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E-Book

Gesundheit und Soziale Arbeit

AutorAnnemarie Jost
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783170264373
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Die Auseinandersetzung mit Fragen der Gesundheit hat im Studium der Sozialen Arbeit einen festen Platz und gehört zum Kerncurriculum in den Bachelorstudiengängen. Etwa 20 % aller Sozialarbeiter sind im Gesundheitswesen im engeren Sinne tätig; zugleich spielt 'Gesundheitsarbeit' in den meisten anderen Arbeitsfeldern des Sozialwesens eine wichtige Rolle. Das Buch klärt gesundheitswissenschaftliche Grundfragen, thematisiert Aspekte der Sozialen Sicherung und reflektiert die spezifische Rolle der Sozialen Arbeit bei der Förderung von Gesundheitskompetenz. Anhand konkreter Beispiele aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern wird die Bandbreite der Gesundheitsarbeit aufgefächert. Nach dem Lebensalter der Klienten gegliedert wird gesundheitswissenschaftliches und sozialmedizinisches Grundwissen immer in Verschränkung mit methodischem Handeln und illustriert an Fallbeispielen vermittelt. Exemplarisch werden so Möglichkeiten der gesundheitsbezogenen Sozialarbeit in jedem Lebensalter aufgezeigt.

Professor Dr. med. Annemarie Jost lehrt an der Hochschule Lausitz mit den Schwerpunkten Sozialpsychiatrie und Suchterkrankungen.

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Leseprobe

2 Einige epidemiologische Grundbegriffe und deren Bedeutung: Die Gesundheit in Deutschland


Was Sie in diesem Kapitel lernen können

Die Epidemiologie ist eine Grundlage der Gesundheitsforschung und fragt nach der Häufigkeitsverteilung von Krankheiten in der Bevölkerung (deskriptive Epidemiologie), analysiert deren Ursachen (analytische Epidemiologie) und erforscht wissenschaftlich begründete Handlungsmöglichkeiten (interventive Epidemiologie), um Krankheiten in der Bevölkerung zu bekämpfen oder zu überwinden. Hierzu werden Daten erhoben und gesammelt. Sie lernen in diesem Kapitel wichtige Gesundheitsstudien und deren Begrifflichkeiten kennen und erfahren, welche Krankheiten in Deutschland besonders häufig sind. Zugleich erhalten Sie Anregungen, diagnostische Zuschreibungen und Statistiken kritisch zu hinterfragen.

Eine zentrale Einrichtung zur Überwachung und Prävention von Krankheiten ist das Robert Koch-Institut (Internetquelle 5). Vorrangige Aufgaben dieses Bundesinstitutes liegen in der wissenschaftlichen Untersuchung, der epidemiologischen und medizinischen Analyse und Bewertung von Krankheiten mit hoher Gefährlichkeit, hohem Verbreitungsgrad oder hoher öffentlicher oder gesundheitspolitischer Bedeutung (z.B. Infektionskrankheiten). In regelmäßigen Abständen werden in Deutschland Gesundheitssurveys durchgeführt, um belastbare Indikatoren des Gesundheitszustandes und der gesundheitlichen Risiken zu erfassen. Eine separate Studie befasst sich mit der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen; an dieser Gesundheitsstudie (KIGGS, Internetquelle 73) haben zuletzt zwischen 2003 und 2006 über 17 000 Jungen und Mädchen zwischen 0 und 17 Jahren teilgenommen. Derzeit (2009–2012) läuft die nächste Befragungsrunde, die sich vornehmlich auf Telefoninterviews mit den Eltern und den Jugendlichen ab 11 Jahren und mit jungen Erwachsenen stützt. Darüber hinaus werden vom Statistischen Bundesamt (Internetquelle 1) jährlich repräsentative Bevölkerungsdaten im sogenannten Mikrozensus erhoben, alle vier Jahre werden diese auch um gesundheitliche Angaben ergänzt. Weiterhin werden sogenannte Sekundärdaten zur Verfügung gestellt. Bei der Todesursachenstatistik stammen die Daten aus Leichenschauscheinen, bei den Krankheitsarten stammen sie vorwiegend aus den Unterlagen der Sozialversicherungen und der Krankenhäuser und aus der Erhebung meldepflichtiger Krankheiten. Darüber hinaus werden für bestimmte Krankheiten (z.B. Krebskrankheiten) in den Bundesländern Krankheitsregister geführt.

Retrospektive Studien werten bereits vorhandenes Datenmaterial aus, sie wenden den Blick von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit, während prospektive Untersuchungen in die Zukunft blicken, der Überprüfung von Hypothesen dienen und Beobachtungsgruppen gezielt auswählen, um diese im weiteren Verlauf zu verfolgen. Eine in der Medizin häufig angewandte Unterform der prospektiven Untersuchung ist die randomisierte Kontrollstudie: Hierbei teilt man die zu untersuchenden Personen nach dem Zufallsprinzip in Gruppen ein, z.B. in eine Gruppe, die eine Intervention (z. B. ein Medikament oder eine bestimmte Form der Beratung) erhält und eine Kontrollgruppe, die keine oder eine andere (vielleicht bereits als wirksam bekannte) Intervention erhält. Im weiteren Verlauf werden dann in regelmäßigen Abständen in beiden Gruppen Beobachtungen, Befragungen oder Messungen durchgeführt. Bei der Überprüfung der Wirksamkeit eines Medikamentes verwendet man meist Blindstudien, das bedeutet, dass der Proband nicht weiß, ob er tatsächlich ein wirksames Medikament oder ein Placebo (ein Scheinmedikament ohne Wirksubstanz) erhält. Bei einer Doppelblindstudie wissen weder Untersucher noch Patient, wer ein wirksames Präparat (Verum) und wer ein Placebopräparat erhält. Wüssten die Beteiligten, ob sie tatsächlich den Wirkstoff erhalten, könnte dies bereits zu den erwarteten Einflüssen, aber auch zu Nebenwirkungen beitragen, hierbei spielen insbesondere suggestive Einflüsse und Konditionierungen eine wichtige Rolle. Mit Konditionierungen sind erlernte Reiz-Reaktionsmuster gemeint: Wenn ein Medikament früher immer eine bestimmte Wirkung hatte, werden bestimmte körperliche und psychische Reaktionen bereits durch seine Einnahme in Gang gesetzt. Ganz allgemein beeinflussen die Erwartungshaltungen der Beobachter und der Untersuchten die Ergebnisse von Studien stark. Beim Einfluss der Erwartungen des Versuchsleiters auf die Untersuchungsergebnisse spricht man auch vom Rosenthal-Effekt: Der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal untersuchte gemeinsam mit Leonore Jacobsen in den 1960er Jahren die Einflüsse der Erwartungshaltung von Lehrern, denen vorgetäuscht wurde, ein Test hätte ergeben, dass 20 % der Kinder unmittelbar vor einem intellektuellen Entwicklungsschub stünden. In Wirklichkeit wurden aber die den Lehrern benannten Kinder willkürlich ausgewählt. Im Folgejahr konnte festgestellt werden, dass die ausgewählten Kinder ihren IQ deutlich stärker steigern konnten als die Kinder der Kontrollgruppe.

Um – retrospektiv oder prospektiv – erhobene Daten genauer analysieren zu können, sind einige häufig in sozialmedizinischen Zusammenhängen verwendete Grundbegriffe von Bedeutung:

Definitionen

Die Prävalenz bezeichnet die Krankheitshäufigkeit in einer untersuchten Population (Bevölkerungsgruppe), d. h. die Anzahl aller an einer bestimmten Krankheit Erkrankten geteilt durch die Anzahl der betrachteten Individuen. Normalerweise gibt man die Prävalenz in Prozentangaben oder in der Anzahl der Erkrankten pro 100 000 an. Bei der Punktprävalenz bezieht man sich z. B. auf einen Stichtag, bei der Lebenszeitprävalenz fragt man danach, ob die Erkrankung im bisherigen Leben schon einmal aufgetreten ist. Bei der Periodenprävalenz betrachtet man z. B., ob eine Erkrankung innerhalb des letzten Jahres bestanden hat. Diese Periodenprävalenz ist bei kürzeren Krankheiten deutlich höher als die Punktprävalenz.

Die Inzidenz hingegen fasst die Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum neu Erkrankten geteilt durch die Anzahl der betrachteten Individuen.

Die Mortalität (Sterblichkeit) gibt die Zahl der Sterbefälle geteilt durch die Zahl der untersuchten Individuen in der Bevölkerungsgruppe an, während die

Letalität etwas über die Sterblichkeit bei einer Erkrankung aussagt: Hier teilt man die an einer Krankheit Gestorbenen durch die Anzahl der Erkrankten. Dieser Begriff ist besonders bei akuten Krankheiten sinnvoll. Hier wählt man die neu Erkrankten als Bezugsgröße.

Wichtige Kennziffern sind darüber hinaus die absolute Zahl der Sterbefälle und die altersspezifische Sterblichkeit/Sterberate (Differenzierung der Mortalität nach Altersgruppen). In wissenschaftlichen Darstellungen wird die altersspezifische Sterberate häufig noch standardisiert und auf eine einheitliche Modellbevölkerung übertragen.

Von besonderer Bedeutung ist noch die Säuglingssterblichkeit: Diese umfasst die Todesfälle von der Geburt bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres bezogen auf 1000 Lebendgeborene des gleichen Zeitraumes. Manchmal differenziert man hier noch nach der Frühsterblichkeit (<7 Tage).

Risikofaktoren bezeichnen erhöhte Wahrscheinlichkeiten, eine Krankheit zu bekommen, wenn bestimmte genetische Voraussetzungen, Verhaltensweisen, Umwelteinflüsse oder andere Krankheiten vorliegen, sie bezeichnen statistische Wahrscheinlichkeiten und keine ursächlichen Zusammenhänge. Häufig untersuchte Risikofaktoren sind die erhöhten Krankheitsrisiken, die mit Alkoholkonsum, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel einhergehen.

DALY (Disability-Adjusted Life Year): Dies ist ein Maß für die Anzahl der bei voller Gesundheit verbrachten Lebensjahre, die auf Grund eines bestimmten Risikofaktors verloren gehen. Ein Jahr bei vollständiger Gesundheit wird mit der Ziffer 1 wiedergegeben, und das Jahr des Versterbens mit 0. Ein Jahr mit beeinträchtigter Gesundheit, das die Lebensqualität entscheidend beeinflusst, liegt irgendwo dazwischen. Mit DALYs wird die Differenz des aktuellen Gesundheitszustands zum möglichen Gesundheitszustand gemessen.

Bei der Berechnung der Lebenserwartung projiziert man die altersspezifischen Sterberaten in die Zukunft und bestimmt, wie viele Lebensjahre ein Mensch im Durchschnitt zu erwarten hätte, wenn die altersspezifische Sterblichkeit gleich bliebe.

Die relative Überlebensrate ist ein Maß für die Prognose von Krankheiten. Man berechnet sie, indem man beispielsweise bei Krebserkrankungen die Sterblichkeit von Krebspatienten mit der Sterblichkeit von Personen gleichen Alters und gleichen Geschlechts vergleicht. Eine relative Überlebensrate von 100 % bedeutet, dass die Erkrankung keine zusätzlichen Todesfälle verursacht.

Das Robert Koch-Institut gibt gemeinsam mit dem Statistischen Bundesamt regelmäßig aktuelle Gesundheitsinformationen heraus, so z.B.Gesundheit in Deutschland“ (über die Internetquelle 5 leicht zu finden) und „Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede“. Einige ausgewählte Ergebnisse sollen hier angeführt werden, vielleicht haben Sie ja Lust, selber genauer zu recherchieren?

Die Lebenserwartung ist diesen Berichten zu Folge in Deutschland auch in jüngerer Zeit weiter gestiegen und die Sterblichkeit zurückgegangen, jedoch profitieren nicht alle...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Vorwort zur Reihe6
Inhalt10
Zu diesem Buch8
Teil I Grundlagenwissen: Gesundheit und gesundheitliche Versorgungsstrukturen14
1 Gesundheit, Krankheit und Gesundheitsförderung aus Sicht der Sozialen Arbeit14
2 Einige epidemiologische Grundbegriffe und deren Bedeutung: Die Gesundheit in Deutschland25
3 Soziale Sicherung und Gesundheit (Norbert Pütter)31
3.1 Das System der Krankenversicherung32
3.2 Anbieter34
3.3 Selbstverwaltung37
3.4 Föderale und sektorale Aufgabenverteilung41
3.5 Öffentlicher Gesundheitsdienst43
Teil II Gesundheitsorientierte Sozialarbeit der Lebensalter45
1 Gesundheitsorientierte Sozialarbeit mit Schwangeren und Säuglingen45
1.1 Schwangerschaft45
1.2 Praxisbeispiel: Gesundheitsorientierte Sozialarbeit in der Schwangerschaft49
1.3 Die Bedeutung der frühen Kindheit für die psychische Gesundheit50
1.4 Das Netzwerk Gesunde Kinder53
1.5 Frühe Regulationsstörungen und Hilfen für Eltern von Säuglingen54
2 Gesundheitsorientierte Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen – ausgewählte Beispiele mit dem Fokus der Krankheitsprävention60
2.1 Suchtprävention60
2.2 Kinder kranker Eltern und die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitshilfe und Jugendhilfe68
2.3 Essen und Essstörungen im Jugendalter73
2.4 Immunsystem, Allergien und Infektionskrankheiten78
2 .4.1 Allergien80
2 .4.2 Infektionskrankheiten81
2 .4.3 HIV (Humanes Immundefekt Virus) und AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome)82
3 Junge Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung – Soziale Arbeit als Unterstützung von Gesundheitskompetenz (Marina Ney)86
3.1 Die Lebenslaufperspektive als Erklärungsbasis für den Erwerb von Gesundheitskompetenz87
3.1.1 Erklärungsansätze der Lebenszeitepidemiologie87
3.1.2 Erklärungsansätze zur Entstehung von Intelligenzminderung und Behinderung88
3.1.3 Sozialisationstheoretische Erklärungsansätze94
3.1.4 (Lern-)Psychologische Erklärungsansätze95
3.2 Gesundheitliche Ungleichheit bei jungen Erwachsenen mit niedrigem Bildungsstatus97
3.3 Gesundheitskompetenz und Kompetenzerwerb102
3.4 Gesundheitskompetenz als Ressource für Aufgaben im jungen Erwachsenenalter – eine Fallbetrachtung109
3.4.1 Zur Zielstruktur junger Erwachsener109
3.4.2 Fallskizze110
3.4.3 Der Handlungsansatz „Begleitete Elternschaft“114
3.4.4 Alternative und ergänzende Handlungsansätze117
3.4.5 Zur Evaluation und Qualitätssicherung120
4 Das mittlere Erwachsenenalter mit dem Fokus: Soziale Arbeit im Gesundheitswesen123
4.1 Die Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen für die Soziale Arbeit124
4.1.1 Medizinische Grundlagen: Arteriosklerose124
4.1.2 Der Schlaganfall126
4.2 Vermittlung weiterführender Hilfen (Norbert Pütter)128
4.3 Ergänzende Aspekte zur Gesundheitsaufklärung (Fokus Schlaganfall)135
4.4 Prävention137
4.5 Vertiefung: Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und Salutogenese138
4.6 Soziale Arbeit und Krebserkrankungen am Beispiel: Brustkrebs141
4.7 Sozialrechtliche Rahmenbedingungen (Norbert Pütter)144
4.8 Stress und vegetatives Nervensystem150
4.9 Burnout155
5 Gesundheitsthemen im Alter159
5.1 Multimorbidität: Die Arbeit mit Menschen, die gleichzeitig von unterschiedlichen Gesundheitsstörungen betroffen sind161
5.2 Menschen mit Demenz166
5.3 Die Pflegeversicherung171
6 Soziale Arbeit am Lebensende als wichtiger Bestandteil würdevoller Sterbebegleitung im Sinne von Palliative Care (Birgit Frahnow)174
6.1 Sterben, Tod und die Institutionen des Sterbens174
6.1.1 Sterben im Krankenhaus176
6.1.2 Sterben in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung177
6.2 Weil Sterben auch Leben ist – Menschenwürde und Lebensqualität178
6.3 Der sterbende Mensch181
6.3.1 Sterben als besondere Belastungssituation181
6.3.2 Bedürfnisse bzw. Wünsche Sterbender182
6.4 Hospiz und Palliative Care183
6.4.1 Die Hospizbewegung183
6.4.2 Konzept der vier Säulen hospizlich – palliativer Arbeit185
6.4.3 Multidisziplinäres Arbeiten im Team187
6.4.4 Palliative Sozialarbeit189
7 Vierzehn Thesen zum Schluss193
Abkürzungsverzeichnis197
Literaturverzeichnis199
Die Autoren208
Stichwortverzeichnis209

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