Sind Flip-Flops Schuhe?
Oder: Was muss man vor der Reise bedenken?
»Ihr wollt was?«, fragte B., ein kinderloser Freund. »Eine Weltreise machen?«
»Mmh.«
»Und die Kinder?«
»Die lassen wir hier.«
»Waaas?«
»War ein Scherz«, sagte ich. »Die kommen natürlich mit.«
»Ist das nicht viel zu gefährlich?«
»Stell dir vor, in den Ländern, die wir bereisen, gibt es auch Kinder«, erwiderte ich nur und wechselte das Thema.
Wer mit Kleinkindern verreist und nicht gerade, sagen wir mal, an die Ostsee, in den Harz oder die Eifel fährt, der bekommt eines ganz gewiss: Ratschläge und Kommentare.
Gut, wir wollten etwas länger wegfahren, und unsere geplanten Reiseziele lagen nicht gerade um die Ecke: Zwei Monate wollten wir Argentinien und Chile bereisen, mit einem kleinen Abstecher nach Uruguay. Außerdem standen sieben Wochen Neuseeland, weitere anderthalb Monate Australien und schließlich, um den langen Rückflug zu unterbrechen, noch eine knappe Woche Singapur auf dem Programm. Einen Winter lang. Rund um den Globus – mit einem sechs Monate alten Baby und einem vierjährigen Kind.
Eine Weltreise ist ein Traum, den viele Menschen hegen. Die meisten davon erfüllen ihn sich nie. Bei einigen scheitert es am Geld. Bei vielen an der Zeit. Und bei nicht wenigen schlichtweg am Mut, wirklich eines Tages die Sachen zu packen und einfach loszufahren.
Als ich ungefähr so alt war wie meine Tochter heute, brachte mir meine Tante eine Marionette mit. Auf dem hölzernen Kopf waren schmale, schwarz umrandete Augen und ein kirschroter Kussmund gemalt. Die Puppe trug ein weites, mit Pailletten besticktes Kleid und hatte lange, dünne Beine, die mit Silberfäden umwickelt waren. Wenn man sie an ihren durchsichtigen Fäden durch die Luft laufen ließ, machte sie eigenartige Bewegungen. Sie erinnerte mich an die Feenwesen aus meinen Kinderbüchern. »Diese Marionette«, erzählte mir meine Tante, »stammt aus Indonesien.« Sie begann, mir von Indonesien zu erzählen: von prachtvollen Tempeln, duftendem Essen, dem bunten Treiben auf den Straßen.
Ein Jahr später brachte sie mir von einer Reise ein rotes Portemonnaie mit, das mit Perlen bestickt war. Ein Mitbringsel aus Kenia. Es folgten ein T-Shirt aus Australien, ein Täschchen aus Hongkong, eine Kette aus Alaska. Dazu gab es Erzählungen, denen ich als Kind gebannt gelauscht habe. Meine Tante war ihrer Zeit weit voraus. Seit den Sechzigerjahren ist sie als alleinreisende Frau immer wieder aufgebrochen, um Länder rund um den Erdball zu besuchen. Nicht am Stück, aber jedes Jahr erneut. Sie war nicht besonders reich und nicht besonders mutig. Sie hat Ferientage und Lohn gespart, um sich ihren Traum zu erfüllen. Und schwärmt noch heute davon.
Mag sein, dass mich das geprägt hat. Vielleicht auch die eigenen Reisen mit meinen Eltern – quer durch Europa, abseits von Ferienanlagen und Familienhotels. Ich entsinne mich an Versteckspiele mit einheimischen Kindern in der Toskana, mit denen ich mich blendend verstanden habe, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen. An die Familie in der Türkei, die uns mit in die Berghütte des Opas nahm, wo wir auf Teppichen saßen und süßen Tee schlürften. An süße Törtchen in Griechenland und Eselritte in Ungarn. Auf jeden Fall weiß ich noch heute, dass Reisen für Kinder etwas Wunderbares sein kann. Doch das sieht nicht jeder so:
»Wenn ihr meint, das verantworten zu können«, hieß es aus der Verwandtschaft.
»Und die langen Flüge?«, aus dem Bekanntenkreis.
»Dafür ist die Elternzeit ja nicht gerade gedacht«, murrte der Kollege.
Doch, erwiderten mein Mann und ich, genau dafür. Um als Familie gemeinsam Zeit zu verbringen. Um dem Alltagsstress zu entfliehen und ganz füreinander da zu sein. Um gemeinsam zu erleben, wie unser Baby seine ersten Schritte macht und unsere vierjährige Tochter die Welt entdeckt, bevor sie in die Schule kommt. Zu Hause würde immer einer von uns arbeiten.
Natürlich sind wir nur in Länder gefahren, die wir für gesundheitlich unbedenklich hielten. In einem Tempo, das den Kindern angepasst war. Und mit Verkehrsmitteln, die die eigenen Nerven schonten. Eine Tour nach Süddeutschland mit dem Auto wäre mit unserem Kind, das sich im Wagen alle zehn Minuten wegen Reiseübelkeit übergibt, anstrengender als ein Nachtflug, bei dem es friedlich schläft. Dennoch – das hatten wir uns schon vor der Reise vorgenommen: Kein Flug, der länger als eine Nacht dauert. Kein Ort, an dem gefährliche Krankheiten lauern. Keine Tour, die wir nicht abbrechen oder unterbrechen können, wenn es zu viel wird. Und daran haben wir uns auch gehalten.
Und das Elterngeld?
Klar, erklärte ich dem Kollegen, sicherlich macht das die Sache leichter. Wie alle Familien konnten auch mein Mann und ich es 14 Monate in Anspruch nehmen, um uns ganz dem Baby zu widmen. Je nach Verdienst bekommt man vom Staat zwischen 300 und 1800 Euro im Monat. Dieses Geld ist dafür da, um die laufenden Kosten zu decken, während man nicht arbeitet, sondern sich um den Nachwuchs kümmert. Für die Miete und für Nahrungsmittel, für Kleidung und Spielzeug und all das, was man im Leben so braucht. Wofür man das Geld ausgibt und wo man sich um das Baby kümmert, ist jedem selber überlassen.
Letztlich ist es doch egal, ob man damit einen Coffee to go in Bayreuth oder einen Matetee in Buenos Aires bezahlt. Es in Windeln aus einem deutschen Drogeriemarkt oder aus einer australischen Shoppingmall investiert. Eine Hütte im Hunsrück oder eine Hazienda in Honduras mietet. Die Elternzeit schenkt Eltern Zeit. Zeit mit ihrem Nachwuchs. Und, ja, Zeit, um sich einen Traum zu verwirklichen. In unserem Fall: Eine Weltreise mit unseren Kindern.
Schon während der Schwangerschaft überlegten wir begeistert, wohin wir denn fahren könnten. Zuerst war die Liste lang. Seit dem Studium träumten mein Mann und ich von einer Weltreise. Doch nach und nach sortierten wir aus: Zu hoch gelegen (Bolivien), Malariagefahr (halb Asien und Afrika), zu teuer (Japan), zu viele Zwischenlandungen (exotische Inseln im Pazifik), zu kalt um die Jahreszeit (Kanada), zu gefährlich (ganz viele Länder).
»Wenn mal was ist mit den Kindern«, sagte mein Mann, »wäre es gut, wenn wir uns problemlos verständigen können.« Russland flog von der Liste.
Wir wägten Herzenswünsche gegen praktische Überlegungen ab. Mich zog es in die Metropolen, meinen Mann in Naturschutzgebiete. Die Große forderte Kängurus, das Baby nur die mütterliche Brust, die – wie ich einwarf – in warmen Gebieten besser zugänglich wäre. Am Ende stand eine Reiseroute, die im besten Fall allen etwas bot – und die möglichst stressfrei zu bereisen
war.
Kaum standen die Ziele fest, legte ich neue Listen an – bis mein Schreibtisch über und über mit gelben Zetteln beklebt war. Mit großer Befriedigung strich ich Dinge durch.
Punkt 1: Mit der Kinderärztin sprechen
Die Kinderärztin horchte das Baby ab, ich räusperte mich verlegen. Vorsichtig erläuterte ich ihr unsere Pläne und hielt ihr die Impfpässe der Kinder hin. Sie ist ein burschikoser Typ. Keine Frau, die ein Blatt vor den Mund nimmt. Ich erwartete zumindest einen strengen Blick oder einen Kommentar wie von einigen Verwandten, Bekannten und Kollegen. Aber sie nickte mir nur zu.
»Super Idee, so eine Reise«, sagte sie. »Sie sollten mit dem Baby Afrika und die Tropen meiden, den Rest der Welt finde ich okay.« Auf einem Zettel notierte sie mir ein paar Mittel, die in die Reiseapotheke gehören. Die Liste war erstaunlich kurz: Fiebersaft, Schmerzzäpfchen, ein Mittel gegen Durchfall. Dazu Verbandszeug, Desinfektionsspray und Pflaster. All das, was ich auch zu einem Wochenendtrip an die Ostsee mitnehmen würde. »Und wenn ein Kind wirklich einmal einen Infekt bekommt«, beruhigte sie mich, »haben die vor Ort oftmals viel wirksamere Medikamente.« Zum Schluss strich sie dem Baby über den Kopf und verriet mir, dass sie selber auch vor einigen Jahren mit Mann und Kleinkindern eine große Reise unternommen hatte: ein Jahr Neuseeland und Australien. Sie zeigte mir ein Foto auf ihrem Schreibtisch. Darauf liefen zwei kleine Mädchen lachend am Strand entlang. Sie sahen sehr glücklich aus.
Abends strich ich Punkt 1 auf der Liste durch und beschloss, allen Bedenkenträgern von dem Kinderarztbesuch zu erzählen.
Punkt 2: Flüge buchen
Die junge Frau im Reisebüro trug lila Haare und einen Nasenring. Ein wenig erstaunt blickte sie von meinem Mann und mir auf den Kinderwagen und wieder zurück. Es war ein Spezialreisebüro. Eines, das vorwiegend Around-the-World-Flugtickets verkaufte. Mehrheitlich an junge Leute, die gerade die Schule hinter sich gebracht hatten oder ihr Studium für eine Weile unterbrechen wollten. Familien gehörten anscheinend nicht zum Stammpublikum.
Wir glichen unsere Wunschroute mit den Ticketangeboten ab. Around-the-World-Tickets sind erheblich preiswerter als einzelne Flüge. Allein ein Hin- und Rückflug nach Argentinien kann je nach Saison gut und gerne 1300 Euro kosten. Wenn man Student ist und eine vorgegebene Route wählt, führt einen das Around-the-World-Ticket ab rund 1400 Euro einmal um den Erdball – ausgedehnte Zwischenstopps auf vier Kontinenten inklusive. Wir waren aber keine Studenten mehr, außerdem bestanden wir auf unserer Wunschroute. Preiswerter als Einzelflüge war das Ticket trotzdem. 2300 Euro zahlten wir für jeden Erwachsenen. Das Kind erhielt einen Rabatt, für das Baby mussten wir nur Steuern und Gebühren bezahlen. Gleichzeitig bestellten wir ein Bassinet vor, ein eigenes...