Kapitel 1
Potenziale und Herausforderungen kleiner Unternehmen
Potenziale kleiner Unternehmen
Anders als in großen Unternehmen liegt das unternehmerische Risiko, die Führungsverantwortung und die Ausrichtung der Unternehmenskultur in einer Hand – in Ihrer. Sie schaffen den Arbeitsplatz für Ihre Mitarbeiter und sorgen sich persönlich um sie. Durch diese „Nähe“ haben Sie die Chance, individuelle Bedürfnislagen zeitnah wahrzunehmen. Sie können auf kurze und persönliche Kommunikationswege zurückgreifen und Ihre Mitarbeiter bei Bedarf direkt unterstützen. Sie kennen die Prozesse, die Zwänge und die Herausforderungen im Arbeitsprozess, häufig auch das private Umfeld.
Viele gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen, die sich große Unternehmen mühevoll erarbeiten, haben Sie dadurch bereits geschaffen. Vielleicht nicht bewusst und manchmal vielleicht intuitiv. Die im Rahmen des Forschungsprojektes InnoGema vom Projektteam befragten Unternehmer und Mitarbeiter berichten über ein angenehmes kooperatives Betriebsklima, in dem der wertschätzende Umgang miteinander und der ressourcenorientierte Einsatz von Mitarbeitern eine wichtige Rolle spielen und das Thema Gesundheit und die Vereinbarkeit von Familie und Job einen hohen Stellenwert einnehmen.
„Wir versuchen [...], dass sich jeder so ein bisschen in die Richtung entwickelt, dass er Dinge tut, die er gern tut.“
(Geschäftsführerin eines kleinen IT-Unternehmens)
Durch die persönliche Nähe zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern praktizieren Sie, allein durch Ihre Vorbildwirkung und durch Ihr Handeln, einen sorgsamen Umgang mit der Gesundheit der Einzelnen.
„Ein gesunder Mitarbeiter ist ausgeglichen, es geht ihm gut und er achtet auf Ausgleich zum Job.“
(Geschäftsführerin eines kleinen IT-Unternehmens)
Wenn Ihr Unternehmen zur Kreativwirtschaft zählt, arbeiten Sie in einem Wirtschaftszweig, dem im Mai 2007 vom „EU-Kulturministerrat“ eine bedeutende Rolle für die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum in Europa zugesprochen wurde. Zur Kreativwirtschaft gehören z. B. IT-Dienstleister, Multimedia, Werbung, Film-, Rundfunk- und Filmwirtschaft und Medien- und Kommunikationsdienste. In Berlin beispielsweise stellen die Medien-, Informations- und Kreativbranchen einen der größten Wirtschaftzweige dar. Mit rund 24.500 Unternehmen, einem jährlichen Umsatz von über 20 Mrd. Euro und rund 190.000 Beschäftigten haben sie einen Anteil von ca. 16 % am Bruttoinlandsprodukt der Berliner Wirtschaft (vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen et al., 2008, S. 42, I 04).
Kennzeichnend für die Kreativwirtschaft ist, dass hoch qualifizierte Mitarbeiter (überwiegend mit Fachhochschul- oder Universitätsstudium) häufig projektbezogen in Teams und weitgehend eigenverantwortlich, komplexe Arbeitsaufgaben bewältigen. Durch Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien besteht für Unternehmen und Mitarbeiter die Möglichkeit, Arbeitsprozesse flexibel zu gestalten und unternehmensspezifische und individuelle Anforderungen zu berücksichtigen. Dieses Potenzial birgt auch Gefahren und es ist wichtig, sie im Blick zu haben. Gefahren sind beispielsweise die örtliche und zeitliche Vermischung der betrieblichen und privaten Interessen (Entgrenzung von Arbeits- und Wohnwelten sowie Entgrenzung von Unternehmensstrukturen und Arbeitsorganisationen) und die Ausdehnung der Arbeitszeiten. Denn vielfach wird die Verantwortung für die Arbeitsgestaltung vom Unternehmer an den Mitarbeiter abgegeben. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Arbeitsbedingungen in diesen Branchen für Mitarbeiter oft hochgradig psychisch belastend sind.
Auch wenn zeitliche und fachliche Flexibilitätsanforderungen Ihre Mitarbeiter zeitweise belasten, muss dies noch keine negativen Auswirkungen haben. Wenn Mitarbeiter auf Hilfe und Ihre Unterstützung (z.B. beim Lösungsweg) und die ihrer Kollegen zurückgreifen können, ist dies für sie oft kompensierbar. Sie können darin auch unterstützt werden, indem Sie Ihnen ermöglichen, Verhaltensweisen zu verändern, um ihre eigenen Grenzen früher zu spüren, Handlungsstrategien zu entwickeln und besser für sich selbst zu sorgen.
„Ein gesunder Mitarbeiter hat einen Weg gefunden, mit dieser Stressbelastung, die ich halt nicht vermeiden kann, einigermaßen gut, für ihn gut und gesund umzugehen.“
(Geschäftsführerin eines kleinen IT-Unternehmens)
Vor welchen Herausforderungen stehen Geschäftsführer und Mitarbeiter kleiner Dienstleistungsunternehmen?
Im Folgenden nehmen wir drei zentrale Aufgabenstellungen für die Unternehmen in den Fokus:
- Innovationsfähigkeit erhalten
- Psychische Belastungen wahrnehmen und reduzieren
- Fachkräftemangel ernst nehmen
Herausforderung: Innovationsfähigkeit erhalten
Unternehmer in der Kreativbranche haben insgesamt einen starken Innovationsdruck. Es ist ihnen bewusst, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit davon abhängt, dass es gelingt, ihr Kreativpotenzial auszuschöpfen und innovative Produkte oder Dienstleistungen anzubieten. Hinzu kommt, dass die Halbwertzeit von Wissen dramatisch sinkt. „Lebenslanges Lernen“ gehört zum „Tagesgeschäft“. Um auf die dynamischen Marktanforderungen reagieren zu können, müssen sich Mitarbeiter in immer kürzeren Zeitspannen eigenverantwortlich neue Themenfelder aneignen.
„Der Erfolg hängt davon ab, dass wir die Nase vor dem Kunden haben. [...] Es gibt nicht den Standardjob, die Standardabläufe. Jobs, die wir vor 10 Jahren gemacht haben, gibt es nicht mehr, sie verändern sich jährlich. [...] Weil jeder Job eine neue Herausforderung und in der Regel überaus komplex ist, gibt es keine Patentrezepte. Wir müssen deshalb dauernd neu justieren.“
(Geschäftsführer einer PR-Agentur mit 30 Mitarbeitern)
Was bedeutet Innovation
Unter dem Begriff Innovation werden sowohl neue Produkte oder Dienstleistungen, als auch neue Produktionsprozesse und neuartige Organisationslösungen verstanden. Diese Prozesse finden nicht nur im Unternehmen statt, sondern können als interaktiver Prozess zwischen Unternehmen und dem Markt gesehen werden.
Die Fähigkeit, solche Neuerungen hervorzubringen und am Markt zu platzieren, verschafft Unternehmen Wettbewerbsvorteile.
Innovationen entstehen nur, wenn die Qualifikation, die Motivation und der Freiraum passen, d. h. wenn Ihre Mitarbeiter „können“, „wollen“ und „dürfen“ (vgl. IG Metall, 2003b, S. 23).
In diesem Zusammenhang stellen sich vor allem fünf Fragen:
- Hat Ihr Mitarbeiter ausreichende Spielräume, um sich angemessen in neue Sachverhalte einzuarbeiten oder das dafür notwendige Wissen zu erwerben.
- Wie können Sie Ihren Mitarbeiter beim Erwerb von Wissen unterstützen?
- Wie können Sie neues Wissen von außen in Ihr Unternehmen hereinholen?
- Wie kann das Know-how innerhalb Ihres Unternehmens transparent gestaltet und weiter entwickelt werden?
- Sind die Rahmenbedingungen in Ihrem Unternehmen für Ihre Mitarbeiter kreativitätsförderlich?
Innovativ können nur die Unternehmen sein, die Fähigkeiten dafür entwickeln, durch fortwährende Veränderungsfähigkeit ihr soziales und wirtschaftliches Überleben zu sichern. Dazu gehört, ein Arbeiten zu ermöglichen, das den Wandel von persönlichen Kapazitäten der Mitarbeiter genauso berücksichtigt wie die entsprechende Veränderungen der Arbeitsanforderungen z.B. durch neue Technologien.
Herausforderung: Psychische Belastungen wahrnehmen und reduzieren
Psychische Belastungen sind in der europaweit gültigen Norm DIN EN ISO 10075-1 bzw. -2 als „Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“ definiert. Bei der Arbeit umfassen sie beispielsweise Anforderungen im Zusammenhang mit der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsorganisation, den Arbeitsmitteln und den sozialen Komponenten wie Führungsstil und Betriebsklima. Die Auswirkung psychischer Belastungen auf Ihre Mitarbeiter wird als psychische Beanspruchung bezeichnet. Sie hängt von den individuellen Bewältigungsstrategien des Mitarbeiters und den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Als Folge eines Ungleichgewichts von Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten kann beim Mitarbeiter Stress, psychische Ermüdung und/oder Leistungsabfall entstehen.
Stress, Stress, Stress – psychische Belastungen sind auf dem Vormarsch
Sie kennen das: Es wird seit vielen Jahren und von den unterschiedlichsten Personen in verschiedenen Arbeitsfeldern über Stress geklagt. Und teilweise gehört es zum „guten Ton“, ständig im Stress zu sein. Für manche ein Zeichen, wie wichtig sie sind, für andere eine Bestätigung dafür gebraucht zu werden. Kunden verlangen Ihnen und Ihren Mitarbeitern viel ab. Dadurch fühlen sich Ihre Mitarbeiter auch herausgefordert. Gerne bringen sie ihre Kompetenzen ein und reagieren bei...