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Essstörungen: Anorexie und Bulimie

Ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Leitfaden für Therapeuten

AutorErnst-Jürgen Borgart, Rolf Meermann
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783170265844
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
In diesem Buch wird ein störungsspezifisches, kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientiertes Therapiemanual zur Behandlung von Essstörungen, d. h. Anorexie und Bulimie, vorgestellt. Inhaltlicher Schwerpunkt ist die Darstellung eines strukturierten, evidenzbasierten Vorgehens, das sich in langjähriger klinischer Arbeit entwickelt und bewährt hat und in einzelnen Bausteinen im stationären wie ambulanten Rahmen einsetzbar ist. Die therapeutischen Strategien werden konkret beschrieben und mit entsprechenden Therapiematerialien für Therapeut und Patient ergänzt. Die Arbeitsmaterialien finden sich auch auf der beigefügten CD-ROM.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Meermann, Chefarzt der Psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont und Hochschullehrer für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dipl.-Psych. Dr. phil. Ernst-Jürgen Borgart, Leitender Psychologe der Psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont und Leiter eines staatlich anerkannten Ausbildungsinstituts für Verhaltenstherapie.

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Leseprobe

A Grundlagen der Störung


1 Einleitung: Zur Bedeutung von Essstörungen


Anorexia nervosa und Bulimia nervosa sind relativ »neue Störungsbilder« und Erkrankungen, obwohl die Geschichte des Fastens und Hungerns weit zurückreicht (s. Vandereycken et al., 2003). Essstörungen traten in den letzten Jahren zunehmend häufiger auf und haben sich in den letzten zwanzig Jahren von einem seltenen Krankheitsbild zu einer beinahe modischen Erscheinung entwickelt.

Anorexia nervosa existiert als Diagnose erst seit Anfang des letzten Jahrhunderts und ist erst seit ca. zwanzig Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Etwa ein bis drei Prozent der Frauen in Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter, d. h. zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, sind von Anorexie betroffen. In einzelnen Risikogruppen liegt die Häufigkeit deutlich höher, z. B. 7 % bei Ballettschülerinnen.

Bulimia nervosa existiert als exakt definierte Diagnose erst seit 1980. Die Prävalenz liegt bei etwa 4,5 % der 18- bis 25-jährigen Frauen.

Von Essstörungen sind fast nur Frauen betroffen. Der Anteil der Männer unter den essgestörten Patienten liegt bei etwa 1 bis 5 %. In einer groß angelegten multizentrischen Essstörungsstudie konnten Grabhorn et al. (2003) zeigen, dass die Gemeinsamkeiten von männlichen und weiblichen Essgestörten überwiegen, insbesondere in Bezug auf das Essverhalten, dass es jedoch auch bedeutsame Unterschiede im Umgang mit dem Körper und der Bedeutung des Körpers gibt. Ebenfalls gibt es im Bereich Persönlichkeit und sexuelle Identität Unterschiede zwischen männlicher Anorexie und Bulimie.

Epidemiologische Daten zeigen, dass die Häufigkeit von Essstörungen in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. Es gibt auch Beobachtungen, z. B. aus kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen, dass die Patientinnen immer jünger werden. Dieser frühere Erkrankungsbeginn hängt sicher auch damit zusammen, dass die Pubertät zunehmend früher einsetzt. Essstörungen stellen auch einen wachsenden Teil der chronischen Erkrankungen dar und spielen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation eine immer größere Rolle. Allein in unserer Klinik haben wir in den letzten achtzehn Jahren über 2 300 essgestörte Patientinnen behandelt, wobei der prozentuale Anteil an der Gesamtpopulation unserer Patienten stetig gestiegen ist.

2 Diagnosekriterien und Diagnosestellung von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa


Auf der CD vorhandene Arbeitsmaterialien

  • Tabelle 2.1:

ICD-10-Diagnosekriterien der Anorexia nervosa (F50.0) (Buchseite 17)

  • Tabelle 2.2:

DSM-IV-Diagnosekriterien für 307.1 (F50.00; F50.01) Anorexia nervosa (Buchseite 18)

  • Tabelle 2.3:

Differenzialdiagnosen von Essstörungen (Buchseite 19)

  • Tabelle 2.4:

ICD-10-Diagnosekriterien der Bulimia nervosa (F50.2) (Buchseite 20)

  • Tabelle 2.5:

DSM-IV-Diagnosekriterien für 307.51 (F50.2) Bulimia nervosa (Buchseite 21)

  • Tabelle 2.6:

Vergleich der Krankheitsbilder Anorexia nervosa und Bulimia nervosa (Buchseite 22)

  • Tabelle 2.7:

Körperliche Folgeerscheinungen bei Essstörungen (Buchseite 23)

2.1 Anorexia nervosa


Im klinischen Erscheinungsbild einer Patientin mit Anorexia nervosa dominiert neben dem kachektischen Gesamtzustand (Untergewicht) besonders das subjektive Erleben der Patientin, vor allem die verzerrte Einstellung zu ihrem Körpergewicht und ihrer äußeren Erscheinungsform. Trotz vorhandenem Untergewicht fühlen sie sich immer noch zu dick (Körperschemastörung). Häufig verdecken die Patientinnen ihre Körperumrisse in weiten Kleidern. Im Untersuchungsgespräch werden oftmals somatische Ursachen für das Untergewicht angedeutet, das problematische Essverhalten wird eher bagatellisiert. Auf ein mögliches Therapieziel »Gewichtszunahme« angesprochen, zeigen sich oft Widerstände, die bis zum Therapieabbruch führen können.

Klinisch erscheint die Magersucht zumindest in zwei Formen: einerseits als rein diäthaltende (restriktive) Anorexia nervosa, andererseits als Störungsbild mit Erbrechen und/oder Laxanzienabusus (bulimische Anorexia nervosa). Fremdanamnestische Angaben in Bezug auf das Essverhalten sind insbesondere bei jüngeren Patientinnen, die noch im häuslichen Umfeld wohnen, hilfreich. In Tabelle 2.1 und 2.2 finden sich die diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10 (s. Dilling et al., 2005) und DSM-IV (s. Saß et al., 2003).

Die ICD-10- und DSM-IV-Kriterien sind sehr ähnlich. Kleine Differenzierungen bestehen darin, dass im DSM-IV die selbst gesteuerte Herbeiführung des Gewichtsverlusts und die endokrinen Veränderungen weniger betont werden. Auf der anderen Seite wird im DSM-IV der übertriebene Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung betont und der Zusammenhang zur Körperschemastörung und zur Gewichtsphobie hergestellt.

Tabelle 2.1: ICD-10-Diagnosekriterien der Anorexia nervosa (F50.0)

ICD-10-Diagnosekriterien der Anorexia nervosa (F50.0)

  1. Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15 % unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder Quetelets-Index von 17.5 oder weniger. Bei Patienten in der Vorpubertät kann die erwartete Gewichtszunahme während der Wachstumsperiode ausbleiben.
  2. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:
    1. Vermeidung von hochkalorischen Speisen sowie durch eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen:
    2. selbst induziertes Erbrechen,
    3. selbst induziertes Abführen,
    4. übertriebene körperliche Aktivitäten,
    5. Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.
  3. Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die Angst, zu dick zu werden, besteht als eine tief verwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
  4. Eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hyphophysen-Gonaden-Achse. Sie manifestiert sich bei Frauen als Amenorrhö und bei Männern als Libido- und Potenzverlust. (Eine Ausnahme ist das Persistieren vaginaler Blutungen bei anorektischen Frauen mit einer Hormonsubstitutionsbehandlung zur Kontrazeption.) Erhöhte Wachstumshormon- und Kortisolspiegel, Änderungen des peripheren Metabolismus von Schilddrüsenhormonen und Störungen der Insulinsekretion können gleichfalls vorliegen.
  5. Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt (Wachstumsstopp; fehlende Brustentwicklung und primäre Amenorrhö bei Mädchen; bei Knaben bleiben die Genitalien kindlich). Nach Remission wird die Pubertätsentwicklung häufig normal abgeschlossen, die Menarche tritt aber verspätet ein.

F50.00 Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc.)

Dazugehörige Begriffe:
  • asketische Form der Anorexie
  • passive Form der Anorexie
  • restriktive Form der Anorexie

F50.01 Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc. u. U. in Verbindung mit Heißhungerattacken)

Dazugehörige Begriffe:
  • aktive Form der Anorexie
  • bulimische Form der Anorexie

Quetelets-Index: W/(H. H)
(W = Körpergewicht in Kilogramm, H = Körpergröße in Metern, ab dem 16. Lebensjahr)

Tabelle 2.2: DSM-IV-Diagnosekriterien für 307.1 (F50.00; F50.01) Anorexia nervosa

DSM-IV-Diagnosekriterien für 307.1 (F50.00; F50.01) Anorexia nervosa

  1. Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichts zu halten (der Gewichtsverlust führt z. B. dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85 % des zu erwartenden Gewichts, oder das Ausbleiben einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85 % des zu erwartenden Gewichts)....
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