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E-Book

Selbstverletzendes Verhalten

AutorMichael Kaess, Paul L. Plener, Romuald Brunner, Tina In-Albon
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl117 Seiten
ISBN9783840925719
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Nichtsuizidales Selbstverletzendes Verhalten ist bei vielen Jugendlichen ein Thema. Zahlreiche Jugendliche probieren es einmal aus, aber es gibt auch einige, die sich regelmäßig über Wochen, Monate oder Jahre hinweg selbst verletzen. Die häufigste Absicht, die mit diesem Verhalten einhergeht, ist die Reduktion von unangenehmen Emotionen. Ziel des Leitfadens ist es, aktuelle Ergebnisse zur Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Prävention zu vermitteln. Kernstück des Leitfadens sind die Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Nichtsuizidalem Selbstverletzendem Verhalten. Die Leitlinien zur Diagnostik beschreiben die Exploration des Patienten, der Symptomatik und störungsrelevanter Faktoren. Zudem werden Hinweise zur körperlichen Untersuchung, zur Differenzialdiagnostik sowie zur Verlaufskontrolle und Qualitätssicherung gegeben. Auf Basis der aktuellen Therapieforschung erläutern die Leitlinien zur Therapie das konkrete Vorgehen beim Erstkontakt und bei der Akutbehandlung, Möglichkeiten der Weiterversorgung sowie das psychotherapeutische und pharmakologische Vorgehen. Des Weiteren wird auf das Therapiesetting, die Elternarbeit und die Zusammenarbeit mit Schule, Jugendhilfe und Sozialarbeit eingegangen. Materialien für die Praxis und Fallbeispiele ergänzen den Leitfaden.

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Kapitelübersicht
  1. Selbstverletzendes Verhalten
  2. 1 Stand der Forschung
  3. 2 Leitlinien
  4. 3 Verfahren zur Diagnostik und Therapie
  5. 4 Materialien
  6. 5 Fallbeispiele
  7. 6 Literatur
Leseprobe

|26|2 Leitlinien


Die aufgeführten Leitlinien berücksichtigen den aktuellen Stand der Forschung und die AWMF-Leitlinien zum NSSV und zur Suizidalität.

2.1 Leitlinien zur Diagnostik, Verlaufskontrolle


Die spezifische Diagnostik für NSSV basiert auf der Grundlage der allgemeinen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen, wie im Leitfaden zur Diagnostik psychischer Störungen beschrieben (Döpfner & Petermann, 2012).

Es ist zu beachten, dass NSSV häufig mit Scham behaftet ist und deswegen nicht von selbst berichtet wird. Des Weiteren befürchten Betroffene (teilweise berechtigt) negative Reaktionen und Stigmatisierung durch andere (Muehlenkamp et al., 2013). Aufgrund dessen sollten zum einen Fragen zum Vorkommen von NSSV standardmäßig in der klinischen Praxis gestellt werden. Zum anderen sollte die Befragung von einer „respektvollen Neugier“ (Kettlewell, 1999; Walsh, 2006, 2007) geleitet werden. Eine häufige Befürchtung in diesem Zusammenhang ist, dass Jugendliche mit der Frage nach NSSV bzw. suizidalem Verhalten auf die Idee gebracht werden, dieses Verhalten zu zeigen. Diese Bedenken scheinen jedoch nicht berechtigt zu sein (Gould et al., 2005; Reynolds et al., 2006).

Tabelle 6 gibt eine Übersicht über die Leitlinien zur Diagnostik. Als allgemeine Empfehlungen kann folgendes festgehalten werden: In der Diagnostikphase sollten unterschiedliche Verfahren (klinische Beobachtung, klinisch diagnostische Interviews und Fragebögen) eingesetzt werden. Zu Beginn des diagnostischen Kontaktes ist eine Vertrauensbasis zu schaffen, da NSSV von den Betroffenen selbst zumeist als sehr schambehaftet erlebt und dadurch nur selten Hilfe in Anspruch genommen wird. Es ist daher umso wichtiger, den Betroffenen mit Respekt zu begegnen, sie ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass man ihnen helfen möchte. Der Einbezug von Bezugspersonen in die Exploration ist von Fall zu Fall zu entscheiden, aber grundsätzlich zu empfehlen, wobei eine getrennte Exploration von Jugendlichen und Bezugspersonen stattfinden sollte.

2.1.1 Exploration des Patienten und ggf. der Bezugspersonen

Wie bereits aufgeführt, sollte die Exploration mit Jugendlichen getrennt von Bezugspersonen erfolgen und gekennzeichnet sein durch einen respektvollen Umgang. Im Erstkontakt sind zunächst folgende zwei Punkte |27|zu beachten. Zum einen die akute Wundversorgung und zum anderen das direkte Ansprechen auf Suizidalität (Fegert & Kölch, 2011). Wichtig ist die Unterscheidung von NSSV und Suizidversuchen. Entscheidend ist dabei die Intention des Verhaltens zu erfragen (z. B. etwa auch NSSV anstelle eines Suizidversuchs). Die Exploration akuter Suizidalität sollte sowohl während der Diagnostik als auch regelmäßig in der Therapie erfolgen. Bei Vorhandensein von akuter Suizidalität sind weitere Schritte zur Sicherheit einzuleiten.

Tabelle 6: Übersicht über das Vorgehen in der Diagnostik

L1

Exploration des Patienten (ggf. Bezugspersonen)

L2

Körperliche Untersuchung und Impfstatus

L3

Exploration der NSSV-Symptomatik

L4

Klärung der Diagnose und differenzialdiagnostische Abklärung

L5

Exploration von störungsspezifischen Vulnerabilitäts-, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren/störungsrelevanten Faktoren (Reaktionen der Umgebung)

L6

Information über das Ergebnis der Diagnostik für Jugendliche und Therapieempfehlung/Erfassung der Einstellung zur Therapie

L7

Verlaufskontrolle und Qualitätssicherung

Inhalte der weiteren Exploration des Patienten sollte die klinische Beobachtung, der psychopathologische Befund, der Vorstellungsanlass, die Selbsteinschätzung der NSSV-Symptomatik und gegebenenfalls komorbider Störungen, Einflussfaktoren, Stärken und Ressourcen sowie Auswirkungen von NSSV auf das soziale und familiäre Umfeld sein.

In der klinischen Beobachtung sind Hinweise für das Vorliegen von NSSV das Tragen langärmeliger Kleidung im Sommer oder im Sport, die Verweigerung des Besuchs von Schwimmstunden, häufiges Einschließen im Zimmer oder Badezimmer oder auch das Aufbewahren von Messern, Rasierklingen oder ähnlichen Gegenständen.

Fragen im Hinblick auf Gedanken zur Veränderungen von NSSV sind, ob NSSV als Problem erkannt wird. Es kann auch danach gefragt werden was Warnhinweise darauf wären, dass NSSV ein echtes Problem darstellt. Ebenso kann exploriert werden, ob Bezugspersonen und Freunde NSSV als Problem sehen und ob sie sich durch NSSV belastet fühlen (vgl. Leitlinie 6).

Bezugspersonen (Eltern, Erzieher/Lehrer)

In der Exploration der Bezugspersonen sind folgende Informationen zu erheben:

  • |28|Gedanken, Gefühle und Verhalten im Zusammenhang mit NSSV.

  • Eigene Vorstellungen bzgl. Einflussfaktoren für die Aufrechterhaltung und Auslöser von NSSV.

L1

Leitlinie 1:
Exploration des Patienten und ggf. Bezugspersonen

Rahmenbedingungen:

  • Getrennte Exploration von Patient und Bezugspersonen

  • Respektvolle Neugierde im Umgang

Inhalt:

  • Somatische Abklärung ggf. medizinische Erstversorgung

  • Abklärung der Suizidalität

  • Klinische Beobachtung

  • Vorstellungsanlass

  • Selbsteinschätzung der NSSV-Symptomatik

  • Psychopathologischer Befund

  • Exploration Stärken, Ressourcen, Interessen

  • Bezugspersonen: Gedanken, Gefühle und Reaktionen in Bezug auf NSSV des Jugendlichen

Hilfreiche Materialien

  • „Empfehlungen für den Erstkontakt und Explorationsfragen“ (modifiziert nach In-Albon & Schmid, 2012) sind in Kapitel 4 (vgl. M01, S. 71–72) abgedruckt. Ziel der Empfehlungen ist der Aufbau einer therapeutischen Allianz, der Behandlungsmotivation sowie eine strukturierte Evaluation und Diagnostik.

  • Die deutsche Version des „Selbstverletzungs-Gedanken und -Verhalten Interviews“ (SITBI-G, Nock et al., 2007, dt. Version: Fischer et al., 2014) ist in Auszügen als M05 in Kapitel 4 (vgl. S....

Inhaltsverzeichnis
Selbstverletzendes Verhalten1
Einleitung: Grundlagen und Aufbau des Buches7
Inhalt9
1 Stand der Forschung11
1.1 Definition11
1.2 Klinische Symptomatik, Leitsymptome12
1.3 Klassifikation14
1.4 Epidemiologie und Verlauf16
1.5 Komorbidität und Differenzialdiagnostik18
1.6 Risikofaktoren und Ätiologiemodell25
1.7 Prävention27
1.8 Therapie29
2 Leitlinien36
2.1 Leitlinien zur Diagnostik, Verlaufskontrolle36
2.2 Leitlinien zur Behandlung48
3 Verfahren zur Diagnostik und Therapie67
3.1 Verfahren zur Diagnostik67
3.2 Verfahren zur Therapie72
4 Materialien80
5 Fallbeispiele96
5.1 Fallbeispiel 1: Anna, 16 Jahre96
5.2 Fallbeispiel 2: Britta, 14 Jahre99
5.3 Fallbeispiel 3: Martin, 15 Jahre102
6 Literatur107

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