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Schloss Elmau - Eine deutsche Geschichte

AutorDietmar Mueller-Elmau
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641166663
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Schloss Elmau wurde von 1914 bis 1916 vom Philosoph Johannes Müller (1864-1949) als kulturelle Begegnungsstätte erbaut. Der Inspiration des Geistes hat sich auch der Enkel Dietmar Müller-Elmau verschrieben und bietet heutigen Gästen mit einem höchstklassigen Kultur- und Kunstangebot Gelegenheit, Erholung im Kopf durch Denkanstöße zu finden.

Die wichtigsten Stationen der Geschichte von Schloss Elmau, für deren Verständnis seine Beschäftigung mit den Idealen und Feindbildern seines Großvaters ein Schlüssel war und in der er seine architektonische und inhaltliche Konzeption für Schloss Elmau als politisches Projekt begründet, sind Essenz dieses Buchs.



Dietmar Müller-Elmau, geb. 1954, studierte BWL, Philosophie und Theologie in München sowie Computer Sciences in New York. Das von seinem Großvater, dem Philosophen Johannes Müller, erbaute Schloss Elmau verwandelte er 2007 in das Schloss Elmau - Luxury Spa & Cultural Hideaway.

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Leseprobe

SCHLOSS ELMAU 1932
(MARTIN CRAMER)

An der kleinen Station Klais der Bahn, die von Garmisch-Partenkirchen über Mittenwald nach Innsbruck führt, der höchsten Bahnstation Deutschlands, wartet ein Schlitten. Wir fahren durch ein winterliches Tal bergeinwärts, tief verschneite Tannen zur Seite, deren Äste mit ihren weißen Lasten sich zur Erde strecken. Zuweilen öffnet sich ein seitlicher Ausblick: Das entfernte Gebirge ragt mit seiner weichen Schneehülle oder mit seinem harten, scharfen, grauen oder gelblichen Fels in die Winterbläue des Himmels und die blendende Schneesonne. Einmal kommt ein ochsenbespannter Holzschlitten den schmalen, sich am Hang hinziehenden Fahrweg entgegen.

Das Ausweichen ist schwierig: Weit müssen beide Schlitten in den seitlichen, den Weg begleitenden Schneewall hineinfahren, um aneinander vorbeizukommen. Nun öffnet sich das Tal auf eine weite, weiße Lichtung, die von niederen bewaldeten und fernen hohen Felsbergen umringt ist. Eine Erdstufe, in der der Talboden etwas abfällt, teilt die unbewaldete, mit Heustadeln und einzelnen Bäumen bestandene Ebene oder leicht gewellte Fläche. Auf dem Rand der abstürzenden Bodenwelle erhebt sich mit seinem spitzen Turm ein mächtiges, weit hingelagertes Gebäudeviereck. Man glaubt, eine alte, behaglich ausgedehnte, sich in ihren dicken Mauern wärmende Klostersiedlung vor sich zu haben. Wir sind angelangt vor dem Schloss Elmau, der großzügigen Gründung Dr. Johannes Müllers, des Reformators und Anregers, dessen lebendigem Wort wir die Erschließung ihrer Innerlichkeit, die Hinwendung auf das Lebenswesentliche verdanken.

Der Weg, der von den waldigen Hängen frei auf die sonnigen, da und dort von Gattern durchschnittenen Schneewiesen tritt, zieht sich geschlängelt die Bodenwelle hinauf, der Schlitten hält vor dem Pfeilervorbau des Schlosses. Während der ländliche Kutscher das Gepäck in das Schloss hineinbringt, haben wir Gelegenheit, uns schon ein wenig umzusehen. Wenn man die große Halle, aus der das Treppenhaus aufsteigt, betritt – rechts und links die schweren, sockellosen Säulen aus braunem bayerischem Marmor, die das weiße Gewölbe tragen – und die breiten Flure sich nach den Seiten entfernen sieht, empfindet man sofort ein Wesentliches dieses Baues, das gleichzeitig ein Wesentliches seines Gründers andeutet, nämlich die Großräumigkeit der ganzen Anlage, die dem modernen, an äußerste Raumausnützung, Raumersparnis gewöhnten Menschen fast unwahrscheinlich vorkommt und die doch reiner Wert ist.

Das Wort des Dichters Konrad [sic!] Ferdinand Meyer »Genug ist nicht genug« könnte in die Wand dieser ersten Halle eingemeißelt sein oder eine spätere Zeile desselben Gedichtes: »Das Herz, auch es bedarf des Überflusses«. Denn erst wenn das Leben schenkend unbedingt über das Lebensnotwendige hinausgeht, erweckt es Freude und Dank in der Seele. Erst der Lebensraum erzeugt das tiefe Wohlgefühl, das aus dem Dasein fließen kann, der nicht nur sichtlich für des Menschen praktische Zwecke da ist, sondern so, als wäre er allein um seiner selbst willen vorhanden, den Menschen immer mit Fülle und Weite umgibt, durch seine die Seele lösende Dehnung alle Enge von ihm nimmt und in ihm das Gefühl der Unbegrenztheit wachruft. Irgendjemand hat einmal gesagt: »Unsere Eindrücke sind für die Grundstimmung der Seele wichtiger als unsere Gedanken.« Dies ist unzweifelhaft richtig.

Das schöne, von Goethe in seinem Haus am Weimarer Frauenplatz eingebaute, weit alle Nützlichkeitsanforderungen überholende Treppenhaus (jedem Besucher dieser Weihestätte des Deutschtums bekannte Örtlichkeit) ist wohl auch in diesem Sinne für die Seele gebaut worden. Für seine vielen Freunde hat Dr. Müller ohne Zweifel hier eine Stätte geschaffen, an der mehr noch als im früheren Schloss Mainberg die Anregung und die Gemeinschaft erzielt werden können, die Besucher ersehnen.

Die ersten Eindrücke von der Großzügigkeit, die hier waltet, wiederholen und vertiefen sich täglich, wenn man einige Zeit in Elmau wohnt, wenn man durch die langen, breiten Flure über die sanft absteigenden, geländerten Treppen zu den gemeinsamen Mahlzeiten geht oder des Abends einsam wie durch Klosterkorridore sein Zimmer aufsucht. Nicht nur das Landschaftsbild, das in großen Fenstern steht und nach allen vier Himmelsgegenden tief und lebendig ist, mag es nun freundlich an die weite Siedlungslichtung herantretende Waldberge oder die fernen Gipfel von Alp- und Zugspitze zeigen, auch die mit Geschmack ausgewählten und zusammengestellten guten Möbel erheben diesen Raum über die gleichgültige Bequemlichkeit moderner Hotelzimmer, verleihen ihm die Wohnlichkeit eigenen Raumes, der sich für die Aufenthaltszeit von seinem Bewohner beseelen lässt. Der durch den davor gelagerten Flurraum und die tiefe Doppeltür gleichzeitig etwas von einer behaglichen Mönchszelle hat, in der sich Geist und Gemüt sammeln, in der sich der verquälte Mensch in Verbindung mit dem geistigen Wert von Elmau finden, lösen und befreien kann.

Wenn ich von einer Mönchszelle sprach, so ist es auch naheliegend, dass sich in Elmau der Vergleich mit Klöstern und klösterlichen Einrichtungen unwillkürlich aufdrängt. Vielleicht ist Elmau in seinem Wesentlichen und seinem Besten etwas wie ein weltliches Kloster. Freilich müssen wir, wenn wir an diesem Begriffe festhalten wollen, wegnehmen, was an geistlichen Stiften haftet. Denn wir denken bei den Klöstern vor allem an Abschließung von der Welt, Büßung, Entsagung und erst dann an Frieden, Verinnerlichung, Sichselbstfinden und Gottfinden. Wir denken zuerst an den schweren Weg und dann erst an das lockende Ziel. In dem weltlichen Kloster Elmau ist nichts von Entsagung und Büßung, wohl aber ist dort Friede und Verinnerlichung.

Es teilt mit den Klöstern die Entrückung des Menschen aus dem Alltag, aus seinen täglichen Mühen und Sorgen. Es sind alle willkommen, die ausruhen und frische Kräfte sammeln, die sich nach schweren Schicksalsschlägen wieder aufrichten und neuen Lebensmut gewinnen, die einmal des Zwangs der Verhältnisse ledig Mensch unter Menschen sein, die ihre Umgebung, ihren Gewohnheiten und Verpflichtungen entrückt in der Führung mit der Natur zu sich selbst kommen, Sammlung, Klärung und Lebensfreudigkeit gewinnen wollen. Zur Erlangung dieser Zwecke wirkt Elmau mit leiseren, liebenswürdigeren, unaufdringlicheren Mitteln, als es Klöster tun mögen. Es lässt vor allem die große Natur wirken, von der man sich in Elmau ganz umschlossen fühlt, die durch alle Türen und Fenster hineinsieht und den Gast wieder die mächtigen urtümlichen Gefühle und Empfindungen lehrt, die er in den engen Städten längst vergaß. Das könnte vielleicht jeder andere Landaufenthalt auch. Aber hier wird diese Wirkung, die sonst dem Zurückgekehrten leicht verfliegt, weise unterstützt und dauernd gemacht, dadurch, dass sie nicht in Einsamkeit, sondern in einer wohltuenden, harmlos-geselligen, geistig und seelisch angeregten Gemeinsamkeit erlebt wird, die sie in nahe und bleibende Beziehung zu unserem Dasein in der menschlichen Gesellschaft rückt und diese Gesellschaft gleichzeitig wandelt, indem sie sie mit Natur erfüllt.

Man fühlt plötzlich, dass in Elmau etwas Vorbildliches geschieht und dass wir überall, wo wir sind in der Welt, uns ein Stück Elmau schaffen könnten, wenn wir nur das Große, Allgemeine, Natur- und Lebensganze bewusst als Hintergrund um das Alltäglich-Kleine stellen, wie in Elmau die Schneegipfel und steinernen Schattenwände um die kleine Menschensiedlung stehen.

Johannes Müller sucht in Vorträgen und Besprechungen die Wege zu einem quellenden, gelingenden, fruchtbaren Leben und zu schöpferischer Entfaltung des menschlichen Wesens zu zeigen. Er geht auf die persönlichen und allgemeinen Lebensfragen, die von den Gästen aufgeworfen werden, ein, um zu ihrer Klärung beizutragen, und versucht aus der Einseitigkeit und Beschränktheit herkömmlicher Vorurteile und Begriffe zur Führung mit der Wirklichkeit zu führen. Denn es werden hier nicht fertige Ergebnisse übermittelt und es ist von vornherein falsch zu glauben, dass man in Elmau unbedingt das Heilmittel für eine leidende Seele finden müsste.

Es soll vielmehr gezeigt werden, wie jeder selbst in seiner Weise aufgrund eigener Erlebnisse aus dem Wahn zur Wahrheit, aus der Lebensschwäche zur Lebensmacht, aus dem Versagen zur Erfüllung seiner Bestimmungen kommen kann. Darum sind die suchenden Menschen jeder Richtung und Herkunft in Elmau immer willkommen gewesen. Fanatiker aber, die etwa durch Propaganda anderen eine allein wahre Anschauung beibringen wollen, sind ebenso ausgeschlossen wie rein äußerlich gerichtete Menschen, diese werden Elmau nie verstehen.

In den täglichen Fragebeantwortungen und sonntäglichen Ansprachen, zu denen Müller seine Gäste versammelt, spricht er das geleitende Wort zu diesem Erleben, macht es bewusst und befestigt es. Nichts von Dogma, nichts von Gedankenzwang, kein bestimmter Glaube waltet da – nur eine beseligende und aufrichtende Positivität. Es wollte mir bei diesen Vorträgen oft scheinen, als beabsichtigte Müller nur die guten Worte, in denen das Heil beschlossen liegt, einmal mit Durchdrungenheit auszusprechen. Sein unerschütterlicher Glaube an das Gute und Schöne geht damit in seine zuhörenden Gäste über und wird in denen allmählich zu ein wenig Willen, in demselben Sinne an dem Leben zu bauen und es auf der Erde vollkommener werden zu lassen.

In der Rückkehrlosigkeit liegt das Geheimnis der religiösen Klöster. Der Sinn dieses weltlichen Klosters ist es im Gegenteil, die Menschen zur Rückkehr ins Alltägliche reicher, kräftiger, innerlicher zu machen, das Seelengut, das sie gewinnen, nicht selbstgenießerisch...

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