2 Methoden und Rahmenbedingungen des Trainingsprogramms
2.1 Programmentwicklung und Methoden
Mit Hilfe des kognitiven Trainings TAV (Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung bei Jugendlichen) zur Behebung von Fehlern in der Informationsverarbeitung bei aggressiven Jugendlichen im Strafvollzug sollen die sozialkognitiven Defizite der Jugendlichen ausgeglichen und aggressionsbezogene Einstellungen verändert werden. Hierzu wurde das in den USA evaluierte Trainingsprogramm »Viewpoints« von Guerra und Slaby (1990) mit freundlicher Genehmigung der Autoren übersetzt und an die kulturellen Verhältnisse in Deutschland angepasst. Inhaltlich wurden im Vergleich zum Original gewisse Modifikationen vorgenommen und Beispiele, die wegen der kulturellen Unterschiede im Vergleich zur amerikanischen Kultur auf die hiesigen Verhältnisse nicht anwendbar waren, modifiziert und an die Lebenswelt deutscher Jugendlicher angepasst. Dies war vor allem bei den Inhalten nötig, die Rassenkonflikte in den USA behandelten. Diese wurden durch Konfliktbeispiele zwischen den unterschiedlichen in Deutschland lebenden Nationalitäten ersetzt. Andererseits wurden einzelne Übungen leicht gekürzt, wenn in diesen sehr viel Wiederholungen vorkamen, um mehr Raum für die Diskussion der Inhalte zu schaffen und somit die Interaktion der Teilnehmer untereinander anzuregen.
Das Programm TAV zielt darauf ab, dass:
- die Fähigkeiten in der Bewältigung von Anforderung in Interaktionssituationen (z. B. Kontaktaufnahme, Artikulieren eigener Interessen) verbessert werden,
- aggressionsunterstützende Einstellungen reduziert werden und
- aggressive, impulsive und unflexible Verhaltensweisen reduziert werden und das positive Handlungsrepertoire erweitert wird.
Das Programm umfasst zwölf Sitzungen und basiert auf einem Acht-Stufenplan als soziales Problemlösemodell (vgl. Abb. 2.1). Dieser Stufenplan baut sich analog zum zugrundeliegenden theoretischen Modell von Crick und Dodge auf (vgl. Kapitel 1). In den ersten beiden Sitzungen diskutieren die Teilnehmer, wie ein soziales Problem und persönliche Konflikte zu identifizieren sind und wann sie beginnen (vgl. Tab. 2.1). In der dritten Sitzung lernen die Teilnehmer physiologische Hinweisreize (z. B. Herzrate) für impulsives Verhalten zu identifizieren und zwischen hitzigen und gelassenen Gedanken zu unterscheiden. In der vierten Sitzung wird die Diskussion auf die Identifikation von Konflikten und die tolerante Haltung gegenüber anderen, von der eigenen abweichenden Meinungen fokussiert. In der fünften Sitzung werden das Formulieren von Zielen und das Unterscheiden zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen eingeübt. In der sechsten und siebten Sitzung lernen die Teilnehmer alternative Lösungen zu hypothetischen Situationen zu generieren und Überzeugungen zur Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt bzw. aggressivem Verhalten zu überdenken. In den Sitzungen sieben und acht sollen die Konsequenzen der Lösungsmöglichkeiten überdacht und die Vorstellungen über die Konsequenzen von Gewalt bzw. aggressivem Verhalten für die Person selbst und andere verändert werden. In den Sitzungen zehn, elf und zwölf sollen die Teilnehmer eine persönlich relevante Problem-Lösungssituation auswählen, die erlernten Strategien auf diese anwenden und die Effektivität sowie mögliche Konsequenzen bewerten. Übung 4 und Übung 8 wurden wie im Original von Guerra und Slaby (1990) jeweils auf zwei Sitzungen aufgeteilt, da sie sehr lang sind und intensiver Diskussion bedürfen.
Abb. 2.1: Acht Stufen des TAV
Für jede dieser Problemlösestufen werden die Teilnehmer mit Hilfe von direkten Fragen und Rollenspielen mit hypothetischen sozialen Problemen konfrontiert. Da ein wichtiger Fokus des Programms darauf liegt, mit den Jugendlichen Fähigkeiten zum Lösen alltäglicher Probleme einzuüben, haben die Teilnehmer zusätzlich die Möglichkeit mittels eigener/selbst erlebter schwieriger Situationen die Problemlösestrategien zu erproben. Anhand von Rollenspielen können die neu erlernten Fertigkeiten gefestigt werden.
Tab. 2.1: Kurzübersicht der Übungsinhalte
Titel der Übung | Inhalt der Übung |
Über unsere Probleme nachdenken | → Jeder Mensch hat Probleme, Probleme können auf unterschiedliche Weise gelöst werden. |
Gibt es ein Problem? (Schritt 1) | → Wann beginnt ein Problem? Körperliche Reaktionen auf Ärger; hitzköpfige und gelassene Gedanken |
Stopp! Denk nach! (Schritt 2) | → Impulskontrolltechniken; Rollenspiel |
Warum gibt es einen Konflikt? Sammle die Fakten/Überprüfe Deine Einstellungen (Schritt 3) | → Voreingenommenheit; positive und negative Interpretation einer Situation, Hinterfragen von Generalisierungen und Vorurteilen |
Warum gibt es einen Konflikt? Die Sichtweise der anderen? (Schritt 3) | → Perspektivwechsel, Rollenspiel; Beurteilung einer Situation aus mehreren Sichtweisen |
Schwierige Situationen (Überblick) | → Wiederholung und Anwendung der Schritte 1–3 |
Was will ich? (Schritt 4) | → grundlegende Ziele/Handlungsziele; realistische Ziele/unrealistische Ziele; Einschätzung eigener Fähigkeiten; kurzfristige Ziele/langfristige Ziele |
Überlege Dir Lösungen! (Schritt 5) | → Generierung verschiedener Lösungsmöglichkeiten für ein Problem; passive, aggressive und selbstsichere Lösungen; |
Beachte die Konsequenzen! (Schritt 6) | → Folgen eigenen Handelns für sich und andere; Sichtweise des Opfers; Fehlüberzeugung bezüglich Konsequenzen verdeutlichen |
Wähle, was zu tun ist, tu es (Schritt 7), und bewerte die Ergebnisse! (Schritt 8) | → Selbsteinschätzung zu Problemlösefähigkeit; Anwendung der acht Schritte auf ein eigenes Problem; Zukunftsperspektive; Abschluss des Programms |
2.2 Organisatorischer Ablauf
2.2.1 Orientierungstreffen
Bei diesem Treffen erläutern die Trainer in einem Kurzüberblick Inhalt, Methoden und Ziel des Trainings und besprechen die Gruppenregeln (siehe Kap. 2.2.2). Interessierte Jugendliche können sich bei diesem ersten Treffen ein Bild vom Programm und den Trainern sowie den anderen potentiellen Teilnehmern der Gruppe machen. Danach können sich die Jugendlichen frei entscheiden, ob sie am Training mit den damit verbundenen Verpflichtungen (regelmäßige Teilnahme, Akzeptanz der Gruppenregeln, Einhaltung der Schweigepflicht) teilnehmen.
2.2.2 Verhaltensregeln und Trainingsverlauf
Zur Erstellung der Gruppenregeln werden die Teilnehmer gefragt, welche Regeln ihrer Ansicht nach vonnöten seien, um ein angenehmes und effektives Arbeiten in der Gruppe zu ermöglichen. Diese werden auf einem Flipchart-Plakat notiert und gegebenenfalls durch die im Manual abgedruckten Gruppenregeln (vgl. Abb. 2.2) ergänzt. Schließlich unterschreiben alle Teilnehmer und die Gruppenleiter auf dem Plakat, um zu verdeutlichen, dass sie den Regeln zustimmen und sie einhalten wollen. Von Seiten der Gruppenleiter wird die Bedeutung der Vertraulichkeit besonders betont, indem sie versichern, dass keine Informationen aus den Sitzungen an andere Mitarbeiter der Vollzugsanstalt weitergegeben werden, und sie die Teilnehmer dazu anhalten, keine Informationen aus den Sitzungen an nicht Teilnehmende preiszugeben. Ebenso sollen sich die Teilnehmer bei auftretenden Problemen bezüglich des Programms oder der Gruppe zunächst an die Gruppenleiter und nicht an gruppenexterne Personen (vgl. Kap. 2.3.3) wenden.
Die Gruppengröße sollte sechs bis acht Teilnehmer umfassen. Jeder Teilnehmer bekommt in der ersten Sitzung ein Arbeitsbuch bzw. einen Ordner, der zur Sammlung von Arbeits- und Übungsblättern vorgesehen ist. Diese Ordner werden zu Beginn jeder Sitzung ausgeteilt und nach den Sitzungen eingesammelt und weggeschlossen. Ebenso werden zu Beginn jeder Sitzung Plakate mit den acht Stufen zum erfolgreichen Konfliktlösen sowie den Gruppenregeln aufgehängt. Die Stufen und Regeln sind somit immer präsent, und die Trainer können bei Bedarf immer wieder darauf verweisen. Die einzelnen Übungen des Programms werden in Einzelarbeit, Gruppendiskussionen und Rollenspielen bearbeitet, in der Übung sechs kommen auch Videobeispiele zum Einsatz. Die einzelnen Sitzungen laufen stets gleich ab: Rückschau auf die letzte Sitzung sowie Besprechung der Übungsaufgaben, eventueller offener Fragen oder Probleme, die sich seit der vorherigen Sitzung ergeben haben, Durchführung der aktuellen Übung und schließlich die Erteilung einer Übungsaufgabe, in der das Gelernte bis zur nächsten Sitzung angewandt werden soll. Dadurch können die Teilnehmer...