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E-Book

Herbstblond

Die Autobiographie

AutorThomas Gottschalk
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641153076
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Vom Wettsofa auf Ihre Couch!
»Wollen Sie mir unter die Schminke schauen? Wollen Sie wissen, was ich von Geld, Glamour, Gott und Gottschalk halte? Dann folgen Sie mir hinter die Kulissen meines Lebens. Dieses Buch ist mein Dank dafür, dass Sie mich fast vierzig Jahre in Ihr Wohnzimmer gelassen haben.« Thomas Gottschalk

Thomas Gottschalk brachte frischen Wind ins Radio und prägte einen neuen Stil der Fernsehunterhaltung. Als Kinostar und Werbefigur wurde er Kult, als Showmaster ist er Legende - zwei ganze Generationen sind mit ihm aufgewachsen. Aber auch wenn 98 Prozent der Deutschen sagen, dass sie Thomas Gottschalk kennen, hat sich doch nur ein winziger Teil seines Lebens im Licht der Scheinwerfer abgespielt, und vieles, was backstage abgelaufen ist, war spannender, lustiger und ehrlicher als das, was die Kameras eingefangen haben.

Zum ersten Mal erzählt Thomas Gottschalk jetzt aus seinem Leben: von der Kindheit und Jugend im fränkischen Kulmbach, von seinem Aufstieg zum Medienstar und seinen Begegnungen mit den Großen dieser Welt, von Rückzugsorten und Glücksvorstellungen, von Familie und Freunden, tragischen und glanzvollen Momenten.

So nah wie in diesem Buch ist Thomas Gottschalk uns noch nie gekommen: nachdenklich, selbstironisch, lebensklug und ehrlich.

Thomas Gottschalk wurde am 18. Mai 1950 in Bamberg geboren. Er startete seine Karriere beim Bayerischen Rundfunk. Mit der Sendung »Na sowas!« gelang ihm der Durchbruch im Abendprogramm des ZDF. 1987 übernahm er das Unterhaltungs-Flaggschiff »Wetten, dass..?« und moderierte 2023 seine 154. und letzte Sendung. Er hat zwei Söhne und zwei Enkel und lebt mit seiner Frau Karina in München.

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Leseprobe

In meinem Alter wäre es töricht, mir einzureden, dass die beste Zeit meines Lebens noch vor mir liegt. Man mag darüber streiten, ob ich schon durchs Ziel bin oder kurz davor, aber ich habe nicht die Absicht, mich an dieser Diskussion zu beteiligen, solange ich selber noch nicht weiß, wo ich hinwill. Was ich dagegen genau weiß, ist, woher ich komme.

Hätte ich die Wahl gehabt, wäre ich gern zur Hochblüte der Romantik oder im Zeitfenster des Sturm und Drang unterwegs gewesen. Mit dem romantischen Dichter Joseph von Eichendorff verbindet mich nicht nur Aus dem Leben eines Taugenichts – eine Biografie, der ich schon früh zu folgen beabsichtigte –, sondern auch eine gewisse schlesische Noblesse.

Die Blaublütigkeit meiner Mutter verliert sich zwar im Nebel diverser »Rittergietl«, also: Rittergüter, von denen bei uns in jeder zweiten Flüchtlingsgeschichte gefaselt wurde, aber ansonsten ist die Herkunft meiner Eltern unstrittig. Mein Vater kam aus dem niederschlesischen Örtchen Kaulwitz und kaufte mir später einen riesigen Atlas nur deswegen, weil er diesen Flecken darin gefunden hatte. Meine Mutter stammte aus dem oberschlesischen Oppeln, genauer gesagt aus Groschowitz. Ich verstand mich also nicht nur als Schlesier, sondern ich verstand auch Schlesisch. Der Schemel war bei uns zu Hause eine »Ritsche« und die Pfütze eine »Lusche«, ich sollte weder »rumgameln« (trödeln) noch auf dem Eis »kascheln« (rutschen). Es gab manchmal Buttermilchsuppe, die »Polifka« hieß, und ein Weihnachten ohne »Mohnkliese« (Mohnklöße) war sowieso undenkbar.

Der Oberschlesier neigt zum Maulheldentum, was dafür spricht, dass man gewisse genetische Konditionierungen bei mir nicht außer Acht lassen darf. Meine Großmutter soll die jüdischen Weinhändler, die das Restaurant ihrer Eltern, die »Villa Nova«, belieferten, und die polnischen Zugschaffner, denen sie auf dem Weg zur Schule begegnete, treffsicher imitiert haben. Hildegard, die Schwester meiner Mutter, trat schon im zarten Alter von zwölf Jahren als Nachwuchspianistin im Rundfunk auf. Mein Vater hingegen trat nirgendwo auf; er fiel auch nie auf, auch dann nicht, als er als »Extranier« mit zäher Selbstdisziplin das Abitur nachholte, das ihm als Bauernsohn auf normalem Wege verwehrt geblieben war. Von ihm habe ich nur die Nase geerbt. Das flusige Haupthaar und die große Klappe kamen von Mutti, der man bereits in einem frühen Schulzeugnis bescheinigte: »Rutila neigt zum Widerspruch.«

Völlig mittellos hatten sich meine Eltern 1945 im Auffanglager Hof wiedergefunden – 30 Kilometer von Kulmbach entfernt. Sie hatten mitten im Krieg in Karlsbad geheiratet und sich danach in den Kriegswirren aus den Augen verloren. Warum sie gerade in Oberfranken gelandet waren, wusste bei meiner Ankunft niemand mehr, aber ich hatte auch nie Anlass, diese Wahl zu beklagen. Meine Eltern hatten das ebenso wenig, denn die wackeren Kulmbacher, die auf Nachnamen wie Murrmann oder Dörnhöfer hörten, mussten sich damit abfinden, dass nach Kriegsende die Trzcezioks oder Kosytorzs schwarmartig in die Kleinstadt am Zusammenfluss des Roten und des Weißen Mains einfielen.

Kulmbach war der Zerstörung weitgehend entgangen. Die Naziorganisation Todt hatte zwar auf der Plassenburg über der Stadt ein Trainingslager betrieben, und Adolf Hitler hatte es – achtundsechzig Jahre vor mir übrigens – zum Kulmbacher Ehrenbürger gebracht, aber es gab wohl wichtigere Bombenziele als die paar Mälzereien und Brauereien, die Kulmbach dem Feind zu bieten hatte. Den Flüchtlingen, die gerade mit nichts als ihrem Leben »dem Russen« entkommen waren, steckte der Krieg doch wesentlich tiefer in den Knochen als den Kulmbachern die eher freundliche »Befreiung« durch die Amerikaner.

Ich verbrachte viel Zeit bei unserem Nachbarn, dem Schuster Heinrich Witzgall, der immer einen Bürstenhaarschnitt und meistens eine Schürze trug. In seiner Werkstatt roch es wunderbar nach Leder und Klebstoff, und der vierschrötige Meister erzählte in seinem bräsigen oberfränkischen Dialekt beim Besohlen unserer Schuhe die wundersamsten Geschichten. Zum Beispiel vom Kriegsende in Kulmbach. Als »a Banzer« durch die Wolfskehle in die Kleinstadt rollte, sei diesem ein dunkelhäutiger GI entstiegen: »Des wor mei erschter Neecher.«

In meiner frühen Kindheit begegneten mir immer noch die Nachwehen des Krieges. Es gab diverse »Kriegerwitwen«, ein »Ausgleichsamt« und einen »Versehrtenkiosk«. An dem bekam man fränkische Bratwürste, die auf einem Holzkohlengrill brutzelten und von einem einarmigen Kriegsheimkehrer mit einer Zwickzange gewendet wurden, die er virtuos mit seiner einen Hand bediente. Der andere Ärmel seiner weißen Dienstjacke steckte fein gebügelt in der Tasche, was ich – sehr zum Missfallen meiner Mutter – mit meinem Kinderblazer gern nachstellte. Mein von der Großmutter ererbter Hang zur Imitation kam nicht immer gut an. Es gab da noch einen armen Kulmbacher, von dem man wusste, dass er im Krieg verschüttet worden war, was mich aber nicht davon abhielt, das Zittern seines Arms immer dann am Mittagstisch vorzuführen, wenn es Spinat gab.

Aber auch in meinem unmittelbaren Umfeld hatte der Krieg Spuren hinterlassen. Meine Tante Hildegard hatte es vom Piano- zum Orgelspiel gebracht und war Nonne geworden – man munkelte hinter vorgehaltener Hand von »schlimmen Erfahrungen im Krieg«. Hans Seifert, ein katholischer Priester und der beste Freund meines Vaters aus Vorkriegszeiten, war mit seinen drei Schwestern ebenfalls in Kulmbach gelandet. Zehn Jahre nach dem Krieg finanzierte und baute er gemeinsam mit meinem Vater ein Doppelhaus, in das wir 1957 alle einzogen. »Onkel Hans« fand eine Anstellung als Kaplan in der Pfarrei zu Unserer Lieben Frau und wurde für mich zu einer lebensbestimmenden Figur. Im vorkonziliaren Weihrauchnebel der späten Fünfzigerjahre hangelte ich mich als sein Ministrant von Mai- zu Rosenkranzandachten, von Früh- zu Spätmessen und von Kirchweihfesten zu Fronleichnamsprozessionen. Offenbar konnte ich den Hals nicht vollkriegen, denn ich fing an, zu Hause von Ohrensesseln aus zu predigen und huldvoll profane Dinge wie meinen kleinen Bruder zu segnen. Zu Wundern hat es leider nicht gereicht.

Meine Kindheit war friedlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern sich jemals gestritten hätten, und die schlesische Sippschaft umgab uns wie eine wohlige Plazenta. Onkel Jakob, der Apotheker, Tante Marianne, eine Freundin meiner Mutter, unter den Schlesiern als Ostpreußin nur geduldet, und Onkel Robert, Muttis klapperdürrer Cousin, der einen Job als Architekt suchte – sie alle hockten ausgehungert bei uns in der Küche. Meine Mutter kochte ständig, um den Nachholbedarf zu decken: »Wir hatten ja alle nüscht zu fressen!«

Eher selten war Konrad, Onkel Roberts Bruder, zu Besuch. Er weckte bei mir früh das Fernweh, denn er arbeitete in der Deutschen Botschaft in Bagdad; in meiner Fantasie war er Geheimagent. Für meine Spießigkeit sorgten die Schwestern von Onkel Hans: Tilla, Minke und Grete. Alle drei blieben zeit ihres Lebens unverheiratet, wurden also zu dem, was man damals »alte Jungfern« nannte. Sie verwöhnten mich mit Russisch Brot oder mit Marzipan, das ich hasste, aber aus Höflichkeit schluckte. An der Wand ihrer Dreizimmerwohnung hing ein gesticktes Bild mit dem Satz: »Glücke kennt man nicht, drinnen man geboren, Glücke kennt man erst, wenn man es verloren.«

Um nicht schon jetzt der Verdrängungsgefahr zu erliegen, muss ich an dieser Stelle die beiden frühkindlichen Psychoschocks einfügen, von denen mich einer ausgerechnet bei den frommen Schwestern ereilte. In ihrem Kleinen Brockhaus suchte und fand ich immer wieder unter J wie »Jüngstes Gericht« ein Bild von Lucas Cranach dem Älteren, in dem ein schnabelbewehrtes Ungeheuer einen armen Sünder in einen Henkelkorb packte, um ihn ins ewige Höllenfeuer zu transportieren. Vielleicht stand es im Lexikon auch unter H wie Hölle, ich weiß es nicht mehr genau, aber meine Angst vor einer solchen...

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