwortlich sind. Vielmehr handelt es sich bei psychisch kranken Personen um eine mit bestimmten Vulnerabilitäten assoziierte Risikogruppe, die auch von anderen Formen der Kriminalität häufiger betroffen ist.

Langjährige Erfahrungen aus einer Sprechstunde für Stalkingopfer haben deutlich gemacht, dass psychisch völlig gesunde Menschen als Folge des Stalkings psychisch erkranken können (Gallas et al. 2010). Der zweite Erklärungsansatz berücksichtigt diese Erfahrungen und befasst sich mit der signifikanten Korrelation von Stalking und psychischen Störungen bei den Stalkingopfern. Stalkingopfer erkranken in Folge des chronischen Stresserlebens häufiger an psychischen Störungen. Im Vergleich zu nicht-gestalkten Personen zeigen Stalkingopfer signifikant häufiger Symptome von posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, generalisierten Angststörungen und somatoformen Störungen. Stalkingopfer nehmen auch signifikant häufiger Psychopharmaka ein. Die psychischen Störungen können persistieren, auch wenn die aktuelle Stalkingsituation bereits beendet ist (Kühner et al. 2007, 2012).

Grundsätzlich kann jeder Mensch – unabhängig von der sozialen Schicht und individuellen Persönlichkeitsstruktur – Opfer eines Stalkers werden. Mehr als 80 % der Opfer sind Frauen. Überzufällig häufig sind Stalkingopfer Singles und leben alleine oder sie haben eine Beziehung zu ihrem Stalker beendet. Menschen, die in exponierten Berufen arbeiten, haben ein erhöhtes Risiko, Opfer eines Stalkers zu werden. Dies gilt zum einen für berühmte Personen, aber auch für Berufe mit engeren professionellen Beziehungskontakten (z. B. Psychiater, Rechtsanwälte, Lehrer) oder für Personen, die in anderen exponierten Berufen arbeiten, wie z. B. Journalisten (Gass et al. 2009).

Neben »echten Opfern« gibt es auch »falsche Opfer«. In...

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